Interview

„Es hat einen Tsunami der Gefühle ausgelöst“

Mag. Andreas Feichtenberger
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Mag. pharm. Dr. Andreas Janka, Mag. pharm. Dr. Andreas Windischbauer und Mag. Maximilian von Künsberg Sarre. © Herba Chemosan
Mag. pharm. Dr. Andreas Janka, Mag. pharm. Dr. Andreas Windischbauer und Mag. Maximilian von Künsberg Sarre. © Herba Chemosan

Gemeinsam mit der Raiffeisengruppe Oberösterreich übernahmen die Vorstände Mag. pharm. Dr. Andreas Windischbauer, Mag. pharm. Dr. Andreas Janka und Mag. Maximilian von Künsberg Sarre das Unternehmen Herba Chemosan vom US-Konzern McKesson. Ein Schritt, der in der Branche gutgeheißen wurde, der aber auch mit vielen Risiken für die neuen Eigentümer verbunden war. Im Interview sprachen sie über die größten Herausforderungen, zogen Bilanz über die ersten neun Monate und gaben einen Ausblick auf die Zukunft der Firma.

ÖAZ Die Übernahme liegt zwischenzeitlich neun Monate zurück. Wie sieht Ihr Fazit aus, haben Sie den Schritt je bereut?

Dr. Andreas Windischbauer Ganz im Gegenteil, es ist ein fantastisches Arbeiten für uns. Man kann sagen, wir haben eine 180-Grad-Kehre gemacht. All die Richtlinien und Entscheidungsgremien, die ein großer Konzern mit sich bringt, sind seither Geschichte. Wir können uns voll und ganz auf unsere Kundinnen und Kunden fokussieren. Natürlich konnten wir das unter dem Mehrheitseigentümer McKesson auch – und gestalteten den heimischen Markt mit relativ großen Freiräumen, es ist aber gleich noch einmal etwas anderes, wenn sämtliche Entscheidungen nach unseren Vorstellungen und Vorgaben getroffen werden.
Dr. Andreas Janka  Es geht auch um die Geschwindigkeit, mit der Entscheidungen getroffen werden. Wenn der Konzern beispielsweise gerade einen Fokus auf Deutschland hatte, musste Österreich oft warten. Das hat sich vollkommen geändert. Wir können uns zu 100 % auf unsere Kunden und Kundinnen fokussieren. 

ÖAZ Sie haben das Unternehmen schon bisher erfolgreich geführt – haben Sie sich dennoch dazu entschieden, bestimmte Änderungen durchzuführen, die vor der Übernahme nicht möglich waren?

Mag. Maximilian von Künsberg Sarre Wir waren Gott sei Dank auch in der Vergangenheit schon relativ unabhängig in unseren Entscheidungen – das heißt, viele Änderungen stehen eigentlich nicht an. Lediglich ein großer Wechsel steht uns bevor: die IT-Infrastruktur. Wir müssen sie aus dem Konzernsystem nehmen und auf eigene Beine stellen. Ein großer Teil der Arbeit ist bereits gemacht, und wir setzen ausnahmslos auf inländische Partner. So unterstützen wir einerseits die heimische Wirtschaft und haben andererseits immer einen Ansprechpartner vor Ort – das darf man wirklich nicht unterschätzen.
Windischbauer Wir haben auf der einen Seite Aufgaben übernehmen müssen, die früher im Konzern abgehandelt wurden, wie beispielsweise das Cash-Managwment oder die Complianceregeln, andererseits sind aber große Bereiche wie das Konzernreporting weggefallen. Wir sind in der Vergangenheit eine sehr klare Strategie gefahren, und das werden wir auch weiterhin so handhaben. 

ÖAZ Inwiefern können die Apotheker:innen von dieser Übernahme profitieren?

Janka Ich muss eigentlich nur an den 20.12.2021 zurückdenken. An diesem Tag wurde das Buy-out bekannt, und wir sind mit Anrufen und Mails überschüttet worden. Sämtliche Rückmeldungen waren positiv. Leute, die uns kannten, haben uns sogar auf der Straße bei zufälligen Begegnungen zu dem Deal gratuliert. All diese tollen Reaktionen haben einen wahren Gefühlstsunami bei uns ausgelöst und uns darin bestätigt, dass es der richtige Weg war, dass die heimischen Apotheker:innen sich den größten Großhandelspartner des Landes in rot-weiß-roter Hand wünschen. 
Windischbauer Das Match wird letztlich an der Tara gewonnen. Eine Apotheke muss alle Ressourcen in Richtung ihrer Kundinnen und Kunden zur Verfügung stellen und möglichst wenig Zeit mit Administration zubringen. Die Prozesse zwischen Großhandel und Apotheke müssen daher so effizient wie möglich sein. Lassen Sie mich nur ein Beispiel aus der Vergangenheit nennen: das Suchtgiftbuch, das wir digitalisiert haben. Wir wissen, wie mühsam die Administration von Suchtgiften ist und wir konnten den Zeitaufwand der Apo-theker:innen durch unsere Applikation um 80 % reduzieren. Diesen Weg werden wir weiterdenken und unter dem Titel ‚Herba digital’ neue Lösungen auf den Markt bringen, die das Warenwirtschaftssystem der Apotheke schneller und schlanker machen werden. Denn Zeit ist in der Apotheke begrenzt und wertvoll. Auch für uns haben sich Entscheidungsprozesse beschleunigt und vereinfacht – und das kommt den Apotheken zugute.
Künsberg Sarre  Auch das Thema Vertrauen ist zentral bei dieser Frage. Es gab in der Vergangenheit immer ein kleines Restrisiko. Die Apotheker:innen haben uns als Vorstand vertraut, aber das letzte Wort lag bisher beim Konzern und den Eigentümern. Das ist jetzt anders. Sämtliche Entscheidungen, die nun getroffen werden, sind ausnahmslos unsere und wir haben dafür geradezustehen – und das wollen und werden wir auch. 

