Interview

„Wir machen die Apotheken zukunftsfit“

Mag. Andreas Feichtenberger
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Profunde Kenner:innen aus dem Gesundheits- und Sozialbereich: Kammeramtsdirektor Mag. Walter Marschitz, BA und stv. Kammeramtsdirektorin Mag. Elisabeth Zimmerer. © Beigestellt
Profunde Kenner:innen aus dem Gesundheits- und Sozialbereich: Kammeramtsdirektor Mag. Walter Marschitz, BA und stv. Kammeramtsdirektorin Mag. Elisabeth Zimmerer. © Beigestellt

Am 1. Juli 2024 bekam die Österreichische Apothekerkammer eine neue Kammeramtsdirektion. Beide gelten als profunde Kenner:innen aus dem Gesundheits- und Sozialbereich, Berührungspunkte mit Apotheken hatten sie bis dato allerdings keine. Marschitz und Zimmerer tauchten daher zumindest teilweise in eine neue Welt ein. Der ÖAZ erzählten sie, wie ihnen der Start gelungen ist und welche Ziele sie in naher und weiterer Zukunft verfolgen werden.

ÖAZ "Nach 100 Tagen im Amt – wie geht es Ihnen und wie geht es Ihnen mit der Apothekerschaft?"

Mag. Walter Marschitz, BA "Es war für mich ein Eintauchen in eine neue Welt, ich hatte mit diesem Bereich des Gesundheitssystems noch relativ wenig zu tun und auch von den handelnden Personen waren mir nur wenige bekannt. Dennoch kann ich nur eine positive Bilanz ziehen, denn ich bin sehr gut aufgenommen worden und die Arbeit hat mir von Anfang an extrem viel Spaß gemacht."

Mag. Elisabeth Zimmerer "Auch für mich ist die Apothekenwelt neu, aber – und da kann ich sicherlich für uns beide sprechen – im nationalen und internationalen Gesundheitssystem kennen wir uns natürlich sehr gut aus und wir bringen ein gutes Netzwerk mit in die Apothekerkammer. Für mich ist es ein großer Mehrwert, sowohl angestellte als auch selbständige Apotheker:innen vertreten zu dürfen – es spiegelt die gesamte Breite und Vielfalt des Berufsstands wider und das macht unsere Aufgaben extrem vielseitig und spannend." 

ÖAZ "Haben sich bereits Punkte herauskristallisiert, die Sie als besonders relevant bezeichnen würden?"

Marschitz "Es gibt einige Punkte, die am Tisch liegen und zu bearbeiten sind. Beispielsweise beschäftigt uns nach wie vor das Thema Paxlovid® und auch die Wirtschaftsverhandlungen stehen kurz davor, in eine heiße Phase zu gehen. Hinzu kommen Themen wie die neuen Dienstleistungen oder die Bedarfsbewertung. Zentral sind für uns aktuell auch die Vorbereitungen auf die Regierungsverhandlungen. Wir wollen natürlich, dass letztlich mehr von unseren Forderungen im Regierungsprogramm stehen als in den Wahlprogrammen gestanden ist. Blicken wir etwas weiter in die Zukunft geht es natürlich darum, wie das System Apotheke in zehn Jahren funktionieren wird. Wir leben in Zeiten großer Veränderungen und wir sind mit zahlreichen Unbekannten konfrontiert."

Zimmerer "Neben all diesen Herausforderungen war es für uns natürlich auch wichtig, zunächst das Haus mit all seinen Mitarbeiter:innen kennenzulernen. Wir konnten bereits feststellen, dass extrem viele Abläufe sehr gut eingespielt sind. Nun heißt es, eine starke Präsenz nach außen zu zeigen, unsere Kontakte zu den entscheidenden Stakeholdern zu pflegen und all unsere Kraft dafür einzusetzen, die Apotheken zukunftsfit zu machen." 

ÖAZ "Präsidentin Dr. Ulrike Mursch-Edlmayr hat bereits einen Forderungskatalog an die neue Regierung präsentiert. Für wie realistisch halten Sie es, dass er auch umgesetzt wird?"

