Die chronisch venöse Insuffizienz (CVI) beschreibt im Allgemeinen eine Dysfunktion des venösen Rückstroms in den unteren Extremitäten. Der verminderte Venenfluss und erhöhte Druckverhältnisse entstehen durch venöse Verengungen (Thrombosen), eine Fehlfunktion der Venenklappen und/oder eine verminderte Kontraktion der Unterschenkelmuskulatur (Muskelpumpe). Die Leitsymptome umfassen Schwellung, Schweregefühl, Schmerzen, Krämpfe und Parästhesien in den Beinen, die durch lange sitzende oder stehende Tätigkeiten verstärkt und durch Hochlagerung meist verbessert werden können. Begleitet werden diese Symptome häufig von Juckreiz, Varikosen und Hautveränderungen mit oder ohne Ulzeration (Stauungsdermatitis bis hin zu Ulcus cruris) an den unteren Extremitäten. Typische venös bedingte Veränderungen sind durch Erytheme, eine fibrotische Hautverdickung und Hyperpigmentierung im Bereich der Knöchel zu erkennen. Eine mögliche Einteilung des Schweregrades einer CVI erfolgt mittels CEAP-Klassifikation, die aus klinischen Befunden (C), Ätiologie (E), anatomischer Lokalisation (A) und pathophysiologischer Dysfunktion (P) ermittelt wird.
Achtung Verwechslungsgefahr
Der Überbegriff CVI umfasst auch das postthrombotische Syndrom (PTS). PTS ist eine schwerwiegende und stark symptomatische Form der Veneninsuffizienz, die bei bis zu 50 % der Patient:innen auftritt, die zuvor eine tiefe Venenthrombose (TVT) hatten. Zu den Risikofaktoren für eine PTS zählen neben hohem Alter auch Rauchen, Verletzungen der Beine, Übergewicht, langes Sitzen oder Stehen, Bewegungsmangel (z.B. durch Immobilität oder Bettlägerigkeit) und Schwangerschaft. Die Feststellung des Schweregrades eines vorliegenden PTS erfolgt mithilfe des Villalta-Scores, bei der krankheitsbezogene Symptome mit einem Punktesystem bewertet werden. Je höher der Score (0 bis 14), desto schwerer das PTS. Eine weitere wichtige Unterscheidung im Bereich der Venenerkrankungen ist die Varikosis (umgangssprachlich auch Besenreiser, Krampfadern), bei der es sich um sackartig erweiterte oberflächliche Venen der unteren Extremitäten handelt.
Eine Varikosis ist gleichzeitig Risikofaktor und mögliche Folge einer CVI sowie TVT (sekundäre Varikosis), kann aber beispielsweise durch erbliche Veranlagung auch unabhängig davon auftreten (primäre Varikosis). Die Diagnose bzw. Differentialdiagnose erfolgt neben der Klinik meist durch Ultraschall (Duplexsonografie) oder Röntgen (Phlebografie).
Kostensparendes Therapiemanagement
- Akut und stark auftretende Schwellung, Rötung und Schmerzen in Fuß, Wade oder Kniekehle (meist einseitig) – Hinweis auf TVT
- Bilaterale symmetrische Ödeme – Hinweis auf systemische Erkrankungen oder Arzneimittelnebenwirkungen
- Akute Atemnot – Hinweis auf Lungenembolie
- Hautveränderungen und schlecht heilende Wunden – Hinweis auf Stauungsulzera oder Ulcus cruris
Die Prävalenz einer CVI ist global gesehen sehr variabel (3 bis 30 %). Trotzdem zeigt sich eine Tendenz eines erhöhten Risikos in Industrieländern (Europa, USA) und beim weiblichen Geschlecht. Weltweit leiden etwa 1 bis 2 % der Gesamtbevölkerung an Ulzerationen der unteren Extremitäten, die auf eine CVI zurückzuführen sind. Eine CVI birgt daher nicht nur einen großen Leidensdruck und eine eingeschränkte Lebensqualität, sondern stellt auch eine große Belastung für das Gesundheitssystem dar. Die Prävention und das Management einer CVI können daher langfristig Hospitalisierungen sowie die Notwendigkeit einer chronischen Wundversorgung reduzieren und somit ressourcen- und kostenschonend das Gesundheitssystem entlasten. Nach Diagnosestellung und Bewertung des Schweregrades durch Phlebolog:innen sollte ein individueller Therapieplan erstellt werden. Im Fokus stehen dabei Kompression, bei Bedarf eine adäquate Wundversorgung sowie die Reduktion der Risikofaktoren: Gewichtsabnahme, Verzicht auf Nikotin und Alkohol, regelmäßiges körperliches Training und Vermeidung von langen sitzenden sowie stehenden Tätigkeiten. Ganz unter dem Motto der 3S3L-Regel: „Sitzen und stehen ist schlecht – lieber laufen und liegen.“
Wunderwaffe Kompression?
