Orale Harnstofftherapie

„Brussels Champagne“ zum Jahreswechsel!

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Ein aktueller Fall zeigt, dass fehlerhafte Rezepturen ernstzunehmende Folgen haben können. Passend zum Jahreswechsel lohnt sich ein Blick auf die korrekte Dosierung und Darreichungsform.


Hospitalisierung aufgrund eines Rezeptierfehlers


In der Klinik Floridsdorf werden routinemäßig klinisch-pharmazeutische Kurvenvisiten zur Op-timierung der Medikation von stationär aufgenommenen Patient:innen durchgeführt. Ein aktueller Fall verdient dabei besonderes Augenmerk: Ein 66-jähriger Patient wurde aufgrund eines generalisierten, tonisch-klonischen Krampfgeschehens in die Notaufnahme gebracht. Als Vorerkrankung war u. a. SIAD (Syndrom der inadäquaten Antidiurese) bekannt. Die Laboranalyse zeigte eine profunde, hypotone („echte“) Hyponatriämie (Natrium 115 mmol/l, Serum-Osmolalität 251 mOsm/kgH2O). Weiterführende Labor- und Zerebraldiagnostik ergab keine Auffälligkeiten und kein Korrelat für das Krampfgeschehen. Im Rahmen der interprofessionellen Zusammenarbeit von Apotheker:innen und Ärzt:innen fiel auf, dass der Patient bis vor zwei Wochen einmal täglich 15 mg Tolvaptan eingenommen hatte, seither allerdings auf „Urea 15 mg Kapseln“ zweimal täglich umgestellt wurde. 


Übliche Dosierungen von Harnstoff zur Behandlung der Hyponatriämie bei SIAD bewegen sich laut internationalen Literaturdaten jedoch im zweistelligen Gramm-Bereich.1,2 Die weiterführende Recherche der klinischen Pharmazeut:innen ergab, dass im niedergelassenen Bereich ein Fehler bei der Verordnung der Rezeptur unterlaufen war. Dieser Irrtum wurde auch bei der Anfertigung der magistralen Rezeptur nicht registriert und resultierte in einer klinisch bedeutsamen Unterdosierung um den Faktor 1.000, die eine Hospitalisierung und stationäre Behandlung erforderlich machte.


Pathophysiologie des SIAD

Das Syndrom der inadäquaten Antidiurese (SIAD) kennzeichnet sich durch eine beeinträchtigte Wasserausscheidung. Zu Grunde liegt die mangelnde Suppression des antidiuretischen Hormons (ADH). Die daraus entstehende Wasserretention kann zu Hyponatriämie führen und sich je nach klinischer Ausprägung durch potenziell schwerwiegende Symptome äußern (z. B. Erbrechen, Krampfanfälle, Somnolenz). Neben zentralnervösen oder pulmologischen Erkrankungen wird SIAD häufig im Rahmen von malignen Tumoren beobachtet. Außerdem sind einige Medikamente mit dem Auftreten von SIAD assoziiert: Antidepressiva (v. a. SSRI, Trizyklika, MAO-Inhibitoren), Antiepileptika (v. a. Carbamazepin, Lamotrigin, Valproinsäure), aber auch Zytostatika, Antipsychotika und weitere Arzneistoffe.3


Therapie der Hyponatriämie


Zur Akuttherapie einer schweren Hyponatriämie wird hypertone Natriumchlorid-Lösung (NaCl 3 % 2 ml/kg-Bolus, max. 150 ml über 10 min i. v.) eingesetzt.1 Um eine Hirnschädigung zu verhindern, sollte das Serum-Natrium langsam um maximal 4–6 mmol/l pro 24 h gesteigert werden. Im Anschluss sollte bei Patient:innen mit Hyponatriämie, Hypoosmolalität im Serum und einer Harnosmolalität von über 100 mOsm/kgH2O das SIAD als Differenzialdiagnose in Betracht gezogen werden.1,3 Nachdem kausale Therapieoptionen ausgeschöpft sind (z. B. Absetzen auslösender Medikamente), wird zur chronischen Behandlung eine Trinkmengenbeschränkung von 1,5 l/Tag sowie die Osmotherapie mit Harnstoff per os empfohlen. Bei fehlendem Ansprechen kommen orale Vasopressin-2-Rezeptor-Antagonisten (z. B. Tolvaptan) zum Einsatz.1 Eine praktische Hilfestellung zur Klassifizierung und Therapie der Hyponatriämie im Klinikalltag bietet die „NierenApp“ der Österreichischen Gesellschaft für Nephrologie (ÖGN, https://nieren.app/calculator/hyponatremia).


