
Der 3D-Druck hat bereits in viele Branchen Einzug gehalten. Nun könnte er auch die Pharmaindustrie revolutionieren. Völlig individuell anpassbare Medikamente könnten dann auf die Bedürfnisse der einzelnen Patient:innen zugeschnitten werden. Beim 3D-Druck von Medikamenten werden pharmazeutische Wirkstoffe Schicht für Schicht zu einer Tablette oder einem Implantat aufgebaut. Diese Methode ermöglicht eine präzise Dosierung und die Kombination mehrerer Wirkstoffe in einer einzigen Darreichungsform. Bereits im Jahr 2015 gab es ein Pionierprojekt: Spritam® (Levetiracetam) wurde als erstes 3D-ge-drucktes Medikament durch die US-amerikanische Food and Drug Administration (FDA) zugelassen. Dieses Antiepileptikum nutzt die ZipDose®-Technologie, um hoch dosierte Tabletten herzustellen, die sich schnell im Mund auflösen.
Große Vorteile & Rolle der Apotheke
Die Vorteile der Tabletten aus dem 3D-Drucker liegen auf der Hand. Medikamente könnten individuell an die Patient:innen anpassbar produziert werden. Außerdem könnten mehrere Medikamente in einer einzigen Tablette kombiniert werden. Apotheken könnten Medikamente direkt vor Ort drucken, was die Lieferketten verkürzt und die Verfügbarkeit erhöht. Statt vorgefertigte Medikamente zu verkaufen, könnten Apotheker:innen in Zukunft maßgeschneiderte Arzneimittel direkt vor Ort drucken – individuell abgestimmt auf Dosierung, Wirkstoffe und Verträglichkeit. Sie übernehmen dabei nicht nur die technische Bedienung des Druckers, sondern auch eine zentrale Rolle in Beratung, Risikoabwägung und Qualitätssicherung. Die regulatorischen Hürden sind aber groß, denn bei individuell gedruckten Tabletten wären herkömmliche Prüfverfahren schlicht wirkungslos.
Interview Univ.-Prof. Dr. Lea Ann Dailey

ÖAZ Frau Dailey, wie weit ist die Forschung im Bereich des 3D-Drucks von Medikamenten aktuell fortgeschritten?
Univ.-Prof. Dr. Lea Ann Dailey Es wird momentan viel auf diesem Gebiet geforscht und die verschiedenen Drucktechnologien entwickeln sich schnell. Interessanterweise gibt es bereits seit 2015 Tabletten aus dem 3D-Drucker (auch „Printlets“ genannt) auf dem Markt. Jedoch ist nur ein Medikament zugelassen, und zwar das Epilepsiemedikament Spritam. Warum gibt es keine weiteren Produkte? Noch ist die Medikamentenherstellung mittels 3D-Drucker zu teuer, um die herkömmlichen Herstellungsmethoden zu ersetzen.
ÖAZ Welche Vorteile bietet der 3D-Druck von Arzneimitteln im Vergleich zur klassischen Herstellung?
Dailey Zu den Vorteilen dieses Herstellungsverfahrens gehört ein großer Gewinn bei der Dosisflexibilität, d. h. Patienten können eine maßgeschneiderte statt einer genormten Menge an Wirkstoff erhalten. Das ist gerade bei Arzneimitteln für Kinder oder ältere Patienten vorteilhaft. Zudem kann der 3D-Drucker Medikamente in unterschiedlichen Größen, Formen und Wirkstofffreisetzungsprofilen bzw. -kombinationen (sogenannte Polypillen) herstellen
ÖAZ Wie könnte der 3D-Druck die individuelle Medikamentenversorgung revolutionieren – Stichwort „personalized medicine“?
Dailey Zum Gebiet der „personalized medicine“ gehört auch das Konzept der individuellen Dosisanpassung beim einzelnen Patienten. Wie oben erwähnt, können 3D-Drucker Medikamente produzieren, die genau für bestimmte Patienten gedacht sind.
