Heilkraft des Nahrungsverzichts

Therapeutisches Fasten

Mag. pharm. Irene Senn, PhD
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Tee © Shutterstock
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Wichtig ist zunächst eine klare Begriffsdefinition. Denn Fasten ist weit mehr, als nichts zu essen. Unter therapeutischem Fasten (Synonym: Heilfasten) versteht man den freiwilligen Verzicht auf feste Nahrung und Genussmittel für eine begrenzte Zeit – verbunden mit reichlich Flüssigkeitszufuhr, regelmäßiger Darmentleerung und ausreichend Bewegung, aber auch Ruhe und Entspannung. Bei richtiger Durchführung bleibt man während einer Fastenkur leistungs­fähig und verspürt wenig bis kein Hungergefühl.1,2 Heilfasten ist also ein ganzheitliches Verfahren, das von einer reinen Kalorienrestriktion abzugrenzen ist, bei welcher die tägliche Kalorienzufuhr um 20–40 % reduziert wird, allerdings weiterhin ­regelmäßig Mahlzeiten eingenommen werden. Wegbereiter für die heute am weitesten verbreiteten Fastenkuren waren die Mediziner Dr. Otto Buchinger (siehe Kasten) und Dr. Franz ­Xaver Mayr.

Etablierte Methode
Buchinger-Heilfasten

In Europa hat sich das modifizierte Fasten nach Buchinger als die Fastenmethode durchgesetzt. 

Man beginnt mit 1–2 Vorbereitungstagen, an denen nur leicht verdauliche Speisen gegessen werden (z. B. gedünsteter Reis). Am dritten Tag wird der Darm durch die Einnahme von Glaubersalz komplett entleert. Danach besteht die Ernährung über mehrere Tage bis Wochen lediglich aus Wasser, Obst- und Gemüsesäften, Brühen und Tee sowie einer geringen Menge Honig (30 g). Auf feste Nahrung wird komplett verzichtet, damit kein Hungergefühl aufkommt (welches durch Kauen induziert wird). Die Kalorienzufuhr sollte 500 kcal pro Tag nicht überschreiten. Nach dem Fastenbrechen wird feste Nahrung über drei Aufbautage langsam wieder eingeführt. Die optimale Fastendauer beträgt 2–4 Wochen. Zur Gesundheitsförderung ohne therapeutische Zielsetzung hat sich Fasten über maximal eine Woche bewährt.


Welche Erkrankungen lassen sich positiv beeinflussen?


Richtig angewandtes Heilfasten hat zahlreiche positive Effekte auf die Gesundheit. Durch den Nahrungsverzicht werden im Körper verschiedene Prozesse angestoßen:4

  • Die Energiegewinnung wird schrittweise umgestellt: von Kohlehydratstoffwechsel auf Eiweiß- und Fettstoffwechsel (siehe Abb.)
  • Die Harnausscheidung wird erhöht
  • Cholesterin- und Blutzuckerspiegel sinken und normalisieren sich
  • Oxidativer Stress und Entzündungsprozesse werden reduziert


Fasten beeinflusst also eine Vielzahl von Stoffwechselvorgängen – und dementsprechend weitgefächert sind die Indikationen. Laut der aktuellen Leitlinie der Ärztegesellschaft für Heilfasten2 zeigt eine Fastentherapie Wirkung bei folgenden Diagnosen:

  • Chronisch-entzündlichen Erkrankungen
  • Metabolischen Erkrankungen
  • Kardiovaskulären Erkrankungen
  • Chronischen Schmerzsyndromen
  • Atopischen Erkrankungen
  • Psychosomatischen Störungen

Allerdings sind viele dieser Einsatzgebiete wissenschaftlich umstritten. Am besten belegt ist die therapeutische Wirkung für rheumatische Erkrankungen5 sowie für Typ-2-Diabetes. Für alle anderen Indikationen, die in der Leitlinie genannt werden, gibt es zumindest jahrzehntelange Erfahrungen von spezialisierten Fastenkliniken. Für kontrollierte, randomisierte Studien fehlt leider oft das Geld, außerdem gibt es häufig methodische Probleme – so gestaltet sich etwa die Verblindung einer Fastenstudie schwierig.

