Hypericum perforatum

Johanniskraut

Mag. pharm. Arnold Achmüller
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Gerade hellhäutige Personen sollten nach Einnahme von Johanniskraut intensive Sonneneinstrahlung meiden. © Shutterstock
Gerade hellhäutige Personen sollten nach Einnahme von Johanniskraut intensive Sonneneinstrahlung meiden. © Shutterstock

Das Tüpfel-Johanniskraut (Hypericum perforatum L.) gehört zur Familie der Hypericaceae (Johanniskrautgewächse) und ist heute weltweit auf allen Kontinenten vorzufinden. Seinen ursprünglichen Verbreitungsschwerpunkt hatte Johanniskraut in Europa, Nordafrika und Asien.

Schon im Mittelalter war man sich wohl der stimmungsaufhellenden Wirkung bewusst, wird doch bereits von Paracelsus 1525 das „Sanct Johannskraut“ als Heilmittel gegen „Fantasien, die den Menschen in Verzweiflung bringen“ beschrieben.

Die Gattung Hypericum ist relativ groß, es gibt ca. 380 verschiedene Arten, davon ca. 20 in Europa, die teilweise auch volksmedizinisch eingesetzt werden. Die eindeutige Identifikation des Tüpfel-Johanniskrautes ist nicht immer ganz einfach. Man findet es v. a. auf Magerwiesen, an Weg- und Feldrändern. Besonders auffallend sind die leuchtend gelben Blüten, die in traubig zusammengesetzten Trugdolden am Ende von harten Stängeln stehen. Verreibt man frische Blüten zwischen den Fingern, färben sich diese wegen der austretenden Hypericine violett. Eines der typischen Merkmale, die das Tüpfel-Johanniskraut von anderen Johanniskräutern unterscheidet, ist die auffallende Punktierung („Tüpfel“) der Blätter, wenn man diese gegen das Licht betrachtet.

Der Name Johanniskraut bezieht sich darauf, dass die Pflanze rund um den Johannistag (24. Juni) zu blühen beginnt. Die Droge stammt heute hauptsächlich aus Kulturen aus Deutschland, Osteuropa und Chile.

Arzneilich verwendete Droge

Im Europäischen Arzneibuch wird Johanniskraut (Hyperici herba) als die ganzen oder geschnittenen und getrockneten blühenden Triebspitzen von Hypericum perforatum L., die während der Blütezeit geerntet werden, definiert. Johanniskraut muss mindestens 0,08 % Hypericine – ausgedrückt als Hypericin und berechnet auf die getrocknete Droge – enthalten.

Der im Europäischen Arzneibuch angeführte „Quantifizierte Johanniskrauttrockenextrakt“, der aus der Droge unter Verwendung von 50‒80 % Ethanol oder 50‒80 % Methanol hergestellt wird, muss 0,10‒0,30 % Gesamthypericine ‒ berechnet als Hypericin ‒, mindestens 6,0 % Flavonoide ‒ berechnet als Rutosid ‒ und höchstens 6,0 % Hyperforin enthalten. Die häufig angewendete Standardisierung der Johanniskrauttrockenextrakte basiert meist auf dem Gehalt dieser drei Substanzklassen.

Inhaltsstoffe und pharmakologische Wirkungen

Für Johanniskraut sind mehr als 150 Inhaltsstoffe bekannt. Entsprechend schwierig ist die Suche nach den Wirkstoffen. Nach derzeitigem Wissensstand tragen mehrere Stoffklassen zur Wirkung bei, die zu 0,1‒0,3 % enthaltenen Hypericine mit den Hauptkomponenten Hypericin und Pseudohypericin, die mit 0,2‒0,4 % enthaltenen Phloro-glucinderivate, mit den Hauptkomponenten Hyperforin und Adhyperforin sowie die Flavonoide (v. a. Hyperosid, Rutosid, Isoquercitrin und Miquelianin). Daneben finden sich im Kraut weitere phenolische Komponenten wie Procyanidine, Xanthonderivate und Phenolcarbonsäuren. Außerdem enthält Johanniskraut auch kleinere Mengen an ätherischem Öl.1,2

