Chronisch entzündet

Wenn die Toilette das Leben diktiert

Mag. pharm. Christopher Waxenegger
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Kennzeichnend für CED ist ihr schubförmiger Verlauf, bei dem sich Phasen mit Beschwerden und Phasen, in denen die Betroffenen beschwerdefrei sind, abwechseln. © iStock
Kennzeichnend für CED ist ihr schubförmiger Verlauf, bei dem sich Phasen mit Beschwerden und Phasen, in denen die Betroffenen beschwerdefrei sind, abwechseln. © iStock

Unter dem Begriff der chronisch entzündlichen Darmerkrankungen (CED) werden Morbus Crohn und Colitis ulcerosa zusammengefasst. Beide Krankheiten kennzeichnen permanente Entzündungsvorgänge. Diese können bei Morbus Crohn den gesamten Verdauungstrakt umfassen und sich vom Mund bis zum After manifestieren. Hauptlokalisationen sind der untere Dünndarm und/oder das proximale Kolon. Typisch ist zudem ein segmentaler Befall, bei dem alle Schichten der Darmwand, auch die tiefen, betroffen sind (transmurale Entzündung). Dadurch bilden sich häufig Fisteln – direkte Verbindungen zur äußeren Haut (meist Analfisteln) oder benachbarten Organen (z. B. Blasen- oder Scheidenfisteln) – sowie Abszesse.

Bei der Colitis ulcerosa beginnt der Entzündungsprozess hingegen üblicherweise im Enddarm und breitet sich von dort über den gesamten Dickdarm aus. Die Einteilung erfolgt je nach Befallsmuster in Proktitis (limitiert auf das Rektum), Linksseitenkolitis (Befall bis zur linken Flexur, sprich Biegung des Dickdarms links oben im Bauch) und ausgedehnte Colitis über die linke Flexur hinaus bis hin zur Pankolitis. Im Gegensatz zu Morbus Crohn beschränkt sich das entzündliche Vorgehen bei Colitis ulcerosa auf oberflächliche Schleimhautschichten, was zu unscharf begrenzten oberflächlichen Geschwüren (Ulzerationen) und Fibrinbelägen führt. Ein weiteres Charakteristikum sind Anhäufungen von Granulozyten und anderen Leukozyten in den Krypten des Darms, sogenannte Kryptenabszesse. Dies schädigt die Epithelzellen und verhindert, dass die Drüse normal funktioniert.

Schübe rasch erkennen

Kennzeichnend für CED ist ihr schubförmiger Verlauf, bei dem sich Phasen mit Beschwerden und Phasen, in denen die Betroffenen beschwerdefrei sind, abwechseln. Wie sich die Erkrankung entwickelt, wann und ob es zu Rezidiven kommt, wie lange ein Schub anhält, wie oft Schübe auftreten und wie schwer sie verlaufen, ist sehr unterschiedlich und lässt sich nicht vorhersagen. Die Symptome eines akuten Schubs sind für beide Erkrankungen ähnlich und beinhalten krampfartige Bauchschmerzen, Durchfälle mit Blut- und Schleimbeimengung sowie Fieber, ungewollten Gewichtsverlust und Leistungsabfall. Im Labor zeigen sich Entzündungsmarker wie C-reaktives Protein (CRP), Leukozytenzahl und Blutsenkungsgeschwindigkeit (BSG) erhöht. Auch Untersuchungen von Eiweißverbindungen im Stuhl erlauben Aussagen über die momentane Entzündungsaktivität im Magen-Darm-Trakt. Das bekannteste Beispiel ist der Calprotectin-Wert. Dieses in weißen Blutkörperchen vorkommende Eiweiß wird bei Entzündungsvorgängen im Darm freigesetzt. Je nachdem, wie hoch der Wert ausfällt, können Gastroenterologinnen und Gastroenterologen abschätzen, ob sich eine Patientin bzw. ein Patient mit CED im akuten Schub oder in entzündungsfreier Remission befindet. Calprotectin wird daher besonders gerne zum Therapiemonitoring und zur Verlaufskontrolle bei Morbus Crohn und Colitis ulcerosa eingesetzt. Obwohl sich viele der Beschwerden zum Teil überschneiden und ein ähnliches klinisches Bild hervorrufen, ist für eine effektive Behandlung eine eindeutige Unterscheidung zwischen den beiden Entitäten notwendig.

Entzündung stoppen

Die Anforderungen an eine effektive CED-Therapie sind hoch. Wie in der Rheumatologie üblich, zeichnet sich nunmehr auch in der Gastroenterologie ein Trend in Richtung vollständiger Remission mit möglichst langfristigem Remissionserhalt ab. Therapieziel ist die Mukosaheilung, sprich eine vollständige Entzündungsfreiheit der Schleimhaut, die mit einem günstigen Krankheitsverlauf im Sinne einer stabilen Remission und Komplikationsvermeidung (Fisteln, Stenosen etc.) assoziiert ist. Das bedeutet, dass die Betroffenen nach Erreichen der Remission unter Berücksichtigung der individuellen Klinik, des spezifischen Risikoprofils, etwaiger Vortherapien und der Patientenpräferenz eine medikamentöse remissionserhaltende Behandlung erhalten, welche für einen festgelegten Zeitraum weiter fortgeführt wird. Bei Menschen mit Morbus Crohn sind dies in der Regel Thiopurine oder TNF-α-Blocker über vier bis fünf Jahre, für Menschen mit Colitis ulcerosa Mesalazin oder E. coli Nissle über mindestens zwei Jahre, bei steroidabhängiger Remissionsinduktion Azathioprin für vier Jahre (siehe Kästen 1 und 2). Regelmäßige Therapiekontrollen ermöglichen bei Bedarf eine schnelle Anpassung der Behandlung.

