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Antibiotic Stewardship an einer Kinderklinik

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Antibiotic Stewardship an einer Kinderklinik © Shutterstock
Antibiotic Stewardship an einer Kinderklinik © Shutterstock

Antibiotika-Verbrauchs-Surveillance (AVS)

Alles begann im Jahr 2012 mit einem Anruf von Dr. Ariane Biebl, der Antibiotika-beauftragten Ärztin der Kinderklinik. Bei unserem ersten Treffen im September wurde vieles besprochen und festgelegt, was die folgenden Jahre wesentlich werden sollte. 

Strukturelle Charakteristik des AVS:

• Zuerst legten wir fest, welche Stationen für die Auswertung zusammengelegt und welche separat betrachtet werden. 

• Durch den Vergleich der Abteilungen innerhalb der Kinderklinik generieren wir eine Art internen Standard. Um wie viel verbrauchen Interne und Chirurgie weniger als Onkologie und Intensiv? Wie verändert sich diese Ratio im Laufe der Jahre? Dieser interne Standard war ein Schlüsselfaktor, der sich noch 13 Jahre später als richtig erweist. 

• Primäres Interesse liegt auf parenteralen Antibiotika; wir wählten die Anzahl der verbrauchten Ampullen als Maß des Verbrauches. 

DAS EAHP-STATEMENT 1.4

Alle Krankenhäuser sollten Zugang zu einem/einer
Krankenhausapotheker:in haben, der/die die Gesamtverantwortung für die sichere, effiziente
und optimale Anwendung von Arzneimitteln hat.
Die Gesundheitsbehörden sollten dafür sorgen,
dass jede Krankenhausapotheke von einem/
einer Apotheker:in beaufsichtigt wird, der/die über eine angemessene Erfahrung in der Arbeit in der Krankenhausumgebung sowie klare Kompetenz
in der Krankenhauspharmazie verfügt.

Warum Ampullen und nicht DDD (Defined Daily Dose)? Ehrlich gesagt: Keiner von uns wusste damals über Verbrauchsberechnung im Antibiotic Stewardship und über DDD Bescheid. 

Die ersten Analysen zeigten, dass außer der Zahl an verbrauchten Ampullen auch ein Nenner im Algorithmus benötigt wird, der die Patient:innenzahl repräsentiert und so realistische Daten liefert. Die Auswertungen wurden von mir damals sehr kreativ in durchschnittlicher Ampullenzahl pro Aufnahmen pro Monat dargestellt, heruntergebrochen auf die einzelnen Abteilungen und Antibiotikaklassen. Bereits zu diesem frühen Zeitpunkt hat unsere Tätigkeit hohes Interesse vonseiten der Abteilungsleiter und des damaligen ärztlichen Direktors Prof. Klaus Schmitt ausgelöst. Die Treffen ab 2013 wurden von Prof Schmitt, Hygienefachkraft Mathilde Hackner und von der medizinischen Mikrobiologie mit Dr. Stefan Doppler begleitet. Dort kam zum ersten Mal die Frage nach DDD und Belagstagen auf. In den folgenden Wochen rechnete ich alles in DDD pro Belagstage um, aber es passte nicht. Das Feedback der Abteilungen ergab, dass die Ergebnisse plötzlich unrealistisch aussehen. Warum? Jetzt war es an der Zeit, sich mit dem Thema AVS ernsthaft auseinanderzusetzen.

Tabelle-1 © APOverlag
Tabelle-1 © APOverlag

Resultate 

1 Es gibt weltweit keinen Konsensus, wie man den Antibiotikaverbrauch in Kinderkliniken oder im pädiatrischen Bereich berechnet. Manche zählen die Tage des Antibiotikaverbrauches (DOT), andere erheben die prescribed daily dose (PDD), die meisten berechnen überhaupt nicht und exkludieren die Pädiatrie einfach.

2 Die tiefergehenden Daten des Controllings sind äußerst komplex. Ich konnte in Sandra Schelenz jemanden finden, der sich in meine Gedanken hineinversetzt und mir das Wesen näherbrachte, das hinter den oberflächlichen Zahlen steht. Die Lösung zu einigen der komplexen Fragen liegt in der genauen Bedeutung und Anwendung der Controlling-Parameter: Aufnahmen, Zugänge und PID (patient identity)-Zugänge.

3 Vor allem jene Abteilungen mit kleinen Kindern merkten an, dass die Darstellung in DDD/Belagstagen nicht die Realität widerspiegelt. Ein Erwachsenenspital (KH Rohrbach) wurde als Vergleichsparameter eingeführt.

4 Ich beschloss, meine aHPh-Fachbereichsarbeit der Suche nach einem geeigneten Algorithmus zu widmen. 

Der Algorithmus 

Die ursprüngliche Idee mit den Ampullen- und Aufnahmezahlen war richtig. Wir haben das System aber weiterentwickelt: Anstelle der Aufnahmezahlen nutzen wir jetzt die Zugangszahlen, damit auch Patientenverlegungen erfasst werden. Zusätzlich verwenden wir die Patienten-ID, um Doppelzählungen zu vermeiden – zum Beispiel bei Tagesklinikpatient:innen oder wenn Patient:innen zwischen Stationen verlegt werden, die vom gleichen Medikamentenlager versorgt werden. Die Herangehensweise „Zugänge statt Belagstage“ erlaubt realistischere Vergleiche zwischen den Stationen, vor allem bei Intensiv und Onkologie.

