
Waidhofen an der Ybbs präsentierte sich heuer bei strahlendem Sonnenschein einmal mehr als bewährter Austragungsort des Phytoherbstes. Rund 140 Kongressteilnehmer:innen folgten aufmerksam den vielfältigen Fachvorträgen.
Den Eröffnungsvortrag hielt Univ.-Doz. Dr. Dr. Ulrike Kastner, die die vielschichtigen Therapieoptionen bei Magen-Darm-Beschwerden im Kindesalter beleuchtete.
Bauchschmerzen gehören zu den häufigsten Beschwerden bei Kindern – ihre Ursachen sind jedoch äußerst vielfältig und reichen von harmlosen funktionellen Störungen bis hin zu ernsthaften Krankheitsbildern. Besonders im Schul- und Jugendalter können abdominelle Beschwerden zudem Ausdruck psychischer Belastungen sein, betonte Kastner. Große Vorsicht ist geboten, wenn Kinder Gewicht verlieren oder Wachstumsverzögerungen auftreten. Auch Gedeihstörungen sowie Veränderungen der Haut oder des Verhaltens müssen sorgfältig abgeklärt werden. Im Podcast ÖAZ im Ohr spricht die Expertin nochmals detailliert über das Thema.
Überlegenheit durch strengere Qualitäts- und Prüfstandards
Für Kund:innen in der Apotheke ist nicht immer ersichtlich, warum Teedrogen aus der Apotheke die bessere Wahl sind – auch wenn sie ev. etwas teurer sind als Tees aus Drogeriemärkten. Dr. Oliver Vendl von der Firma Kottas, Wien, erläuterte die Anforderungen, die an Kräuter in Lebensmittelprodukten gestellt werden, und damit auch an Nahrungsergänzungsmittel, die zu den Lebensmitteln gehören. Sie verglich sie mit den wesentlich strengeren Regulierungen für pflanzliche Arzneimittel.
Bereits auf der Stufe der Gewinnung – also Anbau, Sammlung und Ernte – unterliegen Arzneimittel einer zusätzlichen regulatorischen Ebene. Während bei Lebensmitteln allgemeine Regelungen gelten, wie sie für den konventionellen oder biologischen Landbau vorgeschrieben sind, kommt bei Arzneimitteln ergänzend der Standard der Good Agricultural and Collection Practice (GACP) zur Anwendung. Diese Richtlinie stellt sicher, dass die pflanzlichen Ausgangsstoffe unter definierten, qualitätsgesicherten Bedingungen produziert, gesammelt und geprüft werden.
Ein wesentlicher Unterschied zeigt sich weiters in der Prüfung der Identität und Reinheit der verwendeten Drogen. Für Lebensmittel existieren in der Regel keine verpflichtenden Prüfverfahren zur Identitätsbestimmung. Die Definition der eingesetzten Pflanzen ist weit gefasst, und Reinheitsanforderungen bestehen – wenn überhaupt – nur für ausgewählte Kräuter. Im Gegensatz dazu wird bei Arzneimitteln eine eng definierte Droge vorausgesetzt. Umfangreiche, standardisierte Prüfungen zur Bestimmung der Identität und Reinheit sind verpflichtend und durch das Europäische Arzneibuch detailliert geregelt. So dürfen bspw. bei Kamillenblüten laut Arzneibuch nur die getrockneten Blütenköpfchen von Matricaria recutita L. verwendet werden. Im Lebensmittelbereich hingegen wird die ganze Kamillenpflanze verwendet, nicht nur die Blütenköpfchen.
Auch bei der Gehaltsprüfung zeigen sich deutliche Unterschiede. Lebensmittel unterliegen lediglich für bestimmte Kräuter – insbesondere bei der Verwendung ätherischer Öle als Aromastoffe – Gehaltsvorgaben. Demgegenüber ist bei Arzneimitteln eine quantitative Bestimmung der wirkungsrelevanten Inhaltsstoffe unerlässlich. Nur durch diese Gehaltsprüfung kann die therapeutische Wirksamkeit und Reproduzierbarkeit garantiert werden.