ÖAZ Welche Rolle könnten Apotheken künftig im Prozess des 3D-Drucks von Medikamenten übernehmen?
Dailey Für eine Herstellung von 3D-gedruckten Medikamenten in Apotheken sind wir noch sehr weit davon entfernt. Es fehlen Studien zur Qualität der so hergestellten Medikamente in Bezug auf Parameter wie Gleichförmigkeit des Wirkstoffgehalts oder Wirkstoffstabilität. Da die Qualitätsstandards von Medikamenten sehr hoch sind, brauchen Gesetzgeber zuerst umfangreiche Daten zur Qualität und Unbedenklichkeit, bevor diese Technologie in Apotheken eingesetzt werden kann. Die ersten 3D-Drucker werden wahrscheinlich in Krankenhausapotheken zugelassen, weil dort die benötigte Infrastruktur für Medikamentenherstellung und -prüfung vorhanden ist.
ÖAZ Wie verändert sich durch den 3D-Druck die Beziehung zwischen Patientinnen, Apothekerinnen und Ärztinnen?
Dailey Ich würde keine großen Veränderungen in der Beziehung zwischen Patientinnen, Apothekerinnen und Ärztinnen erwarten. Das 3D-Drucken von Medikamenten ist ein weiteres Werkzeug im Kasten, um der Bevölkerung eine optimale Gesundheitsversorgung zu bieten.
ÖAZ Welche Wirkstoffe oder Medikamententypen eignen sich besonders gut für den 3D-Druck – und bei welchen stößt die Technik an ihre Grenzen? Gibt es hier Beispiele?
Dailey Leider kann man nicht pauschal sagen, welche Medikamententypen oder Wirkstoffe sich für diese Technologie besonders gut eignen, weil wir noch zu wenig Forschungsergebnisse haben. Einzelstudien berichten, dass manche Wirkstoffe bei manchen Druckverfahren temperaturempfindlich sind und sich abbauen. Beispiele sind Prednisolon (ein Steroid) und 4-Aminosalicylsäure (ein Medikament gegen entzündliche Darmerkrankungen). Daher ist zu erwarten, dass – wie in der herkömmlichen Arzneimittelentwicklung – zuerst ein vollständiger, mehrjähriger Entwicklungsprozess stattfinden muss, bevor Produkte aus dem 3D-Drucker zugelassen werden können. Das ist aber richtig so, sonst kann die Qualität der Medikamente nicht sichergestellt werden.
ÖAZ Wie wird sich Ihrer Meinung nach die Ausbildung in der Pharmazie durch neue Technologien wie den 3D-Druck verändern müssen?
Dailey Der Lehrinhalt des Pharmaziecurriculums wird immer auf dem aktuellen Stand der Wissenschaft gehalten. Herstellungsmethoden, die keine Rolle in der Praxis mehr spielen, werden in meiner Vorlesung durch neue Methoden – wie dem 3D-Druck – ersetzt. Es gibt viel Wandel auf unserem Gebiet und es ist äußerst wichtig, eine gute Beziehung zur Industrie zu pflegen, um die neuesten technologischen Entwicklungen mitzubekommen.
ÖAZ Was wünschen Sie sich von der Politik und den Gesundheitsbehörden, um Innovationen wie den 3D-Druck schneller in die Versorgung zu bringen?
Dailey Obwohl Wissenschaftler immer darüber berichten, dass sie mehr Fördergelder brauchen, halte ich es in diesem Fall für äußerst sinnvoll. Wie bereits erwähnt, fehlen noch ausreichende Informationen zur Qualität, Stabilität und Unbedenklichkeit von 3D-gedruckten Medikamenten. Diese Studien werden nicht – wie klassische Medikamente – von großen Pharmafirmen finanziert, sondern momentan hauptsächlich über die öffentliche Förderung von Forschungsstudien. Daher braucht diese Innovationsform alternative Finanzierungsmodelle für die Entwicklung. Jedoch gibt es viel Bewegung im wissenschaftlichen Bereich und ich bleibe gespannt, wie die Entwicklung weitergeht.