Unterschätzt

Positive Effekte des Krafttrainings

Mag. pharm. Christopher Waxenegger
Artikel drucken
Ein Mann hebt im Fitnessraum Gewichte. © Shutterstock
Gewichte heben ist nicht nur der Figur zuträglich, sondern fördert die generelle Gesundheit. © Shutterstock

Im Gegensatz zu Ausdauertraining, dessen positive Auswirkungen auf das Herz-Kreislauf-System gut untersucht sind, war die Evidenz für gesundheitliche Aspekte des Krafttrainings (engl. Resistance Training; RT) lange Zeit mangelhaft. Dies hat sich in den letzten 20 Jahren geändert. Mittlerweile empfiehlt die aktuelle WHO-Guideline 2020 für körperliche Aktivität und Bewegungsmangel parallel zu Ausdauertraining explizit RT in allen Altersgruppen. (siehe Tabelle).

Empfehlungen für Krafttraining
gemäß WHO-Guideline 2020
 AltersgruppeUmfangVerbesserung von u. a.
Kinder und Jugendliche 
5–17 Jahre
an mindestens 3 Tagen/Woche: Aktivität mit hoher Intensität, welche die Muskulatur und Knochen stärktBlutdruck
Insulinresistenz/Blutzucker
Knochengesundheit
Kognition
Erwachsene 
18–64 Jahre
an 2 oder mehr Tagen/Woche:
muskelkräftigende Aktivitäten in moderater bis hoher Intensität, die alle großen Muskelgruppen involviert
Mortalität/CV-Mortalität
Inzidenz Typ-2-Diabetes
mentale Gesundheit
Adipositas
ältere Erwachsene 
> 64 Jahre
an 3 oder mehr Tagen/Woche:
multifunktionale Übungen mit Fokus auf Balance und Muskelkraft in moderater oder höherer Intensität, zur Verbesserung der funktionalen Kapazität und Reduktion des Sturzrisikos
Sturzrisiko
sturzassoziierte Verletzung
Funktionalität
Knochengesundheit
Schwangerschaft 
und Stillzeit
verschiedene Aerobic- und muskelkräftigende Übungen in den Alltag integrierenPräeklampsierisiko
Blutdruck
Schwangerschafts-
diabetes

Die Basics

Kraft bezeichnet die Fähigkeit des neuromuskulären Systems, Widerstände zu überwinden (dynamisch konzentrische Arbeit), ihnen entgegenzuwirken (dynamisch exzentrische Arbeit) oder sie zu halten (statische bzw. isometrische Arbeit). Beim dynamischen RT ändert sich demnach kontinuierlich die Länge und Spannung der Muskelfasern, beim isometrischen RT nicht oder nur unwesentlich. Diese allgemeine Erklärung ist insbesondere für das Verständnis der verfügbaren Studien zum Thema relevant.

Ein weiterer Begriff, der sich immer öfter auch im wissenschaftlichen Bereich findet, ist funktionelles Fitnesstraining (engl. Functional Fitness). Diese Trainingsform soll mehrere Muskelgruppen gleichzeitig ansprechen, weshalb häufig Grundübungen wie Kreuzheben, Liegestütz und Kniebeugen zum Einsatz kommen.

Ungeachtet der verfügbaren Trainingsprinzipien wird beim RT stets die Skelettmuskulatur stimuliert, deren Muskelgruppen über Sehnen oder Faszien am Skelett befestigt und für Statik und Motorik des Körpers verantwortlich sind.

Orthopädische Aspekte

Die ordnungsgemäße Funktion des Bewegungsapparates setzt eine kräftige Muskulatur voraus. Auf diese Weise sind sowohl sportliche als auch alltägliche Belastungen wie Treppensteigen besser bewältigbar, was zu einer deutlichen Abnahme der Verletzungsgefahr beiträgt. Auch für die aufrechte Körperhaltung ist eine gesunde Muskulatur verantwortlich. Speziell die Funktion der Wirbelsäule wird wesentlich durch funktionsfähige Rücken-, Bauch- und Beckenmuskeln vorgegeben. Ohne ihre Hilfe sind Haltungsfehler – oder schlimmstenfalls bleibende Haltungsschäden – die Folge. Nicht ohne Grund sind Rückenschmerzen in unserer vorwiegend sitzenden Gesellschaft das häufigste orthopädische Problem überhaupt.

