Demenzerkrankungen

Heilpflanzen mit neuroprotektivem Potenzial

Mag. pharm. Arnold Achmüller
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Symbolbild Demenz © Shutterstock
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Neurodegenerative Erkrankungen wie unterschiedliche Demenzerkrankungen sind weit verbreitet und führen zu erheblicher Krankheitslast und Sterblichkeit. Sie sind durch Entzündungsprozesse im Gehirn, oxidativen Stress und den Verlust von Nervenzellen gekennzeichnet. Da effektive Heilungsmöglichkeiten begrenzt sind, konzentrieren sich aktuelle Behandlungsansätze meist auf die Linderung von Symptomen. In diesem Kontext können verschiedene Heilpflanzen nicht nur bei der symptomatischen Therapie unterstützen, sondern auch vorbeugend wirken.

Polyphenol- und carotinoidreiche Ernährung

Verschiedene Forschungsgruppen betrachten polyphenolische Strukturen und Carotinoide als potenzielle Mittel zur Verringerung typischer altersbedingter Gehirnveränderungen. Denn diese antioxidativ wirkenden Verbindungen zeigen nicht nur antikarzinogene und kardioprotektive Effekte, sondern haben auch neuroprotektive Eigenschaften. 

Extravirgines Olivenöl

Unter anderem wird die polyphenolreiche mediterrane Ernährung mit ihren Antioxidantien und Omega-3-Fettsäuren als möglicher Schutz gegen neurodegenerative Prozesse diskutiert.1 Eine Studie untersuchte den Einfluss einer geringen Menge von extravirginem Olivenöl auf die kognitive Leistungsfähigkeit älterer Menschen im Rahmen einer mediterranen Diät. Die Teilnehmer:innen wurden entweder einer „mediterranen Diät“-Gruppe oder einer „mediterranen Diät plus extravirginem Olivenöl“-Gruppe zugeordnet. Nach einem Jahr zeigte sich eine signifikant bessere kognitive Leistung in der Gruppe, welche die mediterrane Diät plus extravirginem Olivenöl erhielt – ein möglicher Hinweis auf dessen neuroprotektive Eigenschaften.2

Curcumin

Das Polyphenol Curcumin aus der Javanischen Gelbwurz ist seit Langem für seine antiinflammatorische und antioxidative Komponente bekannt. Seit einigen Jahren ist Curcumin auch Gegenstand zahlreicher Studien zur Demenzprophylaxe. Epidemiologische Untersuchungen und Beobachtungen aus Tierversuchen legen diesen Zusammenhang schon länger nahe. Deshalb verwundert es nicht, dass klinische Studien mit speziellen Curcumaextrakten beispielsweise eine verbesserte Denkleistung erbrachten.

Carotinoide

Carotinoide könnten möglicherweise ebenfalls dazu beitragen, die Alterung des Gehirns zu verhindern. Darauf verweist eine Untersuchung aus dem Jahre 2014. In dieser groß angelegten Studie wurde der Zusammenhang zwischen einer carotinoidreichen Ernährungsweise und späterer kognitiver Leistung bei 2.983 Erwachsenen untersucht. Mithilfe von neuropsychologischen Tests und Plasmakonzentrationsmessungen von Carotinoiden wurde festgestellt, dass dies mit einem höheren kognitiven Gesamtpunktestand verbunden war. Ähnliche Ergebnisse wurden für andere kognitive Aufgaben erzielt.4

Grüntee: EGCG mit Einschränkung empfohlen

Aufgrund ihrer antioxidativen und zellschützenden Eigenschaften werden Grünteeextrakte und die darin enthaltenen polyphenolischen Epigallocatechingallate (EGCG) weltweit wie kaum eine andere Pflanze zur Prophylaxe und Therapie unterschiedlichster Krankheitsbilder erforscht. Grünteeextrakte erwiesen sich hierbei nicht nur als antikarzinogen, sondern auch als neuroprotektiv.5

Dementsprechend zielte auch eine 2020 veröffentlichte Studie darauf ab, den therapeutischen Effekt von EGCG auf eine Alzheimer-Erkrankung durch systematische Überprüfung und Meta-Analyse präklinischer Versuche zu bewerten. Die Ergebnisse zeigen, dass EGCG positive Auswirkungen auf kognitive Leistungen und ß-Amyloid Level in tierischen Modellen hat.6 Auch eine zuletzt durchgeführte Meta-Analyse untermauerte neuroprotektive Wirkungen. Ziel dieser Untersuchung war es, einen möglichen Zusammenhang zwischen dem Konsum von Grüntee und dem Schlaganfallrisiko zu untersuchen. Die Analyse von fünf Studien mit insgesamt 645.393 Teilnehmer:innen ergab, dass ein höherer Grünteekonsum mit einem geringeren Schlaganfallrisiko assoziiert war. Es wurde ein nichtlinearer Zusammenhang festgestellt, wobei höhere Mengen an grünem Tee mit reduziertem Schlaganfallrisiko in Verbindung standen, mit einem Höhepunkt bei 500 ml pro Tag.7

Allerdings sollte man wissen, dass hohe Mengen an EGCG mit sporadisch auftretenden Leberschäden in Zusammenhang gebracht werden. Deshalb gilt seit Juni dieses Jahres eine verpflichtende Vorgabe seitens der European Food Safety Authority (EFSA), wonach die tägliche Einnahme von 800 mg EGCG in Nahrungsergänzungsmitteln nicht überschritten werden darf. In Dosierungen von unter 800 mg reinem EGCG sowie als Tee (Tagesdosis 6 bis 10 g, aufgeteilt auf 3 bis 5 Tassen pro Tag) gilt Grüntee als sicher und gut verträglich.

