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Bluthochdruck

Mag. pharm. Christopher Waxenegger
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Die Blutdruckmessung in der Apotheke kann einen wesentlichen Beitrag leisten, um undiagnostizierte oder nicht korrekt eingestellte Hypertoniker:innen zu entdecken. © Shutterstock
Die Blutdruckmessung in der Apotheke kann einen wesentlichen Beitrag leisten, um undiagnostizierte oder nicht korrekt eingestellte Hypertoniker:innen zu entdecken. © Shutterstock

Bluthochdruck galt lange als typische Alterskrankheit. Bedingt durch Überernährung, Übergewicht und körperliche Inaktivität sind allerdings immer öfter auch jüngere Erwachsene betroffen. Eine 2017 im Lancet publizierte weltweite Studie der NCD Risk Factor Collaboration analysierte die Blutdruck-Trends von 1975 bis 2015 und kam zu dem Schluss, dass die österreichische Bluthochdruck-Prävalenz unter Frauen bei 16,8 % bzw. unter Männern bei 25,2 % liegt. Im Schnitt dürfte jeder vierte Mensch in Österreich zu hohe Blutdruckwerte haben. Dieser Anteil steigt mit zunehmendem Alter deutlich an und umfasst nahezu drei Viertel der über 70-Jährigen. Folgekrankheiten wie Herzinfarkt, Schlaganfall und Nierenversagen sind wesentliche Treiber der Blutdruck-assoziierten Mortalität und Morbidität. Ganze 14 % der weltweiten Todesfälle – in Ländern mit hohem Einkommen sogar 18 % – lassen sich direkt auf Bluthochdruck zurückführen. Neben der verminderten Lebenserwartung betonen die Daten der Global-Burden-of-Disease-Studie darüber hinaus die signifikant eingeschränkte Lebensqualität von Hypertonikerinnen und Hypertonikern, ausgedrückt als Verlust an qualitativ hochwertigen Lebensjahren (QALY).

Praktische Bedeutung

Der Nutzen einer blutdrucksenkenden Therapie ist mittlerweile seit drei Jahrzehnten evident und durch zahlreiche Studien untermauert. Schon in der Framingham-Studie sank in der Gruppe der behandelten Patientinnen und Patienten die kardiovaskuläre Mortalität um 60 % und die Gesamtmortalität um 31 %. Bluthochdruck ist zudem eine der wenigen Erkrankungen, für die zahlreiche Studien mit älteren Patientinnen und Patienten vorliegen, welche die Wirkung der Behandlung bis ins hohe Alter bestätigen. So gelang in der SYST-EUR-Studie bei über 60-Jährigen eine 42%ige Senkung der Schlaganfallrate nach vierjähriger antihypertensiver Therapie. Beckett et al. bestätigten im Zuge der HYVET-Studie endpunktrelevante Effekte einer medikamentösen Behandlung mit Indapamid ± Perindopril bei über 80-jährigen Hypertonikerinnen und Hypertonikern. Diese und ähnliche Resultate sind deshalb hochrelevant, da klare klinische Implikationen ableitbar sind: Therapie- und Adhärenz-Optimierung bis ins hohe Alter!

