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Blasengesundheit bei Frauen

Mag. pharm. Christopher Waxenegger
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Blasengesundheit © Shutterstock
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Urologische Erkrankungen bei Frauen sind häufig und vielfach mit erheblicher Beeinträchtigung der Lebensqualität verbunden. Insbesondere die Harninkontinenz und das Syndrom der überaktiven Blase (Overactive Bladder, OAB) stellen bedeutende gynäkologische Problembereiche dar, die sowohl in der ärztlichen Versorgung als auch in der Beratung durch Apotheken eine wichtige Rolle spielen.


Praktische Bedeutung


Schätzungen gehen davon aus, dass in Österreich 5 von 100 Erwachsenen inkontinent sind. Aufgrund der weiblichen Anatomie umfasst dies bis zum 65. Lebensjahr hauptsächlich Frauen. Die Prävalenz variiert je nach Altersgruppe und beträgt zwischen 30–49 Jahren 17%, zwischen 60–79 Jahren 23 % und kann bei über 80-Jährigen mehr als 50 % erreichen. Bei OAB verhält es sich ähnlich. Auch hier beobachtet man eine Zunahme der Prävalenz mit steigendem Lebensalter. Beide Krankheitsbilder sind für Apotheker:innen relevant, da viele Patientinnen unzureichend behandelt werden und niederschwellige Unterstützung suchen. Hieraus ergibt sich ein hoher Versorgungs- und Aufklärungsbedarf mit Fokus auf frühzeitige Diagnostik, Therapieoptimierung und Medikationsberatung.


Warum trifft es Frauen öfter?


Neben den bereits angesprochenen anatomischen Besonderheiten tragen bei Frauen hormonelle und altersbedingte Faktoren maßgeblich zur Entstehung urologischer Beschwerden bei. Pathophysiologisch kommt es durch die rückläufige ovariale Östrogenproduktion zu strukturellen und funktionellen Veränderungen im Urogenitaltrakt. Dazu zählt etwa der Geweberückgang (Atrophie) des Urogenitalepithels, wodurch sich die lokale Barrierefunktion und Durchblutung reduzieren. Die Blase reagiert empfindlicher auf mechanische und chemische Reize, was die Entstehung von irritativen Symptomen begünstigt (z. B. Pollakisurie, Nykturie, imperativer Harndrang).
Ein weiteres Beispiel ist die zurückgehende Kollagensynthese im Beckenboden und periurethralen Bindegewebe (↓ Verschlusskraft der Harnröhre, ↓ Gewebeelastizität, ↑ Risiko einer Belastungsinkontinenz). Der postmenopausale Hormonmangel führt zudem zu einer nachlassenden Östrogenrezeptordichte und -aktivität in der Blasenwand und im Detrusormuskel (↑ Detrusorerregbarkeit, ↓ Blasenkontrolle). Studien zum urogenitalen Mikrobiom liefern Hinweise, wonach eine abnehmende Laktobazillen-Konzentration im Alter die Kolonisation mit uropathogenen Keimen fördert. Daraus entstehende subklinische Inflammationsprozesse irritieren die Blasenschleimhaut zusätzlich, was OAB-Symptome verstärken kann.


Stress- versus Dranginkontinenz


Harninkontinenz lässt sich in zwei große Gruppen einteilen: in die Belastungs- bzw. Stressinkontinenz und die Dranginkontinenz. Etwaige Überlappungen werden als Mischinkontinenz bezeichnet. 
Typisch für eine Belastungsinkontinenz ist der unfreiwillige Abgang von Harn während körperlicher Belastung ohne vorangehenden Harndrang. Mit bis zu 40 % stellt dies die häufigste Inkontinenzform bei Frauen dar. Ursächlich ist eine Beckenboden- und Sphinkterschwäche, infolgedessen die auf das Verschlusssystem übertragene Belastung nicht aufrechterhalten werden kann. 


