Leitlinie

Neue Strategie gegen Bluthochdruck in Europa

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Das neue Strategiepapier wurde Ende Juni im Journal of Hypertension der europäischen medizinischen Fachgesellschaft veröffentlicht. Vorsitzende der Autorengruppe waren der italienische Hypertensiologie-Pionier Giuseppe Mancia (Universitätsklinik Mailand) und Reinhold Kreutz (Charite Berlin). Vonseiten Österreichs war der oberösterreichische Experte Thomas Weber (Klinikum Wels-Grieskirchen) beteiligt.

"Die Hypertonie ist das weltweit am meisten verbreitete Herz-Kreislauf-Problem. Laut Weltgesundheitsorganisation (WHO) sind davon 1,28 Milliarden Menschen im Alter zwischen 30 und 79 Jahren betroffen (...). 2019 wurde altersstandardisiert der Anteil der Patienten unter den Erwachsenen (30 bis 79 Jahre) mit 34 Prozent bei den Männern und mit 32 Prozent bei den Frauen angegeben. In Europa ist die Häufigkeit ähnlich, mit niedrigeren Werten als im Durchschnitt im Westen und darüber in den osteuropäischen Staaten", schrieben die Fachleute.

Prinzipiell hat sich an der Einteilung der Hypertonie in der neuen Leitlinie nichts geändert: Optimal wäre ein Blutdruck von weniger als 120 mmHg systolisch (oberer Wert/Pumphase des Herzens) und weniger als 80 mmHg diastolisch (unterer Wert/Ruhephase des Herzens). Als normal werden 120 bis 129 mmHg und 80 bis 84 mmHg bezeichnet. 130 bis 139 und/oder 85 bis 89 mmHg gelten als "hochnormal". Eine Hypertonie ersten Grades liegt bei 140 bis 159 mmHg und/oder 85 bis 89 mmHg vor. 160 bis 179 mmHg und/oder 100 bis 109 mmHg bedeuten eine Hypertonie zweiten Grades sowie mehr als 180 mmHg und/oder mehr als 110 mm (diastolisch) dann einen Bluthochdruck dritten Grades.

Diese Werte gelten für mehrfache Messungen in Arztpraxen etc. Eine medikamentöse Behandlung sollte jedenfalls bei den meisten Betroffenen zumindest ab Werten von 140/90 mmHg (Hypertonie ersten Grades) beginnen. Bei Patienten ab 80 Jahren sollte damit ab 160 mmHg systolisch gestartet werden.

Hypertonie-"Schranke" in USA herabgesetzt

Rund um die Einteilung der Hypertonie hat es in den vergangenen Jahren weltweit heftige Diskussionen gegeben. In den USA wurde nämlich die Hypertonie-"Schranke" mit einer Empfehlung für den Start einer Therapie auf einen Wert von 130/80 mmHg herabgesetzt. Die dafür verantwortlichen US-Experten sahen sich unter anderem dem Vorwurf ausgesetzt, einen Großteil der Bevölkerung zu Hypertonie-Patienten mit medikamentösem Handlungsbedarf zu machen. Teilweise wurden damals auch in Europa Forderungen nach einem derartigen Absenken der Zielwerte laut.

"Es hat Vorschläge gegeben, die Definition bzw. die Zielwerte erneut zu ändern. - Vor allem deshalb, weil auch eine Senkung des Blutdrucks auf sehr niedrige Werte positiv sei. Aber nach Durchsicht der wissenschaftlichen Beweislage konnten wir uns dem nicht anschließen. Wir stehen zu einer Definition der Hypertonie, ab der eine Intervention auf jeden Fall einen Nutzen bringt, statt nichts zu tun oder gar Schaden zu verursachen", sagte Kreutz gegenüber dem Ärzte-Informationsportal Medscape.

Der Berliner Experte weiter: "Das Problem liegt darin, dass bei einem Blutdruckziel von unter 130 mmHg die Beweislage dünner wird. Der Nutzen wird geringer. Wir riskieren dafür, Patienten wegen der Nebenwirkungen (...) zu verlieren. Bei jüngeren und fitten Patienten empfehlen wir einen möglichst niedrigen Blutdruck, aber nicht unter 120 mmHg (systolisch; Anm.)."
Bei der Auswahl der Medikamente stehen Präparate aus fünf Substanz- und Wirkprinzipklassen zur Verfügung (ACE-Hemmer, Angiotensin-II-Rezeptorblocker, Entwässerungsmittel/Diuretika, Beta-Blocker und Kalziumantagonisten). Gleich von Beginn an sollte eine Kombination von zwei dieser Wirkstoffklassen verwendet werden: ACE-Hemmer oder Angiotensin-II-Rezeptorblocker plus ein Thiazid-Entwässerungsmittel oder einen Kalziumantagonisten. Reicht das nicht aus, sollte eine Dreifach-Kombination (z.B. plus Beta-Blocker) erfolgen.

Kreutz: "Wir können bei 60 Prozent der Patienten mit Bluthochdruck die Hypertonie mit einer Zweifach-Kombination unter Kontrolle bringen, bei 90 Prozent mit einer Dreifach-Kombination. Nur ein kleiner Teil der Betroffenen benötigt vier Wirkstoffe."

Die neuen europäischen Leitlinien fordern auch vermehrt das regelmäßige Messen des Blutdrucks zu Hause. Die Medikamente sollten am besten in der Früh eingenommen werden. Das war bisher oft nicht der Fall. Das Schlucken der Tabletten am Abend wird aber offenbar häufig vergessen.

Senkung des Blutdrucks auf weniger als 130/80 mmHg angepeilt

Die wichtigste neue Empfehlung aber ist, dass nach Erreichen des ersten minimalen Zielwertes von 140/90 mmHg, möglichst eine weitere Senkung des Blutdrucks auf weniger als 130/80 mmHg angepeilt werden sollte. Allerdings nur, wenn das von den Patienten im jüngeren und mittleren Alter vertragen wird.

In der Praxis aber ist weniger die Diskussion über die Zielwerte als das Erreichen dieser Blutdruckpegel ausschlaggebend. Paul Whelton (Tulane University/New Orleans/USA), Präsident der Welt-Hypertonie-Liga, wurde dazu in Medscape so zitiert: "Wir haben ein Umsetzungsproblem. (...) Allgemein gesprochen, erreichen selbst in den besten Staaten nur rund 30 Prozent der Patienten die sehr konservativen Zielwerte von 140/90 mmHg Blutdruck." In vielen Ländern liege diese Rate noch viel niedriger.

Am Nutzen der Behandlung von Hypertonie-Patienten gibt es keinen Zweifel: Hätte jeder Erwachsene Werte unter 140/90 mmHg, könnten 60 Prozent der Blutdruck-bedingten Komplikationen wie Herzinfarkt, Herzschwäche, Schlaganfall und Nierenschäden verhindert werden. Bei systolischen Werten unter 130 mmHg wäre das zu 75 bis 80 Prozent der Fall. Frauen sind durch eine Hypertonie offenbar stärker gefährdet als Männer. Laut Experten der Europäischen Gesellschaft für Kardiologie (ESC) sollte bei unter 80-jährigen Frauen bereits ab einem systolischen Wert von 130 mmHg Verdacht geschöpft werden.

APA/Red.

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