Problematisch

Angststörungen & Phobien

Mag. pharm. Christopher Waxenegger
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Symbolbild Angst © Shutterstock
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Angst an sich ist im Grunde genommen nichts Schlechtes. Evolutionär gesehen erfüllt sie sogar eine wichtige Warnfunktion und sicherte schon unseren Vorfahren das Überleben in gefährlichen Situationen. Erst wenn die Angst übertrieben und nicht nachvollziehbar ist, mit übermäßigen Vermeidungsverhalten oder ohne externe auslösende Faktoren einhergeht, spricht man von einer Angststörung. 

Mit einer zwölfmonatigen Prävalenzrate von ungefähr 14 % zählen Angsterkrankungen zu den häufigsten psychiatrischen Störungen in der Europäischen Union. Führend sind soziale und spezifische Phobien, gefolgt von generalisierter Angststörung (GAD), Panikstörung und Agoraphobie. Nach der ICD-10-Klassifikation werden diese fünf Störungsbilder voneinander abgegrenzt. 

Sie unterscheiden sich hauptsächlich im Angstverlauf, dem Vorhandensein/Fehlen anxiogener Stimuli und etwaigen epidemiologischen Besonderheiten. Pharmakotherapeutisch ist zudem der Zulassungsstatus der einzelnen Psychopharmaka sowie der Empfehlungsgrad gemäß der einschlägigen Fachliteratur zu beachten. Die Empfehlung zur initialen nicht-medikamentösen kognitiven Verhaltenstherapie (KVT) ist pharmakologisch nachvollziehbar (Verträglichkeit, Interaktionen etc.), hängt jedoch neben der Patientenpräferenz insbesondere von den vorhandenen Ressourcen ab (urban > rural).

Panikstörung mit/ohne Agoraphobie

Wesentliches Kennzeichen einer Panikstörung sind wiederkehrende unerwartete Panikattacken, die sich nicht auf bestimmte Situationen oder Umstände beschränken, nicht vorhersehbar sind und deshalb zu antizipierten Implikationen führen können (Erwartungsangst). Diese Erwartungsangst fördert in weiterer Folge das Vermeiden von Orten oder Situationen, die nicht oder nur schwer verlassen werden können bzw. an welchen das Holen ärztlicher Hilfe nur schwer möglich wäre (Agoraphobie). Weil das klinische Bild der Agoraphobie auch unabhängig von einer zugrunde liegenden Panikstörung auftreten kann, wurde es bereits in den 1970er-Jahren als eigenständige Störungsentität klassifiziert. Typische Symptome umfassen unter anderem eine gesteigerte Herzfrequenz, Palpitation, Schweißausbruch, Zittern und Mundtrockenheit. Citalopram (20–60 mg), Escitalopram (10–20 mg), Paroxetin (20–60 mg) und Venlafaxin (75–225 mg) haben für die Pharmakotherapie der Panikstörung mit/ohne Agoraphobie den Empfehlungsgrad (EG) A.

Generalisierte Angststörung

Bei der generalisierten Angststörung stehen für die Betroffenen Befürchtungen und übertriebene Sorgen in Bezug auf Aspekte des täglichen Lebens an oberster Stelle, die sich in zahlreichen und vielfach in ihrer Schwere wechselnden psychischen und somatischen Beschwerden äußern. Die Ängste beziehen sich auf gesundheitliche, partnerschaftliche und soziale Situationen, wobei oft unrealistische Besorgnisse in den Vordergrund treten. Daneben können sich körperliche Symptome wie Ruhelosigkeit und Aufregung, Anspannung, Konzentrationsstörungen, leichte Ermüdbarkeit und Schlafstörungen entwickeln. Diese treten an den meisten Tagen der Woche über eine Dauer von mindestens sechs Monaten auf. 

Eine leichtere Ausprägung der GAD wird als subsyndromale Angststörung (SSAD) bezeichnet und soll diejenigen Patienten erfassen, welche die Kriterien zur Diagnosestellung einer GAD nicht erfüllen, aber dennoch einen relevanten Leidensdruck verspüren. Über einen EG A verfügen Escitalopram, Paroxetin, Venlafaxin, Duloxetin (60–120 mg) und Pregabalin (150–600 mg). Mit Silexan® (standardisierter Lavendelölextrakt) ist seit Kurzem ein in klinischen Studien gegen Lorazepam und Paroxetin geprüftes Phytopharmakon zur Behandlung von Unruhezuständen bei ängstlicher Verstimmung zugelassen. Leichte bis mittelschwere depressive Episoden sind das Metier von Johanniskraut, das sich bei gleichzeitiger depressiver Verstimmung und fehlenden Kontraindikationen als wirksame Ergänzung anbietet (gemischt ängstlich-depressiver Zustand).