Tabelle 1
*zählen gemäß ESC/ESH-Guidelines streng genommen zu den 
Reservemedikamenten, wenn keine spezifische Indikation vorliegt
Vor- und Nachteile gängiger Antihypertensiva
WirkstoffgruppeVorteileNachteile
Thiaziddiuretika
  • Daten aus älteren Studien
  • bei >80-Jährigen erfolgreich
  • geringe Kosten
  • guter Kombinationspartner
  • diabetogen
  • Elektrolytstörungen
  • Hautkrebsrisiko
  • HCT
  • in neuerer Studie
    Amlodipin unterlegen
Betablocker*
  • Daten aus älteren Studien
  • geringe Kosten
  • gleichzeitige Therapie anderer kardiovaskulärer Erkrankungen
  • diabetogen
  • Potenzprobleme
  • Bradykardie
  • in neueren Studien RAAS-/Calciumblocker unterlegen
ACE-Hemmer/Sartane
  • sehr gute Datenlage, auch bei älteren Personen
  • guter Kombinationspartner
  • geringe Kosten
  • Niereninsuffizienz
  • Vorsicht bei gleichzeitiger
    NSAR-Therapie
  • Vorsicht bei Exsikkose
DHP-Calcium­kanalblocker
  • sehr gute Datenlage, auch bei älteren Personen
  • metabolisch neutral
  • geringe Kosten
  • (orthostatische) 
    Hypotonie
  • periphere Knöchelödeme begünstigen nicht-indizierte Diuretika-Therapie
Reservemedikamente (α-Blocker, Spironolacton, Moxonidin, Rilmenidin, alpha-Methyldopa, 
Dihydralazin, Minoxidil)
  • Blutdrucksenkung bei therapierefraktärer Hypertonie (Ausschluss Adhärenz-Probleme!)
  • geringe bis fehlende 
    Endpunktdaten
  • höheres Nebenwirkungsrisiko

Ernüchternde Realität

Leider sieht es in der Realität anders aus: Die SCREEN-II-Studie etwa zeigt eindrücklich, dass von 1.303 Patientinnen und Patienten mit regelmäßigen Selbstmessungen lediglich 17 % das Heimblutdruckziel von 135/85 mmHg unter Therapie erreichten. In der EURIKA-Studie waren es immerhin 36 % bei einem festgelegten Blutdruckziel von < 140/90 mmHg. Für die erst 2020 publizierte Arbeit von Danninger et al. wurden im Zeitraum von 2016 bis 2017 insgesamt 10.973 Personen in oberösterreichischen Apotheken der Blutdruck und die Gefäßsteifigkeit gemessen. Davon waren 38 % hypertensiv (> 140/90 mmgHg). Knapp ein Drittel der Teilnehmenden ohne vorbekannte Hypertonie wusste nichts von seiner Erkrankung. Von den 3.890 Patientinnen und Patienten, die es wussten und sich zu der Zeit in medizinischer Behandlung befanden, hatten trotzdem 57 % einen erhöhten Blutdruck. Die Untersuchung bekräftigt einmal mehr die hohe Dunkelziffer sowie eine unzureichende Blutdruckkontrolle bei diagnostizierter Hypertonie. Auch der österreichische Blutdruckkonsens 2019 resümiert, dass weniger als die Hälfte der Österreicher:innen ihre Blutdruck-Zielwerte erreichen und nach wie vor viele Hypertoniker:innen unentdeckt bleiben.

Die europäische Hypertoniegesellschaft hält am Grenzwert von 140/90 mmHg fest, während die US-amerikanische den Zielwert aufgrund der SPRINT-Studie auf ≥ 130/80 mmHg gesenkt hat. © Shutterstock
Die europäische Hypertoniegesellschaft hält am Grenzwert von 140/90 mmHg fest, während die US-amerikanische den Zielwert aufgrund der SPRINT-Studie auf ≥ 130/80 mmHg gesenkt hat. © Shutterstock


USA vs. Europa

Die gültige Definition von Bluthochdruck variiert. Während die europäische Hypertoniegesellschaft weiterhin an einem Grenzwert von 140/90 mmHg festhält, wurde dieser in den USA auf ≥ 130/80 mmHg gesenkt. Ausschlaggebend dafür war die 2015 veröffentlichte SPRINT-Studie, welche für intensiv behandelte Hochrisikopatientinnen und -patienten ohne Diabetes oder schwere Niereninsuffizienz niedrigere Raten tödlicher und nicht tödlicher schwerer kardiovaskulärer Ereignisse und Todesfälle jeglicher Ursache ausmachte. Interessant zu erwähnen ist, dass rund 28 % der Teilnehmer:innen der SPRINT-Studie über 75 Jahre alt waren und die Senkung des systolischen Blutdrucks von 140 mmHg auf 120 mmHg in dieser Subgruppe sogar einen größeren Gesamteffekt hatte als bei jüngeren Patientinnen und Patienten – womit wir wieder bei „Therapie- und Adhärenz-Optimierung bis ins hohe Alter“ angelangt wären.