Ampullen unabhängig ihrer Stärke eliminieren das unterschiedliche Körpergewicht, was erlaubt, Säuglingsstationen mit älteren Kindern und Jugendlichen zu vergleichen. Ideal wären DOT (days of treatment) oder LOT (length of treatment), allerdings hatten wir damals noch keine elektronische Fieberkurve. Tatsächlich erschienen sechs Jahre später Publikationen, welche die Ampullenzahl als Parameter für Stewardship in der Pädiatrie untersuchten1 und bereits einsetzten, um globale Entwicklungen des Verbrauches zu messen und zu vergleichen.2 

Abbildung 2b © APOverlag
Abbildung 2b © APOverlag

Die Einbeziehung der Mikrobiologie

Im Winter 2015 kam es bei Säuglingen auf unserer PICU zu Todesfällen durch 4-MRGN Acinetobacter baumanii (multiresistente gramnegative Stäbchen mit Resistenz gegen vier Antibiotikagruppen), die Schlagzeilen auf der Titelseite der Kronen Zeitung zur Folge hatten. Die Aufarbeitung dieses Ausbruchs führte zum Bewusstwerden der Resistenzsituation einer pädiatrischen Spezialklinik. Die Kinderklinik Linz hat in Oberösterreich ein weites Einzugsgebiet ihrer Patient:innen, bis hin in das südosteuropäische Ausland mit entsprechender Resistenz-Charakteristik. Hinzu kommt die hohe Präsenz von Mukoviszidose und angeborenen Immunschwächen. Ab 2016 begann ich mich mit den mikrobiellen Resistenzdaten zu beschäftigen. Es begann eine spannende Zeit mit der medizinischen Mikrobiologie. 

Auswertung der Resistenzdaten

Mikrobiologische Resistenzdaten werden üblicherweise in Form von Excel-Tabellen präsentiert. Es war für mich schwierig, die Resistenzsituation auf einen Blick herauslesen, und ich stellte fest, dass es anderen ähnlich erging. Wenn Veränderungen über die Jahre verglichen werden sollen, ungewöhnliche Resistenzmuster auftreten und die Quelle der Isolate differenziert betrachtet werden soll, ist das durch Excel-Tabellen schwierig darzustellen. 

Mit Unterstützung von Dr. Doppler arbeitete ich an den Rohdaten, um die Aussagekraft zu verbessern. Jedes einzelne Isolat im Jahresbericht der Stationen und Ambulanzen wurde grob nach Gram-Färbung und weiter nach Resistenz und Quelle des Isolates differenziert. Das Resultat ergibt eine grafische Darstellung der zeitlichen Resistenzsituation einer Abteilung über die Jahre, aufgetrennt nach „invasiven“ Isolaten (Blutkulturen, Liquorpunktate etc.) und den „weniger invasiven“ (externe Abstriche, Sputum etc.). Bisher ist diese Art der Auftrennung nur manuell möglich.

Wenn eine derartige Resistenzauswertung zusammen mit den AVS-Daten präsentiert wird, hat das einen enormen Impact. Ich erinnere mich gut an ein Gespräch mit einem leitenden Arzt. Wir hatten einen Termin ausgemacht und er hatte überraschend nur fünf Minuten Zeit. Während wir gemeinsam die Ergebnisse ansahen und besprachen, vergaß er auf die Zeit, es wurden 10, 15, 20 Minuten, obwohl mehrmals Anrufe kamen und ihn erinnerten, dass er im OP erwartet wird. In diesem Moment war mir klar, ein Level erreicht zu haben, auf dem die Daten ausreichend aufbereitet und plastisch geworden waren. 

Der Weg zur Routine

Ab 2018 hat sich in unserer Surveillance eine Routine entwickelt: zuerst die AVS-Auswertung bis Ende Jänner abschließen, gefolgt von der Resistenzauswertung; dabei immer Besprechung und Feedback mit Dr. Biebl und Stefan Doppler. Vor der Präsentation der Gesamtergebnisse im Rahmen der internen Ärztefortbildung am Med Campus IV werden Stations-spezifische Daten mit den Abteilungsleiter:innen besprochen. Die Surveillance Daten müssen aktuell sein. Wichtig ist anzumerken, wenn beobachtete Veränderungen im Verbrauch möglicherweise von der ABS-Aktivität der beiden Vorjahre hervorgehen. 

Ich erinnere mich an einen Samstags-Workshop von Dr.
Ulrike Porsche (Landesapotheke Salzburg) zum Thema Antibiotic Stewardship im September 2014. Sie erwähnte die drahtige, nach allen Richtungen hin bewegliche und verbindende Gestalt des „Helferleins“ von Walt Disney’s Daniel Düsentrieb. Die Figur dieses Helferleins ist tatsächlich repräsentativ für den ABS-Pharmazeuten/die ABS-Pharmazeutin. Jahre später ist mir meine Funktion als Vernetzer zwischen Mikrobiologie, Controlling, Hygiene, Apotheke und Infektiologie bewusst geworden. Wir waren auf dem richtigen Weg und in einem wesentlichen Teil des ABS sogar der Zeit voraus. 

Über den späteren Austausch mit Graz und die Erfahrungen vom BC Children‘s Hospital in Vancouver lesen Sie in Teil 2
in der ÖAZ 16/25.

Der direkte Kontakt zum Arbeitskreis Krankenhauspharmazie
der ÖAZ per E-Mail: arbeitskreis.oeaz@krankenhausapotheke.at. Wir freuen uns über Rückmeldungen und Themenvorschläge.

Mag. pharm. Dr. Hans-Jürgen Gober, aHPh

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