Costa Rica

Emil und die Detektive

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Costa Rica © beigestellt
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Die Triebwerke heulen auf, das ganze Flugzeug beginnt zu dröhnen, es drückt mich in den Sitz in der 54. Reihe, die vorvorletzte. Pünktlich um 12.05 Uhr hebt der riesige Airbus 350 mit 348 Reisenden an Bord vom Flughafen Madrid-Barajas ab. In elf Stunden werden wir in San Jose, der Hauptstadt von Costa Rica, landen. Ich bin auf meiner dritten Reise in das kleine mittelamerikanische Land, um meinen Lieblingsort, den „Regenwald der Österreicher“ und die Tropenstation in La Gamba, zu besuchen.

Angefangen hat mein Interesse für den Regenwald 2003, als mich der damalige Dekan der naturwissenschaftlichen Fakultät der Uni Wien, Prof. Wolfgang Kubelka, gefragt hat, ob ich auf eine Studienreise nach Costa Rica mitfahren möchte, es wären noch zwei Plätze frei. Meine damalige Frau und ich sagten sofort zu und so kam es zum ersten Kontakt mit dem Land der Ticos, so nennen sich die freundlichen Einwohner:innen selbst. Unser damaliger Reiseleiter war Dr. Werner Huber, der mit seinem Kollegen Dr. Anton Weissenhofer vor 30 Jahren die Gegend um La Gamba erforschte. Im Rahmen ihrer Dissertation konnten sie über 320 neue Baumarten (!) entdecken. Im Jahr 2010 konnte ich auf meiner zweiten Reise die Fortschritte der Tropenstation bewundern, die mittlerweile Platz für 36 Wissenschaftler:innen bot.

Von San Jose nach La Gamba

Wir landeten noch am selben Abend in der Hauptstadt San José und übernachteten in dem kleinen Hotel Casa Leon. Patrick, ein uriger Schweizer, begrüßte uns mit einem lächelnden „Pura Vida“ – die Begrüßungsformel aller Ticos, was so viel wie „einfaches Leben“ bedeutet. Das Hotel war sauber und nett eingerichtet, nur die Eisenbahngleise direkt neben dem Haus hätten uns stutzig machen sollen. Und tatsächlich begann dann um 05.00 Uhr früh das ganze Haus zu dröhnen, denn ein Personenzug von der angrenzenden Fabrik donnerte „durch das Zimmer“. Aber da die Tageszeiten in Costa Rica von „six to six“ gehen, blieben wir dann gleich auf und frühstückten im Mercado Central, wo uns ein starker Kaffee und frische Früchte gleich munter machten. Nach Geldwechseln und Leihauto-Übergabe besuchten wir das Nationaltheater. Der neoklassizistische Bau wurde 1897 mit einer Aufführung von Goethes „Faust“ eröffnet und beherbergt außerdem ein ausgezeichnetes Kaffeehaus im Wiener Stil, köstliche Mehlspeisen inklusive. Weitere Sehenswürdigkeiten in San Jose sind das präkolumbianische Museum und das Jademuseum.

Doch uns zog es in die Natur. In nicht einmal zwei Autostunden ging es von San Jose auf über 3.400 m Seehöhe zu unserem ersten Vulkan, dem Irazu. Der Name bedeutet in der indigenen Sprache „grollender Berg“, er ist mit 3.432 m der höchste Vulkan Costa Ricas. Der Irazu ist ein Schichtvulkan (Stratovulkan) und zählt zu den gefährlichsten und unberechenbarsten Vulkanen des Landes. Er brach im Jahre 1994 das letzte Mal aus, mit der Stärke 2 auf dem Vulkanexplosivitätsindex (VEI). Einen Ausbruch der Stärke 3 gab es 1963. Während dieser Ausbruchsphase, die bis 1965 dauerte, schossen immer wieder mit Lavastaub und Steinen beladene Dampfwolken bis zu 500 m hoch in den Himmel.