Diagnose

Fast alle Menschen mit Bluthochdruck haben eine primäre oder essenzielle Hypertonie, bei der keine einzelne identifizierbare Ursache vorhanden ist. Vielmehr ist sie das Ergebnis einer komplexen Interaktion von Umwelt und genetischen Faktoren. Hinzu kommt eine altersbedingte progrediente Versteifung der großen Gefäße. Der verbleibende Anteil der Bluthochdruckpatientinnen und -patienten hat eine sekundäre Hypertonie mit eindeutig zuordenbarer und teils behebbarer Ursache wie Conn-Syndrom, Phäochromozytom, Nierenarterienstenose oder Medikamenteneinnahme. Goldstandard für die Diagnose ist und bleibt die ambulante 24-Stunden-Blutdruckmessung (ABDM), welche im Rahmen des Tagesprofils ebenso die prognostisch aussagekräftige nächtliche Blutdruckhöhe erfasst. Die Diagnosekriterien der ABDM weichen von jener der konventionellen Arzt- bzw. Heimmessung ab (Arzt: > 140/90 mmHg, Heimmessung: > 135/85 mmHg, ABDM: > 130/80 mmHg). Da eine Hypertonie überwiegend ein asymptomatischer Zustand ist, der häufig erst bei einer routinemäßigen Untersuchung in der Hausarztpraxis oder einer Messung in der öffentlichen Apotheke auffällig wird, handelt es sich in der Regel um einen Zufallsbefund. Bei immer noch viel zu vielen wird die Diagnose erst dann gestellt, nachdem sie bereits ein kardiovaskuläres Ereignis erlitten haben.

Tabelle 2
Änderung des Lebensstils
MaßnahmenErklärungReduktion systolisch
Tabakkonsum einstellensenkt kardiovaskuläres Risiko-
Natriumrestriktionkochsalzarme Diät (< 6 g/Tag)2–8 mmHg
Übergewicht reduzierenNormalgewicht anstreben5–20 mmHg pro 
10 kg Gewichtsverlust
Alkoholkonsum vermindernMänner: 20–30 g Ethanol/Tag
Frauen: 10–20 g Ethanol/Tag
2–4 mmHg
Ernährungfettarm, reich an Obst und Gemüse8–14 mmHg
körperliche Aktivität mind. 150 min/Woche moderate 
oder 75 min/Woche intensive Ausdauerbelastung
ergänzend: 2 x/Woche Krafttraining
5–17 mmHg

Behandlungsintention

Ziel bei Bluthochdruck ist es, die Inzidenz kardiovaskulärer Komplikationen zu verringern. Die Behandlung sollte daher nicht nur auf die Senkung des Blutdrucks abzielen, sondern auch darauf, das absolute Risiko für Herz-Kreislauf-Erkrankungen zu senken (u. a. Komorbiditäten berücksichtigen, Lebensstil ändern). Um den Behandlungseffekt zu maximieren, kann es nach Beurteilung des individuellen kardiovaskulären Risikos unter Umständen erforderlich sein, zusätzlich eine medikamentöse cholesterinsenkende Therapie zu initiieren. Dies gilt v. a. für Hochrisikopatientinnen und -patienten mit z. B. Schlaganfall, koronarer Herzkrankheit oder Typ-2-Diabetes. Definitiver Behandlungsbedarf für eine antihypertensive Therapie besteht ab einem gesicherten Ordinationsblutdruck von > 140/90 mmHg bzw. von > 160/90 mmHg bei über 80-Jährigen.

