83. FIP-Weltkongress

Transformation der Pharmazie

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Globaler Austausch in Kopenhagen:  Beim 83. FIP-Weltkongress diskutierten  Pharmazeut:innen aus aller Welt  über Point-of-Care-Testing, KI-Einsatz und neue Verschreibungsrechte  für die Apotheke der Zukunft. © beigestellt
Globaler Austausch in Kopenhagen: Beim 83. FIP-Weltkongress diskutierten Pharmazeut:innen aus aller Welt über Point-of-Care-Testing, KI-Einsatz und neue Verschreibungsrechte für die Apotheke der Zukunft. © beigestellt

Unter dem Motto „Pharmacy forward: Performance, collaboration, and health transformation“ setzte sich der Kongress zum Ziel, Erfahrungen und Innovationen aus verschiedenen Ländern zu bündeln, die internationale Zusammenarbeit zu fördern und Impulse für ein Gesundheitssystem zu geben, das nicht nur effizient und nachhaltig ist, sondern auch den menschlichen Aspekt in den Vordergrund stellt.

Denn das Gesundheitswesen steht vor beispiellosen Herausforderungen: Bis 2030 wird weltweit ein Mangel von rund zehn Millionen Fachkräften prognostiziert, während schon heute Überlastung, Burn-out und psychische Belastungen stark zunehmen. Hinzu kommen globale Bedrohungen wie die wachsende Resistenz gegenüber antimikrobiellen und antifungalen Wirkstoffen, die etablierte Therapiekonzepte zunehmend erschweren. Gleichzeitig eröffnen Innovationen und neue Technologien – etwa Künstliche Intelligenz – völlig neue Perspektiven für die Weiterentwicklung des pharmazeutischen und medizinischen Bereichs, bringen aber auch neue Herausforderungen mit sich. Um eine wirksame und gleichzeitig zugängliche Versorgung für Patient:innen sicherzustellen, gilt es daher, Wege zu finden, mit diesen Veränderungen Schritt zu halten und bestehende Hürden aktiv zu überwinden.


Point-of-Care-Testing und Verschreibungsrechte: Apotheker:innen als „Decision Makers“


Vor diesem Hintergrund widmete sich der Kongress intensiv der Frage, wie die Rolle öffentlicher Apotheker:innen erweitert werden kann – insbesondere im Bereich der Verschreibung sowie beim Point-of-Care-Testing (POCT). Zahlreiche Präsentationen, Podiumsdiskussionen und Plenarsitzungen belegten, dass Apotheker:innen – mit ihrer interdisziplinären Ausbildung und ihrer strategischen Position als zentrale Ansprechpersonen für die pharmazeutische Versorgung in ihrer lokalen Gemeinschaft – über ein erhebliches Potenzial verfügen, Über- und Untermedikation zu vermeiden, frühe Diagnosen zu ermöglichen und Krankheitsverläufe abzumildern. Damit entwickeln sich Apotheker:innen zu aktiven Entscheidungsträger:innen, die in Echtzeit therapeutische Entscheidungen treffen und klinische Maßnahmen einleiten können.

Delegation in kopenhagen: Starke österreichische Präsenz

Die österreichische Delegation war in diesem Jahr stark vertreten. Für die Apothekerkammer reisten Vizepräsident Mag. pharm. Raimund Podroschko und die stellvertretende Kammeramtsdirektorin Mag. Elisabeth Zimmerer nach Kopenhagen, begleitet von der Abteilung für Fort- und Weiterbildung mit Mag. pharm. Stefan Deibl und Mag. pharm. Alexander Schmidt-Ilsinger. Gemeinsam mit
Mag. pharm. Thorsten Bischof, Mag. pharm. Magdalene Hoppel sowie Ap.Prof. Priv.-Doz. Dr.med.univ. Dr.scient.med. Christian Schörgenhofer präsentierten sie ihre kollaborativen Forschungsarbeiten. Der Verband Angestellter Apotheker Österreichs (VAAÖ) entsandte Direktor Mag. iur. Norbert Valecka, Vorstandsmitglied Mag. pharm. Catherine Bader und Mag. Judith Winkler. Für den AFÖP nahmen Präsidentin Sonja Glamoclija sowie die Autorin dieses Beitrags teil.

