Häufige Spätfolge

Haarausfall nach COVID-19

Mag. pharm. Irene Senn, PhD
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Haarausfall © Shutterstock
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Immer mehr Menschen berichten von einem vermehrten Haarverlust nach einer überstandenen Coronaerkrankung. Das mag auf den ersten Blick verwunderlich erscheinen, da das SARS-CoV-2-Virus v. a. die Atemwege befällt. Aber COVID-19 hat Auswirkungen auf den gesamten Organismus – unter anderem auch auf die Haarfollikel.

Ein Viertel betroffen

Etwa jede/r Vierte leidet nach einer durchgemachten COVID-Erkrankung unter einem verstärkten Haarausfall. Das ergab eine Untersuchung aus dem vergangenen Jahr an 204 Betroffenen.1 Unter den hospitalisierten Patientinnen  und Patienten war der Anteil etwas höher als unter den nicht-hospitalisierten (31,7 % vs. 24,3 %) – allerdings war der Unterschied nicht signifikant. Wesentlich eindeutiger war die Auswertung im Hinblick auf die Geschlechterverteilung: Frauen waren wesentlich häufiger von einem COVID-19-assoziierten Haarausfall betroffen als Männer (42,3 % vs. 6,2 %, p < 0,001). Auch andere Studien bestätigten, dass v. a. Frauen mit dieser Spätfolge zu kämpfen haben: ca. 70–80 % der Betroffenen waren weiblichen Geschlechts.2,3

Vermutete Ursache: Telogenes Effluvium

Mit großer Wahrscheinlichkeit handelt es sich beim COVID-19-assoziierten Haarausfall um eine Reaktion des Körpers auf die starke Belastung durch die Infektionskrankheit. Man spricht hierbei von einem „telogenen Effluvium“. Dieses Phänomen des plötzlichen Haarverlusts kennt man auch nach anderen schweren Erkrankungen, wie bspw. Malaria, Thyphus oder Tuberkulose. 
Als ursächlich wird eine Verschiebung im natürlichen Haarzyklus (siehe Kasten) angesehen. Die anagene und ketagene Phase verkürzen sich, und es befinden sich plötzlich überdurchschnittlich viele Haare in der telogenen Ruhephase.4

Ursachen für Haarausfall
Androgenetische Alopezie vs. Telogenes Effluvium

Die androgenetische Alopezie ist hormonell bedingt und wird auf eine genetisch erhöhte Sensibilität der Haarfollikel auf Androgene zurück­geführt. Die Haare dünnen sich an ganz bestimmten Stellen aus, z. B. an den Schläfen oder am Hinterkopf.

Beim telogenen Effluvium (diffuser Haarausfall) kommt es im Gegensatz dazu über den gesamten Kopf verteilt „gleichmäßig“ zu Verlusten. Diese Art von Haarausfall kann durch verschiedenste Trigger ausgelöst werden, wie z. B. schwere (Infektions-)Krankheiten, starke psychische Stressbelastung, hormonelle Störungen und mangelhafte Nährstoffversorgung.


Androgenetische Alopezie und COVID-19

Einige Untersuchungen beschäftigten sich auch mit einem potenziellen Einfluss von Androgenen auf einen COVID-19-assoziierten Haarausfall – und kamen zu unterschiedlichen Ergebnissen.5 Während Wambier et al. ein gehäuftes Auftreten einer androgenetischen Alopezie bei hospitalisierten COVID-19-Patientinnen und -Patienten fand6, konnten andere Arbeiten keine Korrelation nachweisen.7 Andere Ursachen wie eine pathogene Entzündungsreaktion des Haarfollikels oder eine direkte Infektion des Haarfollikels mit dem SARS-CoV-2-Virus werden zwar diskutiert, konnten bislang aber nicht bestätigt werden.

Intensiver, aber kurzer Verlauf

Das telogene Effluvium als Folge einer COVID-Erkrankung setzt im Durchschnitt sechs bis acht Wochen nach dem positiven PCR-Befund ein.1,2 Das ist deutlich schneller, als man es von anderen Infektionskrankheiten kennt. Typischerweise wird ein diffuser Haarausfall erst zwei bis Monaten nach dem auslösenden Ereignis beobachtet. 

Insgesamt zeigen die bislang verfügbaren Daten, dass der diffuse Haarausfall nach einer COVID-19-Erkrankung schneller auftritt und intensiver verläuft als nach anderen Infektionskrankheiten, dafür aber auch von kürzerer Dauer ist.
Normalerweise persistiert ein telogenes Effluvium für drei bis sechs Monate, bei den meisten COVID-19-bedingten Fällen war hingegen bereits nach zwei Monaten eine Besserung zu erkennen. 