Pandemie -
COVID-19 und Angsterkrankungen

Die Coronapandemie hält nun seit etwas mehr als einem Jahr die Welt in Atem. Vielleicht wenig überraschend haben Ausgangs­beschränkungen und Lockdowns zu einer Zunahme affektiver Störungsbilder inklusive Angsterkrankungen geführt. 

Mittlerweile wurden mehrere Arbeiten publiziert, die sich mit der mentalen Gesundheit der Bevölkerung im Rahmen der Pandemie beschäftigen. Eine Klumpenstichprobe („Cluster-Sampling“) mit 500 beantworteten GAD-7-(7-item generalized anxiety disorder)-Fragebögen aus Hongkong ergibt schon drei Monate nach Ausbruch der Pandemie eine gestiegene GAD-Prävalenz von 14 % (Choi et al. 2020). 

Die wesentlich umfangreichere Befragung von Cao und Kollegen (2020) kommt auf 0,9 % schwere, 2,7 % moderate und 21,3 % milde Angststörungen nach GAD-7 unter insgesamt 7.143 Befragten. Eine Internet-basierte Querschnittsbefragung resultiert gar in einer GAD-Prävalenz von 35,1 %, wobei jüngere Menschen signifikant öfter von Problemen berichten, verglichen mit älteren Personen (Huang et al. 2020). Risikofaktoren für das Auftreten von Angststörungen sind weibliches Geschlecht, Alter jünger als 40 Jahre sowie regelmäßiger Kontakt mit sozialen Netzwerken. 

Auch hierzulande wird eine zunehmende Zahl psychischer Erkrankungen beobachtet. Eine Querschnittsstudie der MedUni Wien untersuchte die Auswirkungen der Pandemie auf das psychische Wohlbefinden von Erwachsenen (Simon et al. 2021). Immerhin 31 % der befragten Österreicher berichten von einem verminderten psychischen Wohlbefinden. Die negativen Auswirkungen der COVID-19-Lockdowns auf das Wohlbefinden, die psychische Gesundheit und die soziale Unterstützung waren bei Menschen mit psychischen Erkrankungen in der Vorgeschichte am stärksten.


Soziale Phobie

Bei sozialen Phobien hat die Angst vor einer ungünstigen Wirkung auf andere Menschen und deren negative Bewertung der eigenen Person Priorität. Aus diesem Grund werden Situationen, in denen man im Zentrum der Aufmerksamkeit steht, tunlichst vermieden. Dies ist beispielsweise bei interpersonellen Kontakten (z. B. Partys, Essenseinladungen), in unbekannten Umgebungen oder bei Situationen, in denen Betroffene womöglich im Zentrum der Aufmerksamkeit stehen könnten, der Fall (z. B. kleinere Gruppen). Beschwerden äußern sich beispielsweise als Erröten, Zittern, starker Toilettendrang, Fluchtgedanken oder Übelkeit. Das Umgehen solcher oder vergleichbarer Alltagssituationen kann zu einem völligen Rückzug aus der Gesellschaft führen. Da Betroffene in der Regel nicht darüber sprechen, bleibt eine soziale Phobie oft unentdeckt. Zugelassen für die medikamentöse Therapie der sozialen Phobie sind Escitalopram, Paroxetin, Venlafaxin und Moclobemid (300–600 mg).

Spezifische Phobie

Unangemessene objekt- oder situationsbezogene Ängste sind das Kernzeichen der spezifischen Phobie. 

