Neue Studien

Musiktherapie ähnlich wirksam wie Opioid-Schmerzmittel

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Musiktherapie © Shutterstock
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Eine Vielzahl von Studien zeige, dass Musiktherapie eine gesundheitsfördernde Wirkung bei verschiedenen Erkrankungen entfaltet. "Es gibt eine beeindruckende Fülle von Belegen", sagte Sabine Koch bei einer Pressekonferenz der Deutschen Musiktherapeutischen Gesellschaft im Vorlauf zu dem Kongress (ab 23. Juli/Hamburg). Die Effekte wurden zum Beispiel aktuell in einer Metaanalyse zusammengefasst, in die 3.885 randomisierte und kontrollierte Primärstudien (Zufallsprinzip bei Zuordnung von Probanden zu Vergleichsgruppen und Placebo; Anm.) zur Anwendung künstlerischer Therapien einflossen.


"Die Ergebnisse stützen insbesondere die Musik- und Tanztherapie", erläuterte die Expertin. Derzeit sei die Musiktherapie bereits in Dutzenden deutschen medizinischen Behandlungsleitlinien vertreten. Die neue Studie wurde von Martina de Witte (Universität Melbourne) und Co-Autoren in einem Preprint veröffentlicht (https://doi.org/ 10.21203/rs.3.rs-5961850/v1). Insgesamt wurde ein kleiner bis mittlerer Effekt bei neurologischen Erkrankungen durch kunstbasierte Interventionen registriert, mittelstarke Wirkungen bei Krebs, Herz-Kreislauf- und anderen chronischen Erkrankungen.


Autoren: "Wertvolle Ergänzung zu traditionellen Erstbehandlungen"


"Unsere Ergebnisse deuten darauf hin, dass Menschen mit nicht übertragbaren Krankheiten von künstlerischen Interventionen hinsichtlich ihrer körperlichen, psychischen und kognitiven Funktionen sowie ihrer Lebensqualität profitieren können. Daher können künstlerische Interventionen eine wertvolle Ergänzung zu traditionellen Erstbehandlungen wie Psychotherapien, Pharmakotherapien und der Standardbehandlung von nicht übertragbaren Krankheiten darstellen", schrieben die Autoren in ihrer Zusammenfassung. Sie merken allerdings auch an, dass es bei vielen Untersuchungen an wissenschaftlicher Qualität fehle.
Die Musiktherapie stellt jedenfalls einen wichtigen und vergleichsweise gut belegten Teil unter den künstlerischen Interventionen zur Wiederherstellung der Gesundheit und zur Verbesserung der Lebensqualität dar. Besonders gut erforscht und erprobt seien musiktherapeutische Anwendungen bei chronischen und akuten Schmerzen. "Insgesamt ist ihre Wirkung hier ähnlich gut wie die Behandlung mit Opioiden, jedoch ohne unerwünschte Nebenwirkungen", sagte Sabine Koch. Darüber hinaus verbessere Musiktherapie körperliche Funktionen und Schlafqualität, lindert Müdigkeit, Angst und Depression.


Herz-Kreislauf-Stabilität bei Frühgeborenen


Erfolge bringt die Musiktherapie auch bei Frühgeborenen. Sie wirkt sich bei den Frühchen positiv auf die Herz- und Atemfrequenz, auf Blutdruck und Schmerzwerte aus, sie steigert die Sauerstoffsättigung und Schlafdauer – und dies sogar im Schlaf. "Musiktherapie hilft den Kindern, Stress zu reduzieren und sich zu erholen", erläuterte die Expertin. "Sie mindert außerdem den elterlichen Stress, stärkt die Bindung und vermittelt das Gefühl, etwas Sinnstiftendes für das Kind tun zu können." Darüber hinaus stärkt kreative Musiktherapie die Vernetzung der Hirnregionen, die für Kognition, Hören, Feinmotorik und die emotional-soziale Verarbeitung zuständig sind.


Bei onkologischen Patientinnen und Patienten reduziert Musiktherapie Angstzustände, Depressionen, Schmerzen, Müdigkeit, Herzfrequenz und Blutdruck. "Der positive Effekt ist stark, er ist signifikant", berichtete Sabine Koch. "Musiktherapie ist bei Krebserkrankungen genauso wirksam wie Verhaltenstherapie." Auch in der Palliativmedizin sei das Verfahren, sie fördere die Entspannung und verringere Ermüdung. "Musiktherapie ist eine wirksame Behandlung mit einer geringen Abbruchquote zur Steigerung des Wohlbefindens unheilbar kranker Menschen", resümierte Sabine Koch. "Bei der Reduktion von Depression und Angstsymptomatik hat sie oft denselben Wirkungsgrad wie kognitive Verhaltenstherapie."


Autismus und Morbus Parkinson


Im Rahmen der Betreuung von autistischen Kindern verbessern musiktherapeutische Anwendungen Verhaltenssymptome, Sprache und soziale Fähigkeiten. "Das gilt sowohl für Musik- als auch für die Tanztherapie, die mit Stimme, Rhythmus und Musik arbeitet", berichtete die Expertin. Aufgrund ihrer Wirksamkeit sei die Tanztherapie bereits in die hochrangige S3-Leitlinie (Arbeitsgemeinschaft der Wissenschaftlichen Medizinischen Fachgesellschaften) zum Autismus aufgenommen worden. "Rhythmus ist ein wichtiger Wirkfaktor, er scheint Orientierung und Sicherheit zu geben, Interaktion anzubahnen sowie Stress und dysfunktionale Erregung zu reduzieren."


Ein anderes Beispiel sind neurologische Erkrankungen. Bei Morbus Parkinson hilft Tanzen – Tango verbessert nicht nur motorische Fähigkeiten wie Gehen und Balance halten, er steigert auch die Lebensqualität und stimuliert positive emotionale und soziale Effekte. "Wir erleben häufig, dass Betroffene wieder Hobbys aufnehmen und mit dem Partner oder der Partnerin ausgehen", berichtete Sabine Koch. Wie viele randomisiert-kontrollierte Studien belegen, könne Tango-Tanz eine vielversprechende nicht-medikamentöse Therapieoption zur Stabilisierung von Menschen mit Morbus Parkinson sein, so die Expertin.
Dass Musik bei Demenz eine positive Wirkung hat, ist seit längerem bekannt. So erweist sich Chorgesang als effektives Mittel, um depressive Symptome bei demenzkranken Menschen zu verringern und kognitive Leistungen zu verbessern. "Wir erhalten oft die Rückmeldung, dass Betroffene dank musiktherapeutischer Interventionen wieder besser mit ihrem Umfeld in Kontakt treten", berichtete Sabine Koch. "Gesang und Bewegung gehören in jedes Pflegeheim." Musiktherapie hilft weiters, Sprachstörungen nach Schlaganfällen zu verbessern.


Vor dem Hintergrund dieser Ergebnisse plädierte die Expertin dafür, Musiktherapie häufiger einzusetzen und als Krankenkassenleistung in die ambulante Versorgung aufzunehmen. "Angesichts der Tatsache, dass Psychotherapie in jedem fünften Fall abgebrochen wird, in vielen Kulturen mit sozialem Stigma behaftet ist und reine physiologische Behandlung oder Medikamententherapie oft mit Motivationsverlusten oder Nebenwirkungen einhergeht, kann Musiktherapie eine gute therapeutische Ergänzung sein", sagte Sabine Koch. Die Kosteneffizienz sei jedenfalls hoch.

APA

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