Therapieentscheidung – ein Fallbeispiel
Um die adäquate Therapie zu veranschaulichen, stellte Dr. Attarbaschi einen Fall vor: ein vierjähriges Mädchen mit Fieber seit drei Tagen, leicht erhöhter Atemfrequenz und bronchitischen Atemgeräuschen. Blutbild war unauffällig, CRP leicht erhöht, und das Röntgen zeigte peribronchitische Veränderungen mit unklaren Flecken. Die behandelnde Ärztin verschrieb Amoxicillin. Attarbaschi hinterfragte dies kritisch: „Das war kein leitliniengerechtes Verhalten. Dieses Kind hatte mit höchster Wahrscheinlichkeit eine virale Pneumonie.“ Er erklärte, dass ein „watchful waiting“ ohne Antibiotika und unnötige Diagnostik bei nicht schweren Fällen empfohlen wird.
Entwicklung des Erregerspektrums
Seit Einführung der Impfprogramme für Pneumokokken und Haemophilus influenzae haben sich die auslösenden Erreger der Pneumonien deutlich in Richtung virale Erreger verschoben. Die ambulant erworbene Pneumonie (CAP) betrifft Kinder zwischen vier Wochen und 18 Jahren ohne relevante Vorerkrankungen. Bei Kindern unter fünf Jahren ist sie die häufigste infektionsbedingte Todesursache. Die S2k-Leitlinie unterscheidet „nicht schwere“, „schwere“ und „sehr schwere“ Pneumonie, basierend unter anderem auf der Sauerstoffsättigung und der Fähigkeit zur Flüssigkeitsaufnahme. Als zentraler prädiktiver Faktor wurde die Hypoxämie hervorgehoben.
Die Diagnose wird klinisch gestellt
Attarbaschi formulierte klar die zentrale Aussage der Leitlinie: „Die Diagnose der ambulant erworbenen Pneumonie des Kindes- und Jugendalters wird primär klinisch gestellt.“ Hierbei spielen die Kombination von respiratorischen Symptomen, wie Atemnot, Husten oder thorakalen Schmerzen sowie Allgemeinsymptomen wie Fieber, Inappetenz/Nahrungsverweigerung, aber auch Bauchschmerzen, Inaktivität oder Vigilanzveränderung, eine große Rolle. Symptome sind aber oft variabel, unspezifisch oder können auch fehlen. Generell zeigen Fieber und Tachypnoe die höchste Spezifität zur pCAP-Diagnose an. Bluttests, PCR und Röntgen sind bei nicht schweren Pneumonien nicht routinemäßig notwendig. Er wies darauf hin, dass weder Röntgen noch Entzündungsparameter verlässlich zwischen viralen und bakteriellen Infektionen differenzieren können. Die periphere Sauerstoffsättigung müsse jedoch bei jedem Kind mit Atemproblemen gemessen und dokumentiert werden. Nicht schwere Pneumonien können ambulant versorgt werden. Eine schwere Pneumonie muss stationär behandelt werden, in erster Linie Hypoxämie und/oder ausgeprägte Minderung von Nahrungs- und Flüssigkeitszufuhr definieren diese. Sollte die häusliche und/oder medizinische Betreuung allerdings nicht gesichert sein (soziale Indikation), kann auch eine nichtschwere Pneumonie stationär aufgenommen werden.
Risikofaktoren für einen schweren Verlauf oder Komplikationen sind junges Lebensalter (< 24 Monate, < 6 Monate höchstes Risiko), Hypoxämie mit Sauerstoffsättigung < 90%, vermehrte Atemarbeit, Tachypnoe, Sepsis- bzw. Schock-assoziierte Befunde oder radiologische Befunde. Wichtig: Um den Verlauf abzuschätzen, eignen sich Biomarker (Procalcitonin oder CRP) nur mäßig. CRP steigt beispielsweise oft erst später an.
