
Anti-Aging ist wie ein Fächer: Es muss ein Bogen gespannt werden, der von Anfang bis zum Ende fertig gedacht werden muss“, eröffnete Apothekerkammer-Präsidentin Mag. pharm. Dr. Ulrike Mursch-Edlmayr den diesjährigen APOkongress. Die Präsidentin feierte dieser Tage ein besonderes persönliches Jubiläum und zeigte sich sowohl über den ihr überreichten Blumenstrauß als auch das Geburtstagsständchen des Publikums sichtlich gerührt. Trotz aller Leichtigkeit wurde es an diesem wolkenlosen, brütend heißen Sommertag im Saal aber auch so still, dass man eine Stecknadel hätte fallen hören können: Im Gedanken an den Amoklauf in Graz erhoben sich die Anwesenden und drückten durch eine Schweigeminute ihre Solidarität mit den jungen Opfern, ihren Freund:innen und ihren Familien aus.

Zum Nutzen der Patient:innen
Durch das dichte Vortragsprogramm, das auch ethische Aspekte eines verlängerten Lebens thematisierte, führten Tagungspräsidentin Mag. pharm. Susanne Ergott-Badawi und Tagungspräsident Univ.-Doz. Dr. Pidder Jansen-Dürr, Biologe und Biochemiker. Jansen-Dürrs primäres Forschungsgebiet ist die Grundlagenforschung zu Alterungsprozessen mit besonderer Berücksichtigung des Alterns beim Menschen.
„Beauty-Produkte hat es immer schon gegeben“, erinnerte Ergott-Badawi und betonte, dass es Apotheker:innen ihren Kund:innen schuldig seien, sich auch auf diesem Gebiet fortzubilden. In einem so heiß umkämpften Markt und in Hinblick auf den steigenden Druck durch Online-Apotheken wäre es besonders wichtig, Kompetenz in diesem Bereich zu zeigen. Jansen-Dürr wies auf die immensen Fortschritte der Altersforschung innerhalb der letzten 30 Jahre hin. Besonders wichtig sei es, die wissenschaftliche Evidenz der Forschungsergebnisse in den Mittelpunkt zu stellen und sie danach zu bewerten. „Es ist sowohl als Endverbraucher:in als auch als Wissenschaftler:in schwierig zu durchschauen, wie gut selbst hochrangig publizierte Erkenntnisse genutzt werden können.“ Die Übertragbarkeit von Tier- und In-vitro-Experimenten auf die menschliche Physiologie müsse nicht nur nachgewiesen werden, es gehe auch darum, für diese Übertragbarkeit allgemein verbindliche Kriterien zu etablieren. Dabei steht die Sinnhaftigkeit der Anwendung im Vordergrund: „Der boomende Anti-Aging-Markt muss zum Nutzen der Patient:innen eingesetzt werden.“
Im Folgenden eine Zusammenfassung ausgewählter Vorträge. Der bereits mit Spannung erwartete Vortrag von Univ.-Prof. Dr. Frank Madeo zum Thema „Spermidine und Fasten für gesundes Altern“ fiel krankheitsbedingt aus. Er wird im Herbst als Webinar nachgeholt werden.
Die Rolle der Polyphenole
Assoc. Prof. Mag. Pharm. Corina Madreiter-Sokolowski, PHD, Graz
Assoc. Prof. Mag. pharm. Corina Madreiter-Sokolowski, PhD begann zum besseren Verständnis bei den Grundlagen und erklärte die Bedeutung der Telomere. Dabei handelt es sich um nicht kodierende, einzelsträngige Enden der Chromosomen. Sie verhindern, dass sich die Chromosomen untereinander verbinden oder versehentlich abgebaut werden. Bei jeder Zellteilung werden die Telomere kürzer. Sind sie so kurz, dass sich die Zelle nicht mehr teilen kann, wird die Zelle zu einer sogenannten seneszenten Zelle, die Entzündungsmediatoren abgibt und nicht sterben kann. Die Gesamtheit der von seneszenten Zellen abgegeben Substanzen wird als SASP bezeichnet (Seneszenz-assoziierter sekretorischer Phänotyp). Mit zwei Strategien kann dagegen vorgegangen werden: Senomorphika sollen Zellen davon abhalten, Entzündungsmediatoren zu produzieren. Mit Senolytika sollen hingegen seneszente Zellen gezielt abgetötet werden.
