Gut gepackt ist halb gewonnen

Reisen mit Typ-1-Diabetes

Mag. pharm. Christopher Waxenegger
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Insulin-Spritze © Shutterstock
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Typ-1-Diabetes wird seit einer vielbeachteten schwedischen Publikation aus dem Jahr 2018 auch als „severe autoimmune diabetes“ (SAID) bezeichnet. Die Wissenschaftler:innen schlugen damals eine neue Einteilung des Diabetes in fünf Cluster vor; SAID entspricht dem ersten dieser Cluster und umfasst im Wesentlichen Personen mit Typ-1-Diabetes sowie latenten Autoimmundiabetes bei Erwachsenen (LADA). Kennzeichnend für diese Untergruppe ist eine progrediente Zerstörung der insulinproduzierenden Betazellen des Pankreas. Die daraus resultierende lebenslange Insulintherapie ist mit regelmäßigen Blutzuckermessungen als Voraussetzung für Bolus- und Korrekturberechnungen verknüpft. Moderne kontinuierliche Glukosemesssysteme (CGM) und Insulinpumpen erleichtern zwar die Behandlung, sind jedoch mit eigenen Herausforderungen verbunden. Hinzu kommen Medikamente zur Behandlung diabetestypischer Begleiterkrankungen. Der mit der Erkrankung verbundene Aufwand ist bisweilen erheblich, was eine individuelle Reiseberatung voraussetzt.

Lagerung von Insulin …

Als in Lösung befindliches Protein besitzt Insulin spezielle physikochemische Eigenschaften, die es von Arzneimitteln in Tablettenform unterscheidet und empfindlicher gegenüber externen Einflüssen wie Sonnenlicht und Temperaturschwankungen macht. Unbenutzte Insulinampullen müssen deshalb unter Lichtausschluss bei Temperaturen zwischen zwei und acht Grad Celsius gelagert werden. Auf keinen Fall dürfen sie gefrieren (Denaturierung der Peptidstruktur) oder über 30 °C erreichen (Bildung von mit freiem Auge zum Teil schwer erkennbaren Fibrillen und Niederschlag). Beides hat einen unwiederbringlichen Wirkverlust zur Folge. Für angebrochenes Insulin empfehlen die Hersteller eine Aufbrauchfrist innerhalb von vier Wochen bei Raumtemperatur. 

… und Relevanz für den Urlaub

Um diese strikten Vorgaben auch unterwegs einhalten zu können, wurden spezielle Kühltaschen entwickelt (z. B. Frio®, Frigo®). Sie funktionieren nach dem Prinzip „Kühlung durch Verdunstung“: Die Taschen werden vor dem Gebrauch vollständig unter kaltes Wasser gehalten, was dazu führt, dass die im Stoff enthaltenen Kristalle die Flüssigkeit aufsaugen und eine Art Gel bilden. Strömt Luft über diese Oberfläche, verdunstet die Flüssigkeit. Die Energie dafür stammt aus der unmittelbaren Umgebung (= Verdunstungskälte). Denkbare Alternativen sind vorgekühlte Thermosflaschen und Styroporbehältnisse. Klassische Kühlboxen eignen sich hingegen nur bedingt, weil Insulin, um ein Einfrieren zu verhindern, nicht zu nahe an den Kühlakkus gelagert werden darf. Diese Gefahr besteht übrigens ebenso beim Winterurlaub. Bei sehr niedrigen Außentemperaturen ist es daher empfehlenswert, den Insulinpen nahe am Körper zu tragen, etwa in der Innentasche der Jacke oder einer Bauchtasche. Auch bei der Lagerung im Auto ist Vorsicht geboten. Im Innenraum kann es nämlich schneller als gedacht ausgesprochen heiß bzw. kalt werden. Patientinnen und Patienten sollten ihr Insulin beim Verlassen des Fahrzeuges dementsprechend mitnehmen.

Doppelt hält besser

Neben dem Erwerb einer geeigneten Aufbewahrungsmöglichkeit ist es vor Reiseeintritt wichtig, sich rechtzeitig den „Urlaubsbedarf“ von der Hausärztin oder dem Hausarzt bzw. der Diabetologin oder dem Diabetologen verordnen zu lassen. Die Rede ist von ausreichend Insulin, Pens, Ersatznadeln, Pumpen- und CGM-Zubehör, Teststreifen zur Blutzucker-/Ketonkörpermessung, Lanzetten und Begleitmedikamenten. Diabetesgesellschaften empfehlen als Richtwert den zwei- bis dreifachen Bedarf, aufgeteilt auf Hand- und Hauptgepäck (siehe auch Kasten 1).