Antidepressive Wirkung

In vitro konnte sowohl für Hyperforin als auch für Hyperosid gezeigt werden, dass diese zu einer postsynaptischen Down-Regulation der ß-Adrenorezeptoren führen und dadurch eine gestörte Neurotransmission verbessern.3 Darüber hinaus zeigten auch mehrere Tiermodelle (u. a. forced swimming test) ähnliche Effekte wie synthetische Anti-depressiva.4,5

Normalisierung der HPA-Achse

Eine Depression entsteht nicht nur durch eine gestörte Neurotransmission, sondern auch durch eine Überaktivierung der Hypothalamus-Hypophysen-Nebennierenrinden-Achse (hypotha-lamic-pituitary-adrenal axis, HPA-Achse) und einer dadurch bedingten deregulierten Stressantwort. Johanniskraut wirkt dem entgegen, indem es eine überaktive HPA-Achse normalisiert. Dies geschieht, indem Johanniskraut die Expression des FKBP5-Gens, welches die Signaltransduktion von Steroidhormonrezeptoren reguliert, vermindert.6

Antientzündliche Effekte

Johanniskrautextrakte zeigten auch eine TNF-α-hemmende Wirkung und eine dadurch bedingte Besserung entzündlicher und neurodegenerativer Prozesse. Auch dies kann als ein möglicher Wirkmechanismus in der Wirkung bei Depressionen gesehen werden.7

Wundheilende Eigenschaften

Die wundheilende Wirkung des Johanniskrautes wurde u. a. durch Vergleich mit Dexpanthenol und einem Extrakt aus dem Indischen Wassernabelkraut (Centella asiatica) auf kultivierten embryonalen Hühnerfibroblasten untersucht. Dabei zeigte sich, dass die wundheilende Wirkung eines ethanolischen Johanniskrautextrakts auf der Stimulierung der Kollagenproduktion der Fibroblasten und einer Aktivierung von Fibroblastenzellen zurückzuführen ist.8

Klinische Studien

Unterschiedliche Johanniskrautextrakte wurden in zahlreichen klinischen Studien in den 1990er- und 2000er-Jahren an Tausenden von Personen hinsichtlich einer möglichen antidepressiven Wirkung untersucht. Mittlerweile sind auch mehrere Metaanalysen verfügbar, die die vorhandenen Studien zusammenfassen. In einer aktuellen Metaanalyse von Ng et al. (2017) wurden 35 Studien mit insgesamt 6.993 Patientinnen und Patienten nochmals ausgewertet. Johanniskraut erwies sich hierbei nicht nur Placebo überlegen, sondern genauso effektiv wie SSRIs. Außerdem zeigen die Daten eine sehr gute Verträglichkeit und kaum Nebenwirkungen.9 Auch ein systemischer Review der Cochrane Collaboration kam 2008 zum Ergebnis, dass Johanniskrautextrakte nicht nur besser als Placebo wirken und anderen Antidepressiva nicht unterlegen sind, sondern dass sie im Vergleich zu synthetischen Antidepressiva v. a. durch eine bessere Verträglichkeit überzeugen.10 Aufgrund der guten Daten zu Johanniskraut findet sich dieses auch in mehreren S3-Leitlinien wie bspw. in der „Patientenleitlinie Unipolare Depression“ wieder.

Wissenschaftlich bewertete Anwendungen

Die rechtliche Einstufung von Johanniskraut seitens des HMPC ist je nach eingesetzter Arzneiform sehr unterschiedlich. Das HMPC hat zwei Trockenextrakte (DEV 3‒7, Methanol 80 % und DEV 3‒6:1, Ethanol 80 %) als medizinisch anerkanntes pflanzliches Arzneimittel (well established use) für die Behandlung leichter bis mittelschwerer Depressionen anerkannt. Der Trockenextrakt (DEV 2,5‒8:1, Ethanol 50‒68 %) kann kurzzeitig bei leichter depressiver Verstimmung verwendet werden (well established use).

