Apotheker:innen als Manager:innen

Apotheke auf Norwegisch

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In der Freiwahl finden sich zahlreiche rabattierte Produkte. Bei OTC-Schmerzmitteln konkurrieren die Apotheken mit Supermärkten und Tankstellen. © Nora al Kazaale
In der Freiwahl finden sich zahlreiche rabattierte Produkte. Bei OTC-Schmerzmitteln konkurrieren die Apotheken mit Supermärkten und Tankstellen. © Nora al Kazaale

Zentraler geht es kaum: In unmittelbarer Umgebung des Osloer Parlaments und der Karl Johans Gate – dem Pendant zur Kärntner Straße in Wien – liegt die kleine „Apotek 1 Kronen“. 

Apotek 1 ist in Norwegen sowohl die Branchengewinnerin des Kundenbarometers als auch der Platzhirsch unter den Apotheken. Mit landesweit über 450 Filialen handelt es sich um die größte von insgesamt vier Apothekenketten, die den Markt beherrschen. Diese gingen aus einer Gesetzesänderung vor 21 Jahren hervor: Damals fiel das Fremd- und Mehrbesitzverbot. Selbstständige, persönlich haftende Apotheker:innen gibt es seitdem nur mehr vereinzelt. Indes ist die Anzahl der Apotheken von 399 auf 1.031 gestiegen. Alle Ketten sind eng mit dem Großhandel verbunden. Apotek 1 gehört zur deutschen Phoenix Group, einem Pharmagroßhändler. 

In der Apotek 1 mit dem Beinamen Kronen (Krone) heißt die Managerin Nora al Kazaale. Sie trägt wie ihre fünf Mitarbeiter:innen eine Uniform in Hell- und Dunkelblau. Für alle Angestellten, die einen Hijab tragen möchten, gehört auch ein Kopftuch dazu. Al Kazaale und viele andere wollen das. Die gebürtige Irakerin hat einen Masterabschluss in Pharmazie in der Tasche. Als Leiterin der Apotheke wird sie von der Zentrale laufend weitergebildet, ihre Arbeit engmaschig geprüft. Al Kazaale lenkt und fördert eine Multikulti-Truppe mit – neben norwegischen – marokkanischen, pakistanischen und sri-lankischen Wurzeln. Dementsprechend üppig fällt das Sprachangebot aus. 

Drei Pharmazeutinnen bzw. Pharmazeuten sind an Bord ‒ Personal, das derzeit schwer zu finden ist. Und nur wer Pharmazie studiert hat, darf in Norwegen selbstständig verschreibungspflichtige Medikamente ausgeben und dazu beraten. Wobei in nicht-leitender Position ein Bachelor-Abschluss ausreicht. Die zweite große Berufsgruppe nennt sich Apotektekniker. Diese absolvieren anders als PKA keine Lehre, sondern eine dreijährige schulische Ausbildung ab 16 Jahren. Eine Aufstiegsmöglichkeit für Apotektekniker ist die Leitung des Verkaufsteams für die Freiwahl. 

„Ich schätze, dass das Verhältnis von verschreibungspflichtigen Medikamenten zum Rest des Angebots hier bei etwa 50 zu 50 liegt“, erzählt die Chefin. Im Zentrum dominiere eben die Laufkundschaft: Geschäftsleute, Einheimische auf Einkaufsbummel und Reisende. Im Schnitt aller Apotheken machen die Rezepte immerhin 65 % des Umsatzes aus. Für alles andere gilt: Nicht rezeptpflichtige Medikamente bringen weniger ein als andere Apothekenwaren. 

Zusätzliches Einkommen kann durch spezielle, öffentlich finanzierte Beratungsprogramme für Herz-Kreislauf- und Asthmakranke erzielt werden. © Nora al Kazaale
Zusätzliches Einkommen kann durch spezielle, öffentlich finanzierte Beratungsprogramme für Herz-Kreislauf- und Asthmakranke erzielt werden. © Nora al Kazaale


Schleuderpreis

 Die etwa 40 m2 große Freiwahl ist jedenfalls äußerst gut genützt und reich an 50 %-Schildern. Aufsteller enthalten etwa preisreduziertes Mundwasser. Man sieht manche auch bei uns bekannte Hautpflege-Apothekenmarken, aber keine Sichtwahl. Und auch keine Homöopathika. „Auf Alternativmedizin haben sich hier andere, größere Filialen spezialisiert.“ Generell wird in Norwegen gerade diskutiert, ob die Apothekenpflicht für Homöopathika fallen soll. Gesundheitstees werden schon anderswo verkauft. Bei OTC-Schmerzmitteln konkurriert man mit Supermärkten und Tankstellen, wo jedoch nicht beraten werden darf. „Wir bemühen uns, auch das anzubieten, was andere Filialen und Geschäfte in der Nähe nicht haben“, sagt Apotektekniker Naima El Atiaouri. So führt Apotek 1 Kronen als einzige Osloer Filiale die Vaginalkugeln zum Beckenbodentraining aus dem ketteneigenen Onlineshop.  

