Interview mit Viktoria Hausegger

„Die Digitalisierung hat das Führen einer Apotheke grundlegend verändert“

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Viktoria Hausegger © Raimo Rumpler
Viktoria Hausegger © Raimo Rumpler

ÖAZ: Wie hat sich die Digitalisierung in der Apothekenbranche in den letzten Jahren entwickelt?

Viktoria Hausegger Hier darf ich eingangs zwei Gegenfragen ins Spiel bringen: Was genau bedeutet Digitalisierung für Apotheken und wie interpretiert sie der einzelne Apotheker, die einzelne Apothekerin? Meiner Erfahrung nach ist die Digitalisierung für viele Apotheker:innen ein Schlagwort. Sie wird als notwendig angesehen. Aber es ist immer noch unklar, worum es eigentlich geht. Die Digitalisierung umfasst viele Bereiche wie die Automatisierung von Prozessen; Abläufe der Warenwirtschaft; Optimierung der gesamten Lieferkette in Echtzeit – von Bestellungen bis hin zur Buchhaltung und dem Bereich Marketing und Online-Marketing. Sie umfasst heute aber auch das Personalmanagement, die Einführung von Kommissionierungsautomaten bis hin zu bargeldlosen Zahlungsmethoden und Online-Shops. Und auch in den Bereichen Marktkommunikation, Kundengewinnung, Kundenservice und Kundenbindung ist die Digitalisierung heute nicht mehr wegzudenken. Die Pandemie hat die Digitalisierung vorangetrieben, neue Kundenansprüche haben sich fest etabliert. 

Digitale „Lösungen“ für Apotheken schießen wie Pilze aus dem Boden. Viele Anbieter verstehen aber die Komplexität des Apothekenmarktes und der aktuellen Entwicklungen nicht richtig. Ihre Lösungen sind viel zu oft zu generisch. Sie würden für Filialen eines Konzerns sehr gut funktionieren – nicht aber für die Bedürfnisse der einzelnen inhabergeführten Apotheke. 

Digitale Lösungen sind keine Wunderwaffen. Um Kund:innen und Zielgruppen damit effektiv zu erreichen, bedarf es zunächst einer fundierten, zukunftsfähigen Strategie für das Apotheken-Unternehmen und eines klaren Verständnisses der Zielgruppen. Denn digitale Tools können niemals die strategische oder unternehmerische Arbeit von Apotheken-Inhaber:innen ersetzen. Es sind Werkzeuge, die eingesetzt werden können, um Strategien zeitgemäß, effizient und für die Menschen ansprechend umzusetzen. 

Inwiefern hat die Digitalisierung den Kontakt zwischen Apotheker:innen und ihren Kund:innen verändert und welche Vorteile bringt die Digitalisierung für Apothekenmitarbeiter:innen in Bezug auf Arbeitsabläufe und Effizienz?

Hausegger Veränderung ist immer ein herausfordernder Prozess. Sie fordert, gnadenlos das Gewohnte zu verlassen und sich in unbekanntes Terrain zu begeben. Der rasante Umbruch verändert alles – alte Gewissheiten funktionieren nicht mehr. Die Kund:innen sind heute hybrid: Sie erwarten eine persönliche, individuelle Ansprache sowie maßgeschneiderte Lösungen für ihre Probleme und Bedürfnisse – vor Ort und online!

Hier spielen auch Websites eine wichtige Rolle. Leider wird nach wie vor unterschätzt, welche entscheidende Funktion eine moderne Website heute hat! Viele Apotheken verfügen über 0815-Websites von der Stange, die keinerlei Mehrwert bieten und für User:innen total uninteressant sind.

Die Website ist die Präsentation der Apotheke in der digitalen Parallelwelt, in der sich die Menschen heute ca. vier Stunden täglich aufhalten. Sie muss die Ausrichtung, Stärken und besonderen Qualitäten der jeweiligen Apotheke klar transportieren; vermitteln, WARUM man sich gerade für diese Apotheke entscheiden soll. Das gilt auch für Social Media. Viele meinen, dass die Verantwortung dafür einfach an junge Mitarbeiter:innen delegiert werden kann. Doch in Wahrheit erfordert es auch hier zunächst eine durchdachte Strategie zur Kundenansprache und -bindung und dem erforderlichen Know-how im Social Media Marketing.

Es herrscht nach wie vor große Unsicherheit darüber, welche digitalen Systeme die richtigen sind. Ohne Strategie und Ziele ist es auch gar nicht möglich, die „richtigen“ digitalen Werkzeuge auszuwählen.

Universelle Lösungen, die auf alle Apotheken übertragen werden können, gibt es nicht. Jede Apotheke benötigt ein maßgeschneidertes Digitalisierungskonzept, das zur individuellen Ausrichtung und Strategie passt.

Sehr gute Softwarelösungen gibt es für das Apotheken-Management: Kommunikation, Einsatzplanung, Zeiterfassung, Aufgabenmanagement, Einsatzplanung usw. Investitionen in solche Systeme optimieren Abläufe, sorgen für Klarheit, steigern die Effizienz und verbessern dadurch auch das Arbeitsklima.

Wie werden Daten und Informationssysteme genutzt, um den Bestand und die Lagerverwaltung in Apotheken zu optimieren?

