Vom richtigen Trinken

Reicht Durst als Signal?

Mag. pharm. Irene Senn, PhD
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Eine gute Trinkstrategie während und nach dem Sport ist ein entscheidender Faktor für die Leistungsfähigkeit sowie eine optimale Regeneration. © Shutterstock
Eine gute Trinkstrategie während und nach dem Sport ist ein entscheidender Faktor für die Leistungsfähigkeit sowie eine optimale Regeneration. © Shutterstock

Der menschliche Körper besteht zu etwa einem Drittel aus Wasser. Für die Funktionsfähigkeit der Organe und Gewebe ist es enorm wichtig, dass die Flüssigkeitsvolumina und Elektrolytkonzentrationen innerhalb und außerhalb der Zellen in unserem Körper konstant gehalten werden. Diese Homöostase wird u. a. über das Durstgefühl und die produzierte Harnmenge reguliert – dahinter steckt ein ausgeklügeltes Zusammenspiel mehrerer hormoneller Regelsysteme.


Die tägliche Wasserbilanz

Zwischen der täglichen Wasseraufnahme und dem Wasserverlust besteht normalerweise ein dynamisches Gleichgewicht (siehe Tabelle 1). Der durchschnittliche Wasserumsatz beträgt beim Erwachsenen 2,5 Liter pro Tag. Dabei erfolgt die Wasserzufuhr nur etwa zur Hälfte durch Trinken, die andere Hälfte wird durch den Wassergehalt in der Nahrung und die Bildung von Oxidationswasser bereitgestellt. Die Wasserabgabe passiert größtenteils über den Harn, daneben verdunstet Wasser über die Haut und die Atemluft. Ist man an exzessive Trinkmengen gewöhnt oder sind die Außentemperaturen sehr hoch, so kann die Bilanzsumme stark ansteigen.

Tabelle 1; * Oxidationswasser entsteht im Zuge der Verdauung: pro g Kohlenhydrat 0,6 ml Wasser, pro g Fett 1,09 ml Wasser, pro g Eiweiß 0,44 ml Wasser

Tägliche Wasserbilanz beim gesunden Erwachsenen

(nach Vaupel et al.1)

Wasseraufnahme

Liter

Wasserabgabe

Liter

durch Trinken

1,3

Harn

1,5

mit der Nahrung

0,9

Lunge und Haut

0,9

Oxidationswasser*


0,3

Fäzes

0,1

Bilanzsumme


2,5

2,5

Täglicher Flüssigkeitsbedarf

Der tägliche Flüssigkeitsbedarf ist individuell unterschiedlich und hängt von mehreren Faktoren ab. Dazu zählen Körpergewicht, Alter, Außentemperatur, körperliche Belastung und Gesundheitszustand. Allgemeine Ernährungsempfehlungen raten zu einer täglichen Aufnahme von ca. 1,5 bis 2,5 Liter Flüssigkeit – am besten in Form von Wasser oder ungesüßten Getränken, die gleichmäßig verteilt über den ganzen Tag konsumiert werden.2, 3

In der Nephrologie wird häufig auch die Menge an ausgeschiedenem Urin pro Tag als Maßstab herangezogen: 1,5 bis 2,0 Liter pro Tag sollten es in etwa sein, das entspricht sechs bis acht Toilettengängen. Welche Trinkmenge hierfür erforderlich ist, variiert von Mensch zu Mensch.

Durst als Indikator

Wenn der Körper Wasser benötigt, empfinden wir Durst. „Bei gesunden Erwachsenen spricht nichts dagegen, sich im Großen und Ganzen auf das Durstgefühl zu verlassen“, meint Prof. Dr. med. Markus M. Lerch, Gastro-enterologe und Vorsitzender der Deutschen Gesellschaft für Innere Medizin e.V. (DGIM). Meist ergeben sich damit von selbst Trinkmengen von 1,5 bis 2,0 Liter. Aber nicht immer ist es ausreichend, sich ausschließlich auf sein Durstempfinden zu verlassen.

Vorsicht bei älteren Menschen

„Bei älteren Menschen lässt das Durstempfinden deutlich nach“, warnt Lerch, und aus eigenem Antrieb wird dann tatsächlich oft zu wenig getrunken. Außerdem können falsche Ängste (z. B. vor Inkontinenz oder dem Gang zur Toilette) das Trinkverhalten im Alter negativ beeinflussen. Auch Schluckstörungen und Vergesslichkeit sind nicht zu vernachlässigende Faktoren.

Neben der geringeren Aufnahme von Flüssigkeit nimmt der physiologische Anteil des Körperwassers im Alter ab und beträgt nur noch 40–50 % des Körpergewichts. Zudem ist der Flüssigkeitsverlust erhöht (z.B. durch vermehrtes Schwitzen, die Einnahme von Diuretika bzw. Laxanzien sowie eine verminderte Harn-Konzentrationsfähigkeit der Niere). Dementsprechend führt eine zu geringe Flüssigkeitszufuhr im Alter wesentlich schneller zu kritischen Situationen als in jungen Jahren. Für Senior:innen ist es also durchaus empfehlenswert, sich ab und zu bewusst ein Glas Wasser einzuschenken – auch wenn noch kein Durst verspürt wird.

