Der Ort der Apotheke wird sich in den kommenden Jahren unausweichlich verändern. „In der Architektur der Apotheke geht es nicht um spektakuläre Effekte, sondern um Klarheit, Orientierung und Vertrauen“, sagt Architekt Nikolaus Westhausser im Gespräch mit der ÖAZ. Gemeinsam mit seiner Geschäftspartnerin Valerie W. Aschauer hat er zahlreiche Apotheken gestaltet und ein Redesign durchgeführt. Für ihn ist klar: Die Zukunft der Offizin entsteht nicht durch radikale Brüche, sondern durch eine behutsame Weiterentwicklung des Bestehenden – funktional, atmosphärisch und digital anschlussfähig. Architektur wird von den beiden nicht als dekorative Hülle, sondern als funktionales Gerüst verstanden, das neue Nutzungen ermöglicht und bestehende Strukturen intelligent öffnet. Apotheken sind heute mehr als Verkaufsorte: Sie sind Beratungszentren, Gesundheitsplattformen und soziale Treffpunkte zugleich.
Der Raum als strategische Ressource
„Zonierung ist der Schlüssel. Große, offene Räume, die man mit Möbeln strukturiert, lassen sich später leicht verändern, ohne dass baulich eingegriffen werden muss“, erklärt Westhausser. Flexibilität wird damit zum zentralen Planungsprinzip. Die Grundrisse müssen so gestaltet sein, dass sie auf neue Technologien, geänderte Abläufe oder neue Dienstleistungen reagieren können – ohne dass Wände versetzt oder Räume neu gebaut werden müssen.
Der Wandel kommt aus zwei Richtungen: von der Technik und vom Menschen. Das e-Rezept bildet den Ausgangspunkt einer digitalen Kette, die Bestellung, Beratung und Ausgabe miteinander verbindet. Apotheken müssen heute in einem Spannungsfeld agieren. Einerseits sollen sie effizient wie eine digitale Plattform funktionieren, andererseits sollen sie die persönliche Nähe bewahren. Eine aktuelle Studie mit dem Titel „Pharmacy 4.0“, die im Transylvanian Medical Journal im Jahr 2022 veröffentlicht wurde, beschreibt die Apotheke der Zukunft als einen Ort, an dem digitale Technologien nahtlos in die täglichen Abläufe integriert sind. Dazu gehören Online-Bestellungen, intelligente Lagerhaltung, vernetzte Beratung und automatisierte Logistik. Die Rolle der Apotheker:innen als Vertrauenspersonen bleibt jedoch entscheidend. Digitalisierung ersetzt keine Kompetenz, sondern erweitert sie.1 Die Branche verändert sich nur langsam. „Architektur muss darauf reagieren, nicht alles neu erfinden“, so Westhausser. Diese Entwicklung eröffnet neue Gestaltungsmöglichkeiten: Apothekenräume sollen digital anschlussfähig sein, aber zugleich vertraut bleiben. Parallel dazu entstehen neue Raumzonen. Click-&-Collect-Bereiche, separate Terminals und Telemedizin-Kabinen verändern die Art und Weise, wie Kund:innen die Apotheke betreten und sich darin bewegen. Digitale Informationsflächen und interaktive Displays rücken ebenso in den Fokus wie diskrete Beratungszonen.
Pilotprojekte wie „Arzt & Apotheke – die Telemedizin der ÖGGK“ aus dem Jahr 2020 zeigen, wie sich medizinische und pharmazeutische Beratung künftig nahtlos verzahnen lassen könnten. Mit einer App kann schnell, sicher und online eine Allgemeinmedizinerin oder ein Allgemeinmediziner konsultiert werden. Und das direkt in der Ameispotheke in Wien in einem separaten Beratungszimmer.2 Damit stehen Architekt:innen vor der Herausforderung, Räume so zu gestalten, dass sie unterschiedlichste Nutzungsformen abbilden. Traditionell war die Offizin der zentrale Ort, an dem Kund:innen dem/der Apotheker:in gegenübertreten. Heute verschiebt sich dieses Zentrum. Digitale Abholstationen, Selbstbedienungsbereiche oder zukünftig Telemedizinräume erzeugen eine neue Topografie des Gesundheitsraums. Anstelle einer linearen, frontalen Situation entsteht ein räumlicher Parcours aus Empfang, Beratung, Interaktion und Abholung. Die Architektur muss hier zum unsichtbaren Navigator werden.
Flexibilität als Planungsprinzip
Die klassische Schlange an der Tara verliert zunehmend an Bedeutung. Es entstehen zwei Haupttypen von Kundschaft: Menschen, die ihre Bestellung schnell und kontaktlos erledigen möchten, und solche, die persönliche Beratung suchen. Diese Veränderung hat unmittelbare Auswirkungen auf die Raumorganisation.