Ginkgo: Etablierte Therapie

Ginkgo hat seit Langem einen etablierten Platz in der Prävention und begleitenden Behandlung von Demenzerkrankungen. Kaum eine andere Pflanze wurde so gründlich in Bezug auf ihre chemischen und pharmakodynamischen Wirkungen erforscht wie die Ginkgoblätter. Sie enthalten als relevante Wirkstoffe Terpentrilactone (Ginkgolide A bis J und Bilobalid) sowie verschiedene Flavonoide. Studien an Ginkgoextrakten und isolierten Inhaltsstoffen wie den Ginkgoliden haben gezeigt, dass sie die Mikrozirkulation verbessern, die Blutviskosität senken, die Thrombozytenaggregation hemmen und gleichzeitig antioxidative und radikalfangende Eigenschaften aufweisen. Die in Ginkgoextrakten enthaltenen Gingkolide stabilisieren außerdem die Mitochondrienmembran, stellen mitochondriale Funktionen wieder her, reduzieren schädliche Auswirkungen toxischer ß-Amyloid-Fraktionen auf die Nervenzellen und wirken dadurch ausgesprochen neuroprotektiv.

Groß angelegte Studien und Auswertungen des vorhandenen Studienmaterials unterstreichen die Wirksamkeit von Ginkgo bei milden bis moderaten Formen von Demenz inklusive einer verbesserten Lebensqualität.8 Der in-vitro beobachtete neuroprotektive Effekt ließ sich ebenfalls durch klinische Studien untermauern.9 Zuletzt bewies ein systemischer Review von insgesamt 15 randomisierten klinischen Studien und 1.829 Teilnehmer:innen einen Benefit bei ischämischem Schlaganfall. Adjuvant verabreichte Ginkgoextrakte verbesserten die neuronalen Funktionen im Vergleich zu rein konventionellen Therapien wesentlich stärker.10

Groß angelegte Studien und Auswertungen des vorhandenen Studienmaterials belegen die Wirksamkeit von Ginkgo bei milden bis moderaten Formen von Demenz. © Shutterstock
Groß angelegte Studien und Auswertungen des vorhandenen Studienmaterials belegen die Wirksamkeit von Ginkgo bei milden bis moderaten Formen von Demenz. © Shutterstock



Es wird empfohlen, Ginkgo in Form von standardisierten Trockenextrakten einzunehmen, da die empfohlene Tagesdosis nicht über Tee erreicht werden kann. Zudem ist die Aufnahme der potenziell bedenklichen Ginkgolsäuren bei der Teezubereitung nicht kontrollierbar, während ihr Gehalt in zugelassenen Arzneimitteln auf höchstens 5 ppm begrenzt ist. Die empfohlene Tagesdosis des Trockenextrakts (DEV 35–67:1, Aceton 60 %) beträgt laut HMPC 240 mg (!) pro Tag, aufgeteilt auf 1 bis 2 Einzeldosen. Es kommt jedoch oft vor, dass diese Dosierung in der Praxis nicht erreicht wird, auch aufgrund von Präparaten mit nur 40 mg pro Dragee auf dem Markt. Die Einnahme des Extrakts sollte mindestens acht Wochen lang erfolgen. Mögliche Nebenwirkungen der Ginkgo-Therapie können Magen-Darm-Beschwerden, Kopfschmerzen und allergische Reaktionen sein. Patient:innen mit einer erhöhten Blutungsneigung und gleichzeitiger Einnahme gerinnungshemmender oder thrombozytenaggregationshemmender Medikamente sollten vor der Anwendung von Ginkgo ärztlichen Rat einholen.

Ausblick in die Zukunft

Auch für weitere traditionell in anderen Indikationen eingesetzte Heilpflanzen konnten neuroprotektive Effekte mittels In-vitro-Tests und Tierversuchen gezeigt werden. Diese Erkenntnisse eröffnen neue potenzielle Therapieansätze:
Ein Teufelskralleextrakt auf Basis von Ethylacetat zeigte eine hemmende Wirkung auf die Cholinesterase. Dieser Effekt wird insbesondere dem im Wurzelbereich vorhandenen Verbascosid zugeschrieben.11 Die Ergebnisse wurden durch eine weitere Tierversuchsstudie gestützt, in der ein wässriger Extrakt die Freisetzung von neurotoxischem ß-Amyloid reduzierte.12 

Für Liebstöckel konnten in mehreren In-vivo-Studien an Ratten neuroprotektive und lernfördernde Effekte nachgewiesen werden. Diese lassen sich u. a. damit erklären, dass Liebstöckel-Extrakte einen neuronalen Wachstumsfaktor namens „Brain-Derived Neurotrophic Factor“ erhöhen und die Neurogenese im Hippocampus stimulieren.13

Quellen

1 Franco et al.: Bioactive compounds of the mediterranean diet as nutritional support to fight neurodegenerative disease. Int J Mol Sci 2023; 24(8): 7318
2 Mazza et al.: Effect of the replacement of dietary vegetable oils with a low dose of extravirgin olive oil in the mediterranean diet on cognitive functions in the elderly. 
J Transl Med 2018; 16(1): 10
3 Cox et al.: Investigation of the effects of solid lipid curcumin on cognition and mood in a healthy older population. J Psychopharmacol 2015; 29(5): 642-51
4 Kesse-Guyot et al.: Carotenoid-rich dietary patterns during midlife and subsequent cognitive function. Br J Nutr 2014; 111(5): 915-23
5 Pervin et al.: Beneficial effects of green tea catechins on neurodegenerative diseases. Molecules 2018; 23(6): 1297

Weitere Literatur auf Anfrage

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