Situationen mit Erhöhtem Wasserbedarf

In einigen Situationen benötigt der Körper besonders viel Flüssigkeit, wie etwa bei großer Hitze, extremer Kälte, Fieber, Erbrechen und Durchfall. Auch bei körperlich anstrengender Arbeit oder Sport ist mehr Flüssigkeit notwendig – dann können schon mal zusätzlich 0,5 bis 1,0 Liter Wasser pro Stunde nötig sein.

Auch Menschen mit Diabetes wird zu einer etwas höheren Trinkmenge geraten, um die Zuckerausscheidung über die Niere zu fördern. Ebenso sollte man unter einer Diuretika-Therapie unbedingt auf eine ausreichende Flüssigkeitszufuhr achten. Personen, die zur Bildung von Harnsteinen neigen, können das Risiko einer neuerlichen Steinbildung durch eine ausreichend hohe Trinkmenge von etwa 1,5 Liter pro Tag senken. Denn dadurch bleiben die Salze, die zu Kristallisation und damit zu Steinentstehung führen, in Lösung und werden effizient ausgeschieden.

In gewissen Situationen können große Trinkmengen aber auch schädlich sein. Personen, die an Herzinsuffizienz leiden, sollten zwar ausreichend, aber keinesfalls zu viel trinken. Durch eine zu hohe Flüssigkeitszufuhr kann es zur Ödembildung kommen. Meist liegt die empfohlene tägliche Trinkmenge auch für diese Personengruppe bei 1,5 bis 2 Liter. Sie sollte aber individuell mit der/dem behandelnden Ärztin/Arzt abgesprochen werden. Bei schweren Formen der Herzinsuffizienz kann es sein, dass die Trinkmenge reduziert werden muss. Auch Nierenerkrankungen wie eine chronische Niereninsuffizienz können es erforderlich machen, die Trinkmenge zu reduzieren.

Störungen im Flüssigkeits- und Elektrolythaushalt

Wenn die Wasser- und Elektrolythomöostase aus dem Gleichgewicht gerät, können dadurch verschiedene Körperfunktionen massiv beeinträchtigt werden. Eine negative Wasserbilanz führt zu einer Dehydratation, eine positive Wasserbilanz zu einer Hyperhydratation (siehe Tabelle).

Tabelle 2; EZF=Extrazellularflüssigkeit, GFR=glomeruläre Filtrationsrate, ADH=Adiuretin, antidiuretisches Hormon

Hydratations- und Osmolaritätsstörungen
(nach Vaupel et al.1)

Osmolarität

EZF

mögliche Ursachen

Wassermangel (hyperosmolare Dehydratation)

-  reduzierte 
Wasseraufnahme
-  Schwitzen (Arbeit, Fieber)
-  osmotische Diurese (Glucosurie bei Diabetes)

Wasserüberschuss (hypoosmolare Hyperhydratation)

-  verstärkte 
Wasseraufnahme
-  reduzierte GFR
-  ADH-Überfunktion

Wasser- und Na+-Mangel
(isoosmolare Dehydratation)

normal

-  Diarrhoe
-  große Blutverluste
-  Diuretika-Abusus

Wasser- und Na+-Überschuss
(isoosmolare Hyperhydratation)

normal

-  Infusion isoosmolarer NaCl-Lösung
-  Ödembildung

Dehydratation

Erstes Anzeichen für eine zu geringe Flüssigkeitszufuhr ist eine Dunkelverfärbung des Urins. Wird das Defizit nicht durch Trinken aufgefüllt, so tritt bei einem Wasserverlust von mehr als 20 % des Körperwassers Fieber (Durstfieber) auf. Weitere Symptome sind Kollapsneigung, Unruhe, Verwirrtheit und Koma. Bei einem Verlust von mehr als 40 % des Körperwassers tritt der Tod ein.1

Hyperhydratation

Weit verbreitet ist die Annahme, dass man nicht zu viel trinken könne, da der Körper gegebenenfalls die überschüssige Menge an Flüssigkeit wieder ausscheide. Tatsächlich kann eine gesunde Niere einen kurzfristigen Wasserüberschuss ausgleichen; allerdings gibt es keinen gesundheitlichen Nutzen eines Wasserüberschusses.

In bestimmten Fällen kann ein Zuviel an reinem Wasser aber ebenso schädlich sein wie zu wenig. Durch eine übermäßige Aufnahme von elek-trolytfreien Flüssigkeiten kommt es zu einer hypoosmolaren Hyperhydratation (Wasserintoxikation). Relevant ist diese Gefahr aber fast ausschließlich für Ausdauersportler:innen.

