Rückenschmerzen bezeichnen mehr oder minder ausgeprägte Schmerzen des Rückens variabler Ursache und sind in Industrieländern zu einer ernstzunehmenden Volkskrankheit geworden. Schon länger weiß man, dass mangelnde körperliche Bewegung und überwiegend sitzende Tätigkeiten die Entstehung von Rückenschmerzen fördern. Schätzungsweise 70 % aller Menschen der westlichen Welt entwickeln zumindest einmal im Leben Rückenschmerzen. In der deutschen Rückenschmerzstudie wird die Lebenszeitprävalenz sogar mit bis zu 85 % und die damit verbundenen jährlichen direkten und indirekten Kosten mit rund € 30.000,– pro Person angegeben. Von den Patient:innen beschriebene Beschwerden korrelieren oft nicht mit dem bildgebenden Befund. Das von der Österreichischen Schmerzgesellschaft (ÖSG) veröffentlichte Positionspapier „Medikamentöse Schmerztherapie bei Rückenschmerzen“ fasst auf neun Seiten kompakt alle relevanten Informationen zur Diagnose und Behandlung zusammen.
Verbesserungsbedar
Trotz klarer Handlungsanweisungen sind viele Patient:innen mit Rückenschmerzen schmerztherapeutisch unter- bzw. fehlversorgt. Eine schwedische Arbeit zeigt eindrücklich, dass mehr als ein Drittel aller Ärzt:innen und Physiotherapeut:innen mit dem Inhalt von Leitlinien nicht vertraut ist und fast die Hälfte nichts mit dem Begriff „Red Flags“ (Warnsignale) anfangen kann. Diese sind jedoch ausgesprochen wichtig, um gefährliche Verläufe frühzeitig zu erkennen und Faktoren für eine mögliche Chronifizierung abzuklären.
Red Flags
- Fieber
- Traumata
- Sehr starke Schmerzen
- Ausstrahlende Schmerzen
- Ausgeprägte Bewegungseinschränkung
- Gefühlsstörungen und Missempfindungen (Kribbeln, Brennen, Taubheit etc.)
- Lähmungen der Extremitäten
- Verdacht auf innere Erkrankungen (z. B. Magen, Nieren)
- Kinder und Jugendliche unter 18 Jahren
Patient:innen mit solchen Warnsignalen sollen rasch an Spezialist:innen überwiesen werden, um eine zeitnahe Diagnose und Therapie zu erhalten. Dasselbe gilt für Personen ohne Red Flags, wenn die Beschwerden nicht innerhalb von sechs Wochen von selbst verschwinden.
Ursachen und Risikofaktoren
Rückenschmerzen werden je nach Dauer in akute, subakute und chronische Rückenschmerzen unterteilt. Für die Selbstmedikation spielen nur akute Rückenschmerzen eine Rolle. Wichtig ist daher, an der Tara zu erfragen, wie lange die Beschwerden bereits bestehen. Häufige Ursachen für die akute Form sind muskuläre Verspannungen, wenig Bewegung, falsche Bewegung, Fehlhaltungen und langes Sitzen. Eine dadurch verursachte Entzündung kann Nervenwurzeln irritieren, Bänder und Wirbelkapselgelenke schädigen und eine reflektorische Muskelkontraktion nach sich ziehen. Ziel der Behandlung akuter Rückenschmerzen ist die rasche Wiederherstellung einer uneingeschränkten Beweglichkeit und Funktionalität. In der Apotheke lassen sich etwaige Warnsignale schnell erheben. Fehlen diese, sollte man sich im nächsten Schritt auf spezifische Ursachensuche geben, bevor man eine Selbstmedikation empfiehlt. Zu den spezifischen – und damit nicht der Selbstmedikation zugänglichen – Ursachen gehören diverse Lumbalsyndrome, Spondylarthrosen sowie Erkrankungen des rheumatischen Formenkreises. Länger andauernde Morgensteifigkeit sowie entzündete und schmerzhafte Gelenke in anderen Körperregionen können Hinweise auf spezifische Ursachen liefern.
Was tun bei unspezifischen akuten Rückenschmerzen?
Patient:innen sollten über den selbstlimitierenden Charakter aufgeklärt werden und körperliche Bewegung empfohlen bekommen. Letzteres lindert die Beschwerden in allen Phasen der Erkrankung. Analgetika wirken rein symptomatisch und haben den Sinn, nichtmedikamentöse Maßnahmen zu unterstützen, indem sie Betroffenen eine frühzeitige Wiederaufnahme ihrer alltäglichen Aktivitäten ermöglichen. Das hilft, den Teufelskreis aus Bewegungsarmut, Schonverhalten und Schmerzen zu durchbrechen. Das ÖSG-Positionspapier und andere Leitlinien sehen dafür nicht-steroidale entzündungshemmende Medikamente (NSAR) ± Protonenpumpenhemmer als Mittel der Wahl. Das bei akuten und chronisch starken Schmerzen zugelassene Metamizol ist eine alternative Therapieoption, speziell dann, wenn Komorbiditäten vorliegen (z. B. unkontrollierte Hypertonie, koronare Herzkrankheit, Nierenfunktionsstörung) bzw. wenn Patient:innen NSAR nicht vertragen oder diese kontraindiziert sind. Ergänzend können kurzfristig zentrale Muskelrelaxantien für maximal zwei Wochen hilfreich sein. Paracetamol hat sich in Studien (Tagesdosierung bis zu 4 g) als unzureichend wirksam erwiesen. Der Einsatz bei Rückenschmerzen wird vonseiten der ÖSG und anderer Schmerzgesellschaften abgelehnt. Dasselbe gilt für topische NSAR, Gabapentinoide und Corticosteroide. Selektive COX-2-Hemmer sind zur Behandlung von unspezifischen Rückenschmerzen offiziell nicht zugelassen („Off-Label-Use“). Die Tabelle liefert einen Überblick zur medikamentösen Schmerztherapie.
Medikamentöse Therapieempfehlung beim unspezifischen Rückenschmerz | |||
Akut | Subakut | Chronisch | |
Nichtsteroidale Antireumatika (NSAR) | X | X | X |
COX-2-Hemmer | X | X | X |
Metazimol | X | X | X |
Paracetamol | X | X | X |
Opioide | X | X | X |
Transdermale Opioide | XX | XX | X |
Muskelrelaxanzien (Nicht-Benzodiazepine) | X | - | X |
Antidepressiva | X | - | X |
Gabapentin, Pregabalin, Topiramat, Carbamazepin | X | X | X |
Capsaicinpflaster und -cremes | X | X | X |
Topisch applizierbare NSAR | XX | XX | XX |
i.v. Analgetika, Lokalanästhetika und Mischinfusionen | X | X | X |
i.m. oder s.c. Analgetika und Glucocorticoide | X | X | X |
Tabelle, Quelle: ÖSG-Positionspapier
Was tun bei länger anhaltenden Rückenschmerzen?
Einem Großteil der Patient:innen mit unspezifischen akuten Rückenschmerzen hilft die Kombination aus NSAR ± PPI ± Muskelrelaxans. Halten die Schmerzen nach zwei bis vier Wochen weiterhin an, werden schwach wirksame Opioide wie Tramadol als Mittel der zweiten Wahl genannt. Stark wirksame Opioide sind nur im Rahmen eines multimodalen Therapiekonzeptes und in Zusammenarbeit mit schmerzmedizinisch geschulten Expert:innen einzusetzen. Zudem muss eine solche Therapie regelmäßig reevaluiert werden. Tritt die gewünschte Schmerzlinderung bzw. Funktionsverbesserung nicht ein, ist die Fortsetzung der Opioidtherapie kontraindiziert. Sollten Opioide notwendig sein, gilt generell, dass man frühzeitig ein realistisches Therapieziel festlegt (z. B. Reduktion der Schmerzintensität um 30 %). Nebenwirkungen wie Übelkeit, Erbrechen und Verstopfung sprechen gut auf die vorbeugende Gabe von Antiemetika (1 bis 2 Wochen) und Laxanzien (für die gesamte Dauer der Therapie) an. Bei nicht akzeptablen Nebenwirkungen ist eine Opioid-Rotation sinnvoll.
Was tun bei spezifischen Rückenschmerzen?
Bei ungefähr einem Fünftel aller Patient:innen mit Rückenschmerzen lässt sich eine spezifische Ursache erheben. Das können beispielsweise eine Osteoporose, Frakturen, Wurzelreiz- und Kompressionssyndrome (z. B. Bandscheibenvorfall), Spinalkanalstenosen, rheumatische, infektiöse und maligne Ursachen sein. Schmerzmediziner:innen versuchen dann gemeinsam mit den Betroffenen, den vorherrschenden Schmerzcharakter zu finden und gezielt zu behandeln (mechanismen-basierte Therapie). Wirbelkörperfrakturen und aktivierte Arthrosen sind etwa entzündlicher Natur und nozizeptiv bedingt. Radikuläre Schmerzen werden durch die Reizung einer Nervenwurzel verursacht und strahlen in deren Versorgungsgebiet aus. Der Schmerz wird dort stärker empfunden als an der eigentlichen Schmerzquelle. Schmerzen, wie sie beim Fibromyalgiesyndrom auftreten, werden als noziplastisch bezeichnet. Hier findet sich weder eine Gewebeschädigung noch eine Nervenläsion, vielmehr ist die Nozizeption selbst verändert. Die medikamentöse Therapie muss sich demnach am Krankheitsbild und den pathophysiologischen Ursachen orientieren. Insgesamt hat rund ein Drittel der Patient:innen mit spezifischen Rückenschmerzen nozizeptive, ein Drittel neuropathische und ein Drittel gemischte Schmerzen.
Interventionelle Verfahren
Interventionelle Verfahren sind bildgestützte diagnostische oder therapeutische Maßnahmen, die oftmals eine Operation ersetzen (z. B. Triggerpunkt-Infiltration). Derartige invasive Therapieverfahren sind an der Reihe, wenn unter optimaler medikamentöser Therapie die Schmerzen persistieren oder Medikamente aufgrund schwerer Nebenwirkungen nicht weiter aufdosiert werden können. Gute Daten gibt es für die Injektion von nicht-partikulären Corticosteroiden mit oder ohne Lokalanästhetika bei iliosakralen Schmerzen sowie beim Facettensyndrom, um anschließend eine Radiofrequenztherapie durchführen zu können. Auch bei axialer Spondylarthritis, Morbus Baastrup (Berührung der Dornfortsätze) und Spinalkanalstenosen wird in internationalen Leitlinien ein hoher Empfehlungsgrad für die interlaminar- (zwischen den Wirbelkörpern), transforaminal- (seitlich) sowie kaudal-epidurale (im Wirbelkanal) Applikation von nicht-partikulären Kortikosteroiden ± Lokalanästhetika ausgesprochen.
Fazit
Bewegung übernimmt eine Schlüsselfunktion in der Prävention und Behandlung von Rückenschmerzen. Bei Patient:innen, die hilfesuchend in die Apotheke kommen, müssen zuallererst Warnsignale und spezifische Ursachen ausgeschlossen werden. Ist das der Fall, sind in der Selbstmedikation NSAR Mittel der Wahl. Sollten sich die Beschwerden nach spätestens drei Tagen nicht von selbst bessern, ist ein Arztbesuch angezeigt.
Quellen
- Crevenna R et al. Schmerz Nachrichten. 2022; 22(3):21-29. Unter:
https://www.oesg.at/upload/positionspapiere/sn_oesg-positionspapier_rueckenschmerzen_30-11-2022_lowres.pdf. Letzter Zugriff: 02.10.202 - da C Menezes Costa L et al. CMAJ. 2012; 184(11):E613-E624.
- Eriksen J et al. Pain. 2003; 106(3):221-228
- Freynhagen R et al. Curr Med Res Opin. 2006; 22(10):1911-20.
Weitere Literatur auf Anfrage