Der Vulkan gehört zu denjenigen, die in ihrem Krater einen durch Regen gespeisten Säuresee beherbergen. Er ist von grüner Farbe. Die Gefahren, die von diesem Vulkan ausgehen, betreffen vor allem einen Bergsturz der dünnen Kraterwand. Dann würden mehrere Millionen Tonnen Gestein abrutschen und der Säuresee ausfließen.

Eine Besonderheit dieses Vulkans ist, dass man von seiner Spitze aus an klaren Tagen zwei Meere, das Karibische Meer im Osten und den Pazifischen Ozean im Westen, sehen kann – ein Anblick, der uns aber an diesem Tag durch eine Wolkendecke verwehrt blieb. Ein wunderschöner Rundweg am Kraterrand bei strahlend blauem Himmel und angenehmen 14 Grad entschädigte uns aber dafür.

Vom Irazu wieder in der Hochebene angelangt, besuchten wir noch die eindrucksvolle Wallfahrtskirche Basilika Nuestra Señora de los Ángeles in der ehemaligen Hauptstadt Cartago, welche 1723 durch einen Ausbruch des Irazu gänzlich zerstört wurde. Durch diesen Vorfall und weiteren Erdbeben wurde die Hauptstadt dann nach San José verlegt.

Unsere Reiseroute führte uns dann durch das Valle Central Richtung Westen, laut Google Maps sollten wir in wenigen Stunden in Dominical an der Pazifikküste sein. Doch ein sintflutartiger Regen erschwerte das Fortkommen erheblich. Nach Überquerung des Passes bei San Isidro ging plötzlich gar nichts mehr. Nach einer gefühlten Ewigkeit ging endlich ein Polizist die Autoschlange entlang und rief uns auf Englisch „Landslide, landslide“ zu – einen Kilometer vor uns hatte ein Erdrutsch die gesamte Straße abgetragen, zwei Autos mit vier Insassen wurden verschüttet. Es schüttete weiterhin wie aus Schaffeln, sodass wir uns schon auf ein Übernachten im Auto einrichteten. Nach zwei Stunden kam aber Bewegung in die Kolonne, zwei riesige Bulldozer und einige Schaufelbagger hatten eine Ersatzstraße durch ein nahe gelegenes Dorf gegraben, der Verkehr wurde dann wechselweise abgefertigt. Einigermaßen erschöpft kamen wir aber noch vor Mitternacht an unserem Ziel an und fanden auch gleich ein passendes Quartier. „Nur noch ins Bett …“ war mein letzter Gedanke vor dem Einschlafen.

Am nächsten Tag besuchten wir den Nationalpark Manuel Antonio und konnten bei einer geführten Wanderung Faultiere, Kapuzineraffen sowie verschiedenste Spinnen und Eidechsen entdecken. Schon am Nachmittag ging es auf der Interamericana Richtung Süden, noch vor Einbruch der Dunkelheit wollten wir in der Tropenstation La Gamba sein.

Die Tropenstation La Gamba 

Die Tropenstation (siehe Kasten 1) befindet sich in der kleinen Gemeinde La Gamba und liegt nur 4,5 km von der Interamericana entfernt. Die nächstgelegene Stadt ist Golfito, welche auch einen Flugplatz besitzt, der mehrmals täglich von der Hauptstadt San José angeflogen wird.

Fakten
Die Uni Wien in Costa Rica

Die Tropenstation La Gamba ist eine Forschungs-, Lehr- und Weiterbildungsinstitution der Universität Wien am Rande des „Regenwaldes der Österreicher“ in Costa Rica. In einem der artenreichsten Tieflandregenwälder Mittelamerikas gelegen, bietet sie ideale Voraussetzungen für Feldforschungen, Kurse und Seminare. Die Tropenstation leistet einen wesentlichen Beitrag zur Erforschung tropischer Regenwälder, weckt das Interesse für die Erhaltung und Erforschung des Regenwaldes und bietet Studierenden und Naturinteressierten die Möglichkeit, ihr Naturverständnis im Regenwald zu vertiefen.

