Im Jahr 2023 wurden in Deutschland bisher 146 Apotheken geschlossen und nur 17 neu eröffnet. Online-Apotheken und Shops buhlen ohne Beratung, aber mit Schleuderpreisen um die Gunst der Kund:innen. Laut aktuellen GfK-Zahlen werden nur mehr 29 % aller Apothekeneinkäufe direkt vor Ort getätigt. Die aktuelle Entwicklung, beschleunigt durch die Pandemie, zeigt laut EY Consulting, dass fast 70 % aller gesetzlich krankenversicherten Deutschen die Onlinedienste regelmäßig in Anspruch nehmen – und zwar quer durch alle Altersgruppen.
Als reine Rezepteinlöser werden Apotheken ihre Daseinsberechtigung verlieren und zum Auslaufmodell. Vielmehr gilt es, die Bedeutung und den Mehrwert eines Einkaufs in der Apotheke des Vertrauens wieder deutlich herauszuarbeiten und den Kund:innen ein Erlebnis zu bieten, das sich klar gegenüber dem Onlinehandel abgrenzt. Die täglich erbrachten Leistungen der Apotheker:innen müssen von Patient:innen und Kund:innen wieder wahrgenommen und wertgeschätzt werden.
Wertschätzung: Die Medizin im Preiskampf
In Zeiten des Überflusses geht es um Bedeutung, Spezifik und Erlebnis. Wer diesem Dreiklang folgt, wird die Austauschbarkeit erfolgreich hinter sich lassen. Wertgeschätzte Einzigartigkeit muss auch nicht über den Preis diskutieren – schon gar nicht, wenn es um die Gesundheit geht. Die Preisschlacht der virtuellen, gesichtslosen Gegner prallt problemlos ab.
Vertrauen ist Trumpf
Noch mehr Medikamente, Notfall-Services, Rezepte, weiße Kittel oder Krankheits-Image helfen sicher nicht. Apotheken müssen an ihrem Selbstverständnis arbeiten. Was macht uns einzigartig und besonders, was bieten nur wir? In einer Umfrage von Engelhard gaben im Jahr 2023 drei Viertel an, erst dann in eine Apotheke zu gehen, wenn sie krank sind.
Sie sehen, genau hier liegt das Potenzial. Das Vertrauen in die Apotheke ist auf jeden Fall gegeben (83 % der Deutschen haben laut ABDA-Statistik 2023 Vertrauen zu ihren Apotheker:innen), aber das Bewusstsein für Services jenseits der Krankheitsbehandlung ist definitiv ausbaufähig.
Die jüngere Generation macht es bereits vor: Sie muss nicht mehr in die Apotheke gehen, weil sie krank ist. Sie will in die Apotheke gehen, weil Gesundheit längst Lifestyle ist. Und genau dieses „Weil“ gilt es als Apotheke für sich selbst zu identifizieren, zu definieren und zu leben. Ist der Einstieg über die jüngere Generation gemacht, werden auch die übrigen Generationen bemerken, dass eine Apotheke noch viele weitere Bedürfnisse stillen kann.
Apotheken können ein Ort der Bildung, der Inspiration, des Wohlfühlens, der Gesundheit oder der Erlebnisse sein. Die Apotheke der Zukunft kann auch ein Kompetenz-Zentrum für Bio-Hacking, ein Ort der Begegnung oder ein Ort des Vertrauens sein, wie es die Apothekenkette Boots in UK vormacht. Hier werden nicht nur kompetente PTA neutral an die Tara gestellt, sondern persönlich Bezugspunkte durch Sticker oder Plaketten kommuniziert. So können beispielsweise Mitarbeiterinnen, die sich gerade selbst in der Menopause befinden, mit ihren Kundinnen direkt auf Augenhöhe sprechen, sodass sich diese mehr als nur gut aufgehoben fühlen. Im Gegensatz dazu tritt die Saint Charles Apotheke in Wien als Design-Boutique im historischen Apothekenlook auf. Mit modern inszeniertem Freiwahlbereich, ästhetisch sehr ansprechenden Eigenprodukten und lässigen Mitarbeitenden positioniert sich diese Apotheke ganz klar im Bereich der positiven Gefühle – nicht der Angst. Sie ist die inspirierendste Apotheke für Design-Liebhaber:innen, für die man sicherlich auch Eintritt verlangen könnte.