Längentests für Telomere
Ab einem Alter von 60 Jahren nimmt die Anzahl der seneszenten Zellen exponentiell zu. Telomerlängenbestimmungen, mit denen der Anteil der seneszenten Zellen bestimmt werden soll, steht Madreiter-Sokolowski kritisch gegenüber, denn die Telomerlängen sind interindividuell sehr variabel und die angebotenen Testmethoden zudem nicht standardisiert.
Resveratrol als Potenzielles Senolytikum
Für Polyphenole, zu denen neben Lignanen, Tanninen, Phenolsäuren und Stilbenen wie Resveratrol auch Flavonoide wie Catechine und Quercetin zählen, wurden bisher einzelne positive Effekte gefunden, die entsprechenden Studien sind laut Madreiter-Sokolowski jedoch sehr schwierig zu interpretieren. Oft handelte es sich dabei um kleine Stichproben und die Studienteilnehmer:innen nahmen unterschiedliche Polyphenolmengen ein. Das u. a. in Weintrauben enthaltene Resveratrol scheint sogenannte Langlebigkeitsgene (Sirtuine) zu aktivieren. Außerdem fördert es die Calcium-Aufnahme in die Mitochondrien. Mitochondrien in älteren Zellen enthalten vergleichsweise mehr Calcium als jene in jungen Zellen und verfügen über eine höhere Calciumaufnahmekapazität, sind jedoch auch anfälliger für eine Calcium-Überladung. Bei alten Zellen führt Resveratrol durch die erhöhte Calciumaufnahme daher zum Zelltod, jüngere Zellen sind davon nicht betroffen. Die potenziell senolytische Wirkung tritt bei Resveratrol-Konzentrationen von 100 µM auf. Durch den hohen First-Pass-Effekt sind solche Konzentrationen in der Realität jedoch de facto nicht zu erreichen. Zudem reagiert Resveratrol durch seine chemische Struktur mit vielen weiteren Zielstrukturen. Die tägliche Einnahme von 500 mg Resveratrol dürfte zwar keine gesundheitlichen Schäden verursachen, aber auch keine gesundheitlichen Vorteile bringen.
Grüntee-Catechine und ROS
Im Fadenwurm (Caenorhabditis elegans) konnte gezeigt werden, dass Grüntee-Catechine wie Epigallocatechingallat (EGCG) zu einer längeren Lebenszeit und vitaleren Tieren führten, die darüber hinaus auch weniger Körperfett aufwiesen. Nach der Catechingabe war der Anteil von reaktiven Sauerstoffspezies (ROS) in den Würmern zunächst zwar erhöht, nahm danach jedoch ab, was auf eine erhöhte Radikalabwehr der Würmer schließen lässt.
Catechine könnten also nicht nur die körpereigene Abwehr anregen, sondern darüber hinaus auch über eine potenziell senomorphe Wirkung verfügen. Leider ist auch ihre Bioverfügbarkeit mit lediglich 1 % sehr gering.
Antioxidantien in der Kritik
An diesem Punkt verwies Madreiter-Sokolowski auf die teilweise paradoxen Effekte von Antioxidantien, die bspw. in den HOPE- und HOPE-TOO-Studien bei Vitamin E dokumentiert wurden. Ein interessantes Ergebnis zeigte sich bei der Insulinsensitivität: Während Proband:innen ohne Supplementierung nach Ausdauersport die erwartete Verbesserung erfuhren, blieb dieser positive Effekt bei jenen aus, die Antioxidantien eingenommen hatten. „Die Einnahme von Antioxidantien ist vielleicht beim älteren Menschen sinnvoll, im mittleren Alter aber eher fragwürdig“, hielt die Vortragende fest. ROS werden auch als Signalling-Moleküle gebraucht.