Wann sind Antibiotika gerechtfertigt?
Attarbaschi erläuterte die Bedeutung des abwartenden Verhaltens bei viralen Infektionen: „Kinder mit obstruktiver Symptomatik und klaren viralen Zeichen sollten keine Antibiotika bekommen.“
Wenn Antibiotika notwendig sind, empfiehlt die Leitlinie bei bakterieller pCAP Amoxicillin oral mit 50 mg/kg KG/Tag über fünf Tage als Mittel der Wahl. Cephalosporine sollten in der primären Therapie nicht zur Anwendung kommen. Bei schweren Verläufen, gesicherter Penicillinallergie oder Mykoplasmen-Pneumonien werden Makrolide empfohlen. Zur Behandlungsdauer sagte Attarbaschi: „Fünf Tage Therapie reichen in der Regel aus, auch wenn viele Ärzt:innen noch länger behandeln.“
- Wenn möglich, können Antibiotika auch bei schwerer pCAP primär oral verabreicht werden.
- Eine i.v. begonnene Behandlung sollte bei klinischer Besserung auf die orale Verabreichung umgestellt werden.
- Bei pCAP ohne Komplikationen soll die antibiotische Therapie unabhängig vom gewählten Antibiotikum maximal 5 Tage angewendet werden – bei pCAP und Komplikationen mindestens 7 Tage mit entsprechender Anpassung an den individuellen klinischen Verlauf.
Verlauf, Nachsorge und Komplikationen
Die meisten Kinder erholen sich bei adäquater Versorgung innerhalb von 48 bis 72 Stunden. Eltern und Betreuungspersonen sollen über Warnzeichen für Verschlechterung informiert werden. Nichtansprechen auf Therapie oder Komplikationen wie Pleuraerguss erfordern weitere Diagnostik und möglicherweise stationäre Behandlung. Attarbaschi betonte, dass bei Verschlechterung die Diagnose immer wieder überprüft werden müsse.
Prävention: Hygiene, Impfung und Risikominimierung
Präventive Maßnahmen umfassen konsequente Händehygiene, Rauchvermeidung und gute Ernährung. Ein Schwerpunkt liegt auf Impfungen gegen Pneumokokken, Haemophilus influenzae Typ B, Keuchhusten, Influenza und SARS-CoV-2, die viele Pneumonien verhindern können. „Die konsequente Impfung unserer Kinder gemäß aktuellen nationalen Empfehlungen trägt entscheidend zur Vermeidung von ambulant erworbenen Pneumonien bei“, so Attarbaschi.
Umgang in der Apotheke
In der anschließenden Diskussion führte der Vortragende aus, dass auch Otitis media und Tonsillitis ähnlich rational und häufig ohne sofortigen Antibiotikaeinsatz behandelt werden sollten. Zum Umgang in Apotheken mit Pneumonien empfahl er ein „Minimal Handling“ und den konsequenten Einsatz von Ibuprofen zur Schmerz- und Fiebersenkung, ohne übermäßige Zusatztherapien.
Fazit
Dr. Attarbaschi liefert mit seinem Vortrag eine fundierte und praxisnahe Orientierung für Apotheker:innen und medizinisches Fachpersonal zur aktuellen Leitlinie für ambulant erworbene Pneumonien bei Kindern. Er unterstreicht die Bedeutung der klinischen Diagnosestellung, die Vermeidung unnötiger Diagnostik und eines rationalen Antibiotikaeinsatzes. Ein exemplarisches Fallbeispiel zeigt typische Fehlentscheidungen und den richtigen, evidenzbasierten Umgang. Die konsequente Prävention durch Impfungen und Hygiene bleibt ein zentrales Element. Sein Appell lautet: „Wir müssen Antibiotika verantwortungsvoll und zielgerichtet einsetzen, um Resistenzentwicklung zu verhindern und die Versorgung unserer Kinder zu verbessern.“