Gezieltes Krafttraining sollte bei solchen Patient:innen deshalb immer Teil des Bewegungsprogramms sein – es entlastet und stabilisiert die Wirbelsäule (→ Schmerzreduktion und Vorbeugung vor neuerlichen Schmerzen). Fehlen der stabilisierenden und unterstützenden Muskulatur jedoch adäquate Reize, können degenerative Veränderungen entstehen. Typisch sind heutzutage Rund- und Hohlrücken als Ausdruck einer geschwächten oberen Rücken- bzw. verkürzten Hüftbeuge-/Rückenstrecker-Muskulatur. Die muskuläre Dysbalance fördert unweigerlich eine ungünstige Belastung der Gelenke, was sich u. a. in Koordinationsstörungen und Abnutzungserscheinungen niederschlägt.

Eine Frau sitzt auf einem Fitnessball und hält Hanteln hoch. © Shutterstock
Regelmäßiges Krafttraining trägt entscheidend zum Erhalt der vorhandenen Knochenmasse bei und schützt vor Osteoporose. © Shutterstock

Darüber hinaus stärkt regelmäßiges RT die Struktur der Knochen. Das Skelettsystem ist bekanntlich kein totes Gewebe, sondern ständigen Auf- und Abbauprozessen unterworfen. Und wie bei jedem anderen Körpergewebe hängt das Ausmaß dieser Umbauvorgänge von den individuellen Anforderungen ab. Am Beispiel des Knochens sind vornehmlich die Schwerkraft sowie Muskelkontraktionen als maßgebliche mechanische (Druck-)Kräfte zu nennen. Bleiben diese Stimuli aus, wird Knochenmasse abgebaut. RT kann den unerwünschten Abbau des Knochens verlangsamen und trägt damit entscheidend zum Erhalt der vorhandenen Knochenmasse bei. Dies lässt sich in der Prävention und Therapie von Menschen mit Osteopenie und Osteoporose nutzen. Vor allem das Training mit freien Gewichten und höheren Lasten (geringere Wiederholungszahl) bewirkt eine signifikante Zunahme der Knochenmineraldichte am Oberschenkelhals, dem Hüftknochen und der Lendenwirbelsäule.

Metabolische Aspekte

Menschen verlieren im Laufe ihres Lebens unweigerlich an Muskelmasse, während der Körperfettanteil ansteigt. Diesem natürlichen Prozess wird z. B. in der angepassten Do- sierung und Applikation von Medikamenten Rechnung getragen. Die essenzielle Funktion der Skelettmuskulatur beim Abbau von Glucose und Lipiden wird als einer der Hauptfaktoren für die hohe Prävalenz von Diabetes im Alter angesehen. Immerhin verliert der Körper ab dem 30. Lebensjahr jede Dekade ungefähr 3−8 % seiner Muskelmasse. Im selben Ausmaß nimmt der Anteil viszeraler Fettmasse zu. Intraabdominale Adipositas steht in engem Zusammenhang mit niedriggradiger Inflammation infolge der vermehrten Freisetzung von Adipokinen und TNF-α. Dies resultiert in einer Zunahme des Risikos für Typ-2-Diabetes und kardiovaskuläre Ereignisse um 300 % zwischen dem 25. und 70. Lebensjahr. Gleichzeitig kommt es durch den nachlassenden Fettsäuremetabolismus zu einer Akkumulation von Lipiden in der Muskelzelle, die wiederum mit dem Insulinsignalweg interferieren – bspw. wird die Translokation des Glucosetransporters GLUT4 an die Zelloberfläche verhindert – und eine zunehmende Insulinresistenz induzieren.

RT regt die oxidative Verwertung der akkumulierten Lipide an und fördert die insulinunabhängige Translokation von GLUT4. Die repetitive Kontraktion der Muskeln verändert zudem die Länge und Spannung der Muskelfasern. Dieser mechanische Reiz setzt eine Reihe von intrazellulären Signalkaskaden in Gang, an deren Ende gesteigertes Muskelwachstum mit konsekutiv optimierter Glucose- und Fettverwertung steht. Menschen mit gestörtem Makrometabolismus profitieren von RT, indem sich ihre Blutwerte (Blutzucker, LDL-c etc.) als Zeichen einer verbesserten Stoffwechselleistung wieder normalisieren.

