Arzneimittel und Dysphagie

Wenn das Schlucken zur Qual wird

Mag. pharm.

Melanie

Schoß

,

BSc

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Damit Patient:innen mit einer Dysphagie bestmöglich betreut werden können, müssen die Ätiologie und die (Begleit-)Symptome ermittelt werden.

Zu den häufigsten Ursachen von Schluckstörungen zählen neurologische Erkrankungen wie Schlaganfälle, Morbus Parkinson und Multiple Sklerose sowie neurodegenerative Erkrankungen wie ALS. Auch strukturelle Veränderungen wie Tumoren im Halsbereich, Operationen oder Engstellen der Speiseröhre können ursächlich sein. Darüber hinaus können bestimmte Medikamente (z. B. Anticholinergika) oder psychische Faktoren wie Angst eine Dysphagie begünstigen. Die Presbydysphagie (Schluckstörung im Alter) entsteht durch Muskelabbau und nachlassende Koordination im Schlucktrakt. 

Werden Schluckstörungen nicht erkannt oder behandelt, können Mangelernährung, Dehydration, der Wirkverlust oraler Medikation und schwere Lungenentzündungen die Folge sein. 

Überblick
Anzeichen einer Schluckstörung

Typische Symptome einer Dysphagie sind unter anderem: 

  • Verschlucken, Husten, Räuspern 
  • Ausspucken von Nahrung
  • Fremdkörpergefühl im Hals
  • Nahrungsaustritt aus der Nase
  • Änderung in Stimmqualität/-klang
  • Regurgitation von Nahrung oder Tabletten
  • „Steckenbleiben“ von Nahrung/Speichel/Tabletten bzw. Kapseln
  • Verlangsamte Essgeschwindigkeit

Physiologie des Schluckvorganges

Der Schluckvorgang ist ein komplexer Prozess, bei dem Nahrung oder Flüssigkeit vom Mund in den Magen transportiert wird. Dieser Vorgang gliedert sich in vier Hauptphasen:

  1. Orale Vorbereitungsphase: Der Schluckvorgang beginnt im Mund mit der Aufnahme der Nahrung. Die Nahrung wird zerkleinert und mit Speichel vermischt, um einen weichen Nahrungsbrei, den sogenannten Bolus, zu bilden.
  2. Orale Transportphase: Der Bolus wird mit der Zunge in den Rachen geschoben. Am Ende dieser Phase wird der Schluckreflex ausgelöst.
  3. Pharyngeale Phase: Im Rachen wird der Nahrungsbrei reflektorisch in die Speiseröhre weitergeleitet. Währenddessen hebt sich das Gaumensegel, um den Nasenraum zu verschließen. Der Kehlkopf wird durch den Kehldeckel verschlossen, um die Atemwege zu schützen.
  4. Ösophageale Phase: Nachdem der Speisebrei in die Speiseröhre gelangt ist, wird er durch deren peristaltische Bewegungen in den Magen befördert. Dieser Vorgang dauert in der Regel etwa fünf bis zehn Sekunden.
Tipps für Patient:innen 
Medikamente leichter einnehmen
  • Passende Darreichungsform wählen 
  • Medikamente immer aufrecht sitzend einnehmen, nicht unmittelbar nach Einnahme hinlegen
  • Ausreichend Flüssigkeit bei Einnahme von Tabletten/Kapseln/Dragees (mind. 100 ml Wasser)
  • Bei (medikationsbedingter) Xerostomie kann das Lutschen von Eiswürfeln, gefrorenen Früchten oder sauren Drops die Mundbefeuchtung unterstützen.
  • Arzneimittel nur nach Rücksprache mit Ärztin/Arzt oder Apotheker:in mörsern/zerkleinern
  • Tabletten ggf. mit angedickter Flüssigkeit einnehmen
  • Geeignete Einnahmehilfen nutzen (z. B. Gloup Gel, Medcoat)
  • Medikamentenplan regelmäßig durch Ärzt:in und Apotheker:in überprüfen lassen

Medikationsassoziierte Dysphagie

Medikamenteninduzierte Dysphagien treten entweder als akute Nebenwirkung oder nach einer Latenzzeit auf und können bereits bestehende Schluckstörungen negativ beeinflussen. Insbesondere Dysphagien, die durch Xerostomie (Mundtrockenheit) oder Sialorrhoe (vermehrter Speichelfluss) ausgelöst werden, sind häufig auf Arzneimittelnebenwirkungen zurückzuführen. 

Arzneistoffe, die eine Dysphagie auslösen können

Arzneistoffe/Arzneistoffgruppe, die eine OMIEI (oral medication esophageal injury) auslösen können:

  • NSAR, ASS
  • Bisphosphonate
  • Antibiotika (v. a. Tetrazykline, Makrolide)
  • Vasodilatatoren (z. B. PDE-5-Hemmer)
  • Kalium
  • Eisensulfate
  • Vitamin C

Arzneistoffe, die eine Xerostomie auslösen können:

  • Anticholinergika (Atropin, Scopolamin etc.) 
  • Alpha-Blocker
  • ACE-Hemmer, Angiotensin-II-Rezeptor-Blocker
  • Antiarrhythmika
  • Ipratropiumbromid
  • Antihistaminika
  • Diuretika
  • Opiate
  • Antidepressiva (v. a. Amitriptylin)
  • Antipsychotika (Haloperidol)
  • Retinoide

Zentral wirksame Arzneistoffe, die eine Dysphagie auslösen oder verstärken können:

  • Antipsychotika (Haloperidol, Risperidon, Olanzapin)
  • Anticholinergika
  • Opioide
  • Benzodiazepine
  • Antidepressiva
  • Zytostatika
  • Antiemetika (Metoclopramid)

Arzneistoffe, die eine Sialorrhoe auslösen können:

  • Neuroleptika
  • Parasympathomimetika (Pilocarpin)


(modifiziert nach Positionspapier Schluckstörungen 
der DGHNO und der DGPP 2015)

Zentral sedierende Arzneistoffe (wie Antipsychotika, Antikonvulsiva, Opioide etc.) können die während des Schluckvorgangs benötigte Reflexsteuerung, Sensorik und muskuläre Koordination behindern. 