Unter Dranginkontinenz versteht man den unfreiwilligen Harnverlust, begleitet von imperativem Harndrang, der in der Regel auf einer Instabilität/Überaktivität des Detrusors bei intaktem Verschlussmechanismus beruht. Eine derartige Instabilität/Überaktivität kann neurologischer (z. B. spinale MS-Herde, zerebrale Kontrollprobleme), lokaler (z. B. Steine, Infekte, Abflussbehinderungen) oder idiopathischer Natur sein (= OAB).
Die verschiedenen Subtypen und möglichen Ursachen erfordern eine enge interdisziplinäre Zusammenarbeit. Ein Umstand, auf den auch die aktuelle S2k-Leitlinie „Harninkontinenz der Frau“ der Deutschen, Österreichischen und Schweizer Gesellschaften für Gynäkologie und Geburtshilfe nachdrücklich hinweist.


Wie stellen Ärzt:innen die Diagnose?

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Therapieoption eingesetzt werden? Die enthaltenen Phytosterole, Fettsäuren und Lignane können den Blasenmuskel tonisieren und die Druckrezeptoren der Blasenwand modulieren. Klinische Studien zeigen moderate Verbesserungen von Harndrang 
und Nykturie, vor allem bei leichter Symptomatik oder als Begleittherapie.

Grundlage einer zielgerichteten Therapie ist die korrekte Diagnose.
• Anamnese: Erhebung von Symptomen (Art, Häufigkeit, Schweregrad des Harndrangs, Harnverlust, Nykturie), Trink- und Miktionsverhalten, Medikamenteneinnahme, gynäkologische/urologische Vorerkrankungen, Beckenbodendysfunktionen, Obstipation, neurologische Erkrankungen.
• Klinische Untersuchung: Bei Frauen urogynäkologische Untersuchung in Steinschnittlage mit Spekulum in Ruhe und beim Pressen, Bewertung einer möglichen Genitalsenkung, Beurteilung der Beckenbodenmuskulatur und Durchführung eines Stresstests, um Urinverlust zu beobachten.
• Miktionstagebuch: Zwei- bis dreitägige Aufzeichnung von Trink- und Urinmengen, Toilettenvorgängen, Harndrang und eventuell auftretendem Urinverlust als wichtige Basisinformation.
• Urin- und Blutdiagnostik: Ausschluss von Harnwegsinfekten, Tumorerkrankungen oder anderen vaskulären/neurologischen Ursachen, Bestimmung des Restharnvolumens und ggf. Bildgebung oder zystoskopische Abklärung bei Hinweisen auf strukturelle Ursachen.
• Urodynamik und bildgebende Verfahren: Umfassende urodynamische Untersuchung nicht in jedem Fall initial erforderlich, insbesondere nicht vor konservativer Therapie bei Stressinkontinenz mit eindeutiger Diagnose. Bei komplexen oder therapierefraktären Fällen sowie vor operativen Eingriffen wird jedoch eine urodynamische Diagnostik empfohlen.

Für Apotheken ist es bedeutsam, bei Beratung und Medikationsüberprüfung auf mögliche medikamentös ausgelöste Symptome zu achten (z. B. Diuretika, Anticholinergika, α-Agonisten) und Frauen zur Erstellung eines Miktionstagebuchs zu motivieren.


Konservative Maßnahmen


Behandelt wird prinzipiell nach einem Stufenkonzept mit zunächst konservativen Maßnahmen, gefolgt von medikamentöser und invasiver Therapie.
• Lebensstil-Modifikation: Gewichtsreduktion bei Adipositas, Reduktion irritierender Substanzen (Koffein, Alkohol, kohlensäurehaltige Getränke), Raucherentwöhnung, Behandlung von Obstipation und Diabetes mellitus. 
• Flüssigkeits- und Toilettenmanagement: Empfohlen wird eine gezielte Trinkmenge, angepasst an die Situation, Vermeidung von übermäßiger Restriktion, regelmäßige Blasenentleerung und Toilettentraining. 
• Blasentraining und Verhaltenstherapie: Bei OAB im Vordergrund, Verlängerung der Zeitintervalle zwischen den Toilettengängen, bewusste Unterdrückung von Harndrang durch Kontraktion des Beckenbodens.
• Beckenbodentraining/Physiotherapie: Besonders wichtig bei Stressinkontinenz und Mischformen, bei Bedarf auch in Kombination mit biofeedbackgestütztem Training oder Elektrostimulation.