Harnstoff bei SIAD

Als frei permeables Molekül induziert Harnstoff die osmotische Diurese (15 g Harnstoff führen bei einer Harnosmolalität von 500 mOsm/kgH2O zur Ausscheidung von maximal 500 ml elektrolytfreiem Wasser). Laut der ÖGN wird zur Therapie der Hyponatriämie bei SIAD die gewichtsbasierte Dosierung von 0,25–0,5 g/kg Harnstoff pro Tag empfohlen, welche je nach Ansprechen bis auf max. 90 g pro Tag erhöht werden kann. Die Verabreichung wird dabei auf maximal zwei Einzeldosen aufgeteilt. Bei Lebererkrankungen sollte Harnstoff aufgrund der möglichen Erhöhung der Ammoniakproduktion vermieden werden.1 Nebenwirkungen der Harnstofftherapie sind selten und betreffen überwiegend Geschmacksstörungen.2 Im Kontext der aktuellen Leitlinienentwicklungen, die den Stellenwert der peroralen Harnstofftherapie bei SIAD zunehmend untermauern, ist davon auszugehen, dass magistrale Verschreibungen zunehmen werden.1,2 Hinzu kommt, dass der Einsatz von Alternativen wie Tolvaptan nach wie vor mit hohen Kosten verbunden ist.4

Da die zur Behandlung der  Hyponatriämie bei SIAD üblichen Harnstoffdosierungen im zweistelligen Gramm-Bereich liegen, ist die Herstellung  von Kapseln nicht sinnvoll. © iStock
Da die zur Behandlung der Hyponatriämie bei SIAD üblichen Harnstoffdosierungen im zweistelligen Gramm-Bereich liegen, ist die Herstellung von Kapseln nicht sinnvoll. © iStock
Magistrale Rezeptur nach DAC/NRF5 „Brussels Champagne“

Zusammengesetztes Harnstoff-Pulver zum Einnehmen
• Harnstoff 10,0 g
• Natriumhydrogencarbonat 2,0 g
• Citronensäure 1,5 g
• Saccharose 0,2 g

Vor der Anwendung Inhalt in 50–100 ml Wasser auflösen und trinken.


„Brussels Champagne“ – Rezeptur

Hinter dem (klingenden) Namen „Brussels Champagne“, welcher sich im entsprechenden Aussehen der Lösung begründet, verbirgt sich ein zusammengesetztes Harnstoff-Pulver zum Einnehmen.5 Aufgrund der üblichen Dosierungen von Harnstoff zur Behandlung der Hyponatriämie bei SIAD im zweistelligen Gramm-Bereich ist die Herstellung von Kapseln nicht sinnvoll.1,2 Die vom DAC/NRF empfohlene magistrale Rezeptur für „Brussels Champagne“ ist im Schaukasten anhand der Dosierung von 10 g Harnstoff dargestellt. Da alle Bestandteile sehr leicht in Wasser löslich sind, ist keine besondere Verarbeitung bezüglich der Teilchengröße nötig. Aufgrund des salzig-bitteren Geschmacks der Harnstoff-Lösung kann die Zugabe von Geschmackskorrigenzien sinnvoll sein. Die Pulverbeutel sollten vor Feuchtigkeit geschützt gelagert werden.5


Fazit für die Praxis

Harnstoff als Pulver zur peroralen Anwendung („Brussels Champagne“) stellt eine leitliniengerechte Therapieoption der Hyponatriämie bei SIAD dar. Ein ausbleibender Therapieerfolg aufgrund von Unterdosierungen kann klinisch folgenreich sein. Pharmazeutisches „Know-how“ leistet einen wichtigen Beitrag zur Verbesserung der Patientensicherheit – interprofessionelle Zusammenarbeit von Apotheker:innen und Ärzt:innen ist gefragt!

Quellen
1   Schwarz C, et al.: Konsensusempfehlungen zur Diagnose und Therapie der Hyponatriämie der 
Österreichischen Gesellschaft für Nephrologie 2024. Wien Klin Wochenschr 2024; 136(Suppl 1):1-33
2   Wendt R, et al.: Use of urea for the syndrome of inappropriate secretion of antidiuretic hormone: A systematic review. JAMA Netw Open 2023; 6(10): e2340313
3   Sterns EH, et al.: Pathophysiology and etiology of the syndrome of inappropriate antidiuresis (SIAD). UpToDate®. Stand 27.08.2025
4   Infotool zum Erstattungskodex (2025), Österreichische Sozialversicherung, Dachverband der Sozialversicherungsträger. Stand September 2025
5   Deutscher Arzneimittel-Codex/Neues Rezeptur-Formularium (DAC/NRF): Rezepturhinweise Harnstoff (2025), Avoxa – 
Mediengruppe Deutscher Apotheker GmbH. Stand 28.08.2025

Text: Mag. Pharm. Dr. rer. biol. hum. Lisa Cuba, Mag. pharm. Birgit Mäntler, aHPh, Mag. pharm. Veronika Palme, MSc

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