Hörminderung

Können Sie bitte lauter sprechen?!

MAG. PHARM. Verena Kimla
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Ohr © Shutterstock
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Unter Schwerhörigkeit (Hypakusis) versteht man – unabhängig von der Ursache – eine Verminderung der Hörfähigkeit im weitesten Sinne. Laut WHO liegt eine Hypakusis bei Erwachsenen vor, wenn im Mittel auf dem besser hörenden Ohr bei den Frequenzen 500, 1.000, 2.000 und 4.000 Hz ein dauerhafter Hörverlust von mindestens 26 dB besteht (siehe Tabelle).

Tabelle
Einteilung der Schwerhörigkeit nach dem WHO-Schweregrad
Grad der 
Schwerhörigkeit

Mittlerer 
Hörverlust
Klinischer Befund 
0normalhörig≤ 25 dBkeine oder nur leichte Probleme bei Kom­munikation, Flüstersprache wird gehört 
1geringgradige 
Schwerhörigkeit
26–40 dBSprache mit normaler Stimme im Abstand von 1 m vom Ohr wird verstanden
2mittelgradige Schwerhörigkeit41–60 dBSprache mit erhobener Stimme in 1 m Entfernung vom Ohr wird verstanden
3starke 
Schwerhörigkeit
61–80 dBBei sehr lautem Sprechen bzw. Schreien werden einige Worte verstanden (auf dem besseren Ohr)
4hochgradige 
Beeinträchtigung 
inkl. Taubheit
≥ 81 dB keinerlei Sprachverständnis bei maximaler Lautstärke


Schwerhörigkeit im Alter (Presbyakusis) ist in vielen Fällen eine Folge von Überlastungen des Hörorgans durch Lärm. Die Entstehung der Altersschwerhörigkeit geht schleichend voran und beginnt meist mit dem Hörverlust hoher Frequenzen und nachlassendem Sprach­verständnis in lautem Umfeld.

Ein globales Problem

In unseren Breitengraden nimmt das Auftreten der Altersschwerhörigkeit zu. In der Altersgruppe der 61- bis 70-Jährigen liegt die Prävalenz bei etwa 37 % und steigt in der Gruppe der 71- bis 80-Jährigen auf etwa 60 % an, wobei Männer häufiger betroffen sind als Frauen.1 

Die demografischen Veränderungen in Deutschland und anderen Industriestaaten werden dazu führen, dass die Zahl schwerhöriger Menschen in den kommenden Jahren weiter ansteigt. Der Anteil an schwerhörigen Menschen lag in Österreich 2015 bei ca. 1,6 Millionen.2 Die WHO rechnet im Jahr 2050 mit 900 Millionen Hörbehinderten weltweit.3 Nach einer Studie der Brunel University London belaufen sich die Kosten unversorgter Hörminderung in Europa auf rund 185 Milliarden Euro pro Jahr, Ursachen hierfür sind die eingeschränkte Lebensqualität und daraus resultierende Kosten für die Gesundheitssysteme sowie Produktivitätsverluste.

Praxistipps
Erleichterte Kommunikation
  • Machen Sie die hörgeschädigte Person darauf aufmerksam, wenn Sie mit ihr sprechen ­möchten. 

  • Die Person sollte Sie während des Gesprächs anschauen können. Halten Sie Augenkontakt. Weder Gesichtsausdruck noch Lippenbewegungen sollten überbetont werden, da dies zu Missverständnissen führen kann.

  • Sprechen Sie immer nur mit einer Person, deutlich und nicht zu schnell. Auch sollten Sie weder zu laut sprechen noch nuscheln.

  • In Pandemiezeiten nicht immer möglich, aber: Verdecken Sie Ihren Mund nicht.

  • Wiederholen Sie Ihre Sätze mit neuen Formulierungen, um Missverständnissen vorzubeugen. Manche Wörter sind leichter wahrzunehmen oder von den Lippen ablesbar als andere.

  • Seien Sie geduldig und entspannt.

  • Fragen Sie die hörgeschädigte Person nach besseren Kommunikationsmöglichkeiten, falls Sie im Zweifel sind.

