Medikamenteninduzierte Schlafstörungen

Wenn Arzneimittel den Schlaf stören

MAG. PHARM.  René  GERSTBAUER
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Unter Therapie mit Venlafaxin und Duloxetin berichten viele Menschen über Schlaflosigkeit, Tagesschläfrigkeit sowie lebhafte Träume. © iStock
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Ein- und Durchschlafprobleme und/oder Schläfrigkeit tagsüber sind oft beschriebene Nebenwirkungen von Psychopharmaka, aber auch von nicht psychotropen Substanzen. Zu den Strukturen des ZNS, welche an der Förderung des Wachzustandes beteiligt sind, zählen Neuronen, die Serotonin, Noradrenalin, Dopamin, Acetylcholin, Histamin und Orexin freisetzen. Eine selektive Aktivierung einer der spezifischen Rezeptoren erhöht die Vigilanz und verringert gleichzeitig die REM-Phase. Taktgebend für einen erholsamen Schlaf sind die zirkadiane Rhythmik sowie die Schlafhomöostase.

Zirkadiane Rhythmik 
Schlafsteuerung im Gehirn
  • Suprachiasmatischer Nukleus (SCN): Zentrale der endogenen zirkadianen Rhythmik. Mittels Aktionspotenzial Taktgebung an angrenzende Nuklei des vorderen Hypothalamus (inkl. paraventrikulärer und subparaventrikulärer Nukleus) und der medial-präoptischen Gegend (Steuerung der rhythmischen physiologischen Schlafprozesse, endokriner Parameter sowie 
    Körpertemperatur)
  • Melatonin: Wird in Dunkelphase in Epiphyse produziert: Feedback an SCN
  • Ventrolaterale präoptische Region (VLPO): Initiiert Schlaf (Input mittels SCN über subparaventrikulären Nukleus) →  Blockierung von cholinergen, adrenergen und serotonergen Systemen im Hirnstamm sowie des histaminergen Systems im Hypothalamus (moduliert von Hypocretin und Orexin).
  • Ultradianer Oszillator: Kontrolliert Wechsel zwischen Non-REM- und REM-Schlaf (gegenseitige Wechselwirkung zwischen cholinergen REM-on- und aminergen REM-off Zellgruppen) → GABA, Glutamat, Serotonin, Adrenalin, Acetylcholin
  • Neuroendokrine, hormonelle und peptiderge Signale → Schlaf- und Appetitregulation/Energiemetabolismus

 Im folgenden Abschnitt soll auf einige der wichtigsten Auslöser von medikamenteninduzierten Schlafstörungen eingegangen werden: Antidepressiva, Antipsychotika, Antiepileptika, Antiparkinsonika sowie Blutdruckmodulatoren. Einen Überblick bietet folgende Tabelle.

Übersicht über Arzneimittel, die Schlaf-Wach-Störungen auslösen können
ArzneimittelInduzierte Schlaf-Wach-StörungMöglicher Wirkmechanismus
Antidepressiva
Sedierende TCA (AmitriptylinSchläfrigkeitAntagonismus bei α1-, H1-, Muskarinrezeptoren
SSRISchlaflosigkeitHemmung von Serotonin-Wiederaufnahme
SNRISchlaflosigkeitHemmung von Serotonin und 
NA-Wiederaufnahme
BupropionSchlaflosigkeitHemmung von NA- und 
Dopamin-Wiederaufnahme
MAO-InhibitorenSchlaflosigkeitHemmung des MAO-Enzyms
Atypische sedierende AD 
(Trazodon, Mirtazapin)
SchläfrigkeitAntihistaminerge Wirkung, 
5-HT2-Rezeptorantagonismus
Neuropsychopharmaka
Antipsychotika, 1. GenerationSchläfrigkeit, SchlaflosigkeitAntagonismus bei A1-, H1-,
Muskarin- und D-Rezeptoren
Antipsychotika, 2. Generation 
(Clozapin, Olanzapin, Quetiapin)
SchläfrigkeitD-Rezeptor und 5-HT-Rezeptorantagonismus
AntiepileptikaHauptsächlich SchläfrigkeitVerminderte neuronale Erregung
Antiparkinsonmittel
Dopamin-SubstitutionNiedrig dosiert: Schläfrigkeit; hochdosiert: SchlaflosigkeitD-Rezeptoragonismus
Analgetika
NSARBeeinflussung möglichProstaglandinsynthesehemmung
OpioideSchläfrigkeitµ- und κ -Rezeptoragonismus
TriptaneSchläfrigkeit? (nicht gesichert)5-HT1-Rezeptorantagonismus
Antihistaminika
1. GenerationSchläfrigkeitAntagonismus bei H1-Rezeptor
2. GenerationKeine bis leichte SchläfrigkeitKeiner bis geringer BHS-Transport
Herz-Kreislauf-Medikamente
BetablockerSchlaflosigkeitβ-Rezeptor und 5-HT-Rezeptor-Antagonismus, Melatonin X
α1-AntagonistenSchlaflosigkeitα1-Rezeptorantagonismus
α2-AgonistenSchlaflosigkeit, Sedierungα2-Rezeptorstimulation
ACE-HemmerSchlaflosigkeit/DurchschlafstörungStörender Reizhusten
SchleifendiuretikaSchlaflosigkeitNykturie
CorticosteroideSchlaflosigkeit, SchläfrigkeitVerschiedene Auswirkung auf HPA-Achse, 
Auswirkung auf Zytokine
TheophyllinSchlaflosigkeitAdenosin-Antagonist