Ein weiterer Vorteil von Arzneimitteln liegt in der systematischen Rückstandsanalyse. Zwar gelten für beide Produktgruppen die EU-weiten Grenzwerte, doch Arzneimittel unterliegen zusätzlich den Vorgaben des Europäischen Arzneibuchs. Die Durchführung und Einhaltung der Analysen liegt in der Verantwortung des Herstellers und wird durch spezifische Prüfpläne kontrolliert.
Besondere Relevanz kommt den Pyrrolizidinalkaloiden (PA) zu. Während Lebensmittel lediglich allgemeinen Grenzwerten unterliegen, besteht für bestimmte Arzneidrogen eine explizite Prüfpflicht für Hersteller. So gilt für zwölf Drogen ein maximaler Tagesmaximalwert (TDmax) von 1 µg PA, was einen besonderen Schutz für Verbraucher:innen gewährleistet.
Keine Bio-Kennzeichnung
Kund:innen wünschen oft „Bio“-Qualität. Doch für Arzneimittel ist eine Bio-Kennzeichnung nicht zulässig, erläuterte Vendel. „Bio“ steht für „ökologische Landwirtschaft“ und die Vorgaben betreffen großteils nur den Anbau. So dürfen keine synthetischen Pflanzenschutzmittel und kein Kunstdünger verwendet werden, nur bestimmtes Saatgut ist erlaubt und der Einsatz von Gentechnik verboten. Auch die weiterverarbeitenden Betriebe müssen Bio-zertifiziert sein. Alle „Bio“-gekennzeichneten Produkte sind daher Lebensmittel: „Für Arzneimittel ist eine Bio-Kennzeichnung nicht zulässig!“ Zu bedenken ist, dass die Vorgaben für Produzent:innen bzgl. Rückstandsuntersuchungen auf Pestizide u. a. bei Bio-Ware nicht strenger sind als im konventionellen Bereich. Bei Arzneimitteln hingegen besteht eine explizite Prüfpflicht für die Hersteller und eine engmaschige Kontrolle von Schadstoffen (Pestizide, Schwermetalle etc.).
Die Conclusio ist für Vendel eindeutig: „Lebensmittel sind bei Einhaltung aller gesetzlichen Vorgaben sicher. Arzneimittel hingegen vereinen Sicherheit mit nachgewiesener Wirksamkeit – und sie sind mitunter sogar geschmackvoller durch einen höheren Gehalt wirksamer Inhaltsstoffe, wie ätherischer Öle.“
Bitterstoffe an der Haut
Am Samstagvormittag berichtete die Biologin Prof. Dr. Ute Wölfle von den praktischen Erfahrungen, die am Kompetenzzentrum skintegral der deutschen Universitätshautklinik Freiburg gesammelt wurden. „Erst vor zehn Jahren wurde entdeckt, dass Bitterstoffrezeptoren nicht nur im Mund und Rachenraum vorhanden sind, sondern auch in der Lunge und in der Haut“, berichtete Wölfle. „Völlig unerwartet zeigte sich, dass in der Haut älterer Personen deutlich mehr Bitterstoffrezeptoren zu finden sind als bei jüngeren Personen. Im Alter wird die Haut zwar dünner, aber über diese Gegenregulation scheint die ältere Haut gestärkt zu werden.“ Pflanzliche Bitterstoffe aus dem Enzian (Amarogentin) oder der Weidenrinde (Salicin) binden an diese Bitterstoffrezeptoren und bewirken einen Calciumeinstrom in Keratinozyten. Dies stimuliert die Lipidsynthese und die Produktion von Proteinen, die entscheidend am Aufbau der Haut beteiligt sind. Bitterstoffe regen dadurch den Stoffwechsel der Haut an und verbessern die Hautbarriere. Bei atopischer Dermatitis konnte mit einer medizinischen Hautpflege mit Bitterstoffen und Süßholzextrakt innerhalb von 14 Tagen eine deutliche Verbesserung des Erscheinungsbildes und eine Reduktion des Atopie-Scores erzielt werden.
