
Das klarzellige Nierenzellkarzinom ist die häufigste Form von Nierenkrebs. Rund 75–80 % aller Nierenzellkarzinome sind nach der WHO-Klassifikation histologisch klarzellig, unter den Patient:innen mit metastasiertem Nierenzellkarzinom ist ihr Anteil sogar noch größer. Laut EMA wurden im Jahr 2020 in Europa mehr als 130.000 Neuerkrankungen diagnostiziert. Etwa 30 % der Betroffenen befinden sich zum Zeitpunkt der Diagnose bereits in einem fortgeschrittenen Stadium.
Die aktuelle Standardtherapie des rezidivierten oder metastasierten Nierenzellkarzinoms in der Erstlinie besteht aus Immun-Checkpoint- und Tyrosinkinase-Hemmern. Dennoch ist die Erkrankung oft schwer kontrollierbar. Werden die Tumore resistent, benötigt man Medikamente mit alternativen Wirkmechanismen. Hier erweitert die Neueinführung von Welireg® das therapeutische Spektrum.
Ein weiteres Indikationsgebiet von Welireg® ist das seltene, erbliche Von-Hippel-Lindau-Syndrom (VHL-Syndrom), bei dem es zu verschiedenen, meist gutartigen Tumoren kommt.
Blockade von HIF-2α
Belzutifan, der Wirkstoff in Welireg®, ist der erste selektive Inhibitor des Hypoxie-induzierten Faktor 2 alpha (HIF-2α). HIF-2α ist ein Transkriptionsfaktor, der bei zellulärem Sauerstoffmangel (Hypoxie) aktiviert wird. Bei dem in Tumoren typischen Sauerstoffmangel ist HIF-2α in den Tumorzellen im Übermaß vorhanden und am Zellwachstum, der Bildung neuer Blutgefäße und dem Krebswachstum beteiligt.
Defektes VHL-Gen
Der überaktive HIF-Signalweg wird durch ein defektes Gen ausgelöst: das Von-Hippel-Lindau-(VHL)-Gen. Beim erblichen Von-Hippel-Lindau-Syndrom ist das VHL-Gen in allen Körperzellen verändert, beim klarzelligen Nierenzellkarzinom in über 90 % der Tumorzellen. Normalerweise reguliert das Produkt des VHL-Gens, das VHL-Protein, den Hypoxie-induzierbaren Faktor HIF und fungiert so als Tumor-Suppressor. Ist die Funktion des VHL-Proteins bei Nierenkrebs oder VHL-Syndrom beeinträchtigt, gerät der HIF-Signalweg außer Kontrolle. Dadurch akkumuliert HIF-2α und wandert in den Zellkern, wo es als Transkriptionsfaktor die Expression von Genen reguliert, die mit zellulärer Proliferation, Angiogenese und Tumorwachstum in Zusammenhang stehen. Der Wirkstoff Belzutifan bindet an HIF-2α und blockiert bei Hypoxie oder bei Beeinträchtigung der VHL-Proteinfunktion die HIF-Interaktion. Durch diese Blockade kann Belzutifan die Bildung neuer Blutgefäße verhindern und dadurch die Blutversorgung, die das Wachstum der Krebszellen ermöglicht, unterbrechen.
Indikation von Welireg®
Die EMA hat mit Belzutifan einen neuen Therapieansatz bedingt zugelassen zur Behandlung von Erwachsenen mit:
- Fortgeschrittenem Klarzellkarzinom der Nierenzellen, das sich trotz zwei oder mehr vorangegangenen Behandlungen – einschließlich eines PD-(L)1-Inhibitors und mindestens zwei Arten von gegen VEGF gerichteten Arzneimitteln – verschlimmert hat
- Bestimmten Tumoren im Rahmen des Von-Hippel-Lindau-(VHL)-Syndroms, die eine Behandlung für assoziierte, lokalisierte Nierenzellkarzinome, Hämangioblastome des zentralen Nervensystems oder neuroendokrine Pankreastumore benötigen und für die lokale Behandlungen ungeeignet sind
Wirkstoff
Belzutifan, ein Inhibitor des Hypoxie-induzierbaren Transkriptionsfaktors 2 alpha (HIF-2α)
Indikation
Als Monotherapie für Erwachsene bei:
- Fortgeschrittenem klarzelligem Nierenzellkarzinom nach Vorbehandlung mit zwei oder mehr Therapien
- Mit Von-Hippel-Lindau (VHL)-Syndrom assoziierten Tumoren (lokale Nierenzellkarzinome, Hämangioblastome des Zentralnervensystems oder neuroendokrine Pankreastumore)
Darreichungsform
Filmtablette mit 40 mg Belzutifan
Dosierung
1 mal tgl. 120 mg Belzutifan oral, Dosisanpassung oder Absetzen der Therapie bei Nebenwirkungen, jeden Tag zur gleichen Zeit im Ganzen einnehmen
Schwangerschaft und Stillzeit
Zwingende Indikationsstellung (Fehlgeburt, embryo-
toxisch) in der Schwangerschaft bei Nierenzellkarzi-nomen, kontraindiziert in der Schwangerschaft bei
VHL-Syndrom-assoziierten Tumoren, Kontrazeption (Barrieremethode) bis mindestens 1 Woche nach
Therapieende erforderlich, für mindestens 1 Woche nach der letzten Dosis nicht stillen
Warnhinweise
Bei Patient:innen mit VHL-Syndrom-assoziierten Hämangioblastomen des ZNS auf Anzeichen von
ZNS-Blutungen achten
Wechselwirkungen
Vorsicht bei empfindlichen CYP3A4-Substraten, UGT2B17- oder CYP2C19-Inhibitoren und hormonellen Kontrazeptiva
Nebenwirkungen
Anämie, Ermüdung/Fatigue, Übelkeit, Dyspnoe, Schwindel, Hypoxie, Blutungen, Übelkeit, Gewichtszunahme
Warnhinweise und Nebenwirkungen
Zu den häufigsten Nebenwirkungen von Belzutifan zählen neben Anämie und Hypoxie Ermüdung/Fatigue, Übelkeit, Dyspnoe und Schwindelgefühl. Vor allem Anämie und Hypoxie können Dosisanpassungen erforderlich machen. Patient:innen sollten vor Beginn der Belzutifan-Behandlung und in regelmäßigen Abständen während der Behandlung auf Anämie überwacht werden. Mit Blick auf eine potenzielle Hypoxie sollte die Sauerstoffsättigung der Patient:innen vor Beginn der Behandlung und währenddessen in regelmäßigen Abständen mittels Pulsoximetrie überwacht werden.
