Arzt klärt auf

Abnehmspritze ist bei Normalgewicht nicht zu empfehlen

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Abnehmspritze © Shutterstock
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"Wir sehen die neuen Medikamente durchaus als zusätzlichen sinnvollen Therapiebaustein für Menschen mit starkem Übergewicht", sagte Karl-Peter Rheinwalt, Chefarzt der Klinik für Adipositas-Chirurgie am Cellitinnen-Krankenhaus St. Franziskus in Köln, der Nachrichtenagentur AFP. Ein Allheilmittel seien die Medikamente allerdings nicht.

Die Wirkstoffe in Medikamenten wie Wegovy oder Mounjaro der Hersteller Novo Nordisk und Eli Lilly imitieren das Darm-Hormon Glucagon-like Peptide 1, kurz GLP-1, das die Produktion von Insulin im Körper steigert und ein Sättigungsgefühl vortäuscht, also den Hunger unterdrückt. Es kann Typ-2-Diabetes behandeln oder eben Menschen mit Adipositas beim Abnehmen helfen.

"Die Patienten können mit Hilfe der Medikamente innerhalb eines Jahres bis zu 20 Prozent ihres Körpergewichts verlieren", sagte Rheinwalt in dem AFP-Interview. Das sei fast so viel wie nach einer Magenbandoperation. Die Spritze allein bringt nach Ansicht des ärztlichen Beisitzers des Adipositasverbands Deutschland aber noch keine Veränderung.

"Auch die Medikamente funktionieren nicht ohne Basistherapie", erläuterte Rheinwalt. Sie müssten von einer Ernährungsumstellung, mehr Sport und psychologischer Unterstützung flankiert werden. Dann seien gute Ergebnisse zu erwarten. Mit der Basistherapie allein könnten Patientinnen und Patienten im besten Fall eine Gewichtsreduktion von fünf Prozent innerhalb eines Jahres erwarten.

Die häufigsten Nebenwirkungen der Abnehmspritze seien mit Übelkeit, Durchfall und Blähungen überschaubar. Ein leicht erhöhtes Risiko bestehe für Schilddrüsenkrebs. "Die meisten Patienten vertragen die Behandlung aber relativ gut", betonte Rheinwalt. Der Preis für die Medikamente sei da schon eher ein Problem. Die Krankenkassen übernehmen die Gebühren für die Spritzen nicht. Sie gelten als sogenannte "Lifestyle-Medikamente". "Am Anfang sind die Kosten wegen der niedrigeren Dosierung noch etwas niedriger, später wachsen sie auf 300 Euro pro Monat an", gab der Adipositas-Arzt zu bedenken.

Dabei zeigte Rheinwalt Verständnis für die Entscheidung der Kostenträger und der Politik. Gibt es neben dem Übergewicht auch damit im Zusammenhang stehende zusätzliche Erkrankungen, können bereits Menschen ab einem Body-Mass-Index von 27 die Medikamente erhalten. Das treffe in Deutschland auf etwa ein Drittel der Bevölkerung zu, sagte der Adipositas-Arzt. Allein 23 Prozent der Erwachsenen seien stark übergewichtig.

Für die Kassen sei das nicht leistbar, sagte Rheinwalt AFP. Denn selbst nach Abzug von Kindern, Jugendlichen und Menschen im Seniorenalter wären bei der Behandlung aller Berechtigten jährliche zusätzliche Behandlungskosten von bis zu 45 Milliarden Euro zu erwarten, rechnete er vor. Das gelte wahrscheinlich lebenslang, da es nach dem Absetzen der Spritzentherapie regelmäßig wieder zu einer Gewichtszunahme komme.

Die Abnehmspritzen haben nicht zuletzt durch prominente Nutzerinnen und Nutzer eine breite Öffentlichkeit erfahren. Robbie Williams und Elon Musk beispielsweise gaben öffentlich zu, auf die Produkte zurückzugreifen, um abzunehmen.

Rheinwalt hält den Einsatz von Abnehmspritzen bei Menschen mit normalem Gewicht oder leichtem Übergewicht für "völlig daneben" und würde daher "dringend davon abraten so etwas zu tun". Aus medizinischer Sicht gebe es keinerlei Gesundheitsvorteil für Menschen, die nicht stark übergewichtig sind, weshalb diese Spritzen eben auch erst ab einem BMI von mindestens 27 überhaupt zugelassen seien.

Ganz grundsätzlich sei die Behandlung von Adipositas sehr komplex und eine lebenslange Aufgabe. "Es gibt bis heute keine Heilung, nur Behandlungen", sagte Rheinwalt. Da seien auch die Spritzen keine Ausnahme. Er betonte nochmals: "Hörten Patienten mit den Injektionen auf, könnten sie schnell auch wieder an Gewicht zulegen."

APA

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