Antiseptisches Korianderöl
Das juckreizlindernde und entzündungshemmende Linalool ist der Hauptbestandteil des ätherischen Korianderöls und weist eine breite antiseptische Wirkung auf. An der Universitätshautklinik werden Salben mit 1 % Korianderöl erfolgreich eingesetzt bei bakteriellen Infektionen der Haut, z. B. bei Gürtelrose oder Impetigo. „Bei unseren Patienten ist die Salbe wegen des guten Geruchs und der guten Verträglichkeit sehr beliebt“, so die Biologin. „Über 10.000 stationäre Patient:innen wurden bereits an der Hautklinik mit der Salbe behandelt und es traten keine Unverträglichkeiten auf.“ Fertigprodukte mit Korianderöl sind derzeit leider nicht erhältlich, aber 1%iges Korianderöl lässt sich sehr gut als Rezeptur in o/w Emulsionen und w/o Emulsionen wie Unguentum leniens, Eucerin cum aqua und viele andere Grundlagen einarbeiten.
Auch mit einer Betulin-Creme aus Birkenkorkextrakt konnte an der Klinik bei frühen Stadien der aktinischen Keratosen, bei Verbrennungen und Ulzera, bei nässenden, akuten Ekzemen, Intertrigo und Wundliegen Behandlungserfolge erzielt werden. „2026 kommt hoffentlich wieder ein Betulin-haltiges Fertigprodukt auf den Markt“, gibt sich die Expertin zuversichtlich.
Vorsicht, Studie!
Von welch entscheidender Bedeutung das kritische Durchlesen und Interpretieren von wissenschaftlichen Studien – Metaanalysen und Netzwerkanalysen eingeschlossen – ist, demonstrierte der Urologe Dr. Peter J. Olbert aus Brixen in Südtirol. „Es gibt viele kontroversielle Studienergebnisse zu Phytotherapeutika beim unkomplizierten Harnwegsinfekt und der benignen Prostatahyperplasie“, konstatierte der Facharzt, „doch eine negative Beurteilung der Phytotherapie – auch von renommierten Gruppen wie Cochrane – darf nicht unreflektiert zur Kenntnis genommen werden, sondern erfordert ein genaues Hinsehen.“ Für ihn ist nach eingehender Analyse der Studien klar: Die Evidenzlage rechtfertigt den Einsatz von Phyto- und Komplementär-Therapeutika bei unkomplizierten, lokalisierten Harnwegsinfekten, insbesondere in der Rezidivprophylaxe und insbesondere auch als Monotherapie, ebenso wie bei der benignen Prostatahyperplasie/LUTs (lower urinary tract symptoms), vor allem im irritativen Segment. Auf das Prostatavolumen und auf den Obstruktionsgrad haben Phytotherapeutika allerdings keinen Einfluss.
Viele neue Zulassungen
35 neue Phytoarzneimittel sind seit Jänner 2022 auf den Markt gekommen. Mag. Dr. Elisabeth Eichenauer präsentierte in einem Überblick Studien zu einigen der neu zugelassenen Produkte, u. a. zu einem Kombinationspräparat aus sieben verschiedenen pulverisierten Drogen, das bei Erkältungen sinnvoll eingesetzt werden kann. Auch zu weiteren Arzneipflanzen wie zum Sängerkraut (Sisymbrium officinale) und zum Herzgespannkraut (Leonurus cardiaca) liegen Daten zur klinischen Wirksamkeit bzw. Beobachtungsstudien vor. Den Abschluss der Tagung bildete der interaktive Vortrag von Prof. Dr. Reinhard Länger. Er referierte launig zu Curcuma und der Reinsubstanz Curcumin, die weltweit zu den Naturstoffen mit den meisten wissenschaftlichen Publikationen zählt.