Hoffnung auf neues Wachstum

Alopezie nach Chemotherapie richtig begleiten

Mag. pharm.

Tina

Graßer

,

BSc.

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Haarkamm © Shutterstock
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Er gilt als eines der sichtbarsten und emotional belastendsten Zeichen einer onkologischen Behandlung: Haarausfall. Die Krebsdiagnose und die damit einhergehenden Chemotherapien bedeuten nicht nur eine massive körperliche, sondern auch eine tiefgreifende seelische Herausforderung. Der Erhalt der Haare kann in dieser Ausnahmesituation ein wichtiges Gefühl von Normalität vermitteln und somit wesentlich zum psychischen Wohlbefinden beitragen.


Biochemische Ursachen des Haarverlusts


Bis zu zwei Drittel aller Patient:innen entwickeln im Verlauf einer Chemotherapie eine klinisch relevante Alopezie. Nicht jede zytostatische Behandlung führt jedoch zwangsläufig zu Haarausfall. Entscheidend ist der jeweilige Wirkmechanismus der eingesetzten Substanzen. Die Chemotherapien, die zu Haarausfall führen, zielen auf die schnell proliferierenden Zellen im Körper ab. Dies sind einerseits die malignen Tumorzellen und andererseits die Zellen der Haarfollikel. Rund 90 % der Kopfhaare befinden sich in der aktiven Wachstumsphase, der sogenannten Anagenphase. Wird die Zellteilung in den Haarfollikeln durch die Chemotherapie beeinträchtigt, kommt es zu einem abrupten Wachstumsstopp, dem Anagen-Effluvium. Dieser Prozess betrifft nicht nur die Kopfhaare, sondern häufig auch Wimpern, Augenbrauen und andere Körperhaare, was den kosmetischen und psychischen Leidensdruck zusätzlich verstärken kann. 

Bestimmte Chemotherapien verursachen häufiger und auch stärkeren Haarausfall als andere. Auch die Dosis und die Behandlungsdauer haben einen erheblichen Einfluss auf den Haarausfall. Die Schädigung der Haarfollikel ist kumulativ und nimmt mit fortschreitender Therapiedauer zu. Besonders häufig und ausgeprägt tritt eine CIA bei der Anwendung von Anthrazyklinen wie Doxorubicin und Epirubicin oder den Taxanen wie beispielsweise Paclitaxel oder Docetaxel, auf.

Um die seelische Last des Haarausfalls während der Chemotherapie zu lindern, können psychische Unterstützung, sanfte Pflege und in manchen Fällen „Scalp Cooling“ helfen. © Shutterstock
Um die seelische Last des Haarausfalls während der Chemotherapie zu lindern, können psychische Unterstützung, sanfte Pflege und in manchen Fällen „Scalp Cooling“ helfen. © Shutterstock


Empathie als erste Therapie


Auch der durch die emotionale Belastung ausgelöste Stressfaktor darf nicht unterschätzt werden und kann den Haarausfall zusätzlich verstärken. Psychischer Stress beeinflusst über hormonelle und immunologische Mechanismen die Aktivität der Haarfollikel und kann somit die Ausprägung einer CIA verstärken. 
Ein offenes, validierendes und empathisches Beratungsgespräch in der Apotheke kann betroffenen Patient:innen Orientierung, Trost und Sicherheit bieten. Dabei sollte vermittelt werden, dass der Haarausfall in der Regel vorübergehend ist. Nach Abschluss der Therapie wachsen die Haare meist wieder nach, oft jedoch mit einer veränderten Farbe oder Textur. Dies lässt sich auf die Veränderungen der Haarfollikel während der Regeneration zurückführen. Doch auch diese Veränderung der Haare normalisiert sich meist sechs bis zwölf Monate nach Beendigung der Therapie wieder.


Sanfte Pflege und wirksame Kühlung – Strategien gegen Haarverlust


In manchen Fällen jedoch wachsen die Haare nach der Behandlung nur sehr spärlich oder gar nicht mehr nach. Diese anhaltende Form der Alopezie wird auch pCIA (persistierende Chemotherapie-induzierte Alopezie) genannt und wird als eigenständige Erkrankung verstanden. Nicht nur die Zellteilung, sondern auch entzündliche und fibrinolytische Prozesse behindern die Regeneration. Leider gibt es noch keine pharmakologisch gesicherte Methode zur vollständigen Verhinderung des Haarausfalls. Es stehen jedoch einige Ansätze zur Verfügung, die helfen können, den Haarverlust zu mildern und die Regeneration der Haare nach der Chemotherapie zu unterstützen.
Grundsätzlich sollten Patient:innen auf milde, pH-neutrale und duftstofffreie Shampoos zurückgreifen. Auch feuchtigkeitsspendende topische Anwendungen können Spannungsgefühle und Juckreiz der Kopfhaut lindern. Hier kann man zu Produkten mit Aloe vera, Bisabolol oder Panthenol greifen. Nach Abschluss der Chemotherapie können Haarpflegeprodukte mit Biotin, Keratin oder Peptiden unterstützend angewendet werden, wenngleich deren Wirksamkeit bislang nicht eindeutig belegt ist. Auch ein ausreichender UV-Schutz der Kopfhaut in Form von Kopfbedeckungen oder Sonnenschutzprodukten ist unerlässlich. Zusätzlich sollte man Patient:innen darüber informieren, auf aggressive Färbemittel während und nach der Chemotherapie zu verzichten. Ebenso wichtig ist es, das Vertrauen der Patient:innen zu fördern und ihnen das Gefühl zu vermitteln, dass sie aktiv zur Unterstützung der Haarregeneration beitragen können.