Daneben werden andere Trocken- und Flüssigextrakte, die Tinktur, der Frischpflanzensaft und der Tee bei zeitweiliger mentaler Erschöpfung im Sinne einer traditionellen Anwendung empfohlen. Der Tee kann zudem bei leichten Magen-Darm-Beschwerden sowie nervösen Einschlafstörungen verwendet werden. Das Johanniskrautöl („Rotöl“) (DEV 1:4‒20, Pflanzenöl), die Tinktur (DEV 1:10, Ethanol 45‒50 %) und ein Flüssigextrakt (1:2‒7, Ethanol 50 %) können ebenfalls in Form einer traditionellen Anwendung zur Behandlung von leichten Hautentzündungen und zur Heilung kleinerer Wunden eingesetzt werden.

Typische Zubereitungen, Tagesdosierung und Anwendungsdauer

Zur Behandlung von Depressionen und depressiver Verstimmung sollte Johanniskraut jedenfalls in Form eines standardisierten Trockenextraktes eingenommen werden. Mit den anderen Arzneiformen, inklusive dem Tee, wird keine ausreichende Dosierung erreicht. Außerdem sollte auf die Art des Extraktes geachtet werden. Besonders gute Ergebnisse weisen laut Kasper et al. (2010) WS 5572, LI 160, WS 5570 und ZE 117 auf.11

Die Dosierungen der diversen Fertigpräparate richtet sich je nach gewähltem Extrakt. Ein Tee zur Behandlung leichter Magen-Darm-Beschwerden sowie nervöser Einschlafstörungen sollte mit je 1,5‒2 g getrockneter Droge auf 150 ml Wasser zubereitet werden.

Falls im Hinblick auf Depressionen und leichten depressiven Verstimmungen innerhalb von vier Wochen keine Besserung eintritt oder bei Verschlimmerung der Symptomatik, sollte unbedingt ein Arzt/eine Ärztin aufgesucht werden.

Kinder, Schwangere und Stillende

Aus Sicht des HMPC sollte Johanniskraut aufgrund fehlender Sicherheitsdaten erst ab 18 Jahren angewandt werden. Schwangeren und Stillenden wird aufgrund fehlender Sicherheitsdaten die Einnahme von Johanniskraut ebenfalls nicht empfohlen.

Wechsel- und Nebenwirkungen (Risiken)

Kaum eine andere Heilpflanze ist hinsichtlich möglicher Wechselwirkungen derart problematisch wie das Johanniskraut. Johanniskraut ist nämlich ein starker Induktor verschiedener Subtypen von Cytochrom-P450. Dadurch kann es bei gleichzeitiger Einnahme zu einer Wirkabschwächung von einer Vielzahl an Wirkstoffen wie Ciclosporin, Tacrolimus, Digoxin, oralen Kontrazeptiva, Indinavir, Theophyllin u. v. m. kommen. Während in Studien zu einigen Wirkstoffen das tatsächliche Interaktionspotenzial relativiert werden konnte (z. B. Fentanyl), zeigt Johanniskraut zuletzt ein relevantes Interaktionspotenzial mit Rivaroxaban.12,13 Johannis-krautextrakte induzieren auch die Synthese von P-GP, so kann die Resorption von Medikamenten im Gastrointestinaltrakt vermindert werden.14

Johanniskraut kann außerdem photosensibilisierend wirken. Zwar gibt es hierzu mittlerweile Studien, die dies – trotz der Verabreichung hoher Dosen und anschließender UV-Bestrahlung15 – nicht nachweisen konnten, doch gerade hellhäutige Personen sollten nach Einnahme von Johanniskraut intensive Sonneneinstrahlung meiden.