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Schwerhörigkeit hat viele Ursachen

Es sind zwei Hauptformen von Schwerhörigkeit definiert: Bei der Schallempfindungsschwerhörigkeit oder sensorischen Schwerhörigkeit, wie sie auch bei der Altersschwerhörigkeit besteht, sind Haarzellen der Cochlea beschädigt, die geräuschinduzierte Vibrationen in elektrische Signale umwandeln, ehe sie via Hörnerv zum Gehirn geleitet werden.4 Liegt hingegen eine Schallleitungsschwerhörigkeit vor, handelt es sich um eine Störung im Außen- und Mittelohr. Die Fähigkeit des Ohres, Schall in das Innenohr zu leiten, ist bei dieser Form herab­gesetzt, betroffen sind Gehörgang, Trommelfell oder Gehörknöchelchen. Darüber hinaus ist eine Mischform bekannt, die „kombinierte Schwerhörigkeit“.


Bei der neuralen Schwerhörigkeit ist der Hörnerv (Nervus cochlearis) selbst beschädigt. Im Gegensatz dazu betrifft die zentrale Schwerhörigkeit Hörbahn und/oder Hörrinde, weswegen Nervensignale aus dem Innenohr nicht mehr richtig verarbeitet werden können. Sind Cochlea und Hörnerv betroffen, liegt eine sensorineurale Schwerhörigkeit vor.

Der Vollständigkeit halber sei an dieser Stelle der Hörsturz erwähnt, bei dem es sich in der Regel um eine meist einseitige Schallempfindungsschwerhörigkeit handelt, die plötzlich und ohne erkennbare Ursache auftritt und einen unterschiedlichen Schweregrad aufweist.

Auch Verletzungen des Trommelfells oder Erkrankungen wie eine Mittelohrentzündung, Kopfverletzungen, ototoxische Arzneistoffe (Levofloxacin, Aminoglykoside)5 und Fehlbildungen des Ohres können Gehörschäden zur Folge haben.

Anstrengende Cocktailparty

Schwerhörige können ihre Störung relativ lange kom­pensieren, indem sie z. B. entsprechende Geräte (Telefon, Fernseher) lauter stellen oder der sprechenden Person bzw. den Schallquellen das gesunde Ohr zuwenden. Sie nutzen auch ihre Augen zur Spracherkennung, wenn sie Wörter von den Lippen abzulesen versuchen. Auffällig ist v. a. das nachlassende Sprachverständnis bei Umgebungsgeräuschen, was als „Cocktailparty-Effekt“ bezeichnet wird6: Durch die verzögerte synaptische Übertragung werden schnell dargebotene akustische Reize schlechter verstanden. Auch in größeren, hallenden Räumen reicht das Restgehör zum Verständnis nicht aus, was sich durch häufiges Nachfragen oder inhaltlich falsche Beantwortung von Fragen äußern kann. Darüber hinaus ist das Richtungshören eingeschränkt. Nicht selten erkennt man Schwerhörige an ihrer „unangemessen“ lauten Stimme.

Dauerhafte Schwerhörigkeit endet unweigerlich in Kommunikationsstörungen. Leiden soziale und persön­liche Beziehungen, so erhöht sich das Risiko, an einer Depression oder Demenz zu erkranken. So belegte eine prospektive Studie mit rund 640 Teilnehmenden, dass das Risiko für eine Demenz mit dem Grad der Schwerhörigkeit auf das nahezu Fünffache ansteigt.7 Außerdem laufen schwerhörige Menschen eher Gefahr, im Straßenverkehr einen Unfall zu erleiden. Daher zählen die Hörstörungen nach der „Global Burden of Disease“-Studie der WHO in den Industrieländern zu den sechs häufigsten Erkrankungen, die die Lebensqualität am meisten einschränken.

Knopf im Ohr statt Knopf im Kopf

Als einzige vorbeugende Maßnahme kann die konsequente Vermeidung einer gehörschädigenden Lärmbelastung angeraten werden. Von prophylaktischer Bedeutung könnten darüber hinaus eine Stabilisierung des Herz-Kreislauf-Systems und des Blutdrucks sowie Stressvermeidung sein, um den Hörablauf und die Funktion zentralnervöser Strukturen zu erhalten. Auch auf Rauchen und übermäßigen Alkoholkonsum sollte verzichtet werden.