Patient:innen profitieren von milden, pH-neutralen Shampoos sowie beruhigender Pflege mit Aloe vera, Bisabolol oder Panthenol, die Spannungs­gefühle und Juckreiz der Kopfhaut lindern. © Shutterstock
Patient:innen profitieren von milden, pH-neutralen Shampoos sowie beruhigender Pflege mit Aloe vera, Bisabolol oder Panthenol, die Spannungs­gefühle und Juckreiz der Kopfhaut lindern. © Shutterstock



Es gibt einige Methoden, um die Haare schon während der Therapien zu schützen. Die einzige klinisch bewährte Präventionsmaßnahme stellt die Kopfhauthypothermie dar. Beim sogenannten „Scalp Cooling“ werden die Haarfollikel mit Hilfe einer Kühlkappe auf unter 19 Grad gekühlt. Durch die Kälte kommt es zu einer Vasokonstriktion, wodurch die Durchblutung der Kopfhaut vermindert und die Aufnahme der Chemotherapeutika in die Haarfollikel reduziert wird. Zusätzlich verlangsamt sich durch die niedrige Temperatur die Aktivität der Haarfollikelzellen, die sich somit nicht mehr ganz so schnell teilen und dadurch weniger anfällig für Chemotherapeutika sind. Bei etwa 50–70 % der Patient:innen wirkt diese Maßnahme gegen Haarausfall. Auch hier gibt es Unterschiede, je nachdem, welches Chemotherapeutikum verabreicht wird: Patient:innen, die mit Taxanen behandelt werden, sprechen auf das Scalp Cooling besser an als jene, die mit Anthrazyklinen therapiert werden. Leider eignet sich die Kopfhautkühlung nicht für alle Krebs-Patient:innen: Bei hämatologischen Krebsarten besteht ein erhöhtes Risiko, dass sich Krebszellen in der Kopfhaut ansiedeln, und man kann das Risiko nicht eingehen, dass diese dann nicht ausreichend von der Chemotherapie erreicht werden. Auch bei Bestrahlungen des Gehirns oder bei Patient:innen, die platinhältige Verbindungen bekommen, ist die Kopfhautkühlung kontraindiziert. Die besten Erfolge können mit automatischen Geräten erzielt werden. Die Haube wird etwa ab einer Stunde vor der Chemotherapie, während der Behandlung und bis zu zwei Stunden nach der Therapie getragen.2
Früher wurde auch die Kopfhautkompression eingesetzt, bei welcher der Blutfluss zur Kopfhaut durch mechanischen Druck verringert wird und somit weniger Chemotherapie die Haarfollikel erreichen kann. Durch die teilweise schmerzhafte Behandlung und geringere Erfolgsrate als bei der Kopfhautkühlung wurde diese Methode weitestgehend abgelöst.


Neue Hoffnung: JAK-Inhibitoren


In den letzten Jahren ist eine neue Wirkstoffklasse, die Januskinase-Inhibitoren, als potenzielle Therapie bei Haarausfall hinzugekommen. Das JAK/STAT-Systems spielt bei entzündlichen Prozessen und Autoimmunerkrankungen eine zentrale Rolle. Vor allem bei Alopecia areata, einer autoimmunbedingten Form des Haarverlustes, konnten JAK-Inhibitoren bemerkenswerte Erfolge erzielen. In Studien wurden die Wirkstoffe Baricitinib, Ritlecitinib und Deuruxolitinib untersucht und führten bei bis zu 70 % der betroffenen Patient:innen innerhalb weniger Monate zu signifikantem Haarwuchs.


Ob sich diese Ergebnisse auch auf die CIA übertragen lassen, ist derzeit noch nicht geklärt, da der Haarausfall auf unterschiedlichen Mechanismen basiert. Während der Haarausfall bei einer Chemotherapie vorrangig auf eine direkte Zellschädigung zurückzuführen ist, steht bei der Alopecia areata eine fehlgeleitete Immunreaktion im Vordergrund. Da jedoch entzündliche Reparaturmechanismen und sekundäre Immunreaktionen auch beim CIA eine Rolle spielen können, ist die Hoffnung gegeben, dass auch diese durch JAK-Hemmung positiv beeinflusst werden. Da JAK-Inhibitoren als potente Immunmodulatoren auch Risiken wie Lipidveränderungen, Thrombosegefahr oder erhöhte Infektanfälligkeit mit sich bringen, werden diese bei Krebspatient:innen nur innerhalb kontrollierter Studien eingesetzt.1


Eine ebenfalls relativ neue Behandlungsstrategie stellt die Low-Level-Lasertherapie dar, bei welcher die Mikrozirkulation der Kopfhaut gefördert und die Aktivität der Haarfollikel stimuliert wird. Interessanterweise war auch Spironolacton vereinzelt bei Frauen bei CIA wirksam, insbesondere bei hormonsensitiven Tumoren.

Quellen
1   Sun Y, et al.: Janus kinase inhibitors for alopecia areata: a review of clinical data. Front Immunol 2025; May 13;16:1577115
2   Haque E, et al.: Management of chemotherapy-induced alopecia (CIA): 
A comprehensive review and future directions. Crit Rev Oncol Hematol 2020; Dec;156:103093

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