Epigenetik

Chronischer Stress macht alt

Mag. Larissa Grünwald
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Das Genom des Menschen umfasst rund 25.000 Gene. Seine Entschlüsselung war ein Meilenstein in der Forschung, erklärt jedoch nicht, warum bei identer Genausstattung so unterschiedliche Verhaltens- und Reaktionsmuster möglich sind bzw. warum manche Menschen besser mit Stress zurechtkommen als andere. An diesem Punkt kommt die Epigenetik ins Spiel: Sie zeigt, dass Gene zwar eine zentrale Steuerungsfunktion haben, aber selbst verschiedenen Regulationsmechanismen unterliegen. Epigenetische Faktoren beeinflussen nicht nur die Aktivität der Gene, sondern auch deren Expression und Regulation. Dabei wirken äußere Einflüsse wie Stress, Ernährung, Lebensstil, das soziale Umfeld oder Spiritualität auf unsere Gene ein.

Gleiche Gene, unter­schiedliche Aktivierung

Die primäre Information, die den Menschen ausmacht, ist die Gen-Sequenz. Daher sind eineiige Zwillinge nicht nur genetisch identisch, sondern auch äußerlich kaum voneinander zu unterscheiden. Dennoch sind es gerade epigenetische Veränderungen, die zu unterschiedlichen körperlichen Entwicklungen (z. B. Körpergewicht) und Krankheitsanfälligkeiten (z. B. stressbedingte Erkrankungen, Stoffwechselerkrankungen, Krebserkrankungen) führen.

Zwillingsstudien © shutterstock
In Zwillingsstudien wurden trotz genetischer Identität große Unterschiede hinsichtlich des individuellen epigenetischen Zustandes festgestellt. © shutterstock

Diese Unterschiede tragen letztlich auch zu unterschiedlichen Lebensverläufen bei. Eine skandinavische Studie bestätigt diese Erkenntnisse: Sie untersuchte Zwillingspaare im Alter von 3 bis 74 Jahren und zeigte, dass bei den älteren Zwillingen erhebliche Unterschiede im Hinblick auf den epigenetischen Code festzustellen waren, während die jüngeren Zwillinge kaum Abweichungen in ihren epigenetischen Codes aufwiesen. Dies verdeutlicht, dass sich im Laufe der Zeit durch unterschiedliche Erfahrungen und Lebensumstände variierende epigenetische Muster entwickeln können.

Epigenetischer Code

Das bekannteste Funktionsprinzip der epigenetischen Modifikation ist die Methylierung. Dabei binden Methylgruppen an den jeweiligen DNA-Strang und verhindern das Ablesen der nachfolgenden Gensequenzen. Diese Sequenzen können in der Folge nicht in ein Protein übersetzt werden – das Gen ist damit deaktiviert. Auch eine Histon-Acetylierung besitzt einen hohen Stellenwert bei der Codierung und Markierung. Durch beschriebene Methylierungen und Markierungen erhält der Körper ein individuelles Muster, das die Ablesbarkeit der Gensequenzen beinhaltet. Wie diese Muster der jeweils vorliegenden Gene aussehen, bestimmen Umweltfaktoren bzw. die äußeren Bedingungen. Zu den einflussreichsten Komponenten zählen dabei Körpergewicht, Ernährung, Bewegung sowie allgemein der Lebensstil.

Psychische Belastungen, Stress & Traumata in der Kindheit ...

Auch psychische Belastungen, Stress und Traumata wirken besonders stark auf das Erbgut bzw. auf Methylierungs- und Modifikationsprozesse an der DNA. Mittlerweile zeigen zahlreiche Studien auch beim Menschen, dass Stress auf epigenetische Prozesse Einfluss nimmt und in Folge die psychische Gesundheit beeinflusst. Dazu zählen insbesondere in pränatalen, frühkindlichen und in frühen Lebensphasen erlebter Stress, da in diesen Entwicklungsphasen eine besonders hohe Vulnerabilität und Neuroplastizität zu erkennen ist.

