Haarausfall

(K)eine haarige Angelegenheit

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Ab einem länger andauernden Haarverlust von über 100 Haaren pro Tag spricht man von Haarausfall, der klinisch abgeklärt werden sollte.  © iStock
Ab einem länger andauernden Haarverlust von über 100 Haaren pro Tag spricht man von Haarausfall, der klinisch abgeklärt werden sollte. © iStock

Jeder Mensch besitzt zwischen 80.000 und 120.000 Haare auf dem Kopf, die zu einem Großteil aus dem Faserprotein Keratin bestehen. Die Anzahl der Haarfollikel ist dabei bereits von Geburt an festgelegt. Das Haarwachstum hingegen ist von vielen Faktoren abhängig und unterliegt einem Wachstumszyklus, der je nach Lokalisation mehrere Monate bis Jahre dauern kann. In der Anagenphase kommt es zu einem Wachstum von ca. 1 cm pro Monat. Diese dauert etwa zwei bis sechs Jahre an. Nach einer kurzen Übergangsphase (Katagenphase) folgt die zwei- bis viermonatige Telogenphase, an deren Ende das Haar ausgeworfen wird und der Zyklus von vorne beginnt. 
Jeder Haarfollikel besitzt seinen eigenen unabhängigen Wachstumszyklus, wodurch es zu einem physiologischen Haarverlust von bis zu 100 Haaren pro Tag kommen kann. Bei verstärktem Haarausfall von täglich mehr als 100 Haaren über einen längeren Zeitraum spricht man von Effluvium, das in schweren Fällen bis hin zur sichtbaren Haarlosigkeit (Alopezie) führen kann. Sowohl äußere als auch innere Einflüsse können einen vorzeitigen Übergang in die nächste Phase und somit eine Verschiebung der Wachstumsphasen bzw. eine Störung der Haarfollikel verursachen.

Eine Frage der Diagnostik

Die Gründe für Haarausfall sind vielfältig. Dabei ist der Haarausfall an sich nicht als Erkrankung, sondern als ein Symptom einer pathologischen Veränderung im Körper zu definieren. Zur diagnostischen Abklärung werden nicht nur Laborparameter (Hormone, Nährstoffe, Erreger etc.), Haarverlustzählungen, Zugtests, Haarlichtungsmuster, sondern auch die Anagen-Telogen-Ratio herangezogen. Anhand dieser klinischen Parameter unterscheidet man zwischen der genetisch bedingten Alopecia androgenetica und der Alopecia areata, bei der es aufgrund einer T-Zell-vermittelten Autoimmunerkrankung zum kreisförmigen Untergang der Haarfollikel kommt. Unter dem Begriff „diffuser Haarausfall“ werden weitere abnorme Haarverluste zusammengefasst, die aufgrund von falscher Pflege, Nährstoffmangel, Hormon- und Stoffwechselerkrankungen, Diäten, Alter, Schwangerschaft, Arzneimittel (zum Beispiel Chemotherapie), Stress etc. auftreten können. Während der kreisrunde Haarausfall vorwiegend im ambulanten Bereich mittels Immuntherapie behandelt wird, haben Apotheken einen großen Stellenwert mit unterstützenden Maßnahmen bei diffusem und hormonell bedingtem Haarausfall.  

Hormone als Übeltäter 

Neben hormonellen Veränderungen aufgrund von Schwangerschaft (postpartales Effluvium), Klimakterium (hypoöstrogene Alopezie), Schilddrüsenerkrankungen und polyzystischem Ovarialsyndrom ist auch die Behandlung mit endokrinen Therapeutika (iatrogene Alopezie durch orale Kontrazeptiva, Antiöstrogene, Aromatasehemmer etc.) häufig ein Auslöser für Haarverlust.
 
Mit einer Prävalenz von etwa 70 % aller Männer und 40 % aller Frauen ist die androgenetische Alopezie mit steigender Inzidenzrate im Alter jedoch die häufigste Form des Haarausfalls. Pathologisch gesehen handelt es sich dabei um eine erblich bedingte und hormonell gesteuerte Veränderung bzw. Verkleinerung der Haarfollikel mit typischen Haarlichtungsmustern, die vermutlich durch eine Sensibilisierung auf Androgene (Dihydrotestosteron) hervorgerufen wird. Während es bei Männern laut Hamilton-Norwood-Schema vorwiegend zu Ausfällen im Haaransatzbereich und Geheimratsecken kommt, lichtet sich bei Frauen gemäß Ludwig-Schema vor allem der Mittelscheitel (siehe Abbildung 1). 