ÖAZ Gab es Probleme bei der Übernahme? Welche waren die größten Herausforderungen? 

Janka Ich habe eben erwähnt, dass wir sehr viel Zuspruch bekommen haben. Das stimmt auch, aber neben dem Lob fiel vor allem ein Satz: Ihr traut euch was! Gerade die Apothekerinnen und Apotheker wissen, welches Risiko wir eingegangen sind. Ich weiß noch, dass ich eines Abends zu meiner Frau heimgekommen bin und ihr gesagt habe, dass ich morgen vielleicht keinen Job mehr haben werde. 
Künsberg Sarre So ist es uns allen gegangen. Wir sind mit der Übernahme ins volle Risiko gegangen und haben sogar unsere eigenen Jobs in die Waagschale geschmissen. Bei den Verhandlungen haben wir festgehalten, dass wir im Fall eines Verkaufs an Dritte als Vorstand nicht zur Verfügung stehen würden. Das war ein starkes Druckmittel, hätte aber natürlich auch nach hinten losgehen können. Für McKesson gab es aber noch ein weiteres, ganz zentrales Argument an uns, zu verkaufen: Beim Verkauf an drei Privatpersonen und einen Investor gibt es keine Probleme mit der Wettbewerbsbehörde. 
Windischbauer Es war alles andere als einfach. Wir haben wochenlang an der Übernahme gearbeitet, vor allem mit unseren Anwälten sind wir oft bis in die Nacht gesessen. Die Kosten dafür waren immens, und es gab keine Garantie auf Erfolg.  

ÖAZ Welche mittel- und langfristigen Ziele verfolgen Sie nun mit dem Unternehmen, und wo sehen Sie die größten Herausforderungen?

Windischbauer Herba Chemosan hat verschiedene Standbeine wie beispielsweise die größte Tochter Sanova Pharma, ist auch im Medizintechnikbereich tätig und besitzt Niederlassungen in Tschechien und in der Schweiz. Wer nur im Großhandel verankert ist, ist sehr stark von staatlichen Entscheidungen abhängig – er setzt die Preise fest und verordnet die Spannen, gibt also das Korsett vor, und das schränkt das unternehmerische Handeln extrem ein. Wir schauen daher stark darauf, uns breit aufzustellen und ein ausbalanciertes Unternehmen zu sein. Nur so können wir garantieren, dass wir als Großhändler und kritische Infrastruktur krisensicher arbeiten können. 
Künsberg Sarre Hinzu kommt, dass wir nicht nur die Ware zur Verfügung stellen, sondern auch die Information dazu. Wir bieten innovative Services entlang der gesamten Wertschöpfungskette. Wir müssen die Digitalisierung nutzen, um die Zeit, die wir zur Verfügung haben, für wertschöpfungserhöhende Arbeit verwenden zu können. Wir haben bereits ‚Herba digital’ erwähnt – hier werden wir den Markt sicherlich noch aufhorchen lassen. Nur die Beratung an der Tara kann kein Computer übernehmen, da braucht es Fachleute. Für alles andere sind wir da.
Janka Ich möchte noch hinzufügen, dass es nie unser Ziel war, Kapital aus der Übernahme zu schlagen und das Unternehmen wieder gewinnbringend verkaufen wollen. Für uns ist das ein Generationenprojekt. Wir haben diesen Schritt gewagt, weil wir aus ganzem Herzen Unternehmer sein wollen und Spaß daran haben, Kundennutzen zu stiften. Wir haben Herba Chemosan gekauft, um zu bleiben.

ÖAZ Sie haben die Übernahme in turbulenten Zeiten durchgeführt. Wie sind Sie durch die Coronakrise gekommen?
Windischbauer An sich ganz gut, aber es war alleine schon wegen der Personalplanung eine echte Herausforderung. Von unseren rund 1.000 Mitarbeitenden waren bereits 700 einmal oder öfter an Corona erkrankt. Aber die Krise hat auch unser Profil geschärft. Wir wurden in der Öffentlichkeit viel stärker wahrgenommen, haben in dieser Zeit viele Politiker:innen besucht und konnten auf unsere Themen aufmerksam machen. Das Wichtigste aber war, dass wir durchgehend liefern konnten, eine gute Zusammenarbeit mit unserer Kundschaft hatten und gezeigt haben, was eine gute Partnerschaft in Krisenzeiten wert ist. 

ÖAZ Danke für das Gespräch.

Herba Chemosan im Überblick

Gründungsjahr  |  1916
Mitarbeiter  |  ca. 1.000
Lagersortiment   |  mehr als 40.000 Artikel
Lagerwert  |   rund 60 Mio. Euro
Niederlassungen Österreich  |  7 
Verkaufte Packungen/Jahr  |  133 Millionen



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