AUTOPHAGIE

Die zelluläre Müllabfuhr

Mag. pharm.

ALISSA

Maierhofer

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Ausreichend zu trinken ist wichtig. Das gilt ganz besonders bei reduzierter Nährstoffzufuhr. © iStock
Ausreichend zu trinken ist wichtig. Das gilt ganz besonders bei reduzierter Nährstoffzufuhr. © iStock

Die Kultur des Fastens beruht auf religiös-spirituellen oder medizinischen Ansätzen und wurde bereits in der Antike praktiziert, um die Lebensqualität und das psychische Wohlbefinden zu fördern. Das Fasten kann allgemein als der meist zeitlich begrenzte freiwillige Verzicht auf feste Nahrung sowie Genussmittel unter Erhalt der körperlichen Energieversorgung beschrieben werden. Im Vergleich zu Diäten steht beim Fasten nicht der Gewichtsverlust, sondern die Anregung des Stoffwechsels sowie der Zellerneuerung durch die Unterbrechung konkreter (Ess-)Verhaltensweisen im Vordergrund. Da es jedoch auch beim Fasten durch den Verbrauch körpereigener Reserven zur Gewichtsreduktion kommen kann, sollten nur qualitative und sichere Fastenkuren im Idealfall unter medizinischer Begleitung durchgeführt werden.

DETOX: MYTHEN UND FAKTEN

Im Rahmen einer Fastenkur fallen häufig Begriffe wie „Entschlackung“ und „Detox“. Sie stammen aus der Alternativmedizin und beschreiben Maßnahmen zur Ausscheidung von körpereigenen „giftigen“ Stoffwechselprodukten. Diese sogenannten „Schlacken“ sind jedoch weder genauer definiert noch wissenschaftlich nachweisbar. Auch die „Basische Ernährung“ bzw. eine „Übersäuerung“ des Körpers ist auf alternativmedizinische Methoden zurückzuführen und klar von einer akuten Azidose (zu niedriger Blut-pH-Wert) zu unterscheiden. Bei dieser Ernährungsform sollte auf „basische“ Nahrungsmittel geachtet und Basenpulver zur Unterstützung herangezogen werden. Jedoch ist auch die Definition und Wirkung „säurebildender“ Nahrungs- und Genussmittel irreführend und physiologisch nicht erklärbar (Ausnahme: Proteine). 

FASTENMETHODEN UNTER DER LUPE

Beim Fasten gibt es grundsätzlich zwei Ansätze, die in der Praxis jedoch häufig kombiniert werden: eine intermittierte Nährstoffzufuhr und/oder qualitative Nahrungsumstellung. In der bereits 2002 erschienenen Leitlinie zur Fastentherapie der deutschen Ärztegesellschaft für Heilfasten und Ernährung wird die Fastenkur nach Dr. Otto Buchinger empfohlen. Die in drei Dimensionen aufgebaute Methode gilt als Ursprung des Heilfastens und umfasst eine medizinische, psychosoziale und spirituelle Komponente. Während der Fastenkur wird die tägliche Kalorienzufuhr für zwei bis vier Wochen auf maximal 500kcal in Form von flüssiger Nahrung (Gemüsebrühe, Obst- und Gemüsesäfte, Honig, Tees und Wasser) beschränkt. Begleitet wird die Nahrungsumstellung von gemäßigter körperlicher Bewegung, Entspannungsübungen und Abführmaßnahmen. Eine weitere Methode des Heilfastens ist die dreistufige Darmsanierungskur nach Franz Xaver Mayr bestehend aus einer Tee-Wasser-, Milch-Semmel- und Ableitungsphase. Bei beiden Kuren liegt der Fokus auf einer qualitativ veränderten Nährstoff- sowie verminderten Kalorienzufuhr und sollte vor allem bei Personen mit Vorerkrankungen nur unter medizinischer Kontrolle bzw. Begleitung durchgeführt werden. Das Intervallfasten hingegen kann langfristig angewendet werden und beruht auf bewusst eingelegten Essenspausen zwischen den Mahlzeiten, in denen auf eine feste Nahrungszufuhr verzichtet wird. Die Zeitabstände bzw. Essensintervalle können dabei individuell gewählt werden und erstrecken sich von 16 :8 (acht Stunden essen gefolgt von 16 Stunden Pause) über 5 :2 (zwei Tage pro Woche fasten) bis hin zu 1:1 (jeden zweiten Tag fasten). Besonders beliebt ist das Auslassen einer der drei Hauptmahlzeiten (Dinner-Cancelling). Aufgrund zirkadianer Rhythmen im Glucose- und Hormonstoffwechsel wird vor allem der Verzicht auf die Abendmahlzeit empfohlen, wodurch es nachts zu einem Tiefpunkt der Glucose- sowie Insulinspiegel kommt. 