Mehr Studien notwendig
Madreiter-Sokolowski resümierte, dass es mehr gute klinische Studien zu Polyphenolen an jungen, gesunden Proband:innen bräuchte. Einzig die positive Wirkung von Grünem Tee und schwarzem Kaffee ist gut untersucht. Allgemein ginge es nicht darum, lediglich die Lebensspanne zu verlängern, sondern die Gesundheitsspanne. „Besonders in den letzten zehn Lebensjahren treten vermehrt chronische Krankheiten auf“, so die Expertin.
Tyrosinasehemmer bei Pigmentflecken
Mag. Pharm. Dr. Stefan Schwaiger, Innsbruck
Die Tyrosinase ist ein in allen Eukaryonten vorhandenes Enzym, das bspw. nicht nur zur Bräunungsreaktion des Apfels führt, sondern auch kausal an der Produktion von Melanin beteiligt ist. Tyrosinasehemmer können daher theoretisch die Bildung von Altersflecken verhindern. Für diese Anwendung sind u. a. Extrakte aus Süßholzwurzel (Glycyrrhiza inflata) und Brunnenkresse (Nasturtium officinale) erhältlich.
Falsche Inhibitoren
Aktuell werden mehrere pflanzliche Tyrosinaseinhibitoren untersucht. Einige davon, wie Extrakte aus dem Braunen Streifenfarn, der Hakenkiefer und dem Hohen Helmkraut sind jedoch alternative Substrate und keine direkten Inhibitoren. Die für sie ermittelten Hemmkonzentrationen sind nicht korrekt. Zudem müssen die Extrakte tief genug in die Haut eindringen können und lipophil genug sein, um ihren Wirkort, die Melanozyten, zu erreichen. Als echter Tyrosinase-Inhibitor wurden Extrakte aus Pfingstrosensamen (Paeonia officinalis) identifiziert. Im Zellmodell erwies sich der Extrakt allerdings als nicht stabil.
Auf UV-Schutz achten
Ein sichtbarer Effekt tritt frühestens vier Wochen nach der Anwendung von Tyrosinasehemmern auf. Da durch die Hemmung der Melaninbildung auch der natürliche Sonnenschutz der Haut verringert ist, sollten Kund:innen während der Anwendung einen UV-Schutz auftragen. Von der Anwendung vor einem Sommer-/Badeurlaub ist aus demselben Grund abzuraten. Einen weiteren Punkt gab Mag. pharm. Dr. Stefan Schwaiger zu bedenken: Tyrosinaseinhibitoren sind nur bei Pigmentierungsstörungen wirksam, die auf Melanin zurückführbar sind. Zudem sind beim Menschen nur jene Verbindungen wirksam, die die humane Tyrosinase hemmen. Ob dies bei den erhältlichen Produkten der Fall ist und ob sie ausreichend hoch dosiert sind, ist fraglich.
Arachidonsäure als Senolytikum
Assoc. Prof. Dr. Johannes Grillari, Wien
„Senolytika sind die golden bullets gegen eigentlich alle altersassoziierten Erkrankungen – so zumindest die Hypothese“, erklärte Assoc. Prof. Dr. Johannes Grillari. Seneszenz ist zwar eines der zwölf Merkmale der Alterung (Hallmarks of Aging), sie hat jedoch auch positive Effekte, z. B. während der Embryonalentwicklung (Fingerbildung) und beim Wundverschluss. Werden seneszente Zellen (SZ) in einer frühen Phase der Wundheilung blockiert, verheilt die Wunde langsamer. Findet diese Blockade jedoch vor einer Verwundung statt, heilt die Wunde besser. Eine denkbare Anwendung wären daher elektive Operationen.