Die Auslöser sind individuell, und die Angstreaktion kann sich grundsätzlich auf alle erdenklichen Dinge oder Situationen beziehen, vor denen nicht-phobische Menschen normalerweise keine Angst haben. Hauptmerkmal ist ein ausgeprägtes Vermeidungsverhalten solchen Objekten oder Situationen gegenüber, teilweise reicht aber auch schon eine imaginative Konfrontation als Trigger der Angstreaktion. Traditionell erfolgt die Einteilung in vier Gruppen: Tier, Naturgewalten, Blut-Injektion-Verletzung, situativer Typ. Die Pharmakotherapie stellt bei der spezifischen Phobie generell eine untergeordnete Behandlungsoption dar. Goldstandard ist  die  verhaltenstherapeutische Expositionstherapie im kontrollierten Setting, wenngleich die individuelle Bereitschaft für eine derartige Exposition in vielen Fällen erst geschaffen werden muss.

Klassifikation
Angststörungen nach ICD-10
  • Panikstörung
  • Agoraphobie
  • Generalisierte Angststörung
  • Soziale Phobie
  • Spezifische Phobie

Angststörungen im Kindes- und Jugendalter

Ähnlich dem Erwachsenenalter gehören Angststörungen im Kindes- und Jugendalter zu den häufigen psychiatrischen Störungen. Epidemiologische Untersuchungen aus Deutschland beziffern die Prävalenz bei Jugend­lichen mit rund 10 %, bei Kindern etwas niedriger. Abgesehen von der veränderten Pharmakokinetik und -dynamik (u. a. CYP-Enzymausstattung, Körpergewicht, unerwünschte Arzneimittelwirkungen) ist die Evidenz zum Wirksamkeitsnachweis der Psychopharmakotherapie in dieser Altersgruppe deutlich niedriger als im Erwachsenenalter. Infolgedessen wird einem multimodalen verhaltenstherapeutischen Ansatz der Vorzug vor Medikamenten gegeben. Erst wenn dieser Ansatz nicht hinreichend hilfreich war, ist eine medikamentöse Behandlung indiziert. 

Erste Wahl im Kindes- und Jugendalter sind Selektive Serotonin-Wiederaufnahmehemmer (SSRI). Die meiste klinische Erfahrung existiert zu den beiden Wirkstoffen Fluoxetin (zugelassen für mittelgradige bis schwere Episoden einer Depression ab acht Jahren) und Sertralin (zugelassen für Zwangsstörungen ab sechs Jahren). Begonnen wird üblicherweise mit einer sehr niedrigen Anfangsdosierung, welche schrittweise auf die Zieldosis erhöht wird.

Psychopharmaka im Alter

Die Pharmakologie von Arzneistoffen ist im Alter verändert und bedarf auch beim organisch gesunden Menschen einer Dosisanpassung. Multimorbidität und Begleiterkrankungen limitieren darüber hinaus die Auswahlmöglichkeiten verschiedener Psychopharmaka-Klassen. Besondere Vorsicht ist beim Einsatz von anxiolytischen Tranquillanzien (Sturzgefahr), trizyklischen Antidepressiva (orthostatische Dysregulation, anticholinerge und kardiale UAW) und den SSRI Citalopram, Escitalopram und Fluoxetin (QT-Intervall-Verlängerung bzw. lange Halbwertszeit) geboten. 

Hinsichtlich Polypharmazie sind außerdem direkte und indirekte Interaktionen mit anderen Medikamenten zu beachten, zum Beispiel ein gesteigertes gastrointestinales Blutungsrisiko der SSRI-Therapie in Verbindung mit Nicht-steroidalen Antirheumatika und Glucocorticoiden oder gehäuft anticholinerge Nebenwirkungen in Kombination mit Paroxetin.

Quellen

•   Bandelow B et al. The German guidelines 
for the treatment of anxiety disorders
Eur Arch Psychiatry Clin Neurosci. 2015; 265(5):363–73
•   Bandelow B et al. Treatment of anxiety disorders Dialogues Clin Neurosci. 2017; 19(2):93–107
•   Cao W et al. The psychological impact of the COVID-19 epidemic on college students in China
Psychiatry Res. 2020; 287:112934
•   Choi EPH, Hui BPH, Wan EYF. Depression and 
Anxiety in Hong Kong during COVID-19
Int J Environ Res Public Health. 2020; 17(10):3740
•   Dillenburger B et al. Aktueller Forschungsstand zum pflanzlichen Antidepressivum 
Johanniskrautextrakt. Aktueller Forschungsstand Nervenheilkunde 2020; 39:565–571

Weitere Quellen auf Anfrage

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