Salix L.

Weidenrinde

Mag. pharm. Arnold Achmüller
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Weidenrinde © Shutterstock
Im Europäischen Arzneibuch sind als „Weidenrinde“ (Salicis cortex) die ganze oder zerkleinerte, getrocknete Rinde junger Zweige im zweiten oder dritten Jahr sowie junge Zweige im ersten Jahr zugelassen. © Shutterstock

Die Gattung Salix gehört zur Familie der Weidengewächse (Salicaceae) und umfasst ca. 450 verschiedene Arten. Man findet sie v. a. in den nördlichen gemäßigten Klimazonen bis hin zur Arktis. In Mitteleuropa sind rund 35 Arten heimisch. Da Weiden auch sehr feuchte Standorte vertragen, wachsen sie häufig in Auwäldern und an Uferböschungen.

Die dokumentierte medizinische Verwendung verschiedener Weidenarten reicht bis in die Antike zurück. So werden bereits bei Hippokrates, Plinius dem Älteren oder Dioskurides Weiden als schmerz- und fiebersenkend beschrieben. Auch der etwas ältere Name „Fieberweidenrinde“ bezeugt diese lange Tradition.

Die Droge stammt vorwiegend aus (ost-)europäischem Anbau. Für die Drogengewinnung kommen die Rinden mehrerer Weidenarten infrage, einzig ein ausreichend hoher Gesamtsalicingehalt ist dafür entscheidend. Zu den salicinreichen Weidenarten zählen u. a. Salix purpurea L. (Purpur-Weide), Salix daphnoides Vill. (Reif-Weide), Salix pentandra L. (Lorbeer-Weide) und Salix fragilis L.(Bruch-Weide). Die in der Vergangenheit zur Drogengewinnung ebenfalls verwendete Salix alba L. erreicht dagegen den in der Ph.Eur. geforderten Gesamtsalicingehalt häufig nicht. 

Arzneilich verwendete Droge

Im Europäischen Arzneibuch sind als „Weidenrinde“ (Salicis cortex) die ganze oder zerkleinerte, getrocknete Rinde junger Zweige im zweiten oder dritten Jahr sowie junge Zweige im ersten Jahr zugelassen. Neben Salix purpurea L. (Purpur-Weide), Salix daphnoides Vill. (Reif-Weide) und Salix fragilis L. darf laut Arzneibuch auch jede andere Weidenart verwendet werden, sofern die Droge einen Mindestgehalt von 1,5 % Gesamtsalicyl-Derivaten − berechnet als Salicin − aufweist. Zusätzlich ist im Europäischen Arzneibuch auch eine Monographie zum Weidenrindentrockenextrakt (Salicis corticis extractum siccum) mit einer Mindestanforderung von 5 % Gesamtsalicyl-Derivaten − berechnet als Salicin − verfügbar.

Inhaltsstoffe und pharmakologische Wirkungen

Das typische Inhaltsstoffmuster der Weidendroge ist nicht exakt bestimmbar. Zum einen sind unterschiedliche Weidenarten mit unterschiedlichem Inhaltsstoffmuster verfügbar; zum anderen ist die Droge durch die leichte Hybridisierungsneigung der Weidenarten häufig nicht artenrein. Am detailliertesten sind die Inhaltsstoffe von Salix purpurea L. bekannt:

Die Rinde enthält typischerweise 1,5 bis über 11 % Salicylalkoholderivate wie Salicin, Fragilin, Populin und Salicortin. Zusätzlich finden sich in der Rinde auch unterschiedlichste phenolische Verbindungen wie Triandrin, Vialin, p-Hydroxybenzoesäure, Kaffee-, Ferula- und p-Cumarsäure sowie Flavonoide (u. a. Quercetin und Luteolin) und Gerbstoffe.1

Info

Bei einer Überempfindlichkeit gegenüber Salicylaten oder NSAID bei akuten Magengeschwüren, Glucose-6-phosphat-Dehydrogenase-Mangel, schweren Leber- oder Nierenerkrankungen sowie Blutgerinnungsstörungen ist Weidenrinde kontraindiziert.

Antiphlogistische und analgetische Wirkung

Einen wesentlichen Anteil an der Wirksamkeit haben die Salicylalkoholderivate. Tremulacin, Salicortin und 2‘-Acetylsalicortin werden bei der Extraktherstellung zum Teil zu Salicin abgebaut, welches nach oraler Einnahme durch β-Glucosidasen von Darmbakterien zu Saligenin (= Salicylakohol) gespalten wird.2 Saligenin wird in der Leber zur antiphlogistisch und analgetisch wirksamen Salicylsäure metabolisiert. Die Salicyl-Derivate stellen somit Prodrugs dar. Nebenwirkungen, die bei der Gabe der Acetylsalicylsäurepräparate auftreten können, sind bei Extrakten aus der Weidenrinde deshalb nicht zu erwarten. 

Die antiphlogistische und analgetische Wirkung dürfte daneben auch auf weiteren Inhaltsstoffen wie beispielsweise Chalkonen und Flavanonen beruhen. 

Bonaterra et al. (2010) zeigten beispielsweise in vitro, dass ein wässriger Extrakt antiphlogistische Effekte in aktivierten Monozyten und Makrophagen verursacht. Dies ist u. a. über eine Hemmung der intrazellulären Genexpression von TNF-α sowie einer Hemmung der mRNA Expression von COX-2 erklärbar.3

Zusätzlich zeigten die Arbeiten von Freischmidt et al. (2012) bzw. Knuth et al. (2013), dass auch der Metabolit Catechol, welcher u. a. aus Salicortin und Tremulacin freigesetzt wird, zur antiinflammatorischen Wirkung der Weidenrinde beiträgt. Nach Applikation eines Weidenrindenextrakts konnten relevante Mengen Catechol im Serum gesunder Probanden detektiert werden.4, 5, 6

Antioxidative und antiproliferative Wirkung

Die zahlreichen polyphenolischen Strukturen erwiesen sich in unterschiedlichen Studien als antioxidativ wirksam.7 Außerdem konnten in vitro und in vivo auch antikanzerogene und antiproliferative Wirkungen nachgewiesen werden. Laut Untersuchungen von Kong et al. (2014) reduziert Salicin nicht nur reaktive Sauerstoffradikale, sondern hemmt auch die Angiogenese von Endothelzellen und die Freisetzung von vaskulären endothelialen Wachstumsfaktoren.8

Klinische Studien

Es sind mehrere Studien zur Wirksamkeit des Weidenrindenextraktes bei diversen schmerzhaften Beschwerden wie Rückenschmerzen, Osteoarthrose und Rheumatoider Arthritis verfügbar. 

In einer der aktuellsten Studien wurden 436 Patienten mit Rückenschmerzen und/oder Osteoarthritis 24 Wochen mit einem wässrigen Weidenrindenextrakt (DEV 16−24:1) behandelt. Bereits nach einer dreiwöchigen Behandlungsdauer konnte eine deutliche Schmerzlinderung festgestellt werden. Es kam zu keinen nennenswerten Nebenwirkungen und auch zu keinen dokumentierten Interaktionen.9 Diese positiven Effekte wurden auch in mehreren Metaanalysen bestätigt.10

Auch bei anderen schmerzhaften Erkrankungen des Bewegungsapparates sind vielversprechende Studienergebnisse erzielt worden. So erwies sich ein Weidenrindenextrakt (DEV 8−14:1, Ethanol 70 %) in einer multizentrischen Beobachtungsstudie als wirksam bei Arthrosen im Knie und im Hüftgelenk. Die Teilnehmer dieser Studie hatten sechs Wochen 2 x täglich 60 mg dieses Extraktes erhalten. Nach diesem Beobachtungszeitraum erwies sich das Extrakt nicht nur als wirksam, sondern übertraf auch die Wirksamkeit einer nicht näher definierten konventionellen Therapie in der Vergleichgsgruppe.11

Eine Studie wurde auch zur Anwendung bei Dysmenor-rhoe durchgeführt. Eine placebokontrollierte Studie mit 96 Patienten mit Dysmenorrhoe zeigte eine eindeutige Wirksamkeit der Weidenrinde und Überlegenheit im Vergleich zu Mefenaminsäure. Die Verumgruppe hatte hierfür täglich 400 mg eines nicht näher definierten Weidenextraktes erhalten, die Vergleichsgruppe täglich 750 mg Mefenaminsäure.12

Weidenrinde © Shutterstock
Das typische Inhaltsstoffmuster der Weidendroge ist nicht exakt bestimmbar. Am detailliertesten sind die Inhalts- stoffe von Salix purpurea L. bekannt. © Shutterstock

Wissenschaftlich bewertete Anwendungen

Das HMPC hat ein genau definiertes Weidenrindenextrakt (DEV 8−14:1, 70 % Ethanol) mit einer täglichen Gesamtsalicinmenge von 240 mg für die kurzfristige Behandlung von leichten Rückenschmerzen als medizinisch anerkannte Anwendung („well established use“) eingestuft. Andere Trockenextrakte, Tees oder Tinkturen können bei leichten Gelenkschmerzen, bei Fieber im Zusammenhang mit Erkältungen und bei Kopfschmerzen im Sinne einer traditionellen Anwendung („traditional use“) verwendet werden.

Info

Das HMPC hat ein genau definiertes Weidenrindenextrak (DEV 8−14:1, 70% Ethanol) mit einer täglichen Gesamtsalicinmenge
von 240 mg für die kurzfristig Behandlung von leichten Rückenschmerzen als medizinisch anerkannte Anwendung („well
established use“) eingestuft.

Typische Zubereitungen, Tagesdosierung und Anwendungsdauer

Die Anwendung kann laut HMPC als Tee, gepulverte Droge, Trocken- oder Flüssigextrakt sowie als Tinktur erfolgen. Ein genau definiertes Trockenextrakt (DEV 8−14:1, 70 % Ethanol) wird laut HMPC als besonders wirksam erachtet.

Der Tee kann laut HMPC sowohl als Infus als auch als Dekokt zubereitet werden. Die empfohlene Tagesdosierung des Infuses liegt bei 3 x täglich jeweils 3 g Droge in 150 ml Wasser. Für ein Dekokt werden 4 g Weidenrinde mit 200 ml Wasser 15 Minuten aufgekocht und anschließend noch 15 Minuten stehen gelassen.

Die Dosierungen der einzelnen Trocken- und Flüssigextrakte unterscheiden sich sehr stark und orientieren sich am Salicingehalt. Die Tagesdosis an Gesamtsalicin sollte bei akuten Schmerzzuständen 240 mg betragen.

Falls die Gelenkschmerzen trotz Anwendung von Weidenrinde mehr als vier Wochen, Rückenschmerzen mehr als eine Woche bzw. Fieber mehr als drei Tage oder Kopfschmerzen mehr als einen Tag bestehen oder sich sogar verschlimmern, sollte eine ärztliche Konsultation erfolgen.

Kinder, Schwangere und Stillende

Aufgrund fehlender Daten wird Weidenrinde seitens des HMPC erst ab 18 Jahren empfohlen. Für die Anwendung bei Schwangeren und Stillenden liegen bis dato keine Daten vor, weshalb eine entsprechende Anwendung ebenfalls nicht empfohlen wird.

Wechsel- und Nebenwirkungen (Risiken)

Es gibt Berichte über allergische Reaktionen wie Hautausschläge, Juckreiz, Asthma und aufgrund der Gerbstoffe gastrointestinale Beschwerden wie Übelkeit, Erbrechen, Durchfall und Sodbrennen. Die Häufigkeit dieser Nebenwirkungen ist nicht bekannt. Relevante blutverdünnende Effekte sind dagegen nicht zu erwarten. 

Dies zeigte auch eine Studie von Krivoy et al. (2001), in welcher eine tägliche Einnahme eines Weidenrindenextraktes mit 240 mg Salicin im Unterschied zu 100 mg Acetylsalicylsäure einen wesentlich geringeren Effekt auf die Thrombozytenaggregation ausübte.13

Kontraindikation

Bei einer Überempfindlichkeit gegenüber Salicylaten oder NSAID bei akuten Magengeschwüren, Glucose-6-phosphat-Dehydrogenase-Mangel, schweren Leber- oder Nierenerkrankungen sowie Blutgerinnungsstörungen ist Weidenrinde kontraindiziert.

Co-Autoren

Univ.-Prof. Dr. Dr.h.c. Rudolf Bauer
emer.o.Univ.-Prof. DI Dr. Chlodwig Franz
Univ.-Prof. i.R. Mag. Dr. Dr.h.c. Brigitte Kopp
Univ.-Prof. Mag. Dr. Hermann Stuppner

Quellen

1   Blaschek W (Hrsg.): (2016): Wichtl − Teedrogen und Phytopharmaka. Ein Handbuch für die Praxis. 6. Auflage. Wissenschaftliche Verlagsgesellschaft. Stuttgart

2   Pferschy-Wenzig E.M. et al.: A combined LC-MS metabolomics- and 16S rRNA sequencing platform to assess interactions between herbal medicinal products and human gut bacteria in vitro: A pilot study on willow bark extract. Front Pharmacol 2017; 8:893

3   Bonaterra GA et al.: Anti-inflammatory effects of the willow bark extract STW 33-I (Proaktiv(®)) in LPS-activated human monocytes and differentiated macrophages. Phytomedicine 2010; 17(14):1106–13

4   Freischmidt A et al.: Contribution of flavonoids and catechol to the reduction of ICAM-1 expression in endothelial cells by a standardised Willow bark extract. Phytomedicine 2012; 19(3-4):245–5

5   Knuth S et al.: Catechol is a bioactive metabolite of Willow bark. Planta Med 2013; 79 (13): 1120

Weitere Literatur auf Anfrage

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