Selektive Blockade des Arachidonsäure-Abbaus
SZ werden erst dann zum Problem, wenn sie dauerhaft im Gewebe verbleiben und dort schädliche Botenstoffe freisetzen. Einen vielversprechenden Ansatz bietet hier die Verstoffwechslung der Arachidonsäure. Diese mehrfach ungesättigte Fettsäure kann gezielt Apoptose auslösen. Durch gezielte Blockade ihres Abbaus lassen sich SZ selektiv eliminieren, während gesunde Zellen unbeeinflusst bleiben. Bereits eine kurze Behandlungsdauer von drei bis fünf Tagen erwies sich als ausreichend für die senolytische Wirkung. Im Tierversuch konnten Seneszenzmarker reduziert sowie Muskelfunktion und Wundheilung verbessert werden. Die Tiere zeigten sich weniger gebrechlich und litten seltener an Krankheiten. Die Lebensspanne wurde um 40 % verlängert, die Sterbephase komprimiert – die Tiere lebten also länger bei besserer Gesundheit. Denn in der Altersforschung gehe es nicht darum, lediglich eine höhere Lebenserwartung zu fördern, sondern ein möglichst gesundes Leben. Eine Anwendung als Lifestyle-Medikament hat Grillari aber nicht im Sinn. Möglich wäre die Anwendung bei Schlaganfallpatient:innen oder bei jenen mit Leber- und Nierenfibrose.
„Würden Sie die Sonne angreifen?“
Univ.-Prof. Mag. Pharm. Dr. Wolfgang Graier, Graz
„Durch die Hand fließt 10.000 Mal mehr Energie pro Sekunde als durch die Sonne“, veranschaulichte Univ.-Prof. Mag. pharm. Dr. Wolfang Graier die Kraft der Mitochondrien. „Mitochondrien sind Hauptverursacher der zellulären Alterung. In der Therapie von Krankheiten bzw. bei der Alterung haben sie jedoch aktuell keinen Stellenwert.“ Dabei beinhalten Mitochondrien Proteine, die sich ausgezeichnet als zentraler Angriffspunkt von Substanzen gegen die Alterung eignen.
Mitocans und PAINS
Für Zellalterung werden u. a. freie Radikale verantwortlich gemacht. Antioxidantien werden als Lösung für dieses Problem beschrieben. „Mitocans“ sind natürliche antioxidative Substanzen, deren Wirkort die Mitochondrien zu sein scheinen und die möglicherweise einen selektiven Effekt gegen Zellalterung und Krebs besitzen. Mitocans werden jedoch auch als PAINS (pan-assay interference compounds) bezeichnet, da sie in jedem Assay eine Reaktion hervorrufen. So kann ihre Wirkung nicht richtig beurteilt werden. Während Antioxidantien in Zell-und in Tierversuchen wirksam sind, gibt es bisher kaum Studien, die einen positiven Effekt auf die Lebenserwartung des Menschen zeigen.
Naturstoffkombinationen
„Naturstoffe haben eine großartige Zukunft als Anti-Aging-Substanzen.“ Allerdings werden Naturstoff- oder Extrakt-Kombinationen eingesetzt, die selten als Kombination ausgetestet werden. So kommen oft konteragierende statt synergistische Effekte zustande. Die geringe Bioverfügbarkeit und relativ schwache Wirkung macht oft hohe Dosen notwendig, die mit Nebenwirkungen einhergehen. Künftig sollen mit KI-geplanter, Struktur-basierter Hochdurchsatz-Suche Kombinationen aus Naturstoffen entwickelt werden, die sich in ihrer Wirksamkeit potenzieren.
Alter und Depression
Prof. Dr. Eva M. J. Peters, Giessen
Stressabbau bzw. -vermeidung bleibt seit 2011 unangefochtener Spitzenreiter unter den Neujahrsvorsätzen. Doch die Relevanz von Stress zeigt sich nicht nur im subjektiven Wohlbefinden, sondern auch in der Pathophysiologie chronischer Erkrankungen. Versucht der Körper ständig, auf Stress zu reagieren, kann dies zu einem chronisch erhöhten Cortisolspiegel, zur Immunsuppression und zur Erschöpfung führen.
