
Eine aktuelle Studie, die Blut-Labordaten von Menschen aus der Toskana und Singapur mit denen von indigenen Bevölkerungsgruppen in Bolivien und auf der malaiischen Halbinsel vergleicht, legt nahe, dass diese Hypothese offenbar nur für Menschen aus den Industriestaaten gilt.
"Wir sind an einem Punkt angelangt, an dem wir die gesamte Natur von Entzündungen neu überdenken", wurde Studien-Co-Autor Alan Cohen, der an der Columbia University in New York City zum Thema Altern forscht, jetzt in der Wissenschaftszeitschrift "Nature" zitiert. "Was wir aufgrund zahlreicher Studien in westlichen Industrieländern als universell betrachteten, ist wahrscheinlich nur eine Besonderheit unserer Umwelt."
Bisherige Untersuchungen aus wohlhabenden Ländern
Anfang der Woche hat das Fachjournal "Nature Aging" eine neue Studie von Maximilien Franck (Columbia University) und seinen Mitautoren veröffentlicht, die eine neue Perspektive auf die Alterungsprozesse des Menschen eröffnen könnte. "Viel Wissen über die biologischen Prozesse, die dem Altern zugrunde liegen, basiert auf Untersuchungen in wohlhabenden Ländern. Diese deuten darauf hin, dass Entzündungen mit dem Alter zunehmen und zu Erkrankungen wie Morbus Alzheimer, Diabetes und Herzproblemen beitragen können. In nicht-industrialisierten Bevölkerungen sind diese Erkrankungen jedoch selten", schrieb "Nature" in einem Übersichtsartikel.
Um herauszufinden, wie sich Entzündungen bei Menschen mit unterschiedlicher Herkunft, Lebensweise und Umweltbedingungen auf den Alterungsprozess auswirken, analysierten Cohen und seine Kolleginnen und Kollegen Blutproben von insgesamt 1.041 Personen aus Italien (im Rahmen der inCHIANTI-Altersstudie), 941 aus Singapur, 536 Angehörigen der indigenen Tsimane im bolivianischen Amazonasgebiet sowie 358 Mitgliedern der Orang Asli, einer indigenen Bevölkerungsgruppe auf der malaiischen Halbinsel. In allen vier Gruppen waren jeweils mehr als die Hälfte der Teilnehmenden Frauen.
Konzentration von Immunbotenstoffen im Blut verglichen
Untersucht und verglichen wurde die Konzentration von Zytokinen – Immunbotenstoffen, die von Immunzellen produziert werden und sowohl akute Abwehrreaktionen als auch chronische Entzündungen steuern. Solche unterschwelligen, langfristigen Entzündungsprozesse gelten als möglicher Treiber altersbedingter Erkrankungen. Die Forscher analysierten, wie sich die Konzentration von acht dieser Zytokin-Proteine mit dem Alter in den verschiedenen Gruppen verändert und ob hohe Werte mit typischen Alterskrankheiten in Verbindung stehen.
Westlicher Lebensstil bringt ansteigende Entzündungswerte
Das Ergebnis: Bei den Teilnehmern aus Italien und Singapur stiegen die Zytokinwerte mit dem Alter kontinuierlich an und wurden mit Krankheiten wie chronischer Nierenerkrankung und Diabetes in Verbindung gebracht. Diese Befunde entsprechen früheren Studien und seien "das, was alle erwartet hatten", so Cohen. Anders bei den beiden indigenen Gruppen: Dort waren die Zytokinwerte in allen Altersstufen zwar erhöht, blieben aber im Laufe des Lebens weitgehend konstant. Zudem zeigten sie keinen Zusammenhang mit altersbedingten Erkrankungen. Laut den Autoren könnten die dauerhaft erhöhten Werte eine Reaktion auf häufige Infektionen mit Parasiten, Bakterien oder Viren sein, wie "Nature" berichtet.
Ernährung, Stress, körperliche Aktivität
Thomas McDade vom Institut für Anthropologie der Northwestern University in Evanston (Illinois) erklärte, dass die Ursachen für die deutlichen Unterschiede zwischen den untersuchten Bevölkerungsgruppen zwar noch nicht vollständig geklärt seien, jedoch vermutlich Faktoren wie Ernährung, Bewegungsmangel und Stress in Industrieländern die körpereigene Regulation von Entzündungen beeinträchtigen. Dies könne chronische Entzündungen fördern – und damit altersbedingte Krankheiten begünstigen.
"In nicht-industrialisierten Gesellschaften hingegen scheint das Immunsystem deutlich stärker reguliert zu sein. Es schaltet sich ein, wenn es nötig ist, und wieder aus", so McDade. "Es ergeben sich für die zukünftige Forschung sehr spannende Möglichkeiten, diese Frage nun detaillierter und präziser zu untersuchen und herauszufinden, warum diese Unterschiede auftreten", fügte er hinzu.
APA