Beim Heilfasten nach Buchinger besteht die Ernährung über mehrere Tage bis Wochen lediglich aus Tee, Brühen und Obst- und Gemüsesäften sowie einer geringen Menge Honig. Auf feste Nahrung wird komplett verzichtet. © Shutterstock
Beim Heilfasten nach Buchinger besteht die Ernährung über mehrere Tage bis Wochen lediglich aus Tee, Brühen und Obst- und Gemüsesäften sowie einer geringen Menge Honig. Auf feste Nahrung wird komplett verzichtet. © Shutterstock


Rheumatoide Arthritis

Bereits nach einer 10-tägigen Fastenkur zeigten mehrere randomisierte Studien eine relevante Verbesserung der Gelenksbeschwerden. Und dieser Effekt hält auch langfristig an, wenn nach dem ­Fasten eine überwiegend vegetarische Ernährung beibehalten wird.5,7,8 Vermutlich ist dies auf die reduzierte ­Arachidonsäure-Zufuhr bei Verzicht auf Fleisch und Eier zurückzuführen.

Während der Fastentherapie sinkt die Konzentration verschiedener Entzündungsmediatoren (Prostaglandine, Thromboxan, Leukotriene) im Gewebe. Bei entzündlich rheumatischen Erkrankungen kann dadurch eine rasche Schmerzlinderung erreicht werden. Zudem werden komplexe Effekte auf das intestinale Immunsystem beschrieben.6

Für rheumatische Erkrankungen ist die Wirksamkeit einer Fastentherapie am besten belegt.  © Shutterstock
Für rheumatische Erkrankungen ist die Wirksamkeit einer Fastentherapie am besten belegt. © Shutterstock


Metabolisches Syndrom

Erhöhte Blutfett- und Blutzuckerwerte regulieren sich durch Fasten meist innerhalb einer Woche in den Normbereich. Der Rückgang des extrazellulären Flüssigkeitsvolumens führt zu einer Senkung von Pulsfrequenz und Blutdruck. Auch die Insulinresistenz nimmt ab – wahrscheinlich aufgrund der Gewichtsabnahme und einer Vermehrung der Insulinrezeptoren.6 

Im Jahr 2019 wurden die Ergebnisse der bislang größten klinischen Fastenstudie veröffentlicht.9 In dieser prospektiven Beobachtungsstudie an 1.422 Patientinnen und Patienten wurden systematisch die Effekte von 4- bis 21-tägigen Buchinger-Fastentherapien auf verschiedene Indikationen untersucht. Mehrere Parameter verbesserten sich, darunter systolischer und diastolischer Blutdruck, Nüchternblutzucker, HbA1c, Cholesterinwerte (gesamt, HDL und LDL) und Triglyceride.

Kognition und Psyche

Auch auf das Nervensystem wirkt sich Fasten positiv aus. Die Umstellung der zellulären Brennstoffquelle (von Glucose auf Ketonkörper) führt zu einer ganzen Reihe von Anpassungsvorgängen an den neuronalen Netzwerken im Gehirn. Positiv beeinflusst werden ­insbesondere die neuronalen Schaltkreise, die an Kognition und Stimmung beteiligt sind. Die Gehirn­funktion wird verbessert und die Widerstandsfähigkeit gegenüber Stress (Resilienz) gefördert.10 Die verbesserte Stimmungslage ist vermutlich auf eine erhöhte Verfügbarkeit von Serotonin im Frontalhirn zurückzuführen.11,12

Gewichtsreduktion

Als Maßnahme zur Gewichtsreduktion wird Heilfasten nicht eingeordnet. Zwar wird man während einer Fastenkur ein paar Kilos verlieren, diese sind nach dem Fastenbrechen aber meist schnell wieder zurück. Denn für eine dauerhafte Gewichtsreduktion braucht es eine langfristige Ernährungsumstellung. Oft ist das Heilfasten allerdings ein erster Impuls für einen gesünderen Lebensstil. 

Kontraindikationen für Fastenkuren

Fasten kann allerdings auch mit Risiken verbunden sein und in gewissen Situationen schwerwiegende Folgen haben. Kontraindiziert ist Fasten bei fehlenden Gewichtsreserven bzw. bei mit Kachexie einhergehenden Erkrankungen (Tumorerkrankungen, Tuberkulose) sowie bei einer fortgeschrittenen Leber- oder Niereninsuffizienz. Auch in der Schwangerschaft und Stillzeit dürfen keine Fastenkuren durchgeführt werden.