So gelang in der Health Professionals Follow-up Study, die mehr als 32.000 Männer über einen Zeitraum von 18 Jahren beobachtete, der Nachweis, dass Probanden mit mehr als 150 Minuten RT pro Woche, eine 34%ige Verringerung des Risikos für die Entwicklung eines Typ-2-Diabetes aufweisen. Bei Männern mit einem Body-Mass-Index ≥ 30 war sogar eine errechnete Risikominderung von 60 % (!) feststellbar. Die positiven Effekte bei Patient:innen mit Typ-1-Diabetes sind ähnlich und zeigen sich in einem besseren Lipidprofil, einem reduzierten kardiovaskulären Risiko und verzögertem Beginn sowie langsamerem Fortschreiten diabetischer Spätkomplikationen.

Herz-Kreislauf-Aspekte

Krankheiten des Herz-Kreislauf-Systems rangieren auf Platz 1 der Todesursachen in Österreich und vielen anderen Industrienationen. Einer der wichtigsten Risikofaktoren für kardiovaskuläre Erkrankungen wie KHK, Schlaganfall oder Herzinsuffizienz ist Bluthochdruck. Obwohl wirksame Medikamente zur Blutdrucksenkung zur Verfügung stehen, kommt der nachhaltigen Integration von Sport in den Alltag eine besondere Bedeutung zu. Sie ist eine der tragenden Säulen nicht-medikamentöser Maßnahmen. Allerdings muss dafür nicht zwingend moderates Ausdauertraining empfohlen werden.

Arzt, der einen Patienten mit einem Stethoskop untersucht. © Shutterstock
Krafttraining kann so wie moderates Ausdauertraining den Blutdruck senken und damit Erkrankungen des Herz-Kreislauf-Systems vorbeugen. © Shutterstock

Eine Metaanalyse untersuchte den Effekt von dynamischen und isometrischen RT auf den Ruheblutdruck bei über 5.000 Erwachsenen und verglich diesen mit reinem Ausdauertraining. Während Letzteres eine Blutdrucksenkung von durchschnittlich 3,5/ 2,5 mmHg bewirkt, reduziert dynamisches RT den Blutdruck um 1,8/3,2 mmHg und isometrisches RT um 10,9/6,2 mmHg. Interessant ist, dass die Kombination von Ausdauer- und Krafttraining den Blutdruck weniger stark senkt, als man es vielleicht erwarten würde (-1,4/-2,2 mmHg). Eine weitere Metaanalyse analysierte den RT-Effekt ausdrücklich bei prähypertensiven und hypertensiven Patient:innen. Hier ergab sich eine Reduktion des Blutdrucks um insgesamt 8,2/4,1 mmHg. Die antihypertensive Wirkung von RT dürfte mit steigenden Blutdruckwerten zunehmen, was die niedrigeren und zum Teil unerwarteten Ergebnisse der zuerst skizzierten Studie erklären könnte, und beruht wahrscheinlich auf einem verminderten peripheren Widerstand und einer verbesserten endothelialen Funktion.

Quellen

1   Boeckh-Behrens, WU. et al.: Fitness-Krafttraining: Die besten Übungen und Methoden für Sport und Gesundheit, Rowohlt Verlag GmbH, 14. Auflage; 2010

2   Bull, FC. et al.: World Health Organization 2020 guidelines on physical activity and sedentary behaviour. Br J Sports Med. 54(24):1451−1462; 2020

3   Cornelissen, VA. et al.: Exercise training for blood pressure: a systematic review and meta-analysis. J Am Heart Assoc. 2(1):e004473; 2013 de Sousa, EC. et al.: Resistance training alone reduces systolic and diastolic blood pressure in prehypertensive and hypertensive individuals: meta-analysis. Hypertens Res. 40(11):927−931; 2017

4   Grøntved, A. et al.: A prospective study of weight training and risk of type 2 diabetes mellitus in men. Arch Intern Med. 172(17):1306−1312; 2012

5 K  emmler W, Shojaa M, Kohl M, von Stengel S. Effects of Different Types of Exercise on Bone Mineral Density in Postmenopausal Women: A Systematic Review and Meta-analysis. Calcif Tissue Int. 2020;107(5):409−439

Weitere Literatur auf Anfrage

Das könnte Sie auch interessieren