Unbeliebte Vorsorge

Früherkennung von Prostatakrebs

Mag. pharm. Christopher Waxenegger
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Themenbild Prostata-Untersuchung © Shutterstock
Mittels Tastuntersuchung lassen sich zwar nicht alle Veränderungen vollständig erfassen, sie gibt dem Arzt jedoch eine erste Orientierung für das weitere Vorgehen. © Shutterstock

Das Prostatakarzinom ist in Industriestaaten die häufigste bösartige Krebsart bei Männern – und Österreich bildet keine Ausnahme. Die in regelmäßigen Abständen erhobenen Zahlen der Statistik-Austria belegen für 2018 eine Inzidenz von rund 27 %, gefolgt von Lungen- (12 %) und Darmkrebs (11 %) auf den Plätzen zwei und drei. Im selben Jahr erhielten 6.018 Männer eine Neudiagnose, und 1.215 verstarben an den Folgen des Tumors. Umgerechnet kann somit jeder neunte Krebstodesfall auf ein Prostatakarzinom zurückgeführt werden.

Bekannte Risikofaktoren

Die Wahrscheinlichkeit, an Prostatakrebs zu erkranken, nimmt mit dem Alter stetig zu und erreicht bei etwa 70 Jahren einen Peak. Diagnosen vor dem 50. Lebensjahr sind hingegen selten. Gewissermaßen ist das Prostatakarzinom also eine Alterserkrankung bei Männern. Neben dem Alter als wichtigsten Risikofaktor existieren noch weitere, teils mehr, teils weniger gut untersuchte Umstände, die mit der Entstehung von Prostatakrebs in Verbindung gebracht werden

  • genetische Veranlagung
  • Ernährung
  • Lebensstil
  • entzündliche Erkrankungen der Prostata
  • Übergewicht bzw. Adipositas

Die vorliegenden Daten hinsichtlich der Relevanz einzelner Risikofaktoren aus wissenschaftlichen Publikationen sind komplex und widersprüchlich, sodass daraus keine eindeutigen Schlussfolgerungen gezogen werden können. Generell wird deshalb von den Autoren der aktuellen deutschen S3-Leitlinie „Prostatakarzinom“ eine Früherkennung nach individueller Abwägung und ausführlicher Information des Patienten ab dem vollendeten 45. Lebensjahr empfohlen. Dieses Vorgehen ist auch in Österreich gängige Praxis.

Früherkennung

Die Tastuntersuchung

Schambehaftet und nach wie vor unbeliebt ist die ärztliche Tastuntersuchung (digital rektale Untersuchung; DRU). Für die DRU wird der Patient mit angewinkelten Beinen in Seitenlage gebracht und ein desinfizierendes lokalanästhetisches Gleitgel appliziert. Der Arzt ertastet im Anschluss die Prostata und beurteilt ihre Größe, Form, Konsistenz, etwaige Verhärtungen, Flüssigkeitsbewegungen sowie Druckschmerzen. Zur kompletten DRU gehört ebenso die Beurteilung des Rektums und des Analkanals auf Blutungen, Knoten, Hämorrhoiden und Schleimhauteinrisse. Falls erreichbar, werden zudem die Samenblasen auf Größe, Konsistenz und Druckschmerzen geprüft.

In der Regel ist eine DRU nicht schmerzhaft, sofern keine Veränderungen wie Einrisse der Analschleimhaut oder eine Prostataentzündung bestehen. Mittels Tastuntersuchung lassen sich zwar nicht alle Veränderungen vollständig erfassen, sie gibt dem Arzt jedoch eine erste Orientierung für das weitere Vorgehen.

vorsteherdrüse - 
Anatomie der Prostata

Die Prostata oder auch Vorsteherdrüse ist eine Sekret produzierende Drüse mit einem Gewicht von ungefähr 20 g. Ihre Form, Größe und das Gewicht werden gerne mit der einer Kastanie verglichen. Sie befindet sich direkt unter der Harnblase und in unmittelbarer räumlicher Nähe zum Mastdarm – ein Umstand, den man sich bei der Tastuntersuchung zunutze macht.

Die Hauptaufgabe der Prostata besteht darin, einen Teil der Samenflüssigkeit zu bilden, welche sich im Zuge der Ejakulation mit den Spermien vermischt und über spezielle Ausführungsgänge im Bereich des Samenhügels in die Harnröhre gelangt. Dieses Sekret beinhaltet zahlreiche Enzyme, die für die Funktion der Samenzellen und ihre Befruchtungs­fähigkeit unerlässlich sind. Das bekannteste dieser Enzyme ist das Prostata-spezifische Antigen (PSA).