Ob oxidativer Stress ein möglicher Pathomechanismus der Schwerhörigkeit ist, ist derzeit noch nicht geklärt. Immerhin konnte im Tierversuch gezeigt werden, dass sich durch eine prophylaktische Kombination antioxidativ wirksamer Substanzen (u. a. Folsäure, Glutathion­disulfid, Vitamin C und B12) die Hörschwellen senken ließen.8 Um schleichenden Hörverlust frühzeitig zu erkennen, ist die jährliche Kontrolle des Hörvermögens ratsam.

Fast nicht mehr Sci-Fi
Hörgeräte als Echtzeit-Übersetzer

Ein österreichisches Unternehmen arbeitet an Möglichkeiten, Hörgeräte zu kaum ­sichtbaren Implantaten aufzurüsten, die direkt im Ohr Fremdsprachen ins Deutsche übersetzen. Die Firma produziert dazu bereits jetzt eine Minileiterplatte, die nur so groß wie ein Fingernagel und 250 µm dünn ist. Das soll in Zukunft deutlich kleinere und leistungsstärkere Hörgeräte ermöglichen, die zu einer Art Implantat werden und durch die steigende Leistung als Simultan-Übersetzer verwendet werden. Die gesprochene Sprache des Gegenübers könnte mittels Künstlicher Intelligenz automatisch erkannt und übersetzt werden.

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Moderne Hörgeräte lassen das Hören durch ihre geringe Größe und ihre akustischen Ausstattungsmerkmale wieder zu einem Erlebnis werden. Dass sie helfen, Gesundheitsrisiken von Menschen mit einem Hörverlust zu senken und ihre Lebensqualität zu verbessern, schlägt sich auch in steigenden Verkaufszahlen nieder.

Da die Bedürfnisse von Person zu Person unterschiedlich sind, gibt es nicht „das eine“ Hörgerät, das für jeden/jede Träger:in passend ist. Viele Betroffene warten zu lange, bis sie sich eine Hörhilfe zulegen, und haben dann schon vergessen, wie ein (fast) normales Gehör klingt. Daher ist es oft notwendig, sich an deren Verwendung zu gewöhnen. Das gelingt jedoch nur, wenn die Geräte konsequent getragen (und dabei eingeschaltet) werden, selbst wenn sie anfangs als störend empfunden werden. Besonders zu Beginn müssen die Geräte laufend durch den/die Hörakustiker:in angepasst werden.9 Dann steht einer uneingeschränkten Teilnahme am gesellschaftlichen Leben nichts mehr im Wege.

Quellen

1 Heger D, Holube I. Wie viele Menschen sind schwerhörig? Z Audiol 2010; 49(2): 61–70
2 https://www.statista.com/statistics/1235672/prevalence-hearing-loss-by-region-worldwide/
3 https://bvhi.org/2019/02/25/unversorgte-hoerminderung-kostet-die-eu-185-milliarden-euro-pro-jahr-vorsorge-ist-noch-keine-selbstverstaendlichkeit/
4 Wu P et al., Age-Related Hearing Loss Is Dominated by Damage to Inner Ear Sensory Cells, Not the Cellular Battery That Powers Them, Journal of Neuroscience 12 August 2020, 40 (33) 6357-6366; 
doi: 10.1523/JNEUROSCI.0937-20.2020
5 https://www.msdmanuals.com/de/profi/hals-nasen-ohren-krankheiten/innenohrst%C3%B6rungen/arzneimittelinduzierte-ototoxizit%C3%A4t
6  Presacco A et al., Effect of informational content of noise on speech representation in the aging midbrain and cortex, JNP, 2016, doi: 10.1152/jn.00373.2016
7  Lin F et al., Lin FR et al. Hearing Loss and Incident Dementia. Arch Neurol 2011; 68(2): 214 – 220., Arch Neurol, 2011, doi: 10.1001/archneurol.2010.362 
8 Heman-Ackah S et al., A combination antioxidant therapy prevents age-related hearing loss in C57BL/6 mice, Otolaryngol Head Neck Surg. 2010 Sep; 143(3):429-34. doi: 10.1016/j.otohns.2010.04.266
https://www.hear-it.org/de/gewoehnung
10  https://futurezone.at/science/ats-ats-hoergeraet-leiterplatte-innovation-leoben-futurezone-award-innovationspreis/402212166?utm_source=ActiveCampaign&utm_medium=email&utm_content=RSS%3AITEM%3ATITLE&utm_campaign=futurezone+Newsletter


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