Der Schweregrad der COVID-19-Erkrankung scheint im Übrigen nicht mit der Intensität des Haarverlusts in Korrelation zu stehen:
Auch nach subklinischen Infektionen kann ein diffuser Haarausfall auftreten.3

Gute Prognose auch ohne Therapie

In den meisten Fällen hat der Haarverlust eine gute Prognose und ist vollständig reversibel. Wichtig zu wissen ist, dass die Haarfollikel bei dieser Art von Haarausfall nicht zugrunde gehen. Nach Ausschalten des auslösenden Triggers erholen sich die Haarzellen und gehen wieder in die aktive Wachstumsphase über, und die ursprüngliche Haardichte wird wieder erreicht.2,3 Eine Therapie ist in der Regel nicht erforderlich. Grundsätzlich zu empfehlen ist die Verwendung von milden Shampoos zur Basispflege, um die Haare nicht zusätzlich zu strapazieren. Zusätzlich kann die Kopfhaut regelmäßig mit Haarwässern sanft massiert werden. Das fördert die Durchblutung der Kopfhaut: Die Haarwurzeln werden besser mit Nährstoffen versorgt, und das Haar wird gekräftigt. Unterstützend kann die Supplementierung von Mikronährstoffen in Erwägung gezogen werden. Die Einnahme von schwefelhaltigen Aminosäuren wie L-Cystin und Methionin sowie auch in Kombination mit Biotin, Niacin, Vitamin B5 (Pantothensäure), B6 (Pyridoxin), Zink oder Hirseextrakt soll die Keratinbildung fördern und so die Haarqualität verbessern.8

Natürlicher Prozess
Wachstumszyklus von Haarzellen

Jedes einzelne Kopfhaar steckt in einer Einstülpung der Oberhaut, dem Haarfollikel. In jedem einzelnen Haarfollikel ist ein individuelles genetisches Programm angelegt, das vorgibt, wann ein Haar wächst bzw. ausfällt.

Innerhalb seines Wachstumszyklus durchläuft ein gesundes Haar drei aufeinanderfolgende Phasen:
• Wachstumsphase (anagene Phase)
• Übergangsphase (ketagene Phase)
• Ruhephase (telogene Phase)

Diese Phasen laufen in jedem einzelnen Haarfollikel zeitversetzt ab, d.h., es sind nie alle Kopfhaare gleichzeitig in der Wachstums- oder Ruhephase. Dadurch ist gewährleistet, dass die Kopfhaut immer von gleichmäßig vielen Haaren bedeckt wird.

Aufgrund der asynchron verlaufenden Wachstumsphasen der Haare in jedem Haarfollikel verliert der Mensch im Durchschnitt 70 bis 100 Haare pro Tag: Das sind jene Haarfollikel, die gerade in die Ruhephase übergehen und das bestehende Haar abstoßen. Nach der Ruhephase tritt der Haarfollikel erneut in die Wachstumsphase ein und das Haar wächst nach. So gesehen ist Haarausfall also ein ganz natürliches, physiologisches Phänomen. Pathologisch ist der Haarverlust erst, wenn über einen längeren Zeitraum deutlich mehr als 100 Haare pro Tag verloren gehen. 


Quellen

1 Aksoy H, et al.: COVID-19 induced telogen effluvium. Dermatol Ther 2021;34(6):e15175.
2 Abrantes TF, et al.: Time of onset and duration of post-COVID-19 acute telogen effluvium. J Am Acad Dermatol 2021;85(4):975-976.
3 Moreno-Arrones OM, et al.: SARS-CoV-2-induced telogen effluvium: a multicentric study. J Eur Acad Dermatol Venereol 2021;35(3):e181-e183.
4 Rebora A: Telogen effluvium: a comprehensive review. Clin Cosmet Investig Dermatol 2019;12:583-590.
5 Moravvej H, et al.: Androgenetic alopecia and COVID-19: A review of the hypothetical role of androgens. Dermatol Ther 2021;34(4):e15004.
6 Wambier CG, et al.: Androgenetic alopecia present in the majority of patients hospitalized with COVID-19: The "Gabrin sign". J Am Acad Dermatol 2020;83(2):680-682.
7 Trüeb RM, et al.: What can the hair tell us about COVID-19? Exp Dermatol 2021;30(2):288-290.
8 Fastnacht S: Haarausfall - Bloß keine Glatze. HautinForm 2022;1:14-15.

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