Hyperplasie

Da die Harnröhre bei Männern anatomisch direkt durch die Prostata hindurch verläuft, können sich sowohl gutartige als auch bösartige Vergrößerungen dieses Organs mit Problemen beim Harnlassen präsentieren. Hierzu gehören starker Harndrang – v. a. nachts – Nachträufeln, ein abgeschwächter Harnstrahl und Restharnbildung bis hin zu Schmerzen bei der Miktion. Die beschriebenen Symptome sind allerdings unspezifisch und können im Frühstadium sogar komplett fehlen.

 

Der PSA-Wert

Der PSA-Wert (ng/ml oder µg/l) ist ein bedeutsames Instrument in der Früherkennung von Prostatakrebs und korreliert mit der Größe der Vorsteherdrüse, erlaubt aber gleichwohl keine klare Unterscheidung zwischen gut- und bösartigen Gewebeveränderungen. So ist der PSA-Wert regelhaft bei Benigner Prostatahyperplasie (BPH) und bakteriellen Infektionen, aber auch infolge Reizungen durch Sport oder Ejakulation vor der Bestimmung erhöht. Außerdem sind einige Medikamente in der Lage, den PSA-Wert zu senken. Dazu zählen 5α-Reduktasehemmer (z. B. Finasterid, Dutasterid), Antibiotika und entzündungshemmende Schmerzmittel aus der Gruppe der Nicht-steroidalen Antirheumatika wie Ibuprofen.

Einer einzelnen PSA-Messung wird grundsätzlich weniger Bedeutung beigemessen, als der Veränderung des Werts im Verlauf. Für ältere Männer besteht ein begründeter Krebsverdacht bei einem jährlichen Anstieg von mehr als 0,75 ng/ml, für jüngere bei mehr als 0,35 ng/ml. Eine grobe Orientierung bietet überdies die S3-Leitlinie, wonach bei einem PSA-Wert von weniger als 1 ng/ml alle vier Jahre, bei 1–2 ng/ml alle zwei Jahre und bei einem PSA-Wert von mehr als 2 ng/ml eine jährliche Kontrollmessung erfolgen sollte.

Heutzutage haben Patienten darüber hinaus die Möglichkeit, ihr individuelles Risiko selbst auf z. B. www.prostatecancer-riskcalculator.com zu ermitteln. Auf der Website gibt es zwei ausführlich erklärte Online-Tests. Einen allgemeinen (PSA-Wert unbekannt) und einen spezifischen (PSA-Wert bekannt) zur Abschätzung, ob eine weiterführende Untersuchung/Biopsie sinnvoll ist.

Tabelle
PSA-Normwerte- altersspezifische Unterschiede
Alter in Jahren PSA-Wert
bis 50< 2,0 ng/ml
bis 60< 3,1 ng/ml
bis 70< 4,1 ng/ml
über 70< 4,4 ng/ml

Die Biopsie

Gegenwärtig wird der Biopsie ein multiparametrisches MRT (mpMRT) vorgezogen. Dieses Verfahren kombiniert drei verschiedene Aufnahmeverfahren miteinander und liefert sehr detaillierte Bilder. Ein Prostatakrebs lässt sich so mit hoher Sicherheit aufspüren, aber auch ausschließen und unnötige Biopsien vermeiden. Bei unklaren Resultaten ist zur endgültigen Diagnosesicherung die transrektale Stanzbiopsie nach wie vor Goldstandard. Sie ist der transperitonealen (durch das Bauchfell) Biopsie überlegen und dient dazu, verändertes Drüsengewebe eindeutig klassifizieren zu können.

Die Gewebeproben werden hierfür unter Ultraschallkontrolle mithilfe dünner Nadeln aus verschiedenen Arealen der Prostata gestanzt und anschließend mikroskopisch und gegebenenfalls molekularbiologisch (z. B. BRCA-Genmutation) analysiert. Zur Vermeidung bakterieller Infektionen wird der Darm, über den der Zugriff erfolgt, zuvor mit Iod desinfiziert und prophylaktisch ein Antibiotikum verabreicht. Unerwünschte Nebenwirkungen der Biopsie sind insbesondere vorübergehende Blutbeimengungen im Urin oder Ejakulat sowie reversible Erektile Dysfunktion.

Evidenz zur Früherkennung

Das Ziel der Früherkennung ist die Detektion eines bösartigen Tumors im lokalisierten organbegrenzten Frühstadium. Sie leistet einen wesentlichen Beitrag zur Verringerung der Sterblichkeit, die seit 2003 österreichweit um mittlerweile 36 % zurückgegangen ist. Sieht man sich die Effektivität neuer Prostatakrebs-Medikamente näher an, wird klar, dass die sinkende Sterblichkeitsrate nicht allein auf pharmakologische Innovationen zurückzuführen ist.

