Eine unterschätzte Verbindung

Schilddrüse und Psyche

Mag. pharm.

LARISSA

WALCH

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Schilddrüse © Shutterstock
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Die Schilddrüse ist ein kleines, schmetterlingsförmiges Organ im Halsbereich und zählt zu den lebenswichtigen Hormondrüsen des menschlichen Körpers. Sie übernimmt eine zentrale Rolle im Stoffwechselgeschehen, beim Wachstum sowie bei der körperlichen und geistigen Reifung. Die Hauptaufgabe der Schilddrüse besteht in der Produktion der jodhaltigen Hormone Thyroxin (T4), Triiodthyronin (T3) und des Peptidhormons Calcitonin, welche den Energiehaushalt sowie die Funktion zahlreicher Organsysteme wesentlich beeinflussen. 

Die Hormonproduktion und Freisetzung unterliegt einem fein abgestimmten Regelkreislauf, dem sogenannten thyreotropen Regelkreis. Dieser wird durch das Hormon TRH (Thyreotropin-Releasing-Hormon) aus dem Hypothalamus und das von der Hypophyse ausgeschüttete TSH (Thyreoidea-stimulierendes Hormon) gesteuert. Die Freisetzung von TRH folgt einem zirkadianen Rhythmus: Sie erreicht ihr Maximum um Mitternacht und hat am späten Nachmittag ihren Tiefpunkt. Schilddrüsenhormone fördern unter anderem die Herzfrequenz, steigern die Körpertemperatur, steuern Lernprozesse, aktivieren Energiereserven und unterstützen den Eiweißaufbau. Besonders in der Kindheit sind sie unerlässlich für die Reifung des Gehirns und für das Knochenwachstum. Ein Ungleichgewicht in der Hormonproduktion, sei es eine Über- oder Unterfunktion, kann weitreichende körperliche und psychische Beschwerden zur Folge haben.

Hormonelle Balance und emotionale Stabilität

Die Schilddrüse beeinflusst nicht nur den körperlichen Stoffwechsel, sondern spielt auch eine entscheidende Rolle für das seelische Gleichgewicht. Ihre Hormone wirken wie Energielieferanten für das Gehirn und sind maßgeblich an der Regulation von Stimmung, Antrieb und Konzentration beteiligt. Eine Unterfunktion der Schilddrüse (Hypothyreose) kann zu einer Verlangsamung geistiger Prozesse führen: Typische Symptome sind Müdigkeit, Antriebslosigkeit, depressive Verstimmungen und Konzentrationsprobleme. Bei einer Überfunktion (Hyperthyreose) laufen viele Hirnprozesse dagegen überaktiv ab, was sich in Nervosität, innerer Unruhe, Schlafstörungen oder Angstzuständen äußern kann. 

Depressiv © Shutterstock
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Besonders bei Autoimmunerkrankungen wie der Hashimoto-Thyreoiditis zeigen sich psychische Symptome oft frühzeitig und deutlich. Depressionen, Ängste und Stimmungsschwankungen sind dabei keine Seltenheit. Insgesamt beeinflusst die Schilddrüsenfunktion das psychische Wohlbefinden stark, wobei sich auch umgekehrt eine gestörte seelische Balance auf den körperlichen Zustand auswirkt. Deshalb sollte bei länger andauernden psychischen Beschwerden auch die Schilddrüsenfunktion mit in den Blick genommen werden

Hypothyreose oder Depression?

Die Hypothyreose zählt zu den häufig übersehenen Ursachen psychischer und kognitiver Symptome. Durch die Verlangsamung des Stoffwechsels kann es zu chronischer Müdigkeit, Antriebslosigkeit, depressiven Verstimmungen sowie kognitiven Einschränkungen wie Konzentrationsschwäche, Vergesslichkeit und geistiger Verlangsamung kommen. Insbesondere bei einer Hashimoto-Thyreoiditis treten diese Symptome häufig auf und können einem depressiven Syndrom klinisch ähneln. Gerade bei neu aufgetretenen depressiven Beschwerden sollte routinemäßig auch die Schilddrüsenfunktion überprüft werden, um eine Hypothyreose als differenzialdiagnostische Ursache auszuschließen. Bei älteren Patient:innen kann eine ausgeprägte Schilddrüsenunterfunktion zudem zu einem demenzähnlichen klinischen Bild führen. In solchen Fällen spricht man bei Rückbildung der Symptome unter Substitution von L-Thyroxin von einer „reversiblen Demenz“

Emotionale Übererregbarkeit bei Hyperthyreose

Die Symptomatik einer Hyperthyreose, wie sie z. B. bei Morbus Basedow auftritt, unterscheidet sich deutlich von der Hypothyreose. Typisch sind Herzrasen, innere Unruhe, emotionale Labilität, Reizbarkeit, Schlafstörungen und vermehrte nervöse Aktivität. Diese Symptome finden sich oft auch bei Angststörungen oder manischen Episoden. Bei der Schilddrüsenüberfunktion befinden sich zu viele Hormone im Regelkreis. Betroffene wirken oft nervös, schreckhaft und leicht erregbar bis aggressiv. Es fällt ihnen schwer, sich zu entspannen, sie schwitzen schnell, oftmals leiden sie unter Tremor, Durchfällen und Gewichtsverlust. In ausgeprägten Fällen kann eine Hyperthyreose sogar psychotische Symptome hervorrufen und zu psychiatrischen Fehldiagnosen führen. Es gibt auch Überschneidungen mit primär psychiatrischen Krankheitsbildern, sodass es bei einer Hyperthyreose zu einer Verstärkung psychischer Beschwerden kommen kann. Wenn die Schilddrüsenfunktion medikamentös normalisiert wird, bessern sich die durch die Hyperthyreose bedingten psychischen Symptome meist innerhalb weniger Wochen bis Monate. 

