Interview

„Es sind vielschichtige Probleme“

Mag. Andreas Feichtenberger
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Günter Waxenecker © Peter Nemenz
© Peter Nemenz

Nach fast zehn Jahren als Leiterin der AGES-Medizinmarktaufsicht trat DI Christa Wirthumer-Hoche Anfang des Jahres zurück. Wirthumer-Hoche studierte Biochemie in Wien und war seit 1994 in verschiedenen europäischen Ausschüssen und Arbeitsgruppen des Bereichs Arzneimittelzulassungen tätig, zuletzt war sie von 2016 bis 2022 die Vorsitzende des Verwaltungsrates der Europäischen Arzneimittelagentur (EMA). Günter Waxenecker folgt Wirthumer-Hoche als Leiter der Medizinmarktaufsicht nach. 

ÖAZ Sie übernehmen die Position in keiner einfachen Situation. Lieferengpässe bei Medikamenten haben einen mehr als kritischen Level erreicht. Zudem laufen die Corona-Bestimmungen aus und die letzten drei Jahre haben das Gesundheitssystem extrem gefordert. Wie sehen Sie die Lage für Österreich?
DI Dr. Günter Waxenecker Wir haben aktuell überall sehr spannende Zeiten, so auch in Österreich. Ich habe im Grunde aber ein Geschäftsfeld übernommen, in dem in der Vergangenheit schon sehr viel vorgesorgt und auf Schiene gebracht wurde. Meine Vorgängerin hatte schon 2018 begonnen, die Lieferengpässe zu thematisieren und alle relevanten Stakeholder in Form einer Task Force an einen Tisch zu bringen – darauf können wir jetzt aufbauen. Es bleibt aber spannend, da sich die Situation sehr schnell ändern kann. Mit dem Frühjahr werden die Atemwegserkrankungen abnehmen und der Druck auf alle Beteiligten – vor allem auch die Apotheker:innen – wird hoffentlich wieder geringer. Und ich bin überzeugt davon, dass alle in der Versorgungskette Beteiligten in den letzten Monaten jede Menge an Erfahrung mitgenommen haben, die uns im Herbst gute Dienste leisten werden.

ÖAZ Glauben Sie, dass Österreich besser durch die letzten drei Jahre gekommen ist?  
Waxenecker Wir haben im April 2020 das Vertriebseinschränkungsregister eingeführt und im März 2022 die Schnittstellenlösungen für die Apotheker- und Ärztesoftware. So konnte die Problematik sicher entschärft werden. Aber es bleibt natürlich angespannt. Finnland beispielsweise konnte durch die Arzneimittelbevorratung gut gegen die Engpässe vorgehen und auch die Herstellerverpflichtung wird mittlerweile sicher anders wahrgenommen als früher. Jeder – von den Herstellern bis zu den Ärzten und Ärtinnen – hat den Druck der letzten Monate gespürt und wenn jeder etwas vor seiner Haustüre kehrt, werden wir gut für die Zukunft gerüstet sein und erkennen, wo es Notwendigkeiten für mehr Vorsorge gibt.

ÖAZ Die Apothekerkammer möchte, dass bestimmte Medikamente von den Apotheker:innen selbst hergestellt werden, wenn ein Engpass besteht. Voraussetzung sind der Einkauf von und die Versorgung mit Wirkstoffen durch den Bund. Wie stehen Sie dazu? 
Waxenecker Apotheker:innen sind im Sinne der Patientensicherheit eine Schlüsselstelle im Gesundheitssystem und magistrale Zubereitungen sind nicht neu, es ist die ureigenste Kompetenz der Apotheker:innen. Ich glaube aber, dass man damit nur die Spitze des Eisbergs wird brechen können. Um die große Nachfrage zu befriedigen, sind Fertigprodukthersteller wohl besser geeignet. Eine Kannibalisierung um die Wirkstoffe ist bestmöglich zu vermeiden. Es ist aber auch ein Thema, das uns als Nutzen-/Risikobewerter nicht unmittelbar betrifft.

ÖAZ Wie wollen Sie den Herausforderungen begegnen? 
Waxenecker Es handelt sich um sehr vielschichtige Probleme und wir sind nicht nur von regionalen Engpässen betroffen, die wir durch mehr Kommunikation ausgleichen können. Nationale Versorgungsengpassregister werden gerade in vielen EU-Staaten aufgebaut oder existieren sogar bereits. Wir müssen aber auch europaweit schauen, wie man das Problem beheben kann, der Hebel ist hier viel größer und wir als AGES können einen entscheidenden Beitrag leisten. Zum Beispiel bei der Frage nach neuen Betriebsansiedelungen in Österreich. Wir können mit unseren qualifizierten Inspektoren zur Standortsicherung beitragen, was für herstellende Betriebe und für die Patientensicherheit von größter Bedeutung ist. Es gibt viele Innovationen im herstellenden Bereich, das Know-how unserer Inspektoren ist ein entscheidender Vorteil, um diesen Ideen Platz zu geben. 