Ein ganz spezielles rezeptfreies Mittel

Die bekannte blaue Potenzpille gibt es in der Klein­packung ohne Rezept, wofür viele Apotheken mit entsprechenden Plakaten in der Auslage werben. Vier Pillen kosten umgerechnet etwa 35 Euro. Und sie gehen gut. Der Verkauf ist allerdings Sache des pharmazeutischen Personals. „Bevor eine Schachtel über den Ladentisch geht, muss der Kunde eine lange Fragenliste beantworten“, heißt es. Man hat nicht den Eindruck, dass es den Männern unangenehm sei. Und wenn doch, bietet sich der Onlineshop mit dem virtuellen Fragebogen an. Für österreichische Verhältnisse ebenfalls außer­gewöhnlich: Im Onlineshop findet sich auch Sexspielzeug, was den offeneren skandinavischen Umgang mit dem Thema Sexualität widerspiegelt.

Vollzahler:innen zuhauf

Verschreibungen erhalten die Apotheken von den Ordinationen in der Regel elektronisch. Zu den am häufigsten verschriebenen Produkten gehören hochdosierte Vitamin-D3-Tabletten. Vitamin-D-Mangel ist in Norwegen aufgrund der langen, dunklen Winter ein größeres Problem. 

Anstelle einer Rezeptgebühr wird ein Selbstbehalt von 39 % kassiert. Den Rest übernimmt die staatliche Krankenversicherung, allerdings nur bei schweren Krankheiten oder entsprechenden Risikofaktoren dafür. Der Selbstbehalt ist mit jährlich 245 Euro gedeckelt. Zur Gänze selbst zahlen müssen Kunden und Kundinnen in der Regel Medikamente zur Kurzzeitbehandlung wie Schmerzmittel, Schlaftabletten oder Antibiotika. Wobei die Apotheken verpflichtet sind, zumindest ein alternatives Generikum in jedem Bereich stark vom Maximalpreis reduziert anzubieten. 

Das Multi-Kulti-Team rund um Apothekerin Nora al Kazaale (rechts) besteht aus Pharmazeuten,  Pharmazeutinnen und Apotekteknikern. Alle dürfen nach einer speziellen Schulung auch impfen. © Nora al Kazaale
Das Multi-Kulti-Team rund um Apothekerin Nora al Kazaale (rechts) besteht aus Pharmazeuten, Pharmazeutinnen und Apotekteknikern. Alle dürfen nach einer speziellen Schulung auch impfen. © Nora al Kazaale


Einträgliche Services

Angesichts fallender Spannen – derzeit liegen diese bei 2 % plus einem Fixum von umgerechnet 3 Euro pro Packung – sind spezielle, öffentlich finanzierte Beratungsprogramme ein willkommenes Zubrot für die Apotheken. Sie richten sich an Herz-Kreislauf-Kranke mit neuer Dauermedikation sowie Asthmatiker:innen, die man im Umgang mit Inhalatoren schult. Dieser Service erfolgt auch telefonisch, was zu den Hochzeiten der Pandemie eifrig genützt wurde. In Kürze heißt es in der Apotek 1 Kronen wieder verstärkt Impfen. Das dürfen neben den Pharmazeutinnen und Pharmazeuten etwa auch Apotektekniker ‒ vorausgesetzt, sie wurden darin geschult. Am Standort werden Grippeimpfungen angeboten, viele andere Apotheken impfen auch gegen Pneumokokken, Zecken und neuerdings ebenso gegen COVID-19. 

Am Standort wird 47 Stunden pro Woche gearbeitet. Bereitschaftsdienste fallen für Apotek 1 Kronen weg, dafür gibt es eigene 24-Stunden-Apotheken. 

Derzeit versorgt jede norwegische Apotheke im Schnitt 5.262 Einwohner:innen. Da Oslo zu den am schnellsten wachsenden Städten Europas zählt, geht die Expansion mit Sicherheit weiter.  

Text: Mag. phil. Andrea Krieger

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