Reizende Arzneistoffe können bei Kontakt mit der Ösophagusschleimhaut zu lokalen Ulzerationen und Entzündungen führen. Dieser Symptomkomplex kann unter dem Begriff OMIEI (oral medication esophageal injury) zusammengefasst werden. 

Besonders gefährdet für medikamenteninduzierte Dysphagien sind ältere Menschen und Patient:innen mit Polypharmazie. Daher ist besonders bei diesen Patient:innen eine umfassende Medikationsanalyse empfehlenswert. 

Pharmazeutische Betreuung bei Dysphagie

Zunächst sollte abgeklärt werden, ob Patient:innen ihre Arzneimittel im Ganzen schlucken können oder ob es gegebenenfalls hilfreich sein könnte, die Medikamente zu zerkleinern. In manchen Fällen kann das Eindicken der Flüssigkeit den Schluckvorgang von Tabletten erleichtern. Es gibt zudem verschiedene Schluckhilfen in Form von Gels, Sprays und Überzügen, die das Einnehmen von Medikamenten erleichtern sollen. Fragen wie „Wie kommen Sie mit der Einnahme Ihrer Medikamente zurecht? Gibt es Tabletten/Kapseln, die Sie besonders schwer schlucken können?“ helfen, sich während des Beratungsgesprächs ein Bild von der aktuellen Situation zu machen.

Bei der Wahl der Darreichungsform sind flüssige Arzneiformen wie Tropfen, Säfte, Suspensionen, Schmelztabletten oder Sublingualtabletten zu bevorzugen. Hartkapseln sind eine gute Alternative, wenn sie geöffnet werden können. Der Inhalt kann dann z. B. in Apfelmus suspendiert werden, um das Schlucken zu erleichtern. Stehen diese Darreichungsformen nicht zur Verfügung, stellt sich häufig die Frage nach der Mörserbarkeit von Tabletten. Grundsätzlich gilt es, die Patient:innen aufzuklären, dass Retardtabletten niemals gemörsert werden dürfen, da es hier zu einem „Dose-Dumping“ kommen kann. Gegebenenfalls sollte eine ärztlich angeordnete Umstellung auf nicht-retardierte Präparate erfolgen. Auch bei einigen nicht-retardierten Filmtabletten wird das Mörsern nicht empfohlen, da der Filmüberzug z. B. als Schutz des Wirkstoffs vor der Magensäure fungiert. Würde man den magensaftresistenten Überzug zerreiben, würde der säurelabile Wirkstoff im Magen inaktiviert werden (z. B. bei Pantoprazol). Nicht-orale Arzneiformen wie Suppositorien, transdermale Pflaster und parenterale Formulierungen sind zwar mögliche Alternativen, aber für ältere Patient:innen, die oft unter motorischen Einschränkungen leiden, nicht optimal. 

Flüssige, zerdrückte oder pürierte Nahrungsmittel sind leichter zu schlucken als feste Nahrungsmittel. © Shutterstock
Flüssige, zerdrückte oder pürierte Nahrungsmittel sind leichter zu schlucken als feste Nahrungsmittel. © Shutterstock

Sondengängigkeit beachten

Wichtig ist es auch, die voraussichtliche Dauer und das Ausmaß der Dysphagie zu erfragen. Bei schweren Fällen könnte eine Sondenanlage geplant sein. In diesem Fall ist es wichtig, eine Überprüfung der Medikation auf Sondengängigkeit durchzuführen. Einige Krankenhausapotheken führen Datenbanken zum Thema Medikamente und Sonden. Auch Pharmahersteller bieten zum Teil auf Anfrage „Sondenkataloge“ an. Allerdings handelt es sich trotz Verfügbarkeit von Daten zur Mörserbarkeit/Sondengängigkeit in den meisten Fällen um einen Off-label-use. 

In interdisziplinärer Teamarbeit mit Ärzt:innen, Pflegekräften und Logopäd:innen können Apotheker:innen somit maßgeblich zu einer sicheren und wirksamen Arzneimittelversorgung von Patient:innen mit Schluckstörungen beitragen.


Quellen

  • S1-Leitlinie Neurogene Dysphagie (2020), AWMF Reg. Nr. 030/111
  • S2k-Leitlinie Hypersalivation (2018), AWMF Reg. Nr 017/075
  • Arens C, et al.: Positionspapier der DGHNO und der DGPP – Stand der klinischen und endoskopischen Diagnostik, 
    Evaluation und Therapie von Schluckstörungen bei Kindern und Erwachsenen. Laryngo Rhino Otol 2015; 94: S306–S354
  • Rémi C, et al.: Arzneimitteltherapie in der Palliativmedizin. (2022) 4. Auflage, Elsevier Urban & Fischer
  • Schwemmle M, et al.: Medikamenteninduzierte Dysphagien. Ein Überblick. HNO 2015; 63: 504–510

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