Fehldiagnosen im Alter
Die psychosoziale Belastung beeinflusst über neuroendokrine und immunologische Mechanismen somatische und psychische Prozesse – lange bevor Alter ein Thema wird. Ein Drittel der Patient:innen mit chronischer Erkrankung leidet zusätzlich an Major Depression, die Prävalenz steigt schon ab den mittleren Lebensjahren. Ältere Betroffene zeigen häufig atypische und vermehrt körperliche Symptome wie Schlafstörungen oder Schmerzen. Das kann zu Fehldiagnosen führen. Es kommt zu einer Immun-Dysbalance mit proinflammatorischer Signatur. Inzwischen gelten subklinische Entzündungen wiederum als Mitursache depressiver Zustände. „Eine akute Depression ist einer akuten Stressreaktion gleichzusetzen“, betonte Prof. Dr. Eva M. J. Peters. Psychotherapie kann nicht nur psychisch stabilisieren, sondern auch inflammatorische Marker senken.
Es muss ein bisschen weh tun
Bei hoher inflammatorischer Aktivität ist die Kombination aus medikamentöser und psychotherapeutischer Behandlung besonders effektiv. Ein systemisches, biopsychosoziales Verständnis ist notwendig, um die Belastung zu verringern und gesundes Altern zu fördern – idealerweise ergänzt durch körperliche Aktivierung wie Kraftsport und eine gute Beziehung zu einem Therapeuten/einer Therapeutin. „Wenn die Sitzungen gerade ein bisschen weh tun, ist es der/die Richtige.“
Biomarker der biologischen Alterung
DI Dr. Markus Schosserer, Wien
„Das Ziel der Alterungsforschung ist nicht die Unsterblichkeit, sondern die krankheitsfreien Jahre zu steigern“, erklärte DI Dr. Markus Schosserer zu Beginn seines Vortrags. Das chronologische (rechnerische) Alter korreliert lange sehr gut mit dem biologischen Alter, also der tatsächlichen Fitness. Mit steigendem chronologischen Alter wird jedoch eine Heterogenität im biologischen Alter sichtbar.
Um klinische Studien durchführen zu können sowie den Therapieverlauf und die Effekte von Anti-Aging-Maßnahmen beurteilen zu können, ist es notwendig, den Behandlungsfortschritt messbar zu machen. Dazu können verschiedene Biomarker herangezogen werden. Visuelle Biomarker wie Falten, der Zustand der Haut oder graue Haare sind dabei schwierig zu objektivieren. Durch KI-basierte Applikationen ist es bereits jetzt möglich, über 3D-Kameras das biologische Alter zu bestimmen. Diese Methoden sind jedoch auf bestimmte ethnische Gruppen trainiert, sodass die Bestimmungen von Menschen einer anderen Ethnie nicht zuverlässig sind.
Besser geeignet sind daher funktionelle Biomarker, die die Funktionsfähigkeit des Körpers messen. Darunter fallen z. B. die Griffkraft, die Gehgeschwindigkeit und der Aufstehtest. Daraus ist der Frailty-Index, eine Art Gebrechlichkeitsskala, entstanden, der auch soziologische Faktoren berücksichtigt. Laut Schosserer könnte sich künftig die Bestimmung dieser funktionellen Biomarker am besten eignen, um das funktionelle Alter in Apotheken zu erheben.
Molekulare Biomarker
Messgrößen auf molekularer Ebene wie z. B. die Blutchemie, Telomerlänge, Methylierungsmuster und miRNAs (microRNA) haben den Vorteil, dass sie – wenn auch technisch aufwändig – objektiv quantifizierbar sind. Nicht alle dieser Biomarker lassen aber valide Rückschlüsse zu. So stellen zahlreiche Studien die Aussagekraft der Telomerlänge als Biomarker infrage.