Marschitz "Eine neue Regierung ist auch eine neue Chance. Aber wir müssen auch realistisch sein. Wenn am Ende der Regierungsperiode nicht alle Punkte umgesetzt wurden, wird wahrscheinlich niemand überrascht sein. Wenn die neue Regierung aber vernünftig ist, wird sie sich einiger dieser Ideen bedienen und unser Angebot nutzen. Wenn es den Willen gibt, das System insgesamt zu verbessern, wird man an den Apotheken nicht vorbeikommen."

Zimmerer "In der Pandemie hat man gesehen, wie schnell die Apothekerschaft bereit war zu agieren. Während es in einer bestimmten Phase kaum Ordinationen gab, die offen hatten, waren die Apotheker:innen rund um die Uhr zur Stelle. Die Apotheken bieten eine sehr gute bestehende Infrastruktur, es gibt extrem viel Know-how und die Bereitschaft, eine stärkere Rolle in der Gesundheitsversorgung der Bevölkerung einnehmen zu wollen. Uns ist klar, dass einige unserer Forderungen mit Kosten verbunden sind, wir sind aber auch überzeugt, dass das System nach einer Umsetzung viel effizienter funktionieren könnte. Rund 80 % der Anfragen in einer Apotheke könnten mit geführter Selbstmedikation gelöst werden. Es gibt viele Forderungen, die sicher nicht alle sofort umgesetzt werden, aber es war wichtig, diese einmal mehr zusammenzufassen und der Politik vorzulegen – der stete Tropfen höhlt den Stein."

ÖAZ "Haben Sie bereits mit einigen Apotheker:innen darüber sprechen können, wo der Schuh drückt?"

Marschitz "Wir haben das Glück, dass die Funktionär:innen der Apothekerkammer auch selbst Apotheker:innen sind. So haben wir bereits relativ viel Informationen erhalten. Wir konnten aber auch bereits mit Apotheker:innen außerhalb des Hauses sprechen und uns einen ersten Überblick verschaffen. Sobald wir etwas mehr Luft haben, ist es geplant, uns auch ein persönliches Bild vor Ort zu machen. Was wir aber jetzt schon sagen können, ist, dass nach Corona nun wieder eine wirtschaftliche Situation zutage tritt, die sich bereits seit Jahrzehnten abzeichnet. Preisrückgänge bei Niedrigpreisern, Lieferengpässe, überbordende Bürokratie sind nur einige Punkte, die wir gehört haben. Leistungen, die die öffentliche Hand von Apotheken verlangt bzw. die wir zugesagt haben – also beispielsweise die Nachtdienste – müssen zunehmend durch Privatverkäufe quersubventioniert werden. Das ist aus meiner Sicht keine haltbare Situation, es braucht hier eine eigene Finanzierungsschiene. Apotheken unter einer kritischen Größe können ansonsten tatsächlich in Schwierigkeiten kommen."  

Zimmerer "Wir werden uns sowohl in der Stadt als auch am Land vor Ort in den Apotheken ein Bild machen, was unsere Mitglieder brauchen. Wir wollen uns auch informieren, wie die Arbeit hinter der Tara funktioniert. Eine Möglichkeit, den wirtschaftlichen Herausforderungen zu begegnen, ist beispielsweise eine Ausweitung der Tätigkeitsbereiche, was in erster Linie der Verbesserung der Gesundheitsversorgung dient und zu Mehreinnahmen führen kann. Auf der anderen Seite aber braucht es hierfür auch Weiter- und Fortbildung und nicht jede Apotheke hat die räumlichen Möglichkeiten, solche Dienste auch anbieten zu können. Wir müssen also zusätzlich Lösungen finden, die strukturell unterstützen. Daran arbeiten wir."   

ÖAZ "Die Digitalisierung ist Fluch und Segen zugleich, in jedem Fall aber wird sie auch die Zukunft der Apotheken beeinflussen. Wo sehen Sie die Herausforderungen?"