Die wichtigste Maßnahme in der Standardtherapie einer CVI umfasst eine angepasste Kompression mit Verbänden, Bandagen oder Strümpfen. Jedes dieser Systeme steigert in den Extremitäten kontinuierlich den Druck und fördert somit den venösen Abstrom Richtung Herz sowie die venöse Pumpfunktion. Obwohl die Evidenz zur Prophylaxe eines PTS durch Kompression laut einem Statement der American Heart Association (September 2014) gering ausfällt, bietet sie dennoch eine Symptomlinderung von Schwellung, und Schmerz und ist bei allen Schweregraden einer CVI indiziert. Bei Personen mit starken Ödemen und chronischen Hautveränderungen konnte laut O’Meara S et al. (2012) sogar eine erhöhte Heilungsrate unter Kompression erzielt werden. Medizinische Kompressionsstrümpfe dienen der langfristigen Therapie sowie Prophylaxe und unterscheiden sich in den Kompressionsklassen (KKL) nach RAL-Standard, Strickart (rund oder flach), Materialfestigkeit (elastisch oder rigide) sowie dem Typ (Waden- oder Oberschenkelstrumpf). Für den internationalen Vergleich sollte neben der KKL auch der absolute Basisdruckwert an der Fessel in mmHg oder kPa im Ruhezustand angegeben werden. Dieser nimmt beinaufwärts kontinuierlich ab.
Alle Systeme und Materialien müssen an die individuellen Bedürfnisse, Hautzustände und an das Alter der Patient:innen angepasst werden. In Österreich haben Venenkranke die Möglichkeit, sich mit einer ärztlichen Verordnung (Heilbehelf) Kompressionsstrümpfe über einen Vertragspartner (z. B. Bandagist:in) maßanfertigen zu lassen. Für Venengesunde zur Prophylaxe schwerer Beine auf Reisen oder in der Arbeit führen viele Apotheken kosmetische Stützstrümpfe im Sortiment, die zwar nicht als medizinische Kompressionsstrümpfe deklariert sind und deren Kosten somit auch nicht von den Krankenkassen übernommen werden, die meist aber dennoch eine Kompression der Klasse I erfüllen.
Definition der Kompressionsklassen (KKL) nach RAL-Standard | |||
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KKL | Intensität | Druck in mmHg | Druck in kPa |
I | leicht | 18-21 | 2,4-2,8 |
II | mittel | 23-32 | 3,1-4,3 |
III | kräftig | 34-46 | 4,5-6,1 |
IV | sehr kräftig | ≥ 49 | ≥ 6,5 |
Hilfe aus der Pflanzenwelt
Auch die Pflanzenwelt bietet einige venenprotektive Stoffe, die in Form einer oralen oder topischen Therapie als unterstützende Maßnahme bei CVI angewendet werden. Dazu zählen vor allem Saponine aus der Rosskastanie sowie Flavonoide aus Zitrusfrüchten und dem Roten Weinlaub. Die protektive Wirkung und Reduktion der Gefäßpermeabilität beruht dabei auf den antioxidativen, antientzündlichen, zirkulationsfördernden und kapillarstabilisierenden Eigenschaften der sekundären Pflanzeninhaltsstoffe. Auch die Studienlage ist gut: Oral venoaktive Phytopharmaka ermöglichen zwar keine Rückbildung veränderter Venen, zeigen aber mit guter Evidenz eine signifikante Symptomlinderung von Schmerzen und Schwellung bei chronischen Venenbeschwerden. Zu diesem Ergebnis kommt auch die Deutsche Gesellschaft für Phlebologie, die in der S2k-Leitlinie für Diagnostik und Therapie der Varikose (Stand März 2019) die Anwendung dieser pflanzlichen Arzneimittel als synergistische Maßnahme zur Kompression empfiehlt.