Zelluläre Zeitmesser
Eine neue Entwicklung, die erst durch die steigende Rechenleistung und künstliche Intelligenz ermöglicht wurde, stellen epigenetische Uhren dar. Sie bestimmen das Alter auf Grundlage epigenetischer Veränderungen wie Methylierungsmuster der DNA und Histone. Durch KI-gestützte Methoden lässt sich aus diesen Informationen eine Korrelation mit dem chronologischen Alter errechnen. Die Horvath-Clock aus dem Jahr 2013 ist laut Schosserer der bislang beste Marker für das chronologische Alter. Mit epigenetischen Uhren wie GrimAge und PhenoAge sollen sich künftig auch Krankheitsrisiken und die Sterblichkeit besser vorhersagen lassen. Aktuell sind epigenetische Uhren in Entwicklung, die verschiedene Gewebe (pan-tissue clock), verschiedene Spezies (pan-species clock) oder auch nur eine einzelne Zelle (single-cell clock) messen. Die Reproduzierbarkeit epigenetischer Uhren und ihre Korrelation mit dem biologischen Alter ist jedoch umstritten. Die aktuelle DO-HEALTH-Studie untersuchte an 777 Teilnehmer:innen über drei Jahre hinweg verschiedene Maßnahmen wie die tägliche Einnahme von Vitamin D und Omega-3-Fettsäuren, ein Trainingsprogramm sowie deren Kombinationen. Dabei zeigte sich, dass die vier verwendeten epigenetischen Uhren keine zuverlässigen Aussagen über das biologische Alter lieferten. Denn während Omega-3-Fettsäuren einen positiven Effekt auf das epigenetische Alter hatten, waren die Ergebnisse zur Vitamin-D-Einnahme widersprüchlich, und Training, dessen positive Wirkungen hinlänglich bewiesen sind, hatte keinerlei Effekt.
RNA-Modifikationen
Ribosomale RNA-Modifikationen, die sogenannten Epitranscriptomics, sind ein relativ neues Forschungsgebiet. Auch sie können als Biomarker dienen, da sie mit der Lebensspanne assoziiert sind. RNA-Modifikationen sind für die normale Ribosomenfunktion essenziell: Sie stabilisieren die Struktur der RNA, ermöglichen deren Bindung an die Ribosomen und regulieren die Immunfunktion. Durch Veränderungen in den Modifikations-Mustern der RNA können seneszente und nicht-seneszente Zellen unterschieden werden.
Im Tierversuch erhöhte das Ausschalten des NSUN5-Gens, das in zahlreichen Krebsarten aktiv ist, die gesunde Lebenszeit von Mäusen und verbesserte den klinischen Frailty-Index. Es führte jedoch auch zur Reduktion des Körpergewichts, der Knochendichte und der Lymphozyten. In der freien Natur wären die Tiere daher nicht lebensfähig, da sie über kein funktionierendes Immunsystem mehr verfügen. „Nun geht es darum herauszufinden, wie die negativen Effekte von den positiven entkoppelbar sind“, so Schosserer.
Medikationsanalyse im hohen Alter
Dr. Dorothee Dartsch, Hamburg
Dr. Dorothee Dartsch, die die klinische Pharmazie an der Universität Hamburg etabliert hat, öffnete mit den Hard Facts: 71 % der Hochaltrigen (über 80-Jährigen) haben mindestens zwei chronische Krankheiten. Knapp die Hälfte nimmt fünf oder mehr Arzneimittel ein, was als Polymedikation definiert wird. Sowohl in Österreich als auch im Nachbarland Deutschland sind rund 5 % aller Krankenhausaufnahmen durch Nebenwirkungen bedingt. Das verursacht hohe Kosten. In Deutschland wird die Medikationsanalyse bereits von den Krankenkassen honoriert, wenn ein/e Patient:in zumindest fünf systemische Arzneimittel dauerhaft verordnet bekommt.
Sinnvoll und kostendeckend durchführbar ist die Medikationsanalyse allerdings nur dann, wenn Risikopatient:innen und Risiko-Arzneimittel identifiziert werden können. Häufig besteht das Missverständnis, dass Arzneimittel auf der PIM-Liste (für ältere Menschen potenziell inadäquate Medikation) grundsätzlich kontraindiziert wären. Das ist laut der Expertin jedoch nicht der Fall, und die Top Ten der kritischen Wirkstoffe befinden sich nicht auf der PIM-Liste. Dazu zählen NSAR (Achtung im OTC-Bereich!), Betablocker, Antibiotika, Antikoagulanzien, Digoxin, ACE-Hemmer, Calciumkanalblocker, Opioide, Antidiabetika sowie Zytoralia, die einen besonders hohen Beratungsbedarf haben.
Automatisch Risikopatient:in?