Weibliche Hormone und die Schilddrüse

Frauen sind aufgrund hormoneller Schwankungen besonders anfällig für Schilddrüsenfunktionsstörungen. Lebensphasen wie Pubertät, Schwangerschaft, Wochenbett und Wechseljahre gehen mit erheblichen endokrinologischen Veränderungen einher, die die Funktion der Schilddrüse beeinflussen können. In diesen sensiblen Phasen treten Schilddrüsenerkrankungen, insbesondere autoimmunbedingte Formen wie die Hashimoto-Thyreoiditis, deutlich häufiger auf. Auch externe hormonelle Einflüsse, etwa durch orale Kontrazeptiva oder Hormonersatztherapien, können die Schilddrüsenwerte beeinflussen und ein bestehendes Ungleichgewicht verstärken. So kann es im Verlauf zu einer klinisch manifesten Hypo- oder Hyperthyreose kommen, die sowohl somatische als auch psychische Beschwerden nach sich zieht. Bei einer Funktionsstörung berichten viele betroffene Frauen über körperliche Erschöpfung, innere Unruhe, Stimmungsschwankungen oder das Gefühl, „nicht mehr sie selbst zu sein“. Diese Symptome können leicht fehlinterpretiert oder psychosomatisch eingeordnet werden, obwohl sie hormonell bedingt sind. Die enge Verknüpfung zwischen weiblichem Hormonhaushalt und Schilddrüsenfunktion erfordert besondere Aufmerksamkeit, insbesondere in Phasen hormoneller Umstellung

Post-Partum-Thyreoiditis

Eine besondere Form der Schilddrüsenfehlfunktion ist die Post-Partum-Thyreoiditis, von der ungefähr 7–8 % aller Frauen nach der Geburt betroffen sind. Ursächlich ist eine immunologische Reaktion, die im Rahmen der hormonellen Umstellungen und Belastungen während Schwangerschaft und Geburt auftritt. Besonders bei Frauen mit familiärer Veranlagung zu Autoimmunerkrankungen oder bestehender Hashimoto-Thyreoiditis besteht ein erhöhtes Risiko. Typischerweise verläuft die postpartale Schilddrüsenentzündung biphasisch: Zunächst kommt es zu einer vorübergehenden Hyperthyreose, gefolgt von einer hypothyreoten Phase, die mehrere Monate anhalten kann. Die Symptomatik reicht von Schlafstörungen, Nervosität und innerer Unruhe bis hin zu ausgeprägter Müdigkeit, depressiven Verstimmungen, Antriebslosigkeit und Konzentrationsstörungen. Gerade in der Spätphase kann die Post-Partum-Thyreoiditis leicht mit einer Wochenbettdepression verwechselt werden, da sich die Symptome stark ähneln. Hinzu kommt, dass erste Anzeichen oft mehrere Wochen bis Monate nach der Entbindung auftreten, was die Diagnose zusätzlich erschwert. In vielen Fällen bildet sich die Störung spontan zurück, in anderen Fällen ist eine vorübergehende oder längerfristige Hormontherapie erforderlich.

Fazit: Ganzheitlicher Ansatz essenziell

Psychische Symptome wie Stimmungsschwankungen, Erschöpfung oder Antriebslosigkeit können Ausdruck einer zugrunde liegenden Schilddrüsenfunktionsstörung sein. Daher sollte bei entsprechenden Beschwerden immer auch eine organische Ursache in Betracht gezogen werden, insbesondere eine Dysfunktion der Schilddrüse. Schilddrüsenfunktionsstörungen können durch die richtige Einstellung mit Hormonersatzpräparaten gut behandelt und seelische Vorgänge stabilisiert werden. Die rechtzeitige und richtige Behandlung kann Betroffenen einen langen Leidensweg ersparen. Eine differenzierte endokrinologische Diagnostik bei psychischen Beschwerden ist unerlässlich, um Fehldiagnosen zu vermeiden und den Weg zu einer zielgerichteten Therapie zu ebnen. Die Schilddrüse sollte bei psychiatrischen Symptomen stets mitgedacht werden.


Quellen

  • Hage MP, et al.: The link between thyroid function and depression. J Thyroid Res 2012; 2012: 590648
  • Kuś A, et al.: Thyroid function and mood disorders: a mendelian randomization study. Thyroid 2021; 31(8): 1171-1181
  • Lekurwale V, et al.: Neuropsychiatric manifestations of thyroid diseases. Cureus 2023; 15(1): e33987
  • Nicholson WK, et al.: Prevalence of postpartum thyroid dysfunction: a quantitative review. Thyroid 2006; 16(6): 573-582

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