Dr. Dorothee Dartsch, Hamburg

Medikationsanalyse im hohen Alter

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Dr. Dorothee Dartsch CaP Campus Pharmazie GmbH, Hamburg © Beigestellt
Dr. Dorothee Dartsch, CaP Campus Pharmazie GmbH, Hamburg © Beigestellt

Knapp die Hälfte nimmt fünf oder mehr Arzneimittel ein, was als Polymedikation definiert wird. Sowohl in Österreich als auch im Nachbarland Deutschland sind rund 5 % aller Krankenhausaufnahmen durch Nebenwirkungen bedingt. Das verursacht hohe Kosten. In Deutschland wird die Medikationsanalyse bereits von den Krankenkassen honoriert, wenn ein/e Patient:in zumindest fünf systemische Arzneimittel dauerhaft verordnet bekommt. 

Sinnvoll und kostendeckend durchführbar ist die Medikationsanalyse allerdings nur dann, wenn Risikopatient:innen und Risiko-Arzneimittel identifiziert werden können. Häufig besteht das Missverständnis, dass Arzneimittel auf der PIM-Liste (für ältere Menschen potenziell inadäquate Medikation) grundsätzlich kontraindiziert wären. Das ist laut der Expertin jedoch nicht der Fall, und die Top Ten der kritischen Wirkstoffe befinden sich nicht auf der PIM-Liste. Dazu zählen NSAR (Achtung im OTC-Bereich!), Betablocker, Antibiotika, Antikoagulanzien, Digoxin, ACE-Hemmer, Calciumkanalblocker, Opioide, Antidiabetika sowie Zytoralia, die einen besonders hohen Beratungsbedarf haben. 

Automatisch Risikopatient:in?

Dabei darf nicht davon ausgegangen werden, dass Hochaltrige automatisch Risikopatient:innen sind. So ist beispielsweise die Nierenfunktion lediglich bei der Hälfte dieser Personengruppe eingeschränkt. Es herrscht eine hohe interindividuelle Variabilität hinsichtlich Blutdruckregulation, Wasserhaushalt, Wundheilung und Immunabwehr. Faktoren wie nachlassende Kognition, Verschlechterung der Sensorik, Motorik und Mobilität erschweren die Therapie. Gerade Fachärzt:innen haben oft keine zeitnahen Termine verfügbar und sind für Hochbetagte teils nur mit großem Aufwand zu erreichen. Das erschwert eine adäquate Betreuung älterer Menschen. Eine niederschwellige Medikationsanalyse in der Apotheke ist daher besonders wichtig. Häufig bestehen vergleichsweise banale Probleme: Ältere Personen haben oft Schwierigkeiten, ihre Medikationspläne zu lesen bzw. zu verstehen; nicht jedem und jeder ist klar, was der Einnahmehinweis 1–0–1 bedeutet. Bei einer Medikationsanalyse sollte zudem im Medikationsplan vermerkt werden, welches Medikament für welche Indikation verordnet wurde. Außerdem obliegt es aufgrund eines mangelhaften Informationsflusses zwischen den Gesundheitsberufen insbesondere in Deutschland noch den Patient:innen, Ärzt:innen, Therapeut:innen und Apotheker:innen auf den gleichen Informationsstand zu bringen. Das kann eine weitere Fehlerquelle sein, bzw. ist der Austausch dieser Informationen oft gar nicht mehr möglich. 

MAI-Fragen als Analyse-Grundlage

Der Medication Appropriateness-Index (MAI) ist eine gute Grundlage für die Medikationsanalyse. Laut Dartsch wäre es wünschenswert und sinnvoll, wenn sich Ärzt:innen und Pharmazeut:innen gleichermaßen daran orientieren und danach arbeiten. Die MAI-Fragen umfassen u. a. leitliniengestützte Fragen nach Indikation, Wirksamkeit der Therapie und korrekter Dosierung. Für Dosierung und Therapiedauer kann die Fachinformation des Arzneimittels herangezogen werden. Wichtig ist auch die Frage, ob die Anweisungen für die Patient:innen korrekt, verständlich und im Alltag durchführbar sind. „Wenn die allerbeste Therapie zu Hause nicht umsetzbar ist, muss auf die zweitbeste Therapie zurückgegriffen werden“, erklärte Dartsch. Die MAI-Fragen beschäftigen sich auch damit, ob durch die Therapie (unnötige) Doppelverordnungen sowie eine arzneimittelbedingte Verschlechterung der Erkrankung vermieden werden können und ob die ausgewählte Pharmakotherapie die ökonomisch günstigste ist. 

Bei mehreren Erkrankungen muss ein therapeutisches Gesamtkonzept entwickelt werden, anstatt parallel einzelne Leitlinien anzuwenden. So ist jede Medikationsanalyse individuell, bei der es gelte, gemeinsam mit dem Patienten/der Patientin herauszufinden, welche Einflussfaktoren auf die Wirksamkeit bestehen.

Unterversorgung trotz Polymedikation

„22 bis 70 % der Senior:innen sind hinsichtlich einer adäquaten Pharmakotherapie trotz Polymedikation unterversorgt“, erläuterte Dartsch. Davon betroffene Arzneimittelgruppen sind kardiovaskuläre Wirkstoffe, orale Antikoagulantien und die Osteoporose-Therapie. Ursachen sind nicht nur Multimorbidität und die Polymedikation selbst, sondern auch Demenz, das Nebenwirkungsrisiko, Gebrechlichkeit, Kosten sowie der Mangel an Studiendaten; darüber, welche Arzneimittel im Alter bei welcher Indikation noch nötig oder schon zu viel sind, gibt es noch sehr viele offene Fragen.

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