Antidepressiva

Sedierende Antidepressiva können off-label als Hypnotika eingesetzt werden, wodurch sie einerseits indirekt das Schlafmuster beeinflussen (Behandlung einer der Depression zugrundeliegenden Schlafstörung), aber andererseits auch direkt den Schlafrhythmus beeinflussen können.

Selektive Monoamin-Wiederaufnahmehemmer (SSRI)

Selektive Serotonin-Wiederaufnahmehemmer (SSRI) wie Citalopram, Fluoxetin, Fluvoxamin, Paroxetin und Sertralin hemmen wirksam die präsynaptische Aufnahme von Serotonin, während sie relativ schwache Wirkungen auf andere Neurotransmitter-/Rezeptorsysteme ausüben. Die höchsten Nebenwirkungsraten an behandlungsbedingter Schlaflosigkeit und Schläfrigkeit mit SSRI wurden bei Patient:innen mit Zwangsstörungen festgestellt, die mit hochdosiertem Fluvoxamin behandelt wurden (bis zu 31 %). Im Vergleich hierzu konnte bei Citalopram die niedrigste Rate (< 2 %) festgestellt werden. Die durchschnittliche Häufigkeit behandlungsbedingter Somnolenz bei mit SSRI behandelten Patient:innen betrug 16 % (vgl. zur Placebogruppe: 8 %).

SNRI

Venlafaxin und Duloxetin gehen mit häufigen Beschwerden über Schlaflosigkeit und Tagesschläfrigkeit sowie lebhaften Träumen einher. In klinischen Studien mit SNRI traten bei Patient:innen mit generalisierten Angststörungen – welche mit Venlafaxin behandelt wurden – sowohl behandlungsbedingte Schlaflosigkeit als auch Somnolenz auf (beide etwa 24 %). Behandlungsbedingte Insomnie wurde im Durchschnitt bei 13 % der mit SNRI behandelten Patient:innen berichtet.

5-HT2-Antagonisten

In klinischen Studien mit Mirtazapin berichten 54 % der Patient:innen über Hypersomnolenz (Placebogruppe: 18 %). Mirtazapin erzeugt bei niedrigen Dosen (< 30 mg/Tag) überwiegend antihistaminerge, bei höheren Dosen zunehmend noradrenerge Wirkungen.

In weiteren klinischen Studien mit Trazodon war die berichtete Prävalenz behandlungsbedingter Schlaflosigkeitsbeschwerden bei Patient:innen mit schwerer depressiver Störung sehr gering (weniger als 2 %), aber im Gegensatz die Rate behandlungsbedingter Schläfrigkeit sehr hoch (46 %).

Agomelatin ist ein nicht sedierendes Antidepressivum mit agonistischer Wirkung auf melatonerge MT1- und MT2-Rezeptoren und antagonistischer Wirkung an serotonergen 5-HT2c-Rezeptoren. Bei 1–10 % der Patient:innen kommt es zu Schlaflosigkeit und abnormen Träumen sowie zu Tagschläfrigkeit.

Antipsychotika

Die Wirkweise von Antipsychotika wird hauptsächlich durch den Dopamin-Rezeptor-Antagonismus ausgeübt. Viele klassische Neuroleptika üben auch Wirkungen auf verschiedene Monoamine sowie auf H1-, Muskarin- und/oder α1-Rezeptoren aus. Diese Effekte können die Wahrscheinlichkeit von Schläfrigkeit erhöhen.

Viele Antipsychotika wirken über einen Dopamin-Antagonismus und interagieren zudem mit α1-, H1-, Muskarinrezeptoren. Das kann zu starker Müdigkeit führen, auch tagsüber. © iStock
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Erste Generation

Innerhalb der klassischen Neuroleptika werden sehr hohe Schläfrigkeitsraten für Chlorpromazin (33 %) und für Haloperidol (23 %) berichtet. Für Letzteres berichtet zudem etwa ein Viertel aller Patient:innen über Schlaflosigkeit und Schlafstörungen. 

Zweite Generation

Die höchste Somnolenzrate unter den atypischen Neuroleptika wurde bei Clozapin mit 52 % der Patient:innen berichtet. Schlaflosigkeit und/oder Schlafstörungen wurden nur bei 4 % der Patient:innen festgestellt. Schläfrigkeit wurde auch häufig unter Risperidon (30 %) und Olanzapin (29 %) und mäßig häufig unter Quetiapin und Ziprasidon (16 %) berichtet. Obwohl aufgrund ihres pharmakologischen Profils davon auszugehen ist, dass Ziprasidon und Quetiapin sedierend wirken, scheinen sie weniger sedierend zu sein als vergleichbare Wirkstoffe – möglicherweise aufgrund ihrer kürzeren Halbwertszeit. 