Remissionsinduktion und -erhalt
Morbus Crohn

Akuter Schub – Remissionsinduktion
Ileozökaler Befall:
• Budesonid
• Mesalazin
• systemische Glukokortikoide

Kolonbefall: 
• Sulfasalazin
• Glukokortikoide

Dünndarmbefall:
• Glukokortikoide

Remissionsinduktion bei steroidrefraktärem Verlauf
• TNF-α-Blocker
• Klassische Immunsuppressiva (v. a. Azathioprin/6-Mercaptopurin)
• Ustekinumab
• Vedolizumab

Remissionserhalt
• Klassische Immun­suppressiva (v. a. Azathioprin/6-Mercaptopurin)
• TNF-α-Blocker
• Vedolizumab

Kasten 1: Unter Berücksichtigung der aktuellen S3-Leitlinie Morbus Crohn

Remissionsinduktion und -erhalt
Colitis Ulcerosa

Akuter Schub – Remissionsinduktion
Proktitis:
• Mesalazin (rektal)
• ev. Kombination mit lokalen Glukokortikoiden
• ev. Kombination mit Budesonid
• ev. Kombination mit oralem Mesalazin

Linksseitenkolitis: 
• Mesalazin (rektal und oral)
• systemische Glukokortikoide bei refraktärem Verlauf

Remissionsinduktion bei steroidrefraktärem Verlauf
• TNF-α-Blocker
• Tacrolimus
• Vedolizumab
• Tofacitinib

Remissionserhalt
• Mesalazin
• E. coli Nissle
• Azathioprin/6-Mercaptopurin
• TNF-α-Blocker
• Vedolizumab
• Tofacitinib

Kasten 2: Unter Berücksichtigung der aktuellen S3-Leitlinie Colitis Ulcerosa


New tools in the toolbox

Nach einer längeren Phase des therapeutischen Stillstands kam 2014 mit Vedolizumab, einem monoklonalen Antikörper aus der Gruppe der Integrin-Antagonisten, nach über 20 Jahren die erste neue Substanz zur CED-Therapie auf den Markt, gefolgt vom Januskinasen-(JAK-)Inhibitor Tofacitinib und dem Interleukin-12/23-Antikörper Ustekinumab. Mit selektiven Interleukin-23-Antikörpern, spezifischeren JAK-Inhibitoren (Hauptwirkung auf JAK 1) und Sphingosin-1-Phosphat-Rezeptor-(S1PR)-Agonisten haben weitere interessante Wirkstoffklassen Einzug in die tägliche Praxis erhalten. Andere stehen bereits in den Startlöchern (siehe Tabelle).

Neue Therapieoptionen bei 
Morbus Crohn (MC) und Colitis ulcerosa (CU)

SubstanzenZulassung
α4β7-Integrin-Inhibitor
Vedolizumabzugelassen für MC und CU
AbrilumabPhase II für MC und CU
IL-23-Inhibitoren
MirikizumabPhase III für MC und CU
BrazikumabPhase III für MC und CU
GuselkumabPhase III für MC und CU
RisankizumabPhase III für MC und CU
JAK-Inhibitoren
Tofacitinibzugelassen für CU, Endpunkt MC verfehlt
Filgotinibzugelassen für CU, Phase III für MC
Upadacitinibzugelassen für CU, Phase III für MC
S1PR-Modulatoren
Ozanimodzugelassen für CU, Phase III für MC
EtrasimodPhase III für CU und MC

Ernährung – unterschätztes Potenzial

Ernährung ist neben Medikamenten ein wichtiger Baustein, um CED positiv zu beeinflussen. Mittlerweile gibt es unzählige Studien, die zeigen, dass die Art der konsumierten Lebensmittel einen nachhaltigen Einfluss auf unser Darmmikrobiom hat. Vor allem westliche Ernährung mit ihren unzähligen Zusatzstoffen, Fast Food und Fertiggerichten kann das inflammatorische Geschehen im Darm vorantreiben. Eine CED-spezifische Diät existiert allerdings nicht. Patientinnen und Patienten sollten das essen, was sie vertragen, wobei sich die Auswahl der Lebensmittel idealerweise an einer saisonalen, regionalen, pflanzenreichen Mischkost orientiert. Die Nahrungsaufnahme hängt jedoch auch davon ab, ob man sich gerade in einem Schub oder einer entzündungsfreien Remissionsphase befindet. Aus therapeutischer Sicht hat sich deshalb ein Ernährungsplan nach Ampelschema bewährt, der für alle Betroffenen in ärztlicher und diätologischer Zusammenarbeit individuell erstellt und ggf. mit oraler Zusatznahrung und gezielter Mikronährstoffsupplementation ergänzt wird (siehe Abbildung).


Quellen

• Benedikt MA. Informationsbroschüre: Ernährung bei Morbus Crohn und Colitis ulcerosa. Adare International Ltd., Berlin, 2020.
• Kucharzik T et al. Aktualisierte S3-Leitlinie Colitis ulcerosa. Z Gastroenterol 2020; 58: 241–326. August 2020 – AWMF-Registriernummer: 021-009. Letzter Zugriff: 16.04.2023.
• Lewis JD, Abreu MT. Diet as a Trigger or Therapy for Inflammatory Bowel Diseases. Gastroenterology. 2017; 152(2):398-414.e6.
• Limketkai BN et al. Nutritional Interventions in the Patient with Inflammatory Bowel Disease. Gastroenterol Clin North Am. 2018; 47(1):155-177.
• Schreiner P et al. Nutrition in Inflammatory Bowel Disease. Digestion. 2020;101 Suppl 1:120-135.

Weitere Literatur auf Anfrage

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