Dies ist kein neues Konzept. Weltweit verfügen Apotheker:innen in über 45 Ländern bereits über Verschreibungsrechte; in vielen Ausbildungssystemen sind Kompetenzen in Verschreibung und POCT längst fester Bestandteil des Curriculums. Programme wie das „Pharmacy First“-Modell im Vereinigten Königreich verdeutlichen die enorme Wirkungskraft: Es soll rund zehn Millionen Hausarzttermine einsparen – bei gleichzeitig hohem Versorgungsstandard. Auch klinische Vorteile sind in vielen Regionen nachweisbar, etwa eine bessere Kontrolle des HbA1c-Werts, ein verbessertes Cholesterinmanagement sowie ein erweitertes Screening auf chronische Nierenerkrankungen.

Point-of-Care-Testing (POCT) in Apotheken nutzt allen: Die Bevölkerung erhält schnelle, wohnortnahe Gesundheitschecks zur Früherkennung. Apotheker:innen stärken ihre Rolle als erste Anlaufstelle durch fundierte Ausbildung in Diagnostik und Beratung. Das entlastet das System, spart Kosten und verbessert die Prävention nachhaltig“, machte Mag. pharm. Raimund Podroschko, Vizepräsident der österreichischen Apothekerkammer, deutlich.

Mag. pharm. Thorsten Bischof präsentierte beim FIP-Weltkongress die Ergebnisse des österreichischen Medikationsanalyse-Pilotprojekts und verdeutlichte den Wert strukturierter Arzneimittel- beratung in Apotheken. © beigestellt
Mag. pharm. Thorsten Bischof präsentierte beim FIP-Weltkongress die Ergebnisse des österreichischen Medikationsanalyse-Pilotprojekts und verdeutlichte den Wert strukturierter Arzneimittel- beratung in Apotheken. © beigestellt
v. l. n. r.: EPhEU-Präsident  Andreas May, AFÖP-Präsidentin Sonja Glamočlija, FIP-Präsident Paul Sinclair und VAAÖ- Direktor Mag. Norbert Valecka. © beigestellt
v. l. n. r.: EPhEU-Präsident Andreas May, AFÖP-Präsidentin Sonja Glamočlija, FIP-Präsident Paul Sinclair und VAAÖ- Direktor Mag. Norbert Valecka. © beigestellt
Die Delegation der Österreichischen Apothekerkammer mit Vizepräsident Mag. pharm. Raimund Podroschko, der stellvertretenden  Kammeramtsdirektorin Mag. Elisabeth Zimmerer sowie den Vertretern der Abteilung für Fort- und Weiterbildung präsentierte  erfolgreich das Medikationsanalyse-Pilotprojekt und stärkte die internationale Vernetzung der österreichischen Pharmazie. © beigestellt
Die Delegation der Österreichischen Apothekerkammer mit Vizepräsident Mag. pharm. Raimund Podroschko, der stellvertretenden Kammeramtsdirektorin Mag. Elisabeth Zimmerer sowie den Vertretern der Abteilung für Fort- und Weiterbildung präsentierte erfolgre © beigestellt
Gemeinsam für die  Zukunft der Pharmazie  beim FIP-Weltkongress  in Kopenhagen: v. l .n. r.: Mag. pharm. Raimund Podroschko, Mag. pharm. Catherine Bader,  Mag. iur. Norbert Valecka,  Mag. iur. Judith Winkler,  Bao Chau Dao,  Sonja Glamočlija. © Beigestellt
Gemeinsam für die Zukunft der Pharmazie beim FIP-Weltkongress in Kopenhagen: v. l .n. r.: Mag. pharm. Raimund Podroschko, Mag. pharm. Catherine Bader, Mag. iur. Norbert Valecka, Mag. iur. Judith Winkler, Bao Chau Dao, Sonja Glamočlija. © Beigestellt