Wartezonen werden heute anders konzipiert: Sie sind multifunktional und flexibel. Kund:innen sollen sich intuitiv orientieren können, ohne sich durch starre Abläufe bewegen zu müssen. Dabei sind Zonierungen, variable Strukturen und modulare Möbel entscheidend. „Zonierung ist der Schlüssel. Große, offene Räume, die man mit Möbeln strukturiert, lassen sich später leicht verändern, ohne dass baulich eingegriffen werden muss“, meint Westhausser.
Große Herausforderungen
Architekt:innen und Apothekenleiter:innen haben eine gemeinsame Aufgabe: Sie sollen zukunftsorientierte Räume schaffen. Das bedeutet vor allem Flexibilität. Die Grundrisse müssen so geplant werden, dass sich später neue Technologien – von Telemedizin bis hin zur Robotik – integrieren lassen, ohne dass alles neu gebaut werden muss. Auch die langfristige Perspektive spielt eine Rolle. „Eine Apotheke sollte so gebaut sein, dass sie in zehn Jahren völlig anders genutzt werden kann, ohne dass sie neu gebaut werden muss“, sagt Westhausser und spielt damit auf die Entwicklung der Apotheken an. Architektur wird somit zur strategischen Ressource. Ein zentrales Element dabei ist die räumliche Struktur. Variable Grundrisse sind maximal anpassungsfähig. Durch Zonierung mithilfe von Möbeln oder mobilen Elementen lassen sich Räume mit relativ geringem Aufwand an neue Bedürfnisse anpassen. So kann eine Fläche, die heute als Beratungszone dient, in einigen Jahren ein Telemedizinraum sein, ohne dass die Gebäudestruktur verändert werden muss. Eine gute digitale Infrastruktur, Schallschutz und Datenschutz sind dabei ebenso relevant wie die räumliche Struktur. Räume müssen Technik ermöglichen, sie aber nicht dominieren lassen. Die Architektur soll die Abläufe unterstützen, aber nicht diktieren. Auch die Kund:innenströme innerhalb der Apotheke müssen bewusst gestaltet werden, um Beratungs- und Expresskund:innen intelligent zu trennen.
Gestaltung, Atmosphäre & Identität
Neben der Funktionalität rückt zunehmend auch die Atmosphäre in den Mittelpunkt. „Farben sind belebend. Mit gezielten Farbakzenten kann man eine Atmosphäre schaffen, die sich komplett von der sterilen Standardapotheke abhebt“, so Westhausser, Gründer der Stadtgut Architekten. Materialien, Lichtführung und Akustik sind nicht nur ästhetische Elemente, sondern sie schaffen auch Vertrauen und prägen das Nutzererlebnis.
Ästhetik & Optik
Auch die Ästhetik ist Teil des Konzepts. Apotheken sind Orte des Vertrauens und keine Laborräume. Licht, Materialauswahl und Atmosphäre sollten Professionalität und Wärme vermitteln. Die größte Herausforderung besteht darin, die Technik unsichtbar zu machen – sie soll einfach funktionieren, ohne zu dominieren.
Der klassische „Apothekenlook“ in Weiß mit seiner kühlen und funktionalen Wirkung verliert zunehmend an Bedeutung. Moderne Apotheken setzen auf mehrstufige Lichtsysteme, um unterschiedliche Zonen zu akzentuieren: hell ausgeleuchtete Beratungsbereiche, weich gedimmte Ruhezonen und Bereiche mit Tageslicht, wie Warte- oder Loungebereiche. Diese Systeme stammen ursprünglich aus der Hotellerie und werden heute gezielt im Gesundheitsbereich eingesetzt, um die Aufenthaltsqualität zu verbessern.
„Viele Apotheken betrachten Architektur immer noch als reine Hülle. Dabei ist sie Teil der Identität“, appelliert Westhausser an die Apothekerschaft. Die Architektur prägt, wie Kund:innen einen Ort wahrnehmen, wie sie sich darin bewegen und wie lange sie dort verweilen. Auch oder genau wegen der digitalen Veränderungen der kommenden Jahre soll jede Apotheke ihren individuellen Charakter behalten.
Geht es nach den Architekt:innen, so wird die Apotheke der Zukunft ein Ort, an dem Beratung, Service und Digitalisierung in Einklang stehen. Sie bleibt ein persönlicher, vertrauensvoller Raum – erweitert um neue Dienstleistungen, telemedizinische Angebote und flexible Raumkonzepte. Westhausser fasst zusammen: „Architektur muss auf die Entwicklung reagieren, nicht alles neu erfinden.“ Auf den Punkt gebracht, wird die Apotheke der Zukunft genau das sein, was sie aktuell auch ist, nur besser.