Lebenslauf
Günter Waxenecker

DI Dr. Günter Waxenecker übernimmt als neuer Leiter der AGES Medizinmarktaufsicht auch die Verfahrensleitung des BASG. 

Mit seinen über 20 Jahren Erfahrung in der Forschung und Entwicklung sowie regulatorischen Aspekten von Arzneimitteln vertritt der Master of Drug Regulatory Affairs (MDRA) Österreich als Experte auf europäischer sowie internationaler Ebene. 

Der 53-jährige studierte Lebensmittel- und Biotechnologe ist seit 2007 in der AGES. Ab 2019 leitete er die Abteilung Biologika, Präklinik und Statistik, wo er für die wissenschaftlich-fachliche Bewertung der Qualität von Biologika, der Präklinik sowie der Statistik bzw. Methodologie von Humanarzneimitteln in zentralen Zulassungs- und Life Cycle-Verfahren zuständig war. Außerdem war er als Prozessverantwortlicher speziell für die wissenschaftliche Beratung zuständig und in verschiedenen europäischen und internationalen Gremien als Fachexperte tätig. Neben seiner Tätigkeit in der AGES lehrt Waxenecker an Fachhochschulen und der Veterinärmedizinischen Universität Wien.



ÖAZ Ihre Vorgängerin hat einst gemeint, dass es Ihre größte Herausforderung sein wird, die generellen Ressourcen zu mobilisieren, damit die Behörde ihre Aufgaben auf nationaler und europäischer Ebene fristgerecht erfüllen kann. Wie sehen Sie das? Können Sie Ihre Ziele konkretisieren?
Waxenecker Das ist sehr gut diagnostiziert, denke ich. Wir brauchen eine nachhaltige Finanzierung der nationalen Zulassungsbehörden, um hier als starker Partner im regulatorischen Bereich tätig zu sein. Wir haben in den letzten 15 Jahren einen enormen Schritt nach vorne gemacht. Als kleine Zulassungsbehörde 2006 gegründet, spielen wir jetzt auf europäischer Ebene an vorderster Front mit. Wir sind an dritter Stelle, wenn es um die Anzahl der wissenschaftlichen Beratungen geht, wir sind unter den Top 10, wenn es um die Rapporteur- bzw. CoRapporteur-Rolle geht und wir könnten noch mehr machen, wenn wir die Ressourcen zur Verfügung gestellt bekämen. 
Wir sind gebührenfinanziert und müssen mit diesem Geld auch unsere 384 Mitarbeiter bezahlen. Im europäischen regulatorischen Netzwerk sind  insgesamt rund 4.500 Expert:innen benannt, die in den von der EMA administrierten zentralen Zulassungs- und Beratungsverfahren mitarbeiten. Hätten alle europäischen Behörden einen ähnlichen Output wie wir, würde so manches Problem in dieser Dimension nicht bestehen. Wir nehmen aber auch ein enormes Wissen aus dieser Tätigkeit mit, wodurch wir qualifiziertere Entscheidungen auf der ganzen Bandbreite unserer Tätigkeiten am österreichischen pharmazeutischen Markt treffen können.

ÖAZ Wo sehen Sie die konkreten Herausforderungen der nächsten Jahre?
Waxenecker Unmittelbar bevor steht eine große Revision der Pharmagesetzgebung, wobei unter anderem die Regelungen für die Zulassung von Arzneimitteln zur Behandlung von seltenen und auch pädiatrischen Erkrankungen betroffen sein werden. Da gibt es wirklich viel zu tun. Außerdem wird die Digitalisierung eine Herausforderung werden. Änderungen, die in den letzten Jahren stattgefunden haben, hatten alle Digitalisierungsmaßnahmen im Hintergrund, die notwendig waren, um einen möglichst schnittstellenfreien Informationsfluss quer durch Europa zu ermöglichen. Ein Beispiel ist der Ausbau der Fälschungsrichtlinie mit dem QR-Code. Diese Basis könnte man nutzen, um festzustellen, wo aktuell wie viele Stück von einem Produkt gelagert werden. Ideen von Digitalisierungsprojekten gibt es aber viele, zunächst müssen die vielen nationalen Systeme einmal eine gemeinsame Sprache sprechen, sie müssen miteinander verknüpft werden. Last but not least: Wir müssen unser sehr gutes Standing in den EU-Gremien natürlich auch halten können, auch das ist eine Herausforderung.  

ÖAZ Apropos Digitalisierung: War Corona auch in Ihrem Bereich ein Motor?
Waxenecker Wir sind beim elektronischen Impfpass und bei den elektronischen Verschreibungen die Stammdatenhalter, wir sind trusted Partner, und das ist ein Anknüpfungspunkt für viele solcher Initiativen. Also grundsätzlich ja. Aber wie schon gesagt: IT-Projekte sind in der Theorie schnell erdacht, die Umsetzung ist dann aber doch nicht so leicht – vor allem, wenn verschiedene Stakeholder betroffen sind. 

ÖAZ Welche Lehren ziehen Sie aus der Coronakrise und wie wird es mit den Impfstoffen weitergehen – die Akzeptanz ist in den letzten Monaten sehr stark gesunken.
Waxenecker Es ist Sache des Ministeriums, wie mit der Impfstoffversorgung weiter vorgegangen wird. Ich nehme an, dass man versuchen wird, die Covid-Impfstoffe in die normale Impfstoffverfügbarkeitsversorgung zu überführen und dass eine Normalisierung der Verhältnisse angestrebt wird. Die Coronazeit war für uns als Nutzen-/Risiko-Bewerter eine enorm herausfordernde Zeit. Bis es zu den Impfstoffentwicklungen und zur Zulassungsbeurteilung kam, gab es zahlreiche Aspekte, die mitbedacht werden mussten. Wir haben uns in dieser Zeit sehr stark engagiert und unsere Ressourcen umarrangiert, neue Mitarbeiter wurden aufgenommen, um die vor allem durch die mediale Präsenz mitausgelöste steigende Zahl an Nebenwirkungsmeldungen zu bewältigen. Es gab einen QR-Code auf den Verpackungen, mit dessen Hilfe Nebenwirkungsmeldungen rasch und einfach durchgeführt werden konnten. Es handelte sich um bedingte Zulassungen, das heißt, wir beurteilten das Nutzen-/Risiko-Verhältnis zu einem Zeitpunkt, als die Phase-3-Studien noch gelaufen sind. Das war eine sehr spannende und fordernde Zeit, denn bei bedingten Zulassungen kommt es im Gegensatz zu Vollzulassungen zu sehr viel Nacharbeit. Wir haben bereits zu einem Zeitpunkt massiv investiert, als die Zulassungen noch nicht fix waren und waren dadurch auch eines der ersten Chargenfreigabelabors für mRNA-Impfstoffe in Europa – ein enorm wichtiger Schritt zur Vertrauensbildung in der Bevölkerung. 

ÖAZ Was ist das Beste an Ihrem neuen Job?
Waxenecker Es ist die bunte Vielfalt und die Möglichkeit, unabhängig wirken zu können. Wir sind der vertrauenswürdige Partner in der Herstellungsschiene der Arzneimittel und Entwicklung. Außerdem kann ich hier mit vielen mir gut vertrauten Menschen zusammenarbeiten. Es ist ein gutes Gefühl, etwas Sinnstiftendes für die öffentliche Gesundheit zu tun.

ÖAZ Danke für das Gespräch.  

AGES
Daten & Fakten

Die AGES Medizinmarktaufsicht ist mit über 380 Mitarbeiter:innen das größte Geschäftsfeld in der Österreichischen Agentur für Gesundheit und Ernährungssicherheit. 

Drei Institute sorgen dafür, dass der Bevölkerung nur hochqualitative, sichere und wirksame Arzneimittel sowie Medizinprodukte zur Verfügung stehen. Die Fachexperten und -expertinnen bearbeiten eine Vielzahl von Aufgaben in Zusammenhang mit der Arzneimittelzulassung, der klinischen Prüfung von Arzneimitteln und Medizinprodukten, der Pharmakovigilanz (Arzneimittelsicherheit), der Vigilanz im Bereich der Medizinprodukte und mit dem Inspektionswesen (Herstellung, Lagerung, etc.). Ganz entscheidend ist die Mitwirkung von AGES-Medizinmarktaufsicht-Fachleuten im Rahmen der EU-Institutionen (Europäische Arzneimittelbehörde EMA etc.). 

Mehr als 180 der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter sind regelmäßig in Gremien der EMA tätig, wo u. a. Verfahren, Leitlinien und Strategien für die Arzneimittel- und Medizinprodukte-Sicherheit für die ganze EU ausgearbeitet werden bzw. wo zum Beispiel auch zentrale Arzneimittelzulassungen für die EU erfolgen. 



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