
Adipositas entsteht aus einem komplexen Zusammenspiel biologischer, psychologischer und sozialer Faktoren. Studien zeigen, dass genetische Veranlagungen ebenso eine Rolle spielen wie Umweltbedingungen und individuelle Lebensumstände. Höchste Zeit also für eine Behandlung, die individuell auf jede Person abgestimmt ist. Neben den traditionellen Ansätzen wie Ernährungsumstellungen und Bewegung rücken auch neue pharmakologische Therapien und digitale Angebote immer mehr in den Vordergrund. Innovative Konzepte sollen dabei nicht nur zur Gewichtsreduktion beitragen, sondern auch nachhaltige Veränderungen in den Verhaltensmustern bewirken.1
Pharmakologische Therapieoptionen
Für die medikamentöse Behandlung der Adipositas stehen heute verschiedene Wirkstoffklassen zur Verfügung, die in der Tabelle zusammengefasst sind.
Medikamentöse Therapieoptionen bei Adipositas Übersicht über Wirkstoffe, Anwendung und Wirkmechanismus | |||
Wirkstoff | Handelsname | Wirkmechanismus | Anwendung |
Liraglutid | Saxenda® | GLP-1-Rezeptoragonist | Tägliche Injektion, s.c. |
Semaglutid | Ozempic®, Wegovy® | GLP-1-Rezeptoragonist | Wöchentliche Injektion, s.c. |
Tirzepatid | Mounjaro® | Dualer GIP/GLP-1-Rezeptoragonist | Wöchentliche Injektion, s.c. |
Orlistat | Xenical® | Lipasehemmer | 3 x täglich zu den Hauptmahlzeiten |
Setmelanotid | Imcivree® | MC4R-Agonist | Tägliche Injektion, s.c. |
Naltrexon/Bupropion | Mysimba® | Opioidantagonisten und Dopamin-/ Noradrenalin-Wiederaufnahmehemmer | Tägliche orale Einnahme |
Vor allem die Klasse der GLP-1-Rezeptoragonisten (Inkretinmimetika) hat in den vergangenen Jahren das therapeutische Spektrum erweitert. Liraglutid und Semaglutid wirken über zentrale GLP-1-Rezeptoren im Hypothalamus appetithemmend. Während Liraglutid täglich subkutan appliziert wird, erlaubt Semaglutid eine wöchentliche Injektion. Tirzepatid kombiniert zusätzlich die Wirkung eines GIP-Agonisten und zeigt in Studien eine noch ausgeprägtere Gewichtsreduktion.2–4 An oralen GLP-1-Rezeptoragonisten für die Adipositasbehandlung wird weiterhin gearbeitet.
Ein anderer Ansatz ist der Lipasehemmer Orlistat, der die Resorption von Nahrungsfetten im Darm hemmt. Er wird dreimal täglich zu den Hauptmahlzeiten eingenommen, ist jedoch häufig mit gastrointestinalen Nebenwirkungen assoziiert.5,6
Neben den GLP-1-Rezeptoragonisten gewinnt auch die Modulation des endogenen Systems zur Steuerung des Energiestoffwechsels an Aufmerksamkeit. Eine zentrale Rolle spielt dabei der Melanocortin-4-Rezeptor (MC4R), der im Gehirn das Hunger- und Sättigungsgefühl mitsteuert und bei manchen Menschen genetisch verändert ist. Setmelanotid, ein MC4R-Agonist, ist spezifisch für seltene genetisch bedingte Adipositasformen zugelassen und moduliert zentral den Energiehaushalt.7 Auch die Beeinflussung neurobiologischer Mechanismen des Essverhaltens zeigt interessante Effekte. Die Kombination aus Naltrexon und Bupropion wirkt über dopaminerge und opioiderge Mechanismen auf das Belohnungssystem und das Essverhalten.8
Alle diese Wirkstoffe stellen eine wertvolle Ergänzung in der Adipositastherapie dar, allerdings stets im Rahmen einer ganzheitlichen Betreuung und unter sorgfältiger Nutzen-Risiko-Abwägung.