Unter der Behandlung mit Belzutifan wurden ZNS-Blutungen, auch mit tödlichem Ausgang, bei Patient:innen mit VHL-Syndrom-assoziierten Hämangioblastomen des ZNS beobachtet, weshalb auf Symptome oder Anzeichen von ZNS-Blutungen geachtet werden muss.
Wechselwirkungen
Belzutifan wird über die Enzyme UGT2B17 und CYP2C19 metabolisiert und induziert seinerseits konzentrationsabhängig CYP3A4. Die gleichzeitige Anwendung mit CYP3A4-Substraten, einschließlich hormoneller Kontrazeptiva, kann deren Wirksamkeit beeinträchtigen. Patientinnen sollten daher eine zuverlässige nicht-hormonelle Verhütungsmethode verwenden.
Eine gleichzeitige Gabe mit empfindlichen CYP3A4-Substraten sollte möglichst vermieden werden. Ist sie unvermeidbar, kann eine Dosisanpassung des Substrats erforderlich sein.
Zudem kann Belzutifan andere Enzymsysteme wie CYP2B6, CYP2C8, MATE-2K und möglicherweise MATE1 beeinflussen. Inhibitoren von UGT2B17 oder CYP2C19 können die Belzutifan-Exposition erhöhen und das Risiko für Nebenwirkungen steigern. In diesen Fällen sind eine engmaschige Überwachung und gegebenenfalls eine Dosisanpassung angezeigt.
Schwangerschaft und Stillzeit
Belzutifan kann bei Anwendung in der Schwangerschaft embryofetale Schäden und Fehlgeburten verursachen. Bei Frauen im gebärfähigen Alter ist vor Therapiebeginn ein Schwangerschaftstest erforderlich. Während der Behandlung und für mindestens eine Woche nach der letzten Dosis müssen zuverlässige, nicht-hormonelle Verhütungsmethoden angewendet werden.
Bei VHL-assoziierten Tumoren ist die Anwendung in der Schwangerschaft kontraindiziert. Bei Eintritt einer Schwangerschaft ist die Behandlung umgehend abzubrechen.
Wegen potenziell schwerer Nebenwirkungen beim gestillten Kind sollte während der Therapie und bis mindestens eine Woche nach der letzten Dosis nicht gestillt werden.
Zulassungsstudie
Die Wirksamkeit von Belzutifan beim fortgeschrittenen klarzelligen Nierenzellkarzinom wurde in LITESPARK-005, einer offenen, aktiv kontrollierten klinischen Phase-III-Studie an 746 Erwachsenen untersucht. Die Proband:innen erhielten randomisiert entweder einmal täglich 120 mg Belzutifan oder 10 mg Everolimus. Welireg® zeigte eine ähnliche Wirksamkeit wie der mTOR-Hemmer Everolimus: Das mittlere Überleben lag unter Welireg® bei 22 Monaten versus 18 Monate unter Everolimus-Therapie. Das progressionsfreie Überleben betrug 4,6 versus 5,4 Monate.
In der Indikation VHL-assoziierte Tumore wurde Welireg® in der separaten, offenen Studie LITESPARK-004 bei 61 Patient:innen untersucht. Nach median 49,7 Monaten zeigten 67 % der Patient:innen mit Nierenzellkarzinom ein objektives Ansprechen. Ein Ansprechen wurde auch bei Patient:innen mit Pankreasläsionen bzw. ZNS-Hämangioblastomen beobachtet.
Verwendete Grundlagen
- Austria Codex Fachinformation Welireg®
- Europäischer Beurteilungsbericht zu Welireg®
- Belzutifan bei Nierenkrebs in Europa zugelassen | DKFZ - Krebsinformationsdienst, abgerufen am 14.5.2025