Behandlung

Es besteht ein direkter Zusammenhang zwischen dem Ausmaß der Blutdrucksenkung auf der einen sowie der kardiovaskulären Risikoreduktion auf der anderen Seite. Abgesehen davon vermitteln einige Antihypertensiva wie RAAS-Hemmer oder Betablocker blutdruckunabhängige, sekundärprophylaktische Effekte, die sich je nach Begleiterkrankung gezielt nutzen lassen. Insofern ist die Wirkstoffwahl abhängig vom kardiovaskulären Risiko und etwaigen Begleiterkrankungen, wobei initial eine Kombinationstherapie unter Einschluss eines ACE-Hemmers bzw. Sartans plus DHP-Calciumantagonist oder Diuretikum empfohlen wird. Dies liegt darin begründet, dass eine niedrig dosierte Kombinationstherapie den Blutdruck deutlich besser reduziert, als die höher dosierte Gabe von Einzelsubstanzen. 

Bei unzureichender Blutdrucksenkung wird im zweiten Schritt eine Triple-Therapie angestrebt. Kann trotz adäquater Triple-Therapie das Blutdruckziel nicht erreicht werden, spricht man definitionsgemäß von einer therapierefraktären arteriellen Hypertonie. In diesem Fall wird primär die Zugabe von Spironolacton (25–50 mg/Tag) bevorzugt, bei Vorhandensein spezifischer Indikationen auch die eines β- oder α-Blockers. Spätestens jetzt sollte für die weitere Diagnostik die Überweisung an ein spezialisiertes Zentrum in Erwägung gezogen werden. Apotheker:innen können sich in die Behandlung von Bluthochdruckpatientinnen und -patienten nachweislich einbringen, indem sie diese Menschen auf ihrem Weg begleiten, niederschwellig beraten, zu Lebensstiländerungen motivieren und deren Blutdruckeinstellung in regelmäßigen Abständen prüfen.

Quellen

•   Banegas JR, Lopez-Garcia E, Dallongeville J et al. Achievement of treatment goals for 
primary prevention of cardiovascular disease in clinical practice across Europe: the EURIKA study. Eur Heart J. 2011; 32:2143–52
•   Beckett NS, Peters R, Fletcher AE et al. Treatment of hypertension in patients 80 years of age or older. N Engl J Med. 2008; 358(18):1887–98
•   Danninger K, Hafez A, Binder RK et al. High prevalence of hypertension and early vascular aging:  screening program in pharmacies in Upper Austria. J Hum Hypertens. 2020; 34(4):326–334
•   Hitzenberger G, Magometschnigg D. Blood pressure characteristics of hypertensive patients in Austria as determined by self-monitoring (SCREEN-II). Blood Press. 2003; 12:134–8
•   Lawes CM, Vander Hoorn S, Rodgers A; International Society of Hypertension. Global burden of blood-pressure-related disease, 2001. Lancet. 2008; 371(9623):1513–8
NCD Risk Factor Collaboration (NCD-RisC). Worldwide trends in blood pressure from 1975 to 2015: a pooled analysis of 1479 population-based measurement studies with 19·1 million participants. Lancet. 2017; 389(10064):37-55.
•  SPRINT Research Group, Wright JT Jr, Williamson JD et al. A Randomized Trial of Intensive versus Standard Blood-Pressure Control. N Engl J Med. 2015; 373(22):2103-16.
•  Staessen JA, Fagard R, Thijs L et al. Randomised double-blind comparison of placebo and active treatment for older patients with isolated systolic hypertension. The Systolic Hypertension in Europe (Syst-Eur) Trial Investigators. Lancet. 1997; 350(9080):757-64.
•  Sytkowski PA, D'Agostino RB, Belanger AJ et al. Secular trends in long-term sustained hypertension, long-term treatment, and cardiovascular mortality. The Framingham Heart Study 1950 to 1990. Circulation. 1996; 93(4):697-703.
•  Weber T, Arbeiter K, Ardelt F et al. Austrian Consensus on High Blood Pressure 2019. Wien Klin •  Wochenschr. 2019; 131(Suppl 6):489-590.
•  Williams B, Mancia G, Spiering W et al. 2018 ESC/ESH Guidelines for the management of arterial hypertension. Eur Heart J. 2018; 39(33):3021-3104.

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