Grafik Wiederverwertung zellulärer Abfälle © Nobelpreiskomitee, Spektrum der Wissenschaft, dpa
© Nobelpreiskomitee, Spektrum der Wissenschaft, dpa

REGENERATION ODER ZERSTÖRUNG?

Was aber bewirkt das Fasten in unserem Körper? Die Grundlage beruht auf einem physiologischen Effekt des Körpers: Unter Nahrungskarenz laufen körpereigene Regenerationsprozesse zur Wiederverwertung ab, um die Energieversorgung und zelluläre Homöostase aufrechterhalten zu können. Dieses Recyclingprogramm zur Überlebenssicherung wird auch als Autophagie der Zelle bezeichnet. Vor allem im Bereich der Anti-Aging-Medizin ist die Wissenschaft an den Zusammenhängen dieser physiologischen Mechanismen interessiert und konnte in den letzten Jahrzehnten bereits einige molekulare Grundlagen aufklären. 2016 ging außerdem der Medizin-Nobelpreis an den Japaner Yoshinori Ohsumi, der mit seinem Forschungsteam 15 Gene ermittelt hat, die maßgeblich an den zellulären Abläufen der Autophagie beteiligt sind. Unter Stresssituationen wie Nahrungsentzug, Hypoglykämie etc. wird die Aktivität der Autophagie erhöht und es kommt zu Recyclingprozessen in der Zelle: Zellbestandteile wie Proteine, Enzyme oder Mitochondrien, die ihre Aufgabe nicht mehr richtig erfüllen, werden im Zellinneren von einer Doppelmembran umhüllt, und ein Autophagosom entsteht. Dieses bildet durch die Verbindung mit einem Lysosom ein Autolysosom, in dem Zellbausteine durch abbauende Enzyme (saure Hydrolasen) zerlegt und nach Abgabe ins Zytoplasma regeneriert werden (siehe Abbildung links). Eine wichtige Rolle scheint dabei die Enzymgruppe der Sirtuine zu spielen, die unter Energiemangel und oxidativem Stress wichtige Kontroll- und Reparaturprozesse fördern. Ist die Zellschädigung jedoch zu groß, wird der apoptotische oder autophagosomale programmierte Zelltod eingeleitet, um das Überleben des Gesamtorganismus zu sichern.

Autophagie und Krebs © shutterstock
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AUTOPHAGIE UND KREBS

Im Kampf gegen Krebs ist Autophagie ein zweischneidiges Schwert. Sie kann sowohl eine schützende Rolle spielen als auch den Tumorzellen dabei helfen, Behandlungen zu überleben. In den frühen Phasen der Tumorgenese hilft eine gut funktionierende Autophagie, das Tumorwachstum einzudämmen, indem schädliche Zellen beseitigt werden. In späteren Stadien der Krankheit können Krebszellen, die durch aggressive Therapien geschädigt wurden, die Autophagie für Reparaturzwecke nutzen. Dies fördert Therapieresistenzen und erhöht die Rückfallquote. Dieses Phänomen wird auch als „programmiertes Überleben“ bezeichnet. 

HEILUNG DURCH RECYCLIN

Die Regulation der Autophagie spielt eine bedeutende Rolle bei Alterungsprozessen, bei der Entstehung von neurodegenerativen Krankheiten sowie bei Krebserkrankungen. Ist diese gestört, fehlen wichtige Reparatur- und Eliminierungsmechanismen. Neben einer erhöhten Autophagie-Aktivität werden durch das richtige Fasten noch weitere gesundheitsfördernde Abläufe im Körper angeregt: erhöhte Insulinsensitivität, verbesserter Fettstoffwechsel durch die Energieversorgung aus Ketonkörpern (Fettreserve) nach Entleerung der Glykogenspeicher, verbesserte Leistungsfähigkeit der Skelett- und Herzmuskulatur durch erhöhte ATP-Produktion in den Mitochondrien, verstärkte Neurogenese durch die Bildung bestimmter Wachstumsfaktoren (FGF21, STH) sowie die allgemeine Senkung von Entzündungsprozessen. Fastenkuren werden daher nicht nur bei gesunden Personen zum Erhalt der Gesundheit und des Wohlbefindens eingesetzt, sondern stellen unter ärztlicher Betreuung auch eine Indikation nach ICD-10 für metabolische, chronisch-entzündliche, kardiovaskuläre und psychosomatische Erkrankungen dar. Auch in dem im Jahr 2023 erschienenen Review von Liu et al. wurden die vielversprechenden und gesundheitsfördernden Effekte des Intervallfastens auf diverse Krankheitsbilder zusammengefasst. Für eine ausdrückliche Empfehlung reicht die Sicherheitsdatenlage jedoch (noch) nicht aus. Bei Personen mit Magersucht, in Schwangerschaft und Stillzeit, bei schweren psychischen und koronaren Erkrankungen sowie Tumorerkrankungen wird deshalb auch in der Leitlinie von einer Fastentherapie abgeraten. 