- Beine regelmäßig hochlagern (3x täglich über 30 Minuten)
- Kneipp-Therapie (Anregung der Zirkulation)
- Kompression (gleich morgens, Aus- und Anziehhilfen zur Unterstützung)
- Luftige und locker sitzende Kleidung
- Gewichtsabnahme
- Sport (Schwimmen, Wandern) und Venengymnastik (z. B. Beinwippe)
- Verzicht auf Alkohol, Nikotin, Sauna, langes Stehen und Sitzen
- Professionelle Wundversorgung
- Magnesiumsupplementierung zur Unterstützung der Muskelpumpe
Bei den am Markt beworbenen topischen Venenmitteln (Gele, Cremen und Salben) ist die oft als angenehm empfundene Wirkung auch auf den kühlenden Effekt der Formulierung sowie den Massagemechanismus zurückzuführen. Ein wichtiger Hinweis im Kundengespräch ist es, die Beine von unten nach oben in Richtung Herz einzucremen. Zudem kann eine Lagerung der Präparate im Kühlschrank zur Unterstützung des Kühleffekts emfohlen werden. Bei trockener Haut sollte auf eine Gelzubereitung und Alkoholzusatz verzichtet werden, um die Austrocknung und zusätzliche Reizung der Haut zu vermeiden.
Auf Reisen
Sommerzeit ist Reisezeit und somit auch die Zeit für die Frage nach der „Thrombosespritze“ für den Urlaub. Die Anwendung von heparinhaltigen Spritzen ist nur bei Risikogruppen (TVT oder Lungenembolie in der Anamnese, Krebserkrankung, Blutgerinnungsstörung, Schwangerschaft, kurz nach einer Operation etc.) sowie einer Reisezeit von circa sechs Stunden indiziert und verlangt eine ärztliche Verordnung. Für eine große Kundengruppe stehen jedoch andere gute und sichere Maßnahmen zur Verfügung, um einer Thrombose sowie unangenehmen schweren Beinen auf Reisen vorzubeugen: regelmäßige Pausen mit Bewegung, locker sitzende Kleidung, Kompressions- bzw. Stützstrümpfe, Vermeidung von Schlafmitteln sowie eine ausreichende Flüssigkeitszufuhr (Wasser, kein Alkohol!). Denn Wärme und Alkohol erweitern die Venen und öffnen die Poren in den Venenwänden. Mit diesen und weiteren Tipps und Tricks steht einem Sommer mit leichten Beinen nichts mehr im Wege!
Quellen
- Azar J et al.: Chronic venous insufficiency: a comprehensive review of management. Journal of Wound Care 2022; 31(6): 510-519
- O’Meara S et al.: Compression for venous leg ulcers. Cochrane Database Syst Rev 2012; 11:CD000265
- Pannier F et al.: S2k-Leitlinie Diagnostik und Therapie der Varikose. Deutsche Gesellschaft für Phlebologie 2019; AMWF: 037/018
- Rabe E et al.: S2k-Leitlinie Medizinische Kompressionstherapie der Extremitäten. Deutsche Gesellschaft für Phlebologie 2018; AMWF: 037/005
- Kahn S et al.: The Postthrombotic Syndrome: Evidence-Based Prevention, Diagnosis, and Treatment Strategies. Circulation American Heart Association 2014; 130(18): 1636-1661
Weitere Quellen auf Anfrage