Trinken beim Sport

Eine gute Trinkstrategie während und nach dem Sport ist ein entscheidender Faktor für die Leistungsfähigkeit sowie eine optimale Regeneration. Zu wenig Flüssigkeit verschlechtert die Leistung, zu viel kann eine Hyponatriämie verursachen und ernsthafte gesundheitliche Probleme nach sich ziehen. Ziel muss es daher sein, sowohl eine Hypo- als auch eine Hyperhydratation zu vermeiden.

Wie viel Flüssigkeit man beim Sport verliert, hängt von einer ganzen Reihe von Faktoren ab, bspw. vom Trainingszustand, den Temperaturen und der Belastungsintensität. In Studien variierten die durchschnittlich gemessenen Schweißverluste zwischen 0,5 und 1,9 l/h.4 Um den individuellen Schweißverlust zu bestimmen, hat sich das Wiegen vor und nach der Aktivität als gesicherte, evidenzbasierte Maßnahme etabliert.5 Verluste von mehr als 2 % der Körpermasse bei Hobbyathlet:innen bzw. von mehr als 3 % bei Leistungssportler:innen bzw. -sportlern sollten vermieden werden.6

Phänomen: Overdrinking

Umgekehrt darf aber auch nicht zu viel Flüssigkeit zugeführt werden. Denn sonst kann es passieren, dass das Blut so stark verdünnt wird, dass die Na+-Konzentration im Plasma unter den kritischen Wert von 135 mmol/l sinkt.7, 8 Ist die Na+-Konzentration im extrazellu-lären Raum geringer als im intrazellulären, gelangt aufgrund des osmotischen Drucks Wasser ins Gewebe – die Folge können ein erhöhter Schädel-innendruck und Gehirnödeme sein. Typische Symptome sind Kopfschmerzen, Schwindel, Übelkeit, Erbrechen und Verwirrtheit. Seit 1985 wurden weltweit 14 Todesfälle durch eine sportbedingte Hyponatriämie dokumentiert.9 So starb im Jahr 2015 ein 30-Jähriger Ironman-Teilnehmer in Frankfurt, nachdem er hinter der Ziellinie zusammengebrochen war. Todesursache war eine starke Hirnschwellung aufgrund der Hyponatriämie.

Daher gilt die grundsätzliche Empfehlung, dass während des Trainings nicht mehr Flüssigkeit getrunken werden sollte, als über den Schweiß verloren geht. Die International Marathon Medical Directors Association (IMMDA) empfiehlt, während eines Marathons nicht mehr als 900 ml pro Stunde zu trinken.

Trinken nach Plan vs. Trinken nach Durst

Im Wesentlichen gibt es beim Sport zwei Strategien10:

  1. trinken nach Durst
  2. trinken nach Plan

Bei kürzeren Distanzen bzw. niedrigeren Temperaturen ist trinken nach Durst eine gute Herangehensweise. Kritisiert wird jedoch mitunter, dass das Durstgefühl während einer körperlichen Belastung oft nicht richtig empfunden wird. Beim Trinken nach Durst wird nur etwa die Hälfte der verlorenen Flüssigkeit ersetzt, daher geht diese Strategie meist mit einer leichten Dehydratation einher. Trinken nach Plan hat besonders bei sportlichen Aktivitäten mit langer Dauer, hoher Belastungsintensität und hohen Temperaturen einen wichtigen Stellenwert.

Keinesfalls sollte man mit einem bereits bestehenden Wasserdefizit in ein Training oder gar in einen Wettkampf starten. Um gut hydriert zu starten, eignen sich vor einer schweißtreibenden Aktivität natriumhaltige Getränke. Empfohlen wird, vier Stunden vor dem Training bzw. Wettkampf 5–7 ml salzhaltige Getränke pro kg Körpergewicht zu trinken – das entspricht 350–500 ml bei einer 70 kg schweren Person. So kann das Wasser effizient im Körper gebunden werden.6

Quellen:

1   Vaupel P. et al.: Anatomie, Physiologie, Pathophysiologie des Menschen. 2015, 7. Auflage, Wissenschaftiche Verlagsgesellschaft mbH, Stuttgart

2   Sawka M.N. et al.: Human water needs. Nutr Rev 2005;63(6):30-39

3   DGE: Deutsche Gesellschaft für Ernährung: Wasser trinken - fit bleiben. 2018; 2. Auflage

4   Baker L.B. et al.: Normative data for regional sweat sodium concentration and whole-body sweating rate in athletes. J Sports Sci 2016;34(4):358-68

5   Armstrong Lawrence E. et al.: Methods to Evaluate Electrolyte and Water Turnover of Athletes. Athletic Training Camp; Sports Health Care 2009;1(4):169-79

Weitere Literatur auf Anfrage

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