Medikamente

Tabelle © APOVERLAG
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Reichen konservative Maßnahmen nicht aus, kommen für die überaktive Blase und Dranginkontinenz mehrere Substanzgruppen in Betracht. Antimuskarinika (z. B. Oxybutynin, Tolterodin, Solifenacin) hemmen die Wirkung von Acetylcholin an den muskarinischen Rezeptoren der Blasenmuskulatur und erhöhen die Blasenkapazität. Die Zeit bis zum Harndrang wird verzögert. β₃-Adrenozeptor-Agonisten (z. B. Mirabegron, Vibegron) üben ihre Effekte während der Speicherphase der Harnblase aus. Sie entspannen die Blasenwandmuskulatur, erhöhen die Blasenkapazität und lindern so die Beschwerden. Ihr Nebenwirkungsprofil hinsichtlich Mundtrockenheit und Obstipation wird als günstig beschrieben. Hormonelle Therapien können bei postmenopausalen Frauen lokal oder systemisch zum Einsatz kommen und die Kontinenzsituation günstig beeinflussen. Sie sind jedoch nicht primär zur Therapie dieser Beschwerden zugelassen. Apotheker:innen sollten bei der Abgabe von Medikamenten über Nutzen, potenzielle Nebenwirkungen sowie Kontraindikationen Bescheid wissen und ggf. aufklären.


Operative und interventionelle Therapie


Bei unzureichender Wirkung konservativer und medikamentöser Maßnahmen oder bei komplexer Genital-Beckenbodensenkung sind operative und interventionelle Verfahren angezeigt. Dazu zählen:
• Botulinumtoxin-Injektion in die Detrusormuskulatur
• Neuromodulation zur Sakralnervstimulation
• Tension-free Vaginal Tape (TVT)/TVT-O und andere suburethrale Schlingenverfahren


Rolle des Apothekenteams


Die Nachsorge umfasst u. a. regelmäßige Kontrollen des Miktionsverhaltens, Bewertung der Wirksamkeit und Verträglichkeit der Therapien, Anpassung der Maßnahmen bei Persistenz der Symptome sowie Wiederholung von Miktionstagebuch und Urodynamik bei Therapieversagen. Apotheker:innen können Frauen aktiv ansprechen und Unterstützung anbieten. Dies beinhaltet Beratung zu Lebensstil und Verhaltensmaßnahmen, Medikamente, Förderung der Adhärenz und nicht zuletzt die Kooperation mit Urolog:innen und Gynäkolog:innen bei der Überweisung, wenn konservative Maßnahmen nicht ausreichend wirken.

Quellen
•   Bapir R, et al.: Treatment of urge incontinence in postmenopausal women: a systematic review. Arch Ital Urol Androl 2023; 95(3): 11718
•   Christmas MM, et al.: Menopause hormone therapy and urinary symptoms: a systematic review. Menopause 2023; 30(6): 672-685
•   Falah-Hassani K, et al.: The pathophysiology of stress urinary incontinence: a systematic review and meta-analysis. Int Urogynecol J 2021; 32(3): 501-552
•   Hoedl M, et al.: Urinary incontinence prevalence and management in nursing homes in Austria, the Netherlands, 
Turkey and the United Kingdom: a multi-site, cross-sectional study. Arch Gerontol Geriatr 2022; 103:104779
•   Kobashi KC, et al.: Updates to surgical treatment of female stress urinary incontinence (SUI): AUA/SUFU Guideline (2023). J Urol 2023; 209(6): 1091-1098

Weitere Literatur auf Anfrage

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