Die aktuell gültige S3-Leitlinie für die Behandlung der androgenetischen Alopezie (2011 erschienen) empfiehlt nur zwei Therapieoptionen mit hoher Evidenz: zum einen die lokale Behandlung mit Minoxidil, die sowohl bei Frauen als auch Männern indiziert ist, und zum anderen die für Männer zugelassene systemische Therapie mit dem 5α-Reduktasehemmer Finasterid (Dosierung: 1 mg/Tag). Die Wirkung beruht auf der Hemmung der Umwandlung von Testosteron zu Dihydrotestosteron und tritt nach etwa drei bis sechs Monaten ein. Doch trotz der geringen Evidenzlage werden in der Praxis auch bei Frauen systemische und topische Hormontherapeutika wie Cyproteronacetat (Antiandrogen) oder Alfatradiol (5α-Reduktasehemmer) angewendet sowie geschlechtsunabhängig Eigenhaartransplantationen vorgenommen. Weitere Maßnahmen aus der orthomolekularen Medizin zeigen laut aktuellen Studien keine ausreichende Evidenz, können aber zur Unterstützung herangezogen werden.

Manche Betroffene entscheiden sich bewusst für eine Glatze und setzen damit ein Statement. © iStock
Manche Betroffene entscheiden sich bewusst für eine Glatze und setzen damit ein Statement. © iStock


Nebenwirkung als Wirkung

Der Kaliumkanal-Blocker Minoxidil wurde früher als Antihypertensivum bei arterieller Hypertonie eingesetzt. Heute wird dessen Nebenwirkung – verstärkter Haarwuchs – erfolgreich zur lokalen Therapie bei androgenetischer Alopezie angewendet. Randomisierte, Placebo-kontrollierte Studien zeigen, dass bei zweimal täglicher Anwendung einer 2%- (bei Frauen) bzw. 5%igen (bei Männern) Minoxidil-Lösung der Haarverlust um 80–90 % reduziert werden konnte. Der genaue Wirkmechanismus ist jedoch ungeklärt. Verwendet werden Fertigpräparate oder magistrale Rezepturen aus der Apotheke (siehe Kasten 1 und Tabelle 1). Bei Therapiebeginn sollte auf einen potenziellen verstärkten Haarausfall nach etwa zwei bis drei Monaten (Shedding) und Nebenwirkungen wie Reizungen der Kopfhaut hingewiesen werden. Eine nennenswerte Wirkung ist bei konsequenter Anwendung nach etwa vier bis acht Monaten zu erwarten. Eine Langzeittherapie wird empfohlen, da es nach Therapieabbruch zu rezidivierendem Haarausfall kommen kann.

Magistrale Herstellung 
Minoxidil-Lösung


Aufgrund der schweren Löslichkeit von Minoxidil sollten standardisierte Rezepturen zur Herstellung verwendet werden. In der Praxis weisen die meisten Rezepturen einen hohen Gehalt an Alkohol und Propylenglykol (bis zur 4-fachen Menge von Minoxidil) auf.

Zur vollständigen Lösung ist häufig die Anwendung von Wärme notwendig. Laut DAC/NRF sollten zur besseren Verträglichkeit auch hautschonende Lösungsvermittler (Macrogol-40-glycerolhydroxystearat) und rückfettende Substanzen (Isopropylpalmitat) zugesetzt werden. Abgefüllt wird vorzugsweise in eine Braunglasflasche mit Pipetteneinsatz. (siehe Tabelle 1)

Wichtiger Hinweis

Minoxidil ist in der Österreichischen Arzneitaxe gelistet, unterliegt bei einer Zubereitung von über 2 % jedoch der Rezeptpflicht. Der Wirkstoff ist kontraindiziert in Schwangerschaft und Stillzeit, bei Personen unter 18 Jahren und bei Überempfindlichkeit gegen Minoxidil.

Kasten 1

Tabelle 1: NRF-Rezeptur 11.121.
Minoxidil-Spiritus
Für 100 g2 %5 %
Minoxidil2,0 g5,0 g
Isopropylpalmitat1,0 g1,0 g
Macrogol-40-
glycerolhydroxystearat
2,5 g2,5 g
Propylenglykol7,5 g15,0 g
Ethanol 70 % (V/V)ad 100,0 gad 100,0 g


Ein Symptom, viele Ursachen 

Nach Abklärung, ob eine genetisch bzw. hormonell bedingte Ursache vorliegt, sollten auch Nährstoffräuber wie Stress, Rauchen, Alkohol, orale Kontrazeptiva, Schwangerschaft und Stillzeit, Infektionen etc. ermittelt werden, um den Therapieerfolg zu verbessern. 