Interview mit Dipl.-Ing. Herbert Panek: „Es kommen Veränderungen auf uns zu, die noch nicht abschätzbar sind“
Die Digitalisierung bringt auch im Apothekenbereich große Veränderungen. Die ÖAZ hat mit Dipl.-Ing. Herbert Panek darüber gesprochen, wie der Apothekenraum der Zukunft aussehen wird.
ÖAZ Wenn Sie an die Apotheke des Jahres 2030 denken, ist es mehr eine Evolution als eine Revolution?
Dipl.-ING. Herbert Panek Grundsätzlich stellt sich immer die Frage, wovon man ausgeht. Wir haben seit jeher das Problem, dass sich manche Einrichterfirmen, die im Apothekenbereich tätig sind, meiner Meinung nach zu stark am deutschen Markt orientieren. In meinem Wunschdenken wird die Apotheke der Zukunft das werden, was sie heute schon sein kann: ein Ort mit mehr Dienstleistungen, näher an der Kundschaft und stärker an den Interessen der Patient:innen orientiert. Die Apotheke soll die kompetente Anlaufstelle sein.
ÖAZ Wie kann gute Raumgestaltung das Vertrauen zwischen Patient:innen und Apotheker:innen stärken?
Panek Der soziale Aspekt ist entscheidend. Wenn wir an die Apotheke 2030 oder 2040 denken, dürfen wir nicht vergessen: Die digitale Welt wird dann keine Barriere mehr darstellen. Die Kund:innen der Zukunft – auch die älteren Generationen – werden sich digital souverän bewegen und daraus Vorteile ziehen. Umso wichtiger wird der Dienstleistungsbereich, also jener Raum, in dem ich mich in Ruhe mit Patient:innen zusammensetzen kann. Dieser Bereich wird künftig noch an Bedeutung gewinnen.
ÖAZ Wie sieht der zukünftige Raum aus?
Panek Der Raum muss „lesbar“ sein – er muss Orientierung bieten. Kund:innen sollen auf Anhieb erkennen, wo sie was finden: Gehe ich in den Freiwahlbereich, zu einer Tischpräsentation, ans Regal an der Wand oder zur Tara? Das alles muss stimmig sein. Wenn der Raum Orientierung und Einschätzbarkeit vermittelt, entsteht ein Sicherheitsgefühl. Und nur auf dieser Basis können die Kund:innen sich den präsentierten Angeboten wirklich zuwenden. Akustik, Beleuchtung, Materialien, Oberflächen – all das sind zentrale Planungskriterien. Ziel ist,
den Raum so zu gestalten, dass der Kunde bzw. die Kundin inneren Stress abbaut und offen auf das Produkt zugeht. Wenn das gelingt, ist auch der wirtschaftliche Erfolg der Apotheke gewährleistet. Raumpsychologie darf bei der Planung nicht außer Acht gelassen werden.
ÖAZ Welche architektonischen Lösungen haben sich bewährt, um Räume modular und anpassbar zu gestalten?
Panek Man muss für jeden Standort das richtige Rezept finden – und die Möblierung muss flexibel genug sein, darauf Rücksicht zu nehmen. Wichtig bleibt die Präsentation. Einen Click-&-Collect-Bereich gibt es ja schon in vielen Apotheken, das ist keine Zukunftsmusik mehr. Das Regalsystem ist einer der Schlüsselfaktoren: Es muss funktionieren, modular und individuell gestaltbar sein, Orientierung schaffen und Ruhe in den Raum bringen. Jedes Projekt ist jedoch einzigartig, weil die räumlichen Gegebenheiten immer unterschiedlich sind. Zugleich soll jede Apotheke ihren eigenen Charakter haben – niemand möchte wie eine Kette aussehen oder ein Standardprodukt sein. Wir müssen uns darauf einstellen, dass Veränderungen kommen, die heute noch schwer einschätzbar sind. Deshalb versuche ich, Raumtrennungen möglichst ohne fixe Wände zu gestalten – stattdessen mit Möblierung. Diese Flexibilität und Individualität werden auch im Beratungsbereich immer wichtiger. Beratung braucht Intimität, idealerweise in einem kleinen, abgeschirmten Raum. Für die Zukunft sollte der Raum zudem so konzipiert sein, dass neue Aufgaben – etwa das Impfen in der Apotheke – problemlos integriert werden können. Wir haben auch schon Apotheken geplant, die ein Einbahnsystem ermöglichen: Der Kunde bzw. die Kundin betritt den Raum von einer Seite und verlässt ihn auf der anderen, sodass keine Begegnungen stattfinden.
ÖAZ Vielen Dank für das Gespräch.