Kasten 1


Die Tropenstation La Gamba wurde 1993 im Zusammenhang mit einer vom österreichischen Musiker Prof. Michael Schnitzler initiierten Freikaufaktion im Esquinas-Regenwald gegründet und hat sich dank des Einsatzes von Wiener Biologen zu einer leistungsfähigen Forschungsstation entwickelt, mit einer überaus positiven Bilanz in Bezug auf tropenrelevante Wissenschafts-, Ausbildungs- und Fortbildungstätigkeit.

Auf Vermittlung von Dr. Werner Huber durften wir für fünf Tage in der Tropenstation wohnen. Unser Betreuer war ein junger Zivildiener namens Emil Ebenhöh, der erst im Juni 2022 maturiert und sich anschließend für einen einjährigen Zivildienst in La Gamba beworben hatte. Er begrüßte uns in dem großzügig angelegten Comedor mit Coco loco, einem Cocktail aus Kokosmilch und weißem Rum, wir revanchierten uns bei ihm mit Sacherschnitten, die wir noch in Wien-Schwechat im Duty-free erstanden hatten. In den nächsten Tagen führte uns Emil durch die Station, machte uns mit den anwesenden Wissenschaftlern und Wissenschaflerinnen bekannt und führte uns durch den Botanischen Garten der Station mit einem stark zugewachsenen Gewässer. Ursprünglich als Schwimmteich geplant, wird er aber jetzt vom Kaiman-Weibchen Roxy belegt …

Als Zivildiener ist Emil natürlich „Mädchen für alles“, seine größte Freude ist aber, wenn er das Labor der Station – das übrigens wegen der wissenschaftlichen Präparate gut gekühlt ist – betreten kann, um die Prachtbienensammlung zu betreuen und die geernteten Chilischoten und Kurkumawurzeln zu Gewürzen zu verarbeiten. Weiters hat er einen Hühnerstall in der Finca Modelo (siehe Kasten 2) gebaut, sodass die Forscher:innen täglich mit Eiern von glücklichen Hühnern versorgt werden können.

Das Projekt COBIGA soll die Tieflandregenwälder des Golfo Dulce mit den Bergregenwäldern der Fila Cal, einem Gebirgszug nördlich des Regenwaldes der Österreicher, verbinden. COBIGA ist wiederum Teil eines Netzwerkes von Biologischen Korridoren in Costa Rica, u. a. des Biologischen Korridors AMISTOSA, der den Nationalpark Corcovado auf der Halbinsel Osa mit dem Nationalpark Amistad im Talamanca-Gebirge verbindet.

Durch den Kauf von Grundstücken und der Wiederbewaldung von ehemaligen Brachflächen soll eine Fragmentierung des Waldes verhindert und der genetischen Isolation und Erosion entgegengewirkt werden.

Finca Modelo
Für die Wiederbewaldung

Die Finca Modelo ist eine ökologisch geführte Modell-Farm in der Nähe von La Gamba und dient der Anzucht von Setzlingen für das Wiederbewaldungs-Projekt Corredor Biologico La Gamba – COBIGA.

Auf der Finca werden neben den Bäumen für die Wiederbewaldung unterschiedlichste Nutzpflanzen kultiviert, um deren Anpassungs- und Nutzfähigkeit in einem tropischen Tieflandklima zu testen. Die Finca nutzt eine Vielfalt an nachhaltigen agroökologischen Methoden, um den Bodenzustand sowie den Nährstoffzyklus aufzuwerten und somit die Produktionseffizienz zu verbessern. Aus diesem Grund werden auch Nutztiere wie Hühner und Schweine gehalten, um organisches Material sowie Speisereste zu verwerten.

Kasten 2


Die Korallenschlange

Die Tage vergingen wie im Flug, wir genossen die üppige Natur und das gute Essen in La Gamba und freundeten uns noch mit zwei anderen Detektiven, Mag. Florian Etl und Corinna Ehn, an. Beide studierten Biologie und beforschen die Bestäubungsbiologie von tropischen Aronstabgewächsen (Anthurium, Philodendron und Dieffenbachia). Voller Enthusiasmus erzählte uns Florian, wie er im Rahmen seiner Doktorarbeit eine neue Philodendron-Art entdeckt hat, die nun nach ihm benannt ist (Philodendron florianetlii). Sie nahmen uns auch mit auf einen Bootstrip von Golfito aus, auf dem wir unzählige Pelikane und eine Schule von etwa 200 Delfinen zu sehen bekamen.