Differenzierung leben
Würde man bei den meisten Apotheken den Namen weglassen, wüssten die wenigsten, in welcher Apotheke man sich gerade befindet. Spezifik erhält man nicht durch ein Logo, einen Slogan oder den Namen selbst, sondern durch das spezifische Erlebnis vor Ort. Wer sich nicht mehr über Preise, Rabatte und Margen definieren will, muss genau daran arbeiten. Die klare Abgrenzung zu anderen muss spürbar sein. Was kann nur ich, was macht meine Apotheke aus.
So gibt es in Österreich die erste gehörlose Offizin-Apotheke. Die Marien-Apotheke hat es als „klassische Nachbarschaftsapotheke“ geschafft, sich einzigartig zu machen. Bereits 2008 wurde hier der erste gehörlose Lehrling ausgebildet und eine Gebärdensprachdolmetscherin engagiert. Zahlreiche gehörlose Menschen lernten diesen besonderen Service zu schätzen und kommen aus ganz Wien in die Schmalzhofgasse. Heute beherrschen mehrere Mitarbeitende die österreichische Gebärdensprache. In ihrem eigens produzierten Gehörlos-Büchlein findet man zusätzlich die Porträts der Mitarbeitenden und viele weitere Infos zu Gehörlosigkeit und Gebärdensprache.
Ein weiteres Beispiel ist die Apotheke Zum Löwen in Wien Aspern. Sie ist die erste Erlebnisapotheke mit Kräutergarten. Mit dem Bau der Apotheke im Jahr 2003 wurde ein 200 m2 großer Heilkräutergarten nach dem Vorbild mittelalterlicher Klostergärten angelegt. Der Garten ist öffentlich zugänglich und ein Ort der sozialen und kulturellen Begegnung. Neben regelmäßigen botanischen Führungen, Workshops, Lesungen und Kulturveranstaltungen spezialisierte sich die Apotheke auch auf die Vermittlung von Wissen über Heilpflanzen für Kinder und Jugendliche.
Apotheke als Erlebnisort
Das neue ökonomische Gut in der natürlichen Wertschöpfungsprogression ist das Erlebnis. Nach Rohstoffen, Sachgütern und Dienstleistungen haben wir nun ein Zeitalter erreicht, in dem das Erlebnis mit einer Marke dominiert. 81 % der Kund:innen sind laut einer Stude von CapGemini bereit, für ein begeisterndes Kundenerlebnis mehr zu bezahlen.
In Apotheken gibt es zahlreiche unterschätzte Möglichkeiten, spezifische Erlebnisse zu schaffen. Abgesehen von Website, Point of Sale, Mitarbeitenden oder Tara bieten die Art der Servicierung, der Kleidungsstil, das Gebäude, die Rechnung, der Newsletter, die Abwesenheitsnotiz per Mail, die Mobilbox oder auch ein Stempelpass Chancen der Wahrnehmung, die es gezielt zu nutzen gilt.
An all diesen Punkten kann Bedeutung und Spezifik erlebbar gemacht werden.
Um ein einheitliches, selbstähnliches Markenerlebnis zu gewährleisten, muss jeder Markenkontaktpunkt bewusst gesteuert werden. Einfache Regeln, die an all diesen Kontaktpunkten angewendet werden, können helfen, durch wenige Ja-Nein-Fragen inhaltlich sicherzustellen, dass überall die richtigen und vor allem einheitlichen Botschaften gesendet werden. Das operative Werkzeug dafür nennt sich Markenregeln.
Text: Stephanie Hofer