… und bei Erwachsenen

Doch auch Erwachsene sind von stressbedingten psychischen Einflüssen betroffen, da die zur Methylierung notwendigen Enzyme auch im Gehirn von Erwachsenen aktiv sind. So kann zum Beispiel traumatischer, sozioökonomisch bedingter, arbeitsbezogener oder chronischer Stress die Methylierung sogenannter Kandidatengene im Erwachsenenalter verändern. Dabei handelt es sich um Genabschnitte, die bereits als potenziell krankheitsverursachende DNA-Sequenzen identifiziert wurden. In Studien wurden Beeinträchtigungen der Gedächtnisleistung, der kognitiven Leistungsfähigkeit sowie depressive Verstimmungen erkannt, die auf Stress zurückzuführen sind. 

Inzwischen liegen auch erste Nachweise vor, dass nicht nur chronischer, sondern auch akuter Stress einen ähnlichen Einfluss auf die Methylierung bestimmter Kandidatengene hat.

Exkurs: Epigenetik – Begriffsdefinition

Die Epigenetik befasst sich mit allen externen Faktoren, die unsere 
Genexpression beeinflussen können. Dabei geht es nicht um Ver-
änderungen am genetischen Code, sondern darum, ob die Gene 
aktiviert oder deaktiviert werden bzw. ob diese als Vorlage für die 
Proteinsynthese herangezogen werden oder nicht. Dieses Konzept der Genregulation stellt einen der wichtigsten Aspekte der Epigenetik dar. 

Stress lässt Körperzellen rascher altern

Dass chronischer „toxischer Stress“ Menschen rascher altern lässt und das Risiko für Alterskrankheiten wie Diabetes, Demenz, Herzinfarkt oder Krebs erhöht, ist schon lange bekannt. Nun zeichnet sich ab, dass dabei ebenfalls epigenetische Veränderungen eine zentrale Rolle spielen. Cortisol scheint das Epigenom der Körperzellen systematisch zu beeinflussen, insbesondere, wenn es ständig im Übermaß ausgeschüttet wird. Diese epigenetischen Veränderungen können permanent und vererbbar sein.

Hautalterung © iStock
Die epigenetische Uhr erfasst Methylierungsmuster der DNA und errechnet auf deren Basis das biologische Alter. © iStock

Die Rolle der Epigenetik bei Gesundheit und Krankheit

Epigenetische Veränderungen können also mit der Entwicklung und dem Fortschreiten von stressbedingten Störungen wie Angst und Depression in Verbindung gebracht werden. Chronischer Stress kann zu anhaltenden Veränderungen im Epigenom führen, die sich auf Gene auswirken, die an der Regulation der Stimmung und der Stressreaktion beteiligt sind. Das Verständnis dieser epigenetischen Veränderungen kann helfen, gezielte Interventionen zu entwickeln, um die Belastung durch stressbedingte psychische Erkrankungen zu verringern.

Ernährung und Lebensstil

Eine große Bedeutung in Hinblick auf die Epigenetik haben Ernährung und Lebensstil. Beide können tiefgreifende epigenetische Wirkungen entfalten. So können bestimmte Nährstoffe in der Nahrung die Aktivität von Genen durch epigenetische Mechanismen direkt beeinflussen. Studien haben gezeigt, dass eine Ernährung mit viel Obst und Gemüse positive epigenetische Veränderungen fördern kann. Hier geht es v. a. um den Gehalt an Antioxidantien und bioaktiven Verbindungen, die bekanntermaßen oxidativen Stress reduzieren können.

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Neben polyphenolreichen Lebensmitteln wie Beerenfrüchten und Trauben wird auch dem Sulforaphan aus Brokkoli nachgesagt, dass es die Aktivität von Genen durch epigenetische Mechanismen beeinflussen kann. © shutterstock

Nun wurde deren Nutzen offenbar auch epigenetisch bestätigt. Eine positive Wirkung zeigen polyphenolreiche Lebensmittel wie dunkle und rote Beerenfrüchte und Trauben, Catechine im grünen Tee, Genistein in Sojabohnen und Sulforaphan im Brokkoli.  Auch für Butyrat (als Stoffwechselprodukt einer gesunden Darmflora) sowie für Curcumin gibt es interessante Befunde. Beim Lebensstil sind v. a. stressabbauende Maßnahmen wie Sport