Für den letzten Abend hatte Emil etwas Spezielles für uns organisiert: Luis, ein Ranger aus dem angrenzenden Nationalpark Piedras Blancas, zu dem der Regenwald der Österreicher dazu gehört, würde mit uns eine Nachtwanderung durch den vorbeifließenden Bach machen – dies deshalb, weil es in Costa Rica keine Wasserschlangen gibt! Eineinhalb Stunden gingen wir in Gummistiefeln durch den Bach, sahen wieder viele Frösche und Spinnen, aber Luis konnte an Land keine Schlange für uns einfangen. Auf unserem Weg zurück zu den Quartieren gelang dies jedoch Emil mit einer – ungiftigen – Cateye-Schlange (die Pupillen sind wie bei den Katzen hochgestellt), die aber wie eine heimische Ringelnatter wenig Eindruck hinterließ. Wir wollten schon zu unserer Lodge zurück, als Emil laut aufschrie: „Zwei Schlangen“! Und es waren tatsächlich zwei: eine wunderschöne junge Korallenschlange, die gerade dabei war, eine andere Schlange, welche fast so groß war wie sie selbst, zu verschlingen! Was uns grausam vorkam, war ein täglich stattfindendes Schauspiel der Natur, an dem Emil und wir teilhaben durften. 

Aktuelle Forschung an der Tropenstation La Gamba

Seit dem Bestehen der Tropenstation La Gamba wurde und wird intensiv Forschung im Regenwald der Österreicher betrieben. Insgesamt konnten seither etwa 170 wissenschaftliche Abschlussarbeiten publiziert werden. In den drei Wochen unseres Aufenthaltes waren folgende Studierende und Wissenschaftler:innen diverser Universitäten mit folgenden tropenbiologischen Themen beschäftigt:

  • Melanie M. (Universität Wien):
    Blütenverfügbarkeit im tropischen Primärwald und in Ölpalmenplantagen und deren Auswirkungen auf die Bestäuber

  • Melanie H. (Univ. Wien): 
    Der biologische Wert von Sekundärwäldern und Wiederbewaldungen im Biologischen Korridor für Amphibien

  • Alptecin K. (Universität Wien):  
    Diversität und Sukzession von Unterwuchspflanzen auf Wiederbewaldungsflächen

  • Anyelet V. A. (Univ. Bern, Schweiz): 
    Duftausscheidung und deren Funktion bei der chemischen Verteidigung von Glasfröschen

  • Jonas H. (Univ. Bochum, Deutschland): 
    Zusammensetzung des Parfüms bei Prachtbienen und deren Funktion bei der Partnerfindung

  • Anna-Lena Susanne M. (Univ. Wien):
    Vielfalt und Lebensraumansprüche von Vogelarten auf offenen Flächen

  • Dominik K. (Univ. Wien): 
    Unterschiede von Abundanz (Fangraten) von Vogelarten in Sekundär- und Primärwaldern

  • Elisabeth P. (Univ. Graz): 
    Ökologie und Vielfalt von Glasflügelzikaden (Cixiidae) im Regenwald der Österreicher

  • Friedrich R. (Univ. Graz):
    Auswirkungen der Wasserströmung auf Fischgemeinschaften um La Gamba

Was können Sie für La Gamba tun? Mit 18 Euro sind Sie schon dabei! Mit diesem Betrag wird auf der Finca Modelo ein Baumsetzling finanziert, wobei zwei Euro für Weiterbildung und Forschung verwendet werden. So unterstützen Sie auch das Wiederbewaldungsprojekt COBIGA. 

Alle Details zur Unterstützung finden Sie auf der 
Webseite der Tropenstation www.lagamba.at

Pura vida!

Text: Mag. Claus Bittmann

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