Besondere Vorsicht ist bei Personen mit erhöhten Harnsäurewerten geboten. Da beim Fasten verstärkt körpereigene Proteine abgebaut werden, steigt die Harnsäurekonzentration im Blut – was bei vorbelasteten Menschen zu Gichtanfällen führen kann. Durch die vermehrte Bildung von Ketonkörpern wird außerdem der pH-Wert gesenkt, was die renale Harnsäure-Elimination zusätzlich hemmt. Zur Vermeidung von Gichtanfällen wird deshalb mitunter prophylaktisch Allopurinol gegeben. Liegen vor Beginn der Fastenkur keine erhöhten Harnsäurewerte vor, so ist die vorübergehende Hyperurikämie ohne klinische Bedeutung.

Kritische Medikation beim Heilfasten

Zu bedenken gilt auch, dass durch das Fasten die Wirkung bestimmter Arzneistoffe beeinflusst wird und dementsprechend eine Anpassung der Dosis notwendig sein kann.

So kann sich beispielsweise die Wirkintensität verschiedener Antikoagulantien durch die verringerte Nahrungsaufnahme erhöhen, weshalb diese gegebenenfalls niedriger dosiert werden sollten. Auch andere Arzneimittel, wie Diuretika oder Antihypertensiva, können u. U. niedriger dosiert oder sogar abgesetzt werden. Eine harnsäuresenkende Medikation muss hingegen möglicherweise höher dosiert werden, um Gichtanfälle zu verhindern. Ein großes Augenmerk sollten Diabetiker:innen auf die korrekte Einnahme ihrer Medikamente während des Fastens legen. Da sich der Blutzuckerspiegel durch das Hungern sehr stark verändern kann, ist hier ständige Kontrolle und ärztliche Rücksprache geboten. Zu bedenken ist auch, dass die meisten Fastenkuren mit einer Darmentleerung durch Laxantien eingeleitet wird. Die Wirkung von gleichzeitig eingenommenen Arzneimitteln geht dabei möglicherweise verloren.

Ergänzung von Mikronährstoffen?

Bei einer Fastendauer von 2–4 Wochen ist für Menschen mit ausgewogenem Ernährungsstatus eine Mikronährstoffsupplementierung für gewöhnlich entbehrlich, so die Einschätzung der aktuellen Leitlinie.2 Besteht jedoch bereits vor Beginn der Fastenkur ein erhöhter Bedarf – wie bspw. bei chronisch Kranken – sollte ein Nahrungsergänzungsmittel erwogen werden. 

Angst vor Muskelabbau unbegründet

Auch eine grundsätzliche Eiweißsupplementierung ist bei methodisch richtig durchgeführtem Fasten nicht erforderlich. In Einzelfällen kann eine Eiweißzufuhr mit naturbelassenen Milchprodukten (z. B. Buttermilch) sinnvoll sein.2 Der häufig befürchtete Proteinabbau beim Fasten ist aufgrund des Eiweißsparmechanismus (siehe Abb. oben) gering.13 Ein Proteinkatabolismus und eine Beeinträchtigung der Muskelfunktion ist tatsächlich nur bei einer Nulldiät zu befürchten. Durch den Verzehr einer kleinen Menge ­Kohlehydrate (Obst- und Gemüsesäfte, Honig) wird der Eiweißverbrauch gegenüber einer Nulldiät um ca. 50 % gesenkt.

Quellen

1 Buchinger A: Buchinger Heilfasten. TRIAS Stuttgart, 2022.
2 Toledo FW, et al.: Leitlinien zur Fastentherapie. Forsch Komplementmed 2002;9:189-198.
3 Stange R, et al.: Ernährung und Fasten als Therapie. Springer Verlag Berlin Heidelberg, 2010.
4 Longo VD, et al.: Fasting: molecular mechanisms and clinical applications. Cell Metab 2014;19(2):181-192.
5 Müller H, et al.: Fasting followed by vegetarian diet in patients with rheumatoid arthritis: a systematic review. Scand J Rheumatol 2001;30(1):1-10.

Weitere Literatur auf Anfrage

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