“Als Vorbereitung des Körpers auf die Nahrungsumstellung kann bereits einige Tage vor dem Fasten mit einer Kalorienreduktion begonnen werden.“

DIE REGELN BEIM FASTEN

Bei jeder der bereits genannten Fastenkuren kann es zu negativen körperlichen Reaktionen wie etwa einer Kreislaufdysregulation, Hypoglykämie und Störungen im Elektrolythaushalt kommen. Wer fasten möchte, sollte deshalb einige Dinge und Warnsignale des Körpers beachten, um die Gesundheit nicht zu gefährden. Laborparameter wie Blutzucker, Elektrolyte, Harnsäure, Leber- und Nierenwerte sollten deshalb vor und während der Fastenkur regelmäßig geprüft werden. Als Vorbereitung des Körpers auf die Nahrungsumstellung kann bereits einige Tage vor dem Fasten mit einer Kalorienreduktion begonnen werden. Vor allem bei einer reduzierten Nährstoffzufuhr muss auf eine frische und hohe Qualität an Lebensmitteln sowie eine Gesamttrinkmenge von 2,5 Liter pro Tag geachtet werden, um die Nährstoffversorgung zu gewährleisten. Gegebenenfalls sollte mithilfe einer Mikronährstoffsupplementierung unterstützt werden. Empfohlen wird außerdem Ausdauer-orientierte Bewegung (kein Höchstleistungssport!), ausreichend Ruhe und Entspannung sowie der Verzicht auf Genussmittel wie Alkohol, Koffein und Nikotin. Durch pharmakokinetische Änderungen muss auch eine Arzneimitteltherapie vor allem mit systemischen Glucocorticoiden, NSAR, Diuretika, Betablockern, Antidiabetika, Kontrazeptiva, Antikoagulantien, Antiepileptika sowie Psychopharmaka engmaschig kontrolliert und gegebenenfalls angepasst werden. Zusammengefasst haben Fastenkuren also einen großen Einfluss auf unseren Körper. Für konkrete Empfehlungen und Aussagen ist die Datenlage klinischer Humanstudien zu Langzeitfolgen jedoch noch gering. Unter Berücksichtigung dieser Kriterien bieten die verschiedensten Fastenformen jedoch einen gesundheitlichen Mehrwert und Anstoß, ungesunde Lebensgewohnheiten langfristig zu verändern. 

RATSCHLÄGE BEI FASTENKUREN
  • Trinkmenge von mindestens 2,5 l pro Tag 
  • Kalorienreduktion bereits einige Tage davor
  • Weglassen von Genussmitteln wie Alkohol, Koffein und Nikotin
  • Verzicht auf Hochleistungssport
  • Zeit für Ruhe und Entspannung nehmen (Massagen, Sauna, Yoga, Meditation)
  • Wert auf qualitativ hochwertige und frische Produkte legen
  • Bei Bedarf: Mikronährstoffsupplementierung und Anpassung der Arzneimitteltherapie
  • Kontrolle von Laborparametern

 Quellen

  • Lenzen-Schulte M et al.: „Selbstverstümmelung“ als Überlebensstrategie. Deutsches Ärzteblatt 2016; Jg 113, Heft 40: 1740-1743
  • Wilhelmi de Toledo F et al.: Leitlinien zur Fastentherapie. Forsch Komplementärmed Klass Naturheilk 2002; 9: 189-198
  • Liu S et al.: The Health-Promoting Effects and the Mechanism of Intermittent Fasting. J Diabetes Res. 2023; Volume 2023: 4038546
  • Madeo F et al.: Essential role for autophagy in life span extension. J Clin Invest. 2015; 125(1): 85-93
  • Kleine-Gunk B und Wolf A: Präventionsmedizin und Anti-Aging-Medizin. Springer Verlag 2022, 1. Auflage

Weitere Quellen auf Anfrage


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