Prof. Dr. Michaela Axt-Gadermann ist Dermatologin, Ernährungsmedizinerin und Professorin für Gesundheitsförderung an der Hochschule Coburg. Als Autorin von Bestsellern wie „Natürlich! Schöne Haut“ und „Gesund mit Darm“ beschäftigt sie sich intensiv mit dem Mikrobiom. An der Hochschule Coburg hat sie probiotische Hautpflegeprodukte mit lebenden Bakterien entwickelt und deren Wirkung wissenschaftlich untersucht.
ÖAZ Frau Prof. Axt-Gadermann, bei welchen Hautproblemen spielt das Haut-mikrobiom eine besonders wichtige Rolle?
Prof. Dr. Michaela Axt-Gadermann Das Mikrobiom der Haut ist bei sehr vielen, vor allem bei entzündlichen Hauterkrankungen von Bedeutung. Den engsten Zusammenhang kennen wir bei Neurodermitis. Aber auch bei Akne, Psoriasis, Rosacea, perioraler Dermatitis, Fußgeruch, Körpergeruch und Kopfschuppen ist es relevant. Die Forschung steckt allerdings noch in den Kinderschuhen. Beim Darmmikrobiom war es ähnlich: Am Anfang haben wir uns vor allem Stoffwechselerkrankungen angeschaut, inzwischen wissen wir, dass es bei fast jeder Erkrankung beteiligt ist. Ähnliches könnte auch für die Haut gelten.
ÖAZ Viele Kund:innen sind skeptisch und fragen, wie Bakterien auf der Haut überhaupt wirken können. Wie lässt sich der Wirkmechanismus erklären?
Axt-Gadermann Man muss zunächst Folgendes unterscheiden: Viele Produkte nennen sich „probiotisch“, enthalten aber keine lebenden Bakterien, sondern Lysate, Postbiotika oder abgetötete Bakterien. Kosmetikprodukte mit lebenden Bakterien gibt es nur sehr wenige. Nur diese können sich aktiv ins Hautmikrobiom integrieren und vermehren. Was wir in Studien feststellen konnten, ist, dass sie den Verursacher-Keim Staphylococcus aureus bei Neurodermitis aktiv verdrängen können. Nach zwei Wochen war dieser Keim um 84 % zurückgegangen. Probiotische Bakterien können so Entzündungen lindern, die Hautbarriere stabilisieren und das Immunsystem der Haut wieder in Balance bringen.
ÖAZ Welche Bedeutung hat Staphylococcus aureus konkret bei Neurodermitis?
Axt-Gadermann Je mehr Staphylococcus aureus auf der Haut ist, desto schlimmer ist der Hautzustand: Die Haut juckt stärker, nässt mehr und ist stärker entzündet. Besonders interessant ist, dass diese Mikrobiomveränderung bereits vor Sichtbarwerden der Erkrankung stattfindet. Man hat bei Neurodermitis-Patient:innen auf gesunder Haut zwischen den Schüben regelmäßig Abstriche genommen. Sobald Staphylococcus aureus eine gewisse Schwelle überschritt, traten Ekzeme auf. Erst verändert sich das Hautmikrobiom, dann kommt es zu Symptomen. Und diese Staphylokokken verdrängen wir sehr effektiv mit probiotischer Hautpflege und erzielen damit erstaunliche Verbesserungen.
ÖAZ Sie haben selbst Studien mit probiotischen Formulierungen durchgeführt. Welche Ergebnisse konnten Sie dokumentieren?
Axt-Gadermann In unseren Studien mussten die Proband:innen für eine Woche auf bisherige Behandlungen verzichten, damit wir die reine Wirkung messen konnten. Wir konnten den SCORAD – den Schweregrad-Index für Neurodermitis – von „stark“ in den „leichten“ Bereich senken, und das innerhalb von nur einer Woche. Die Verbesserungen waren teilweise verblüffend. Viele Proband:innen sagten uns, dass ihre Haut seit Jahren nicht mehr so gut war. Interessant ist auch: Je schlimmer der Hautzustand ist, desto schneller sehen wir Ergebnisse. Und es gab auch einen überraschenden Nebenbefund: Viele Teilnehmer:innen berichteten, dass auch ihr Fußgeruch verschwunden ist – auch da spielen Staphylokokken eine Rolle.
ÖAZ Wie lange müssen probiotische Hautpflegeprodukte angewendet werden, bis erste Ergebnisse zu erwarten sind?
Axt-Gadermann Bei stark betroffener Haut sehen wir erste Verbesserungen bereits nach einer Woche. Unsere Studien liefen meist zwei bis drei Wochen. Viele Studienteilnehmer:innen berichten, dass nach zwei bis drei Wochen alle Läsionen weitgehend weg waren. Dann kann man die Anwendungshäufigkeit reduzieren oder auch die Anwendung beenden. Sobald wieder einzelne Ekzeme auftreten, kann man erneut beginnen. In der Regel bleibt die Haut aber lange in einem sehr guten Zustand.
ÖAZ Sie erforschen auch die Darm-Haut-Achse. Wie wichtig ist diese Verbindung?
Axt-Gadermann Eine Störung des Darmmikrobioms kann Effekte auf die Haut haben und beeinflusst den langfristigen Erfolg. Wenn viele Entzündungsbakterien im Darm sind, kann das zu Hautentzündungen oder Allergien führen. Bei der Anwendung von Hautpflege mit lebenden probiotischen Bakterien sehe ich Effekte oft schon nach einer Woche. Über das Darmmikrobiom allein dauert es etwa drei Monate. Im Idealfall kombiniere ich beides.
ÖAZ Gibt es Situationen, in denen Sie von probiotischer Hautpflege abraten würden? Worauf sollten Apotheker:innen achten?
Axt-Gadermann Meiner Meinung nach gibt es kaum Kontraindikationen. Es gibt sogar Studien, in denen probiotische Bakterien auf Verbrennungswunden aufgetragen wurden, was ich sehr mutig finde. Aber die Wunden heilten gut ab. Die Produkte lassen sich auch problemlos mit herkömmlichen Pflegeprodukten und den üblichen Neurodermitistherapien kombinieren. In der Praxis ist es nicht notwendig, andere Produkte abzusetzen. Bei starker Immunsuppression – etwa bei Stammzelltransplantationen – wäre ich vorsichtig, aber das sind Ausnahmefälle. Apotheker:innen können probiotische Hautpflege also relativ bedenkenlos empfehlen und gut in bestehende Hautpflegeroutinen einbinden.
ÖAZ Vielen Dank für das Gespräch!