Zimmerer "Aktuell gibt es die Vorgabe „digital vor ambulant vor stationär“, an die wir uns auch halten möchten. Wir beschäftigen uns in der Kammer daher intensiv mit dem Thema Digitalisierung. Apotheken könnten in Randzeiten, wenn Ordinationen bereits geschlossen haben, zum Beispiel mit einem telemedizinischen Dienst zusammenarbeiten oder die Zusammenarbeit mit 1450 könnte ausgebaut werden. Wenn man das Thema Künstliche Intelligenz in die Überlegungen mit einbezieht, muss man sich eingestehen, dass man heute noch gar nicht erahnen kann, was uns in zwei oder drei Jahren erwarten wird. Ich bin aber überzeugt, dass die KI den/die Apotheker:in nicht wird ersetzen können. Die gute Betreuung, das Gespräch mit den Betroffenen, das passiert alles in der Apotheke und das wird immer gefragt sein. Es ist nur schade, dass diese Leistungen aktuell noch unbezahlt sind – aber auch daran arbeiten wird bereits auf Hochtouren."

Marschitz "Ich bin auch der Ansicht, dass wir im Moment noch nicht genau sagen können, auf welche Weise die Digitalisierung unsere Arbeit in mehreren Jahren verändern wird. Nehmen wir zum Beispiel die Telemedizin: In ein paar Jahren wird sich diese Frage gar nicht mehr stellen. Die KI wird diesen Bereich revolutionieren und das Bild vom Arzt/der Ärztin, die am anderen Ende vor einem Bildschirm sitzt und die Patient:innen berät, ist bestenfalls ein temporäres Übergangsszenario. Oder nehmen wir die vielzitierte Drohne, die Medikamente direkt nach Hause liefert. Wenn Unternehmen wie Amazon diesen Markt erschließen, werden sie im urbanen Bereich leicht operieren können. Aber was ist mit schlecht zugänglichen Gebieten? Anbieter können sich nicht nur die Rosinen herauspicken. Auch das Einhalten der Kühlkette ist ein Problem."

ÖAZ "Aktuell ist die Lage zwischen Ärzt:innen und Apotheker:innen angespannt. Wie wollen Sie mit der Situation umgehen?"

Marschitz "Ich halte den Konflikt zwischen den beiden Berufsgruppen für absurd. In Wahrheit müssten beide im System enge Verbündete sein. Mit Sozialversicherung und Politik haben Ärzt:innen und Apotheker:innen zwei starke Verhandlungspartner, die den Konflikt ausnutzen, um uns gegeneinander auszuspielen. Da ich bis dato aber keine Konflikterfahrung mit der Ärztekammer hatte, gehe ich davon aus, dass wir konstruktive Verhandlungen werden führen können."

Zimmerer "Wir haben sehr gute Signale aus der Ärztekammer bekommen und haben auch aus der Vergangenheit sehr gute Kontakte in diese Richtung. Wir werden uns daher auf unsere Gemeinsamkeiten konzentrieren und die Streitereien hintanhalten. Davon abgesehen funktioniert die Zusammenarbeit zwischen Ärzt:innen und Apotheker:innen im „daily business“ sehr gut."


ÖAZ "Danke für das Gespräch."

kurz gefasst
Beruflicher Werdegang

Mag. Walter Marschitz, BA

Der gebürtige Wiener studierte Rechtswissenschaften und Kunstgeschichte an der Universität Wien und war ebendort bereits als Pressereferent und Vorsitzender der Österreichischen Hochschülerschaft im Einsatz. Von 2001 bis 2016 war er Geschäftsführer des Hilfswerks Österreich, 2016 wechselte er ebenfalls als Geschäftsführer zur Sozialwirtschaft Österreichs, dem Verband der österreichischen Sozial- und Gesundheitsunternehmen, wo er bis zu seinem Wechsel zur Österreichischen Apothekerkammer tätig war. Marschitz ist außerdem Vorsitzender des Publikumsrats beim ORF und führt für die TV-Sender ATV und PULS4 Hochrechnungen bei Wahlen durch. 

Mag. Elisabeth Zimmerer

Zimmerer studierte Rechtswissenschaften an der Universität Wien. Ihre ersten Jobs führten sie von der Österreichischen Wirtschaftskammer zur Industriellenvereinigung, ehe sie im Jahr 2014 in der Politik Fuß fasste und vier Jahre als Referentin für den damaligen Justizminister Dr. Wolfgang Brandstetter tätig wurde. Bevor sie die Funktion der stellvertretenden Kammeramtsdirektorin der Österreichischen Apothekerkammer übernahm, war Zimmerer rund fünf Jahre bei Johnson & Johnson MedTech unter Vertrag.


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