Hausegger In Bezug auf die Prozessoptimierung und -automatisierung in Apotheken werden oft Bestandsmanagementsysteme, Barcode-Systeme und automatische Bestellsysteme sowie Echtzeit-Datenaktualisierungen diskutiert. Vieles davon sollte nahtlos in den Warenwirtschaftssystemen integriert sein, doch leider funktioniert dies noch nicht wirklich zufriedenstellend. Insbesondere die Echtzeit-Datenaktualisierung läuft oft noch nicht reibungslos und erfordert manuelle Eingriffe. Das kostet wertvolle Zeit und erhöht die Fehleranfälligkeit. Ein weiteres Problem ist die Schulung im Umgang mit diesen Systemen sowie deren kontinuierliche Weiterentwicklung. Hier bedarf es auch einer besseren Kommunikation zwischen System-Entwickler:innen und Apotheker:innen. Oft fehlt es am Verständnis für die spezifischen Anforderungen der Apotheker:innen, da Informatiker:innen eine andere Sprache sprechen. Es ist wichtig, dass sich hier beiden Welten treffen, damit die Apotheker:innen von den vorhandenen Tools profitieren können.

Welche Rolle spielen Online-Plattformen und Apps in der Apothekenbranche, insbesondere im Hinblick auf die Beratung und den Verkauf von Medikamenten?

Hausegger Es werden laufend Apotheken-Apps entwickelt, manche davon sind gut durchdacht, andere weniger. Auch hier fehlt es Entwickler:innen oft am Wissen um die sehr speziellen Anforderungen am Apothekenmarkt: Apotheken sind keine Konzernfilialen, sondern eigenständige, inhabergeführte Unternehmen und müssen – entsprechend ihrer ganz individuellen Ausrichtung/Positionierung und Ziele – auch die richtigen digitalen Tools finden und damit Mehrwerte bieten.

Viele Menschen meinen ja, dass alle Apotheken „zusammengehören“. Dies liegt am „roten Apotheken-A“ und daran, dass die meisten Apotheken bei Betreten sehr ähnlich wirken, das gleiche Sortiment bieten und auch gleich bewerben. Diese Uniformität führt dazu, dass sehr vielen Kund:innen die Wahl der Apotheke egal ist. Unternehmerisch gesehen ist dies mehr als suboptimal.

Auch die Digitalisierung hat das Führen einer Apotheke grundlegend verändert: Apotheken-Inhaber:innen müssen heute nicht nur als pharmazeutische Expert:innen, sondern auch als Unternehmer:innen agieren, die die Zukunft ihrer Apotheke planen und sich überlegen, warum Kund:innen und Patient:innen gerade in ihre Apotheke kommen sollten.

Gibt es Herausforderungen oder Widerstände gegenüber der Digitalisierung seitens der Mitarbeitenden oder Kund:innen? Sind Apotheker:innen affin, was Veränderungen anbelangt?

Hausegger Es herrscht Unwissen und Unsicherheit bzgl. der Digitalisierung. Und der Begleiter der Unsicherheit ist die Angst vor Neuem.

Viele zögern, hier zu investieren. Und das ist auch verständlich: Denn ohne eine klare Vorstellung von der Zukunft der eigenen Apotheke, ohne Strategie und Ziele, ist es völlig unklar, welche Vorteile diese Investitionen bringen, wohin sie führen werden.

Es ist eine fremde Welt für viele Apotheker:innen, die als leidenschaftliche Heilberufler weder mit der notwendigen Weiterentwicklung des eigenen Apotheken-Unternehmens noch mit den Aspekten des digitalen Wandels vertraut sind. Deshalb ist es wichtig, sich externe Expertise zu holen, um sich in diesen zukunftsrelevanten Bereichen weiterzuentwickeln, denn: Niemand kann alles.

Die Laufkundschaft reicht künftig nicht mehr aus, um wirtschaftlich erfolgreich zu sein, der betagten Stammkundschaft rückt die nächste Altersgruppe nach, die andere, auch digitale Ansprüche hat. Und unter jüngeren Menschen ist die Erwartungshaltung an moderne digitale Services sehr hoch. 

Wie sieht die Zukunft der Digitalisierung in Apotheken aus? Welche Trends sind zu erwarten und welche neuen Technologien könnten in naher Zukunft Einzug halten?

Hausegger Nichts ist so sicher wie die Veränderung. Besonders durch die Künstliche Intelligenz (KI), die täglich dazulernt. In der Medizin und anderen Bereichen wird viel Neues entstehen, da immer mehr Systeme miteinander verbunden werden – und die KI wird eine immer größere Rolle spielen. Vor allem bei repetitiven Aufgaben wird die KI eine große Hilfe sein und in vielen Bereichen wertvolle Arbeitszeit einsparen.

In Zeiten tiefgehender Umbrüche ist es wichtig, dass wir uns auf Chancen und Möglichkeiten konzentrieren und nicht in eine gefährliche Negativspirale geraten oder Schockstarre verfallen.

Wir befinden uns mitten im größten Wandel der letzten 50 Jahre.
Der letzte alles verändernde Umbruch war in den 1970ern. Viele haben damals die Zeichen des Wandels unterschätzt und nicht erkannt. Das hat den Nahversorgern leider ein unschönes Ende beschert – sie sind von der Bildfläche verschwunden.  

Apotheken müssen als (überlebens-)wichtiger Gesundheitsnahversorger bestehen bleiben: Jetzt ist es wichtig, mutig und neugierig nach vorne zu blicken und sich vom Fax-Gerät zu verabschieden. 

Viktoria Hausegger
Expertin für Unternehmerwissen,
Zukunfts-Design, Positionierung & Marketing für Apotheken
Gründerin der AKADEMIE FÜR APOTHEKEN-UNTERNEHMER

www.apotheken-zukunft.at
https://levelup.apotheken-zukunft.at

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