Die europäische Screeningstudie ERSPC (European Randomized study of Screening for Prostate Cancer) rekrutierte zwischen 1993 und 2005 mehr als 160.000 Männer im Alter von 50 bis 74 Jahren und randomisierte diese in zwei Gruppen: Gruppe 1 erhielt kein Screening, während in Gruppe 2 alle zwei bis sieben Jahre eine PSA-Messung mit einem Cut-off-Wert von 3 ng/ml durchgeführt wurde. Lag der gemessene PSA-Wert darüber, folgte im nächsten Schritt eine transrektale Biopsie. 2015 wurden schließlich die Daten nach 13 Jahren Follow-up veröffentlicht. 

Insgesamt konnten in der Screening-Gruppe 10,2 % Karzinome (davon 3,4 % metastasiert) verglichen mit 6,8 % in der Kontrollgruppe (davon 9,6 % metastasiert) detektiert werden. In beiden Gruppen waren nach 13 Jahren 21 % der Patienten verstorben, wobei die Prostatakarzinom-spezifische Mortalität 0,49 vs. 0,61 % betrug. Dies entspricht einer Risikoreduktion von 21 % in 13 Jahren oder anders gesagt: Von 10.000 gescreenten Männern sind 12 weniger gestorben. Allerdings haben sich in der Screening-Gruppe lediglich 83 % überhaupt einem Screening unterzogen und 14 % der Männer mit einem PSA-Wert von > 3 ng/ml entschieden sich gegen eine Biopsie.

Eine andere europäische Studie beschäftigte sich mit der Frage, ob entweder eine radikale Prostatektomie (Entfernung der Prostata) oder abwartendes Handeln („watchful waiting“) nach Diagnosestellung vorzuziehen ist. Von 695 Männern mit diagnostiziertem Karzinom wurden 347 einer radikalen Entfernung zugeteilt. Das Follow-up nach im Median 23,6 Jahren ergab, dass 72 % in der Prostatektomiegruppe und 84 % in der Kontrollgruppe verstorben waren. Auch im Hinblick auf Metastasen schnitt die Prostatektomiegruppe besser ab (27 vs. 43 %).

Am meisten profitieren Männer mit einem Gleason-Score von < 8, sprich mit moderatem Risiko. Bei näherem Hinsehen lässt sich feststellen, dass in der Verumgruppe immerhin 10 % eine Prostataentfernung abgelehnt haben, und bei 7 % keine kurative Therapie mehr möglich war, wohingegen sich in der Kontrollgruppe 6 % für eine kurative Behandlung entschieden, was in der Mehrzahl der Fälle eine Prostatektomie war (= Verzerrung der Ergebnisse).

In Summe profitieren Männer mit einer weiteren Lebenserwartung von mindestens 10 Jahren von einem kurativen Therapieansatz. Unabhängig davon sollten Vor- und Nachteile der Früherkennung im offenen Dialog besprochen werden.

Weiterführende Informationen
Früherkennung

Infobroschüre Österreichische Krebshilfe:
https://www.krebshilfe.net/services/broschueren#broschuere-23

Achtteilige Video-Reihe – Fake News Prostatakrebs der Österreichischen Krebshilfe gemeinsam mit Österreichs Urologen:
YouTube-Kanal: 
https://www.youtube.com/c/ÖsterreichischeKrebshilfe
 
Österreichische Kampagne zur Früherkennung:
https://www.loosetie.at/



Quellen
•   Ahmed HU. et al.: Diagnostic accuracy of multi-parametric MRI and TRUS biopsy in prostate cancer (PROMIS): a paired validating confirmatory study. Lancet. 2017; 389(10071):815–822
•   Bill-Axelson A et al.: Radical Prostatectomy or Watchful Waiting in Prostate Cancer − 29-Year Follow-up. N Engl J Med. 2018; 379(24):2319–2329
•   Carter HB. et al.: Estimation of prostatic growth using serial prostate-specific antigen measurements in men with and without prostate disease. Cancer Res. 1992; 52(12):3323–8
•   Ørsted DD. et al.: Long-term prostate-specific antigen velocity in improved classification of prostate cancer risk and mortality. Eur Urol. 2013; 64(3):384–93
•   Schröder FH. et al.: Screening and prostate cancer mortality: results of the European Randomised Study of Screening for 
Prostate Cancer (ERSPC) at 13 years of follow-up. Lancet 2014; 384(9959):2027–35
•   Statistik Austria: www.statistik.at/web_de/statistiken/menschen_und_gesellschaft/gesundheit/krebserkrankungen/prostata/index.html (Stand 4.10.2021)

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