Dabei darf nicht davon ausgegangen werden, dass Hochaltrige automatisch Risikopatient:innen sind. So ist beispielsweise die Nierenfunktion lediglich bei der Hälfte dieser Personengruppe eingeschränkt. Es herrscht eine hohe interindividuelle Variabilität hinsichtlich Blutdruckregulation, Wasserhaushalt, Wundheilung und Immunabwehr. Faktoren wie nachlassende Kognition, Verschlechterung der Sensorik, Motorik und Mobilität erschweren die Therapie. Gerade Fachärzt:innen haben oft keine zeitnahen Termine verfügbar und sind für Hochbetagte teils nur mit großem Aufwand zu erreichen. Das erschwert eine adäquate Betreuung älterer Menschen. Eine niederschwellige Medikationsanalyse in der Apotheke ist daher besonders wichtig. Häufig bestehen vergleichsweise banale Probleme: Ältere Personen haben oft Schwierigkeiten, ihre Medikationspläne zu lesen bzw. zu verstehen; nicht jedem und jeder ist klar, was der Einnahmehinweis 1–0–1 bedeutet. Bei einer Medikationsanalyse sollte zudem im Medikationsplan vermerkt werden, welches Medikament für welche Indikation verordnet wurde. Außerdem obliegt es aufgrund eines mangelhaften Informationsflusses zwischen den Gesundheitsberufen insbesondere in Deutschland noch den Patient:innen, Ärzt:innen, Therapeut:innen und Apotheker:innen auf den gleichen Informationsstand zu bringen. Das kann eine weitere Fehlerquelle sein, bzw. ist der Austausch dieser Informationen oft gar nicht mehr möglich.
MAI-FRAGEN als Analyse-Grundlage
Der Medication Appropriateness-Index (MAI) ist eine gute Grundlage für die Medikationsanalyse. Laut Dartsch wäre es wünschenswert und sinnvoll, wenn sich Ärzt:innen und Pharmazeut:innen gleichermaßen daran orientieren und danach arbeiten. Die MAI-Fragen umfassen u. a. leitliniengestützte Fragen nach Indikation, Wirksamkeit der Therapie und korrekter Dosierung. Für Dosierung und Therapiedauer kann die Fachinformation des Arzneimittels herangezogen werden. Wichtig ist auch die Frage, ob die Anweisungen für die Patient:innen korrekt, verständlich und im Alltag durchführbar sind. „Wenn die allerbeste Therapie zu Hause nicht umsetzbar ist, muss auf die zweitbeste Therapie zurückgegriffen werden“, erklärte Dartsch. Die MAI-Fragen beschäftigen sich auch damit, ob durch die Therapie (unnötige) Doppelverordnungen sowie eine arzneimittelbedingte Verschlechterung der Erkrankung vermieden werden können und ob die ausgewählte Pharmakotherapie die ökonomisch günstigste ist.
Bei mehreren Erkrankungen muss ein therapeutisches Gesamtkonzept entwickelt werden, anstatt parallel einzelne Leitlinien anzuwenden. So ist jede Medikationsanalyse individuell, bei der es gelte, gemeinsam mit dem Patienten/der Patientin herauszufinden, welche Einflussfaktoren auf die Wirksamkeit bestehen.
Unterversorgung trotz Polymedikation
„22 bis 70 % der Senior:innen sind hinsichtlich einer adäquaten Pharmakotherapie trotz Polymedikation unterversorgt“, erläuterte Dartsch. Davon betroffene Arzneimittelgruppen sind kardiovaskuläre Wirkstoffe, orale Antikoagulantien und die Osteoporose-Therapie. Ursachen sind nicht nur Multimorbidität und die Polymedikation selbst, sondern auch Demenz, das Nebenwirkungsrisiko, Gebrechlichkeit, Kosten sowie der Mangel an Studiendaten; darüber, welche Arzneimittel im Alter bei welcher Indikation noch nötig oder schon zu viel sind, gibt es noch sehr viele offene Fragen.
Rekonvaleszenz im Alter
Mag. Pharm. Magdalena Maria Adamer, Wien
Mag. pharm. Magdalena Maria Adamer griff Substanzen heraus, die neben der Lebensdauer auch die Lebensqualität im Alter verbessern könnten.
