Konkret gewürdigt wurden die 68-jährige Karikó und der 64-jährige Weissman für ihre Entdeckungen zur Modifikation der Nukleosidbasen, die die Entwicklung der wirksamen mRNA-Impfstoffe ermöglichten, wurde erläutert. „Durch ihre bahnbrechenden Resultate, die unser Verständnis davon, wie mRNA mit dem menschlichen Immunsystem interagiert, grundlegend verändert haben, trugen die Preisträger zu dem beispiellosen Tempo der Impfstoffentwicklung während einer der größten Bedrohungen für die menschliche Gesundheit in moderner Zeit bei.“
Die beeindruckende Flexibilität und Geschwindigkeit, mit der mRNA-Impfstoffe entwickelt werden konnten, ebne den Weg für die Nutzung der neuen Plattform auch für Impfstoffe gegen andere Infektionskrankheiten. „In Zukunft könnte die Technologie auch zur Verabreichung therapeutischer Proteine und zur Behandlung bestimmter Krebsarten eingesetzt werden. Mehrere andere Impfstoffe gegen Sars-CoV-2, die auf unterschiedlichen Methoden basieren, wurden ebenfalls rasch eingeführt, und insgesamt wurden weltweit mehr als 13 Milliarden Covid-19-Impfdosen verabreicht“, so das Nobelkomitee.
Der österreichische Virologe Florian Krammer von der Icahn School of Medicine am Mount Sinai Krankenhaus in New York freute sich über den ersten Nobelpreis seit sehr langer Zeit für einen viralen Impfstoff. Er strich allerdings die darüber hinaus gehenden Anwendungsmöglichkeiten der mRNA-Technologie hervor. So sei man vor allem auch im Bereich gezielter Krebstherapien mittlerweile sehr weit. „Ich glaube, dass da noch sehr viel kommt, und die beiden haben das ermöglicht“, lobte er Karikó und Weissman.
Als „wunderschönes Zeichen“ für jeden Menschen, jeden Wissenschaftler, jeden Arzt, der in der Pandemie geholfen hat, bezeichnete der österreichischen Pharmakologe Markus Zeitlinger die Zuerkennung. Es handle sich um „einen der größten Erfolge in den letzten Jahren in der Medizin, wenn nicht den größten“, hob er auch die hohe Wirksamkeit gegen schwere Verläufe und Tod hervor. Trotzdem seien die Impfungen auch „in den Schmutz gezogen worden“, etwa für „politische Kleingeldwäscherei“, so der Leiter der Universitätsklinik für Klinische Pharmakologie der MedUni Wien.
Der Generalsekretär des Nobelpreiskomitees, Thomas Perlmann, hatte die Preisträger telefonisch erreicht, wie er während der Pressekonferenz in Stockholm erklärte: „Sie waren beide sehr glücklich.“ Karikó habe sich „überwältigt“ gezeigt. Sie habe es auf ihren Karriereweg nicht immer leicht gehabt, so Perlmann. Vor rund zehn Jahren habe sie ihre Position verloren und ging in der Folge nach Deutschland. Gerade Karikó habe viel investieren müssen, um ihre Arbeit auch gegen Widerstände voranzutreiben, hieß es in mehreren Reaktionen.
Ihren Ausgangspunkt nahm die nun ausgezeichnete Forschung bereits in den 1980er-Jahren, als gezeigt wurde, dass mRNA in großem Stil hergestellt werden kann. In der Folge wurde jedoch klar, dass im Reagenzglas, „in-vitro“, hergestellte mRNA Nebeneffekte hatten. Im Gegensatz zu den gleichen Strukturen, die aus menschlichen Zellen stammten, lösten sie Entzündungsreaktionen aus, was klinische Anwendungen erschwerte.
Aus Mangel an Fördergeldern forschte Karikó im Labor zunächst weitgehend auf sich allein gestellt an dem Problem, ab 1998 auch mit Weissman an der University of Pennsylvania, wo beide derzeit noch bzw. wieder forschen. Karikó ist auch Professorin an der Universität Szeged in Ungarn. Sie hatten einander an einem Kopiergerät zufällig beim Kopieren von Fachartikeln kennengelernt. Karikó kam aus der Richtung der Biochemie und Weissman aus der Immunologie, wo er sich mit dendritischen Zellen beschäftigte, die eine wichtige Rolle in der Immunüberwachung spielen. Diese Zellen erkannten die in-vitro hergestellte mRNA als fremd, während mRNA aus Säugetierzellen diese Reaktion nicht hervorrief.
Karikó und Weissman machten daraufhin sorgfältige Experimente mit verschiedenen Modifikationen in der mRNA. Während nämlich in den Strukturen aus den Säugetierzellen verschiedene veränderte Basen zu finden waren, fehlten diese in den in-vitro-mRNAs. Indem sie verschieden modifizierte mRNA in dendritische Zellen einbrachten, konnten sie zeigen, dass bei bestimmten Konfigurationen die Entzündungsreaktionen nahezu völlig ausblieben. Der Schlüssel lag darin in der synthetischen mRNA einen der vier Bausteine (normalerweise Adenin, Cytosin, Guanin und Uracil) durch „Pseudouridin“ zu ersetzen. Ihre Erkenntnisse wurden im Jahr 2005 publiziert - also rund 15 Jahre vor der Covid-19-Pandemie.
Die Tragweite ihrer Entdeckung erhöhte sich weiter als die beiden 2008 und 2010 zeigten, dass mRNA mit derartigen Basen-Modifikationen auch die Protein-Produktion erhöhten. Damit waren die größten Hindernisse auf dem Weg zu mRNA-Impfstoffen aus dem Weg geräumt. Bei dieser Vakzin-Technologie ist es nämlich entscheidend, dass die Körperzellen auf Basis der genetischen Bauanleitung, die die mit dem Impfstoff verabreichte mRNA enthält, selbst die Proteinstrukturen aufbauen, an die das Immunsystem sozusagen gewöhnt werden soll. In einem APA-Interview im vergangenen Jahr erklärte Karikó dazu: „Mein Kollege Drew Weissman wollte immer einen Impfstoff entwickeln, ich nicht.“
Trotzdem nahm diese Entwicklung ihren Lauf: Trotz Tiefschlägen setzte Karikó ihren Weg nämlich fort und traf 2013 Ugur Sahin, der mit seiner Frau Özlem Türeci in Deutschland das Unternehmen Biontech gegründet hatte. Letztlich erregte die mRNA-Technologie größere Aufmerksamkeit der Pharmaindustrie, was auch zu den beiden ersten zugelassenen mRNA-Vakzinen gegen Covid-19 der Firmen Biontech/Pfizer und Moderna führte. Nach jahrelanger Zusammenarbeit verließ Karikó das Unternehmen und ist seit Anfang Oktober 2022 nur noch dessen Beraterin. Biontech gratulierte Weissman und Karikó. Ihre Arbeit sei wegbereitend gewesen und habe eine der wichtigen Innovationen für den mRNA-basierten Covid-19-Impfstoff von Biontech und Pfizer gebracht, teilte das Unternehmen in Mainz mit.
Die Nobelpreise werden traditionell am 10. Dezember, dem Todestag des Stifters Alfred Nobel, in Stockholm übergeben. Sie sind heuer mit elf Millionen Schwedischen Kronen (rund 930.000 Euro) dotiert.
APA/Red.