Paradebeispiel: Antimikrobielle Resistenz


Besonders bei der antimikrobiellen Resistenz (AMR) zeigt sich das Potenzial erweiterter Apothekerkompetenzen. Trotz eindeutiger wissenschaftlicher Evidenz und breitem Konsens über die Gefahren nimmt die Zahl resistenter Infektionen weiter zu – hauptsächlich aufgrund verspäteter Diagnosen und unzureichender Therapieüberwachung, was zu Überverschreibungen und mangelhafter Compliance führt. POCT und erweiterte Verschreibungsrechte ermöglichen es Apotheker:innen, häufige Infektionen wie Sinusitis, Halsentzündungen, Mittelohrentzündungen oder unkomplizierte Harnwegsinfekte frühzeitig zu diagnostizieren und zu behandeln, ohne sofort auf Reserveantibiotika zurückgreifen zu müssen. Erfahrungen aus Australien und Wales zeigen, dass die Verschreibung durch Apotheker:innen mit einem deutlichen Rückgang überflüssiger Antibiotikaverordnungen und reduzierter Dosierungsvariation verbunden ist. Eine formalisierte, klar regulierte Ausweitung solcher Kompetenzen könnte insbesondere in Ländern mit hoher AMR-Belastung entscheidend sein, um problematische Abgabepraktiken einzudämmen und die Resistenzentwicklung nachhaltig zu verlangsamen.


Risiken und Grenzen: Sorgfältige Umsetzung erforderlich


So vielversprechend die Einführung von POCT und erweiterten Verschreibungsrechten in Apotheken ist, können sie auch ein zweischneidiges Schwert sein. Bei leichten Beschwerden wie etwa Halsschmerzen droht die Gefahr von Überdiagnostik und unnötigen Verschreibungen. Ohne POCT besteht hingegen das Risiko, dass Patient:innen unterversorgt bleiben. Gerade in einkommensschwächeren Ländern kommen große Wissens- und Umsetzungslücken hinzu, die den Prozess zusätzlich erschweren.
Einigkeit herrschte darüber, dass eine erfolgreiche Umsetzung klare Rahmenbedingungen braucht: definierte Tätigkeitsfelder, eine enge Anbindung an das Gesundheitssystem, strikte Qualitätsstandards und Vertrauen seitens anderer Gesundheitsberufe. Ebenso entscheidend sind fundierte Ausbildung und laufende Schulungen. Denn Apotheker:innen müssen nicht nur wissen, was sie tun dürfen – sondern auch, wann Zurückhaltung die bessere Option ist.

Künstliche Intelligenz – ein wiederkehrendes Thema


Künstliche Intelligenz stand erneut im Fokus des Kongresses. Ihr wachsendes Potenzial eröffnet neue Wege und Herausforderungen im pharmazeutischen Sektor. KI-Plattformen, die multimodale Patientendaten analysieren, können Apotheker:innen bei der Medikationsoptimierung erheblich unterstützen und dabei Hospitalisierungen, Übermedikation und Notaufnahmebesuche reduzieren – mit erheblichen finanziellen Einsparungen bei gleichzeitiger Verbesserung von Compliance und Behandlungszufriedenheit. Sie ermöglichen prädiktive Modellierung und quantifizierte Risikobewertungen, sodass Apotheker:innen Probleme antizipieren können, anstatt nur zu reagieren.
Besonders interessant ist die Kombination von KI mit Point-of-Care-Testing. KI-gestützte POCT-Geräte können Testergebnisse in Echtzeit analysieren, Muster erkennen und Apotheker:innen bei der Interpretation komplexer Daten unterstützen. Sozioökonomische und kulturelle Daten helfen dabei, Faktoren wie finanzielle Einschränkungen, Sprachbarrieren und soziale Determinanten zu berücksichtigen, die die Medikamentenadhärenz beeinflussen.
KI könnte zudem auch die Apothekerausbildung revolutionieren. Durch Patientensimulationen können komplexe Beratungsszenarien in risikofreier Umgebung geübt werden. Dies ermöglicht die Entwicklung situativer Kognition und bereitet angehende Apotheker:innen optimal auf reale Herausforderungen vor.
Dennoch wurde auf dem Kongress auch deutlich, dass KI im Gesundheitswesen nur dann effektiv ist, wenn sie menschlich geführt wird – nicht, wenn sie Menschen ersetzt. Vertrauen, Mitgefühl, Empathie und soziale Kompetenzen bleiben essenzielle Bestandteile der Patientenversorgung. Dies baut nicht nur Verbindung zu den Menschen auf, sondern stellt auch sicher, dass KI sicher, effektiv und korrekt arbeitet. Die Technologie könnte neue Berufsfelder schaffen, etwa Oversight-Spezialist:innen, klinische Datenanalyst:innen und Ethik-Auditor:innen.


