So starb ein 31-jähriger Patient, der wegen Schmerzen im linken Brustkorb in die Notfall-Ambulanz eines städtischen Spitals kam und mit der Diagnose Muskelverspannung und Nervenschmerz nach Hause geschickt wurde. Der 31-Jährige erlitt laut WPPA-Bericht einen Herzinfarkt und starb wenige Stunden nach seiner Entlassung. Ein Gutachten ergab, dass die Beschwerdesymptomatik "typisch für ein koronares Geschehen" war. "Der Patient hätte aus dem Spitalsbereich nicht entlassen werden dürfen." Bei einem stationären Aufenthalt hätte bei Auftreten von Herz-Kammerflimmern rascher reagiert werden können, was die Überlebenschance deutlich erhöht hätte.
Eine 53-jährige Dialyse-Patientin starb in einem städtischen Spital an Blutverlust, weil die Steck-/Drehverriegelung nicht korrekt durchgeführt wurde, sodass der Schlauch herausrutschte und das Blut auf den Boden statt zurück in den Körper rann. Die Frau erlitt einen Kreislaufstillstand und einen hypoxischen Gehirnschaden. Laut dem WPPA-Bericht wurde "kein 'Cross check' (Vier-Augen-Prinzip) hinsichtlich korrekter Verschraubung der Schläuche durchgeführt".
Bei einer 75-Jährigen mit akuten Schmerzen im linken Bein wurde in einem städtischen Krankenhaus ein Oberschenkelhalsbruch nicht erkannt und stattdessen ein Bandscheibenschaden diagnostiziert. Eine 63-jährige Patientin bekam in einem städtischen Spital ein Chemotherapeutikum verabreicht, das für die Bettnachbarin bestimmt war.
Auch die Jüngsten waren betroffen. Ein 22 Tage altes Neugeborenes wurde in einem Spital zu heiß gebadet und erlitt Verbrühungen an den Oberschenkeln, dem Gesäß und am Bauch. Die Pflegeassistentin trug wegen eines multiresistenten Keimes Handschuhe und verabsäumte es, die Wassertemperatur zu kontrollieren.
Auch im niedergelassenen Bereich gab es Fehler: In einem Diagnosezentrum wurde bei einer 36-jährigen Patientin ein Schilddrüsenkarzinom verspätet erkannt, weil "eine erforderliche Messung des Calcitonin-Wertes verabsäumt" wurde. Bei einem 18-Jährigen wurden beim Entfernen der Weisheitszähne die Seiten verwechselt.
Die WPPA wies in ihrem Bericht auf sich "häufende Gefährdungsanzeigen von Abteilungsleitern in verschiedenen Kliniken des WiGeV (Wiener Gesundverbund, Anm.)" im Herbst 2022 hin. "Die Direktion versuchte zwar, dies als teilweise übertriebene Aktionen zu relativieren, die in Wahrheit eher in die Kategorie 'Belastungsanzeige' einzuordnen wären und von der Personal- bzw. Standesvertretung befeuert würden; die Häufung der Anzeigen in Kombination mit den Informationen über Bettenschließungen, OP-Verschiebungen etc. deuten aber doch auf sehr ernsthafte Personalprobleme hin", heißt es im Bericht.
Gefahr der Mehrklassenmedizin
Außerdem verwies die Patienten- und Pflegeanwaltschaft auf die Gefahr der Mehrklassenmedizin: "Die Klagen darüber, dass man nur als (extramurale*r) Privatpatient*in schnell an einen OP-Termin kommt, sprechen gegen die Objektivität des Terminmanagements", ist in dem Bericht dazu zu lesen. Laut WPPA deuten zudem "manche Behandlungsbeschwerden (...) ebenfalls auf einen Zusammenhang mit Ressourcenproblemen" hin. So wurde "einem Patienten mit Herzbeschwerden (...) eine Wartezeit von 40 Tagen für den Angiographie-Termin zugemutet. In der Wartezeit erlitt er einen Herzinfarkt."
In Ambulanzen ortete die WPPA "zum Teil exorbitante Wartezeiten", "mangelnde telefonische Erreichbarkeit, Betreuungsdefizite während des Wartens (die bis zu Abgängigkeiten von demenzerkrankten Patienten führten; in einem tragischen Fall sogar mit letalem Ausgang)", Diagnosefehler und Schwierigkeiten, dringend benötigte Befunde zu erlangen.
Der WiGev sprach in seiner Stellungnahme davon, die Ausbildungsplätze im Pflegebereich massiv auszuweiten. Derzeit seien rund 1.550 Pflegekräfte in Ausbildung sowie rund 1.400 Ärztinnen und Ärzte. Zu den stark gestiegenen Gefährdungsanzeigen in mehreren WiGev-Kliniken im Herbst meinte der Verbund, dass diese dazu dienen würden, die Krankenhausleitung rechtzeitig und vorbeugend über Engpässe zu informieren, damit Lösungen gefunden werden können. "Eine Gefährdungsanzeige bedeutet nicht, dass die Patient*innen-Versorgung gefährdet ist, sondern soll rechtzeitig Maßnahmen ermöglichen, um Gefährdungen zu verhindern", so der Verbund.
Detail am Rande: Der WiGev-Stellungnahme zufolge sank die Zahl der Vertragsärztinnen und -ärzte in Wien im Zeitraum 2012 bis 2021 von 1.993 um 275 auf 1.718, womit die Bundeshauptstadt als einziges Bundesland ein zweistellig negatives Prozentergebnis hatte (minus 13,8 Prozent). Gleichzeitig "explodierte" die Zahl der Wahlmedizinerinnen und -mediziner. 2021 gab es in dem Bereich um 1.274 Wahlärztinnen und -ärzte mehr als 2012, ein Plus von 49,2 Prozent.
APA/Red.