L-Arginin & AKG
Die semi-essentielle Aminosäure L-Arginin fördert u. a. die Bildung von Wachstumshormonen und Stickstoffmonoxid (NO). Dieses verbessert die Sauerstoff- und Nährstoffversorgung, was positive Effekte auf Gefäße, Immunabwehr, die Potenz und die geistige Leistungsfähigkeit hat. Eine ideale Ergänzung könnte Alpha-Ketoglutarsäure (AKG) sein. AKG ist ein Metabolit des Citratzyklus, der oxidativen und nitrosativen Stress abfängt und die Proteinsynthese unterstützt. Auch eine Rolle in der Demenzprävention wird diskutiert. Die Kombination mit Arginin hat synergistische Effekte, dafür ist jedoch ein AKG-Überschuss nötig.
5-Hydroxymethylfurfural
5-HMF wirkt antioxidativ und kann dazu beitragen, dass die mitochondrialen Funktionen auch bei Sauerstoffmangel erhalten bleiben. Die Kombination mit AKG führte in Humanstudien zu besserer körperlicher Leistungsfähigkeit und verkürzten Pflegezeiten.
Kollagen
Die Wirkung oraler Kollagenpräparate hängt von der Molekularstruktur ab. In einer rezenten Metaanalyse verbesserte die Einnahme von hydrolysiertem Kollagen den Hautzustand. Die Bioverfügbarkeit bleibt jedoch unklar, da Kollagen im Magen weitgehend abgebaut wird. Auch die Wirkung auf Haut oder Knorpel ist unklar.
Curcumin
Das Polyphenol Curcumin wirkt antioxidativ, entzündungshemmend und greift in zelluläre Alterungsprozesse ein. Die Bioverfügbarkeit ist schlecht, kann jedoch durch die gemeinsame Einnahme mit Mahlzeiten, Fett oder Piperin verbessert werden.
Diät, Gesundheit und Langlebigkeit
Univ.-Prof. Dr. Werner Zwerschke, Innsbruck
Kalorische Restriktion (CR) zeigt in zahlreichen Tierstudien lebensverlängernde Effekte sowie eine Verlängerung der Gesundheitsspanne, unabhängig vom Geschlecht. Daraus entstand die Hypothese, CR sei ein evolutionärer Mechanismus zur Überlebenssicherung bei Nahrungsknappheit, verbunden mit verzögerter Reifung und Reproduktion bei gleichzeitiger Kompensation durch längere Lebensdauer.
Von Mäusen und Menschen
Typischerweise wird 30–40 % weniger Kalorienzufuhr gegenüber ad libitum gefütterten Kontrollgruppen angewendet. Ein früher CR-Beginn führt zu stärkeren Effekten; im hohen Alter kann Fasten hingegen schädlich sein.
Mäuse entwickelten unter CR kleinere Organe (das Gehirn ausgenommen), verfügten über bessere Muskelkraft sowie kognitive Leistungen. Sie waren zudem aktiver. Altersassoziierte Erkrankungen (u. a. Diabetes, Krebs, neurodegenerative und kardiovaskuläre Erkrankungen) traten seltener auf. Bei Rhesusaffen wurden ähnliche Effekte beobachtet. Auch beim Menschen kann CR, vorwiegend bei Übergewicht und Adipositas, die gesunde Lebensspanne verlängern. Moderate CR kann auch bei normalgewichtigen Personen positive Effekte zeigen, wird bei einem BMI unter 23 jedoch nicht empfohlen. Intervallfasten zeigt vergleichbare Effekte.
CR-Mimetika
Die Kalorienreduktion aktiviert dabei zelluläre Schutzmechanismen (darunter Autophagie, mTOR-Hemmung und Sirtuin-
Aktivierung), die die Zellfitness und Stressresistenz steigern. CR-
Mimetika wie Metformin, Rapamycin und Sirtuin-Aktivatoren sind daher vielversprechende therapeutische Ansätze. Vermutlich wirkt v. a. die reduzierte Proteinzufuhr lebensverlängernd, eine zu starke Restriktion kann jedoch schaden.