Lebensstiländerungen & digitale Unterstützung

Trotz innovativer medikamentöser Ansätze bleibt die konservative Therapie mit veränderten Ernährungsgewohnheiten, erhöhter körperlicher Aktivität und verhaltenspsychologischen Maßnahmen weiterhin eine zentrale Säule der Adipositasbehandlung. Moderne Lifestyle-Interventionen setzen verstärkt auf personalisierte Programme und digitale Tools zur kontinuierlichen Betreuung.
Digitale Technologien können die Umsetzung von Lebensstiländerungen erleichtern. Smartphone-Apps, tragbare Geräte und telemedizinische Angebote ermöglichen es den Patient:innen, ihr Essverhalten, die körperliche Aktivität und weitere gesundheitsrelevante Parameter fortlaufend zu überwachen. Mittels interaktiver Plattformen können sie sich mit anderen Betroffenen austauschen und sich so sozial vernetzen. Virtuelle Beratungsgespräche ermöglichen es, regelmäßig und flexibel Kontakt zu therapeutischen Fachpersonen zu halten. Der Einsatz digitaler Tools kann die Therapietreue signifikant steigern und dadurch zu besseren Langzeitergebnissen führen.
Chirurgische Maßnahmen für schwere Formen
Bei schweren Formen der Adipositas bleibt die bariatrische Chirurgie eine der wirksamsten Behandlungsoptionen. Neben dem klassischen Magenbypass und der Schlauchmagenoperation kommen vermehrt minimal-invasive Verfahren zum Einsatz, die mit weniger Komplikationen und einer schnelleren Erholungszeit verbunden sind.9
Zunehmend finden auch endoskopische Verfahren Anwendung. Diese nutzen den natürlichen Zugang über den Magen-Darm-Trakt und senken dadurch das Operationsrisiko sowie die Belastung nach dem Eingriff.
Ein weiterer zukunftsweisender Trend ist die verstärkte Einbindung der Verhaltensökonomie in Therapieprogramme. Durch Anreizsysteme, die auf wirtschaftlichen und psychologischen Mechanismen beruhen, lassen sich Verhaltensänderungen fördern und die aktive Mitwirkung der Patient:innen steigern. Diese Ansätze werden zunehmend durch digitale Plattformen unterstützt, die Belohnungssysteme und Gamification-Elemente integrieren, um die Therapietreue zu erhöhen. Vor allem jüngere Patient:innen lassen sich dadurch frühzeitig für präventive Maßnahmen sensibilisieren, was langfristig nicht nur ihre Gesundheitsprognose verbessert, sondern auch die Folgekosten für das Gesundheitssystem deutlich reduzieren kann.
Fazit
Insgesamt zeigen die aktuellen Entwicklungen, dass die Adipositastherapie weit über klassische Diät- und Bewegungsprogramme hinausgeht. Die Kombination aus modernen Medikamenten, individuellen Ernährungsstrategien, telemedizinischer Betreuung und interdisziplinären Therapiezentren eröffnet neue Perspektiven – sowohl für die Prävention als auch für die langfristige Therapie dieser chronischen Erkrankung. Dabei spielt auch die Aufklärung der Patient:innen über die verschiedenen Therapieoptionen eine zentrale Rolle, um eine informierte und selbstbestimmte Entscheidung zu ermöglichen.
Quellen
- Tak YJ, et al.: Long-term efficacy and safety of anti-obesity treatment: where do we stand? Curr Obes Rep 2021; 10: 14–30
- Tan HC, et al.: Efficacy and safety of semaglutide for weight loss in obesity without diabetes: a systematic review and meta-analysis. J ASEAN Fed Endocr Soc 2022; 37: 65–72
- Rubino DM, et al.: Effect of weekly subcutaneous semaglutide vs daily Liraglutide on body weight in adults with overweight or
obesity without diabetes: the STEP 8 randomized clinical trial. JAMA 2022; 327: 138–150 - Chakhtoura M, et al.: Pharmacotherapy of obesity: an update on the available medications and drugs under investigation. EClinicalMedicine 2023; 58: 101882
- Feng X, et al.: Treatment of obesity and metabolic-associated fatty liver disease with a diet or orlistat: A randomized controlled trial. Am J Clin Nutr 2023; 117: 691–700
Weitere Literatur auf Anfrage