Auch ein physiologischer Haarausfall im Alter sowie eine mögliche Schwermetall- bzw. Chemikalienbelastung sollten beachtet werden. Ein erst kürzlich publizierter Review von Aryanian et al. (2022) zeigt außerdem, dass die Prävalenz von Haarausfall während der COVID-19-Pandemie deutlich zugenommen hat. 

Etwa 60 % aller Personen leiden nach einer SARS-CoV-2-Infektion unter einem reversiblen Haarausfall, der noch in der akuten Phase der Erkrankung oder erst Wochen danach auftreten kann. Als Gründe dafür werden vor allem emotionaler und oxidativer Stress, Gewichtsverlust und Nährstoffmangel (v. a. Zink und Eisen) genannt.

Tara-Tipps
Einmaleins bei Haarausfall
  • richtige Haarpflege: nicht zu oft und heiß waschen
  • schonende Pflegeprodukte ohne Alkohol, Parabene und Silikone verwenden
  • Anregung der Kopfhaut mittels Massagen und
    durchblutungsfördernden Shampoos
  • eine ausgewogene Ernährung mit hochwertigen Eiweiß- und Mineralstoffquellen
  • labordiagnostische Abklärung des Nährstoffhaushalts (Zink, Eisen, Selen, Kupfer, B-Vitamine, Vitamin D etc.)
  • Abklärung von besonderen Umständen wie Schwangerschaft, Klimakterium, Chemotherapie und Bestrahlung, zurückliegende Infektionskrankheiten, Stress, Diäten etc.
  • NEM sollten regelmäßig und als Kur für mindestens drei Monate angewendet werden

Kasten 2


Nährstoffe zur Unterstützung

Das Evidenzlevel der Nährstoffsupplementierung zur Behandlung der androgenetischen Alopezie hat für die Aufnahme in die S3-Leitlinien nicht ausgereicht. Dafür fehlt es an großen, doppelblinden und Placebo-kontrollierten Studien. Trotzdem gibt es Nährstoffkombinationen für Haarausfall wie Sand am Meer. Sind sie also alle umsonst? Die Ergebnisse aktueller Reviews (Almohanna HM et al., Rajput RJ) zeigen das Gegenteil: Es gibt einen eindeutigen Zusammenhang zwischen gewissen Nährstoffen und einer gesunden Entwicklung der Haarfollikel. Besonders Antioxidantien haben einen Einfluss auf das aktive Haarwachstum und eine Unterversorgung von v. a. Vitamin D und C, Eisen sowie B-Vitaminen stellt ein Risiko für Haarausfall dar. Hochdosis-Präparate sollten jedoch immer nur nach labordiagnostischer Abklärung eines Mangels angewendet werden. Auch die EU-Verordnung zu gesundheitsbezogenen Angaben über Lebensmittel listet sogenannte Health Claims zur Erhaltung normaler Haare für Zink, Selen und Biotin (auch: Vitamin H oder Vitamin B7). Aber Achtung: Biotinhaltige NEM sollten mindestens drei Tage vor einer Blutanalyse abgesetzt werden, da es durch Biotin-Interferenzen zu falschen Laborergebnissen kommen kann.

In vielen NEM findet man zusätzlich Eisen, Kupfer, weitere B-Vitamine, Antioxidantien wie Vitamin C, schwefelhaltige Aminosäuren wie L-Cystein als Keratin-Bausteine sowie verschiedene Siliziumquellen (z. B. Kieselerde). Für ein sichtbares Ergebnis wird bei den meisten NEM eine Kur sowie regelmäßige Anwendung von mindestens drei Monaten empfohlen. Und wieder einmal heißt es: Geduld ist gefragt!

Text: Mag. Pharm. Alissa Domaingo 

Quellen

• Blumeyer A et al.: Evidence-based (S3) guideline for the treatment of androgenetic alopecia in women and in men. J Dtsch Dermatol Ges. 2011; Suppl 6: 1-57
• Wolff H et al.: Diagnostik und Therapie von Haar- und Kopfhauterkrankungen. Deutsches Ärzteblatt 2016; Jg. 113, Heft 21: 377-387
• Aryanian Z et al.: The role of SARS-CoV-2 infection and its vaccines in various types of hair loss. Dermatol Ther. 2022; 35(6): e15433
• Almohanna HM et al.: The Role of Vitamins and Minerals in Hair Loss: A Review. Dermatol Ther. 2019; 9(1): 51-70
• Rajput RJ: Influence of Nutrition, Food Supplements and Lifestyle in Hair Disorders. Indian Dermatol Online J. 2022; 13(6): 721-724

Weitere Quellen auf Anfrage 

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