Die höchste Rate an Insomnie wird mit 25 % unter Aripiprazol berichtet. Schlaflosigkeit wird zudem auch unter Risperidon (17 %) und Olanzapin (18 %) und bei 9 % der Patient:innen unter Quetiapin und Ziprasidon berichtet. Vor allem der zugrundeliegende 5-HT1A-Rezeptoragonismus aber auch RLS-Symptome als Folge eines dopaminergen Antagonismus werden als Ursache vermutet.

Antiepileptika

Der Wirkungsmechanismus von Antiepileptika beruht auf der Förderung der GABA-, Natrium- und Kalziumkanalhemmung, der Hemmung der glutaminergen Übertragung oder anderen – noch nicht gänzlich erforschten – Mechanismen. 

Im Allgemeinen weisen Medikamente, die auf die GABAerge Neurotransmission wirken (Benzodiazepine, Barbiturate, und Vigabatrin), die höchste gemeldete Häufigkeit von Schläfrigkeit oder Müdigkeit auf (15–30 %). Medikamente, die hauptsächlich über eine Blockade der Natriumkanäle wirken (Carbamazepin und Phenytoin), führen bei 5–10 % der Patient:innen zu einer Sedierung. Wirkstoffe, welche entweder als Calciumkanalblocker fungieren oder über mehrere Wirkmechanismen verfügen, weisen unterschiedliche Inzidenzen einer Sedierung auf: Raten von 5–15 % wurden für Gabapentin, Lamotrigin, Pregabalin und Zonisamid berichtet. Für Levetiracetam und Topiramat wurde eine Sedierungsinzidenz von 15–27 % berichtet.

Antiparkinsonmittel

Es wird vermutet, dass niedrige Dosen dopaminerger Medikamente tendenziell den Schlaf verbessern, während höhere Dosen wahrscheinlich den Schlaf stören und mitunter wachhalten. Antiparkinsonmittel wie Levodopa in Kombination mit peripheren Decarboxylasehemmern, Dopaminagonisten, COMT-Inhibitoren und MAO-B-Hemmstoffen werden eingesetzt, um entweder die Dopamin D2-Rezeptoren direkt zu stimulieren oder die Dopaminkonzentration im Gehirn zu erhöhen. Somit wird ersichtlich, dass neben der Krankheit selbst auch die Medikation den Schlaf rauben kann.

Herz-Kreislauf

Betablocker

Betablocker hemmen die Melatoninproduktion, indem sie die sympathische Signalübertragung an die Zirbeldrüse blockieren und somit zu einem verringerten zirkadianen Signal (zur Einleitung des Schlafes) führen. Hauptauslöser sind Propranolol und Atenolol.

Exkurs 
Melatonin
  • Die Sekretion hängt vom Tag-Nacht-Zyklus ab. In der Dunkelheit steigt der Spiegel bei tag- und nachtaktiven Spezies an.
  • Es gibt kontroverse Diskussion, ob Melatonin tatsächlich den Schlaf fördert (s. u.). Studien zeigten ein positives Ergebnis bei Rhythmusstörungen (Jetlag).
  • Bei jungen Gesunden kommt es durch supraphysiologische Dosen zu einer mäßigen Verkürzung der Schlaflatenz (keine Beeinflussung der Schlafarchitektur).

Studien

  • Proband:innen > 55 Jahre mit Insomnie: subjektive Verbesserung von Schlafqualität und Leistungsfähigkeit mittels retardiertem Melatonin (3 Studien)
  • Lt. Studie: nicht niedriger Melatoninspiege,l sondern höheres Alter (65 bis 80 Jahre) Prädiktor für verkürzte Schlaflatenz unter Melatonintherapie

α2-Agonisten

Bei den zentral wirkenden Antihypertensiva Clonidin und Methyldopa ist Sedierung eine häufige Nebenwirkung, die bei 30–75 % der Patient:innen auftritt. Der Schweregrad scheint mit der Zeit nachzulassen. Es gibt auch Berichte über Schlaflosigkeit und Albträume im Zusammenhang mit diesen Arzneistoffen.


Quellen

  • Karow, Allgemeine und Spezielle Pharmakologie 23/2
  • Benkert, Hippius, Kompendium der Psychiatrischen Pharmakotherapi
  • Monti JM: The effect of second-generation antipsychotic drugs on sleep parameters in patients with unipolar or bipolar disorder. Sleep Med 2016;23:89–96. 
  • Monti JM: The neurotransmitters of sleep and wake, a physiological reviews series. Sleep Med Rev 2013; 17:313–5.
  • Luppi PH, et al.: Paradoxical (REM) sleep genesis by the brainstem is under hypothalamic control. Curr Opin Neurobiol 2013;23:1–7.

    Weitere Literatur auf Anfrage

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