Regulierung und Vertrauen als Herausforderungen


Dringend notwendig für den Einsatz von KI ist die Regulierung zwischen Primär- und Sekundärversorgung sowie zwischen Aufsichtsbehörden mit internationaler Koordination. Dies ist besonders wichtig, da bereits Praktiker:innen KI ohne Protokolle und Leitlinien implementieren, was die Sicherheit und Wirksamkeit der Patientenversorgung gefährdet. Die Integration digitaler Gesundheits- und KI-Kompetenzen in die Ausbildung ist unerlässlich. Gesundheitsfachkräfte müssen lernen, sich an eine schnell entwickelnde Technologie anzupassen, sich an der Spitze der Veränderungen zu positionieren und diese zu nutzen, wobei sie regulatorische Standards sowohl in der Theorie als auch in der Praxis einhalten und befolgen. Vertrauen bleibt ein kritischer Faktor: Datennutzung und Datenschutz erfordern eine ausgewogene Balance von Verifikation, Evidenz und Transparenz über die Datenverwendung. Apotheker:innen müssen sich darauf vorbereiten, dass die Patient:innen Zugang zu Informationen und Selbstdiagnosen aus digitalen Tools haben. Bei entsprechenden Anfragen sollen Apotheker:innen stets in der Lage sein, diese Informationen zu navigieren, mit ihren Patient:innen zu besprechen und richtig einzuordnen.

Präsentation österreichischer Erfolge


Neben der Teilnahme an zahlreichen spannenden und informativen Sessions hatte Thorsten Bischof die Gelegenheit, im Rahmen der Rapid-Fire-Session zum Thema öffentliche Apotheke die Studienergebnisse des österreichischen Medikationsanalyse-Pilotprojekts vorzustellen – eine Zusammenarbeit zwischen der Österreichischen Apothekerkammer und der Medizinischen Universität Wien. Diese multizentrische, randomisierte Studie in Wiener Apotheken untersuchte den Einfluss strukturierter Medikationsanalysen bei Patient:innen mit Polypharmazie in öffentlichen Apotheken. Durch die systematische Identifikation und Bearbeitung arzneimittelbezogener Probleme konnten unangemessene Therapien reduziert sowie das Verständnis und die Therapietreue der Patient:innen verbessert werden. Die Ergebnisse unterstreichen den hohen Wert der Integration von Medikationsanalysen in den Apothekenalltag, da sie zur Patient:innensicherheit beitragen, bestehende Therapien optimieren und ein nachhaltiges, kosteneffizientes Gesundheitssystem unterstützen können. Ein besonderes Highlight war das gemeinsame Treffen mit dem AFÖP, VAAÖ, der EPhEU sowie FIP-Präsident Paul Sinclair. Im Mittelpunkt standen die Zukunft der Pharmazie auf nationaler und globaler Ebene sowie mögliche Ansatzpunkte für eine verstärkte Zusammenarbeit.

Rahmenprogramm


Das Programm des FIP World Congress ging weit über Plenarsitzungen und Fachvorträge hinaus und bot zahlreiche Gelegenheiten für formellen wie informellen Austausch – von themenspezifischen Abendessen bis hin zum FIP Foundation Fun Run, der neben einem gesunden Lebensstil auch Networking in lockerer Atmosphäre förderte. Zudem konnten die Teilnehmer:innen an Führungen durch Apotheken in Kopenhagen teilnehmen und so wertvolle Einblicke in die lokalen Abläufe und Praktiken gewinnen.

FIP-Kongress 2026: Save the Date

84. FIP-Kongress
Kongress-Thema: Eine Gesundheit, eine Pharmazie – 
Brücke zwischen Wissenschaft, Praxis und Bildung
30. August bis 2. September 2026
Montreal, Kanada
montreal2026.fip.org

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