Check-Liste Handgepäck
für Menschen mit Typ-1-Diabetes

• ein kompletter Urlaubsbedarf
• gekühlte Insuline
• Insulinpens inkl. Ersatznadeln
• Ersatzpumpe bzw. Ersatzkatheter mit Kanüle inkl. Zubehör
• Ersatz-CGM inkl. Zubehör
• Ersatzbatterien bzw. Ladegeräte
• Blutzuckermessgerät inkl. Teststreifen
• Messtreifen zur Ketonkörpermessung
• Stechhilfe und Lanzetten
• Traubenzucker und Snacks wie Müsliriegel
• Glukagon-Notfallset
• Begleitmedikamente
• Notfallrezepte für Insulin und Medikamente
• Spritzplan
• Kohlenhydrataustauschtabelle
• ärztliches Attest
• Internationaler Ausweis für Menschen mit Diabetes

Kasten 1



Die Umsetzung dieses Ratschlags kann bei Pumpen- und CGM-Zubehör durchaus herausfordernd sein. Diese Medizinprodukte werden selten direkt bezogen, sondern meist per Post verschickt. Unabhängig vom Einlangen der verordneten Folgebestellung erfolgt der Versand allerdings erst, wenn sich der letzte Bedarf dem Ende zuneigt, denn der Liefertermin wird anhand der im Voraus berechneten Laufdauer festgelegt. Fällt der Urlaub in eine solche Übergangszeit, ist es notwendig, auf dem Verordnungsschein gut sichtbar „Urlaubsbedarf“ zu vermerken und sich sicherheitshalber zusätzlich beim Produktsupport zu erkundigen, ob der Folgebedarf wie gewünscht vorzeitig versendet wird. Patientinnen und Patienten mit Schlauchpumpe können ihren „Ersatzteilkoffer“ mit einer Urlaubspumpe ergänzen, auch wenn ein Totalausfall der Insulinpumpe ein außerordentlich seltenes Ereignis ist. Diese Urlaubspumpe (für Auslandsreisen in der Regel kostenlos) sollte spätestens zwei bis drei Wochen vor der Abreise beim jeweiligen Hersteller bzw. Außendienst beantragt werden. 

Spritzplan als wichtige Unterstützung

Menschen mit Typ-1-Diabetes sind für gewöhnlich mit dem Management ihrer Erkrankung vertraut. Es gibt jedoch auch solche, welche die Diagnose erst kürzlich erhalten haben, sich generell schlecht mit ihrer Therapie auskennen, sich unter Umständen gar nicht näher damit beschäftigen wollen oder zu jung sind, um sich mit dieser Thematik auseinanderzusetzen. Diese Patientinnen und Patienten sollten unbedingt einen vom Diabetesteam erstellten Spritzplan sowie Handlungsanweisungen im Fall einer Hypo- und Hyperglykämie zur Hand haben. Kohlenhydrataustauschtabellen erleichtern die Berechnung von Bolus- und Korrekturgaben. Für den Notfall haben sich weiters die Telefonnummer des eigenen Diabetesteams und der/des nächstgelegenen Ärztin/Arztes oder Pumpenzentrums im Ausland bewährt. Personen mit Insulinpumpe sollten darüber hinaus unbedingt eine Ersatzpumpe und ein komplettes Zubehör für die Basis-Bolus-Therapie mittels Insulinpen einschließlich eines individuellen Therapieschemas für den Umstieg auf die Pentherapie einpacken. Der Ausfall der Insulinzufuhr über die Pumpe kann sich schnell zu einer lebensbedrohlichen Situation entwickeln. Das liegt daran, dass Insulinpumpen die Basalrate kontinuierlich durch schnellwirksames Insulin abdecken. Bleibt dieses aus, steigt der Blutzucker rasch an. Das Risiko einer schweren Stoffwechselentgleisung mit diabetischer Ketoazidose ist dann deutlich erhöht (siehe Kasten 2). 

Insulinmangel
Symptome einer Ketoazidose
  • Übelkeit, Erbrechen
  • Müdigkeit, Lethargie
  • Bauchschmerzen (v. a. bei Kindern)
  • Muskelkrämpfe
  • Mundgeruch nach Aceton (wie faules Obst oder Nagellackentferner)
  • Beschleunigte vertiefte Atmung („Kussmaulatmung“)
  • Bewusstseinstrübung und Koma

    Kasten 2


Zeitverschiebung bedenken

Bei Fernreisen ergeben sich bekanntlich Zeitunterschiede. Urlaube in anderen Zeitzonen gehen mit einer mehr oder minder starken Veränderung des Biorhythmus sowie des tageszeitabhängigen Insulinbedarfs einher. Für die Anpassung ist die Charakteristik der Basalrate ausschlaggebend. Zudem sollten Betroffene ihren Blutzuckerspiegel in häufigeren Intervallen messen/vom CGM ablesen und ggf. durch Bolusgaben ausgleichen. 

