Interview

"Wir bleiben dran"

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Mag. pharm. Dr. Ulrike Mursch-Edlmayr, Präsidentin der Österreichischen Apothekerkammer, plädiert im  Interview für ein Präventionskonto  für alle Österreicher:innen. © Martin-Hoermandinger
Mag. pharm. Dr. Ulrike Mursch-Edlmayr, Präsidentin der Österreichischen Apothekerkammer, plädiert im Interview für ein Präventionskonto für alle Österreicher:innen. © Martin-Hoermandinger

Was fordert die Apothekerkammer von der neuen Regierung, was steckt hinter dem Begriff des Präventionskontos und müssen Apotheken aufgrund des hohen Budgetdefizits mit Einsparungen rechnen? Mag. pharm. Dr. Ulrike Mursch-Edlmayr stand der ÖAZ zu diesen und weiteren Fragen zur Verfügung.

ÖAZ Das neue Regierungsprogramm liegt auf dem Tisch. Wie zufrieden sind Sie damit?
Mag. pharm. Dr. Ulrike Mursch-Edlmayr Wer das Regierungsprogramm mit dem Forderungskatalog der Apothekerkammer vergleicht, der stößt auf zahlreiche Schlagwörter und Gedanken, die ident sind. Konkrete Aussagen zur Realisierung ihrer Vorhaben lässt die Regierung aber vermissen. Das ist ein Kritikpunkt, den im Übrigen auch andere Institutionen, die in dem Programm angesprochen werden, äußern. Gleichzeitig verspüre ich aber bei vielen Verantwortlichen in der Gesundheitspolitik durchaus den Willen, die Apotheken als niederschwellige Gesundheitsnahversorger in neue Versorgungsmodelle maßgeblich einzubinden, da sie wissen, was sie an den Apotheken und ihrer landesweiten Gesundheitsinfrastruktur haben. Ich denke, wir brauchen hier noch etwas Geduld. Das Gesundheitssystem ist im Gegensatz zu den Apotheken träge und nur, weil etwas nicht im Regierungsprogramm steht, muss es nicht bedeuten, dass es nicht umgesetzt wird. Wir haben einige zukunftsweisende Vorschläge, speziell im Bereich der Prävention und der Patientensteuerung, unterbreitet und sind guter Dinge, dass diese noch berücksichtigt werden. Wir bleiben dran.

ÖAZ  Welche Zugeständnisse von Seiten der Politik hätten Sie sich erwartet bzw. erhofft?
Mursch-Edlmayr Wir haben unsere Vorschläge, wie mit einer Stärkung der Apotheken die Versorgung der Menschen verbessert und der medizinische Bereich entlastet werden kann, bereits im Oktober des Vorjahres publiziert. Die neue Regierung hat sich dem Credo verschrieben, das Gesundheitssystem zu stärken – mehr noch, zu sanieren. Dabei kommt sie an den 1.470 Apotheken nicht vorbei – gerade beim immer wichtiger werdenden Bereich der Prävention. Denken Sie nur an das Thema Impfen: Wir haben in Österreich mit die niedrigsten Impfraten in der ganzen EU – das darf doch nicht sein! Wir könnten sofort gegensteuern, denn mehr als 2.000 Apothekerinnen und Apotheker haben eine duale Impffortbildung der Apothekerkammer auf höchstem internationalen Niveau absolviert und könnten jederzeit loslegen, sobald der politische Startschuss erfolgt. Dadurch würde man in ganz Österreich zusätzliche, äußerst niederschwellige Impfstellen schaffen, die für Menschen jeden Alters erreichbar sind. Ein weiteres wichtiges Anliegen – speziell für den ländlichen Raum – ist uns die Etablierung telemedizinischer Angebote in den Apotheken, um die Patientensteuerung zu verbessern, den Druck auf Ordinationen abzufedern, Wartezeiten zu reduzieren und die Qualität der Patientenversorgung zu erhöhen. Zudem schlagen wir ein bundesweites Präventionskonto für jede Österreicherin und jeden Österreicher vor.
  
ÖAZ  Wie stellen Sie sich ein solches Präventionskonto konkret vor?
Mursch-Edlmayr Im Bereich der Prävention müssen wir mehr tun, denn unser Gesundheitssystem gerät sonst immer mehr in Schieflage und die Kosten explodieren. Über das angesprochene Präventionskonto werden Patientinnen und Patienten von der Sozialversicherung gezielt individuelle Gesundheitstest oder Impfungen zur Verfügung gestellt. Diese werden unkompliziert – wie bei Hinterlegung der COVID-19 Wohnzimmertests – in das e-Card-System eingepflegt, sodass die Menschen diese Leistungen entweder in einer Ordination oder eben in der Apotheke ums Eck in Anspruch nehmen können. Gesundheitsrisiken durch auffällige Parameter, aber auch Infektionen (z. B. RSV oder Influenza) können beispielsweise in der Apotheke vor Ort durch moderne Point-of-Care-Gesundheitstests frühzeitig und kostengünstig erkannt werden; noch bevor Krankheiten entstehen bzw. ausbrechen und eine teure Behandlung erforderlich machen. Das wäre gelebte Prävention, die bei der Bevölkerung ankommt – niederschwellig, einfach und kostengünstig. Erinnerungen und in Anspruch genommene Leistungen können über dieses „Kontomodell“ einfach und gerecht umgesetzt werden. 


ÖAZ  Die letzte Regierung hatte zentrale Forderungen der Apothekerkammer für gut befunden. Woran, denken Sie, liegt es, dass es aktuell nicht zu diesem Konsens gekommen ist? 
Mursch-Edlmayr Ich denke nicht, dass die jetzige Regierung unsere Forderungen als schlecht empfindet. Das Regierungsprogramm konzentriert sich generell auf eher allgemeine Zielformulierungen. Man darf nicht vergessen, dass nach zwei zuvor gescheiterten Versuchen einer Regierungsbildung ein hoher Zeitdruck auf die Verhandlungsgruppen der jetzigen Koalitionspartner bestand und nicht alle Details final ausgearbeitet werden konnten. Die angekündigten Ideen müssen nun in konkrete Projekte und Maßnahmen weiterentwickelt werden. Wir stehen mit 7.000 bestens ausgebildeten Apothekerinnen und Apothekern bereit, um weitere Verantwortlichkeiten und Aufgaben zu übernehmen, damit der medizinische Bereich entlastet und unser Gesundheitssystem für die kommenden Jahre und Jahrzehnte fit gemacht wird. 

ÖAZ  In Anbetracht des unerwartet hohen Budgetdefizits gerät auch der Gesundheitssektor mehr unter Druck. Werden Ihrer Meinung nach auch die Apotheken von Kürzungen betroffen sein? 


Mursch-Edlmayr Apotheken erhalten im Gegensatz zu anderen Vertragspartnern keinerlei Honorare von der Sozialversicherung. Und bei den Medikamentenspannen ist nichts mehr zu holen. Kurzum: Wir sind kein Kostenfaktor für die Sozialversicherung. Bei uns ist nichts zu holen! Die Apotheken sind für die wohnortnahe Gesundheitsversorgung der Menschen unverzichtbar. Die Apothekerschaft ist eine tragende Säule des Gesundheitssystems. Das wissen und schätzen die politischen Verantwortlichen. Die aktuelle Budgetherausforderung könnte eine Chance für das zahlende System sein, um endlich mutig und entschlossen neue Wege zu gehen. Der Reformdruck und die nun vorhandene Reformbereitschaft kann zu einem wirklichen Wandel in der Versorgung führen. Es geht daher nicht um Kürzungen in allen möglichen Bereichen, sondern um die Frage, wie die von den Beitrags- und Steuerzahlern zur Verfügung gestellten Mittel bestmöglich eingesetzt werden können. Es ist höchste Zeit, hier das Potenzial der Apotheken besser zu nutzen. Gleichzeitig müssen wir beginnen, die eingesetzten Ressourcen in der Gesundheitsversorgung als Investitionen zu sehen und nicht als Kosten. Im Wirtschaftsbereich sprechen wir von Investitionen in die Zukunft, genau das sollten wir auch im Gesundheitsbereich tun.

ÖAZ Themen wie eine effektive Patientenlenkung, Telemedizin und ein Ausbau der Präventionsmaßnahmen sind Schlagworte, die man auch von den neuen Regierungsparteien immer wieder hört. Bereiche, in denen Apotheker:innen wertvolle Arbeit leisten könnten. Wird es hier noch Verhandlungen geben?

Mursch-Edlmayr Selbstverständlich. Wir haben bereits der vergangenen Regierung zahlreiche Angebote gemacht, über die intensiv diskutiert und verhandelt worden ist. Aktuell führen wir diese Verhandlungen mit dem neuen Regierungsteam fort. Unsere Angebote enthalten allesamt Ansätze, die langfristig zur Entlastung des Budgets beitragen und die gesunden Lebensjahre der Menschen steigern. Präventive Dienstleistungen wie die Medikationsanalyse, moderne Tests im Bereich der Herzgesundheit (Blutzucker und Cholesterin) und rasche Vor-Ort-Nachweise bestimmter Infektionskrankheiten wie Influenza oder COVID-19 weisen allesamt eine starke Kosten-Nutzen-Bilanz auf. Die Patientenstromlenkung ist darüber hinaus auch ein großes Thema. Jeden Tag kommen bis zu 600.000 Menschen in die österreichischen Apotheken und suchen in Gesundheitsfragen um Rat. Durch ihr breites Gesundheitswissen, ihren Status als hochangesehene Vertrauenspersonen und die Verfügbarkeit vor Ort sind Apothekerinnen und Apotheker als kompetente Lotsen im Gesundheitssystem prädestiniert. Sie können verunsicherten Patientinnen und Patienten eine fundierte Ersteinschätzung geben, ob ein Arztbesuch nötig ist, ein telemedizinischer Service hilfreich sein kann oder ob die Beschwerden durch Selbstmedikation gelindert werden können. Denn nicht bei jedem gesundheitlichen Problem ist der Gang in eine Ordination oder in ein Spital zwingend nötig, und jeder verhinderte unnötige Spitals- oder Ordinationsbesuch entlastet das überstrapazierte medizinische System und spart Kosten.

ÖAZ Lieferengpässe, sinkende Margen, Online-Handel mit Arzneimitteln – Apotheken sind mit einer Vielzahl von wirtschaftlichen Herausforderungen konfrontiert. Welche Entwicklungen erwarten Sie in diesen Bereichen? 

Mursch-Edlmayr Die wirtschaftliche Situation vieler Apotheken präsentiert sich nach wie vor durchwachsen, in manchen Fällen sehr ernst. Die globalen Krisenherde werden nicht weniger, manche Staatsführungen werden zunehmend unberechenbar. Es ist die Aufgabe von Bund und den Ländern, gemeinsam mit der Sozialversicherung für jene Rahmenbedingungen zu sorgen, die es uns Apothekerinnen und Apothekern ermöglichen, unseren staatlichen Versorgungsauftrag optimal zu erfüllen. Dazu zählen neben einer Sicherstellung der Arzneimittellieferungen und einer angemessenen Anhebung der Spannen auch eine faire Vergütung der vielen bisher unterfinanzierten oder nicht finanzierten Beratungs- und Steuerungsleistungen. 

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