Nach Einnahme von Johanniskrautpräparaten kann es zudem zu Magen-Darm-Beschwerden, allergischen Hautreaktionen sowie Müdigkeit und Unruhe kommen. Die Häufigkeit dieser Nebenwirkungen ist allerdings nicht bekannt.

Kontraindikation

Bei einer bekannten Überempfindlichkeit gegenüber einer im Johanniskraut enthaltenen Substanz.

Quellen

1 Blaschek W. (Hrsg.) (2016): Wichtl – Teedrogen und Phytopharmaka. Ein Handbuch für die Praxis. 6. Auflage. Wissenschaftliche Verlagsgesellschaft. Stuttgart

2 Volz HP.: Johanniskrautextrakte zur antidepressiven Pharmakotherapie. Z Phytother 2022; 43: 99–104

3 Jacobs D. et al.: Downregulation of – 1-adrenergic receptors in rat C6 glioblastoma cells by hyperforin and hyperoside from St John's wort. J Pharm Pharmacol. 2013 Jun; 65(6):907–15

4 Crupi R. et al.: Hypericum perforatum treatment: effect on behaviour and neurogenesis in a chronic stress model in mice. BMC Complement Altern Med. 2011; 11:7

5 Hirano K. et al.: Effects of oral administration of extracts of Hypericum perforatum (St John's wort) on brain serotonin transporter, serotonin uptake and behaviour in mice. J Pharm Pharma-col. 2004; 56(12):1589–95

6 Verjee S. et al.: Hyperforin and Miquelianin from St. John's Wort Attenuate Gene Expression in Neuronal Cells After Dexamethasone-Induced Stress. Planta Med. 2018; 84(9-10):696-703.

7 Dillenburger B. et al.: Aktueller Forschungsstand zum pflanzlichen Antidepressivum Johanniskrautextrakt. Nervenheilkunde 2020; 39(09): 565-571

8 Oztürk N. et al.: Wound-healing activity of St. John's Wort (Hypericum perforatum L.) on chicken embryonic fibroblasts. J Ethnopharmacol 2007; 111(1):33-9.

9 Ng et al.: Clinical use of Hypericum perforatum (St John's wort) in depression: A meta-analysis. J Affect Disord. 2017; 210:211-221.

10 Linde, K. et al.: St John's wort for major depression. Cochrane Database Syst Rev. 2008; 2008(4):CD000448.

11 Kasper et al.: Efficacy and tolerability of Hypericum extract for the treatment of mild to moderate depression. Eur Neuropsychopharmacol. 2010; 20(11):747-65.

12 Loughren M. et al.: Influence of St. John's Wort on Intravenous Fentanyl Pharmacokinetics, Pharmacodynamics, and Clinical Effects: A Randomized Clinical Trial. Anesthesiology. 2020; 132(3):491-503.

13 Huppertz et al.: Rivaroxaban and macitentan can be coadministered without dose adjustment but the combination of rivaroxaban and St John's wort should be avoided. Br J Clin Pharmacol. 2018; 84(12):2903-2913.

14 Russo E. et al.: Hypericum perforatum: pharmacokinetic, mechanism of action, tolerability, and clinical drug-drug interactions. Phytother Res 2014; 28:643-655)

15 Schempp Ch. et al.: Effect of oral administration of Hypericum perforatum extract (St. John's Wort) on skin erythema and pigmentation induced by UVB, UVA, visible light and solar simulated radiation. Phytother Res. 2003; 17(2):141-6. Community herbal monograph & Assessment report on Hypericum perforatum L., herba (12.11.2009) 

Autor: Mag. pharm. Arnold Achmüller Autor & Apotheker aus Wien
Co-Autoren:
Univ.-Prof. Dr. Dr.h.c. Rudolf Bauer
emer.o.Univ.-Prof. DI Dr. Chlodwig Franz
Univ.-Prof. i.R. Mag. Dr. Dr.h.c. Brigitte Kopp
Univ.-Prof. Mag. Dr. Hermann Stuppner


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