Das Vorgehen bei Pentherapie hängt vom verwendeten Basalinsulin ab. Die tägliche Injektion von Insulin degludec lässt sich um bis zu acht Stunden verschieben, womit sich dieses Insulin für Fernreisen besonders gut eignet. Mit Insulin glargin U300 profitieren Betroffene immerhin von einem flexiblen Spritzfenster um ± drei Stunden. Alle anderen Basalinsuline müssen jeden Tag zur ungefähr selben Uhrzeit injiziert werden.

  • Zeitverschiebung von weniger als drei Stunden – Keine Anpassung notwendig. Uhrzeit vor der Abreise auf die neue Ortszeit einstellen und Insulin wie gewohnt spritzen.
  • Zeitverschiebung von mehr als drei Stunden – Uhrzeit erst nach der Landung auf die neue Ortszeit umstellen und gewohnte Spritzzeit verschieben, um im 24-Stunden-Rhythmus zu bleiben (funktioniert bei Reisen nach Osten und Westen). Sprich: Statt das Basalinsulin täglich um sieben Uhr morgens zu applizieren, erfolgt die Injektion je nach Zeitverschiebung entsprechend später oder früher. Anschließend den Injektionszeitpunkt schrittweise anpassen (optional).

Alternativ können Betroffene ihre morgendliche Injektion des langwirksamen Basalinsulins vor dem Abflug auslassen und die Zwischenzeit mit kurzwirksamen Insulin überbrücken. Bei Reisen nach Osten und Westen dauert dieses Bridging unterschiedlich lange, da der Tag kürzer (Osten) bzw. länger (Westen) wird. Nach der Ankunft am Reiseziel kann man das langwirksame Insulin dafür zur gewohnten Uhrzeit injizieren. Personen, die ihr Basalinsulin beispielsweise in Österreich um sieben Uhr morgens applizieren, machen dies im Urlaubsland ebenso um sieben Uhr morgens.

Vorgangsweise bei Pumpentherapie

Patientinnen und Patienten mit einer konstanten Basalrate müssen unabhängig vom Urlaubsziel nichts verändern. Für jene mit variabler Basalrate gilt:

  • Zeitverschiebung von weniger als zwei Stunden – Pumpenuhr vor Abreise auf die neue Ortszeit einstellen und Boli wie gewohnt abgeben.
  • Zeitverschiebung von drei bis vier Stunden – Pumpenuhr um zwei Stunden der neuen Ortszeit annähern und nach zwei Tagen komplett umstellen.
  • Zeitverschiebung von mehr als vier Stunden – Bestehende Basalrate notieren oder separat speichern. Anschließend eine neue konstante Basalrate mit dem niedrigsten stündlichen Wert programmieren und Korrekturinsulingaben anhand des gemessenen Blutzuckers abgeben. Drei bis vier Tage nach Ankunft die Uhrzeit der Insulinpumpe auf die neue Ortszeit einstellen und auf die ursprüngliche Basalrate wechseln.

Dieses Vorgehen funktioniert bei Menschen mit ausgeprägt variabler Basalrate nur bedingt (z. B. Sprünge von mehr als 50 % pro Stunde). Hier wird empfohlen, keine vorübergehende konstante Basalrate zu verwenden, sondern die Pumpenuhr täglich um zwei Stunden der Ortszeit anzunähern. 

Erste Hilfe bei Hypoglykämie

Das Risiko, in einen schweren Unterzucker zu rutschen, ist in der ersten Nacht am höchsten. Wichtigste Gegenmaßnahme ist dann der Verzehr von schnell resorbierbaren Kohlenhydraten (z. B. gezuckerten Limonaden, Traubenzucker, Süßigkeiten ohne Fett). Ist die/der Erkrankte dazu nicht mehr in der Lage, sind zweierlei Glukagon-Präparate verfügbar. Diese werden von einem in der Anwendung geschulten Angehörigen entweder in den Oberschenkel gespritzt (Glucagen® Hypokit; Kassenrezept) oder als Nasenspray in die Nase gesprüht (Baqsimi®; Privatrezept). 

Quelle

Ahlqvist E, Storm P, Käräjämäki A et al. Novel subgroups of adult-onset diabetes and their association with outcomes: a data-driven cluster analysis of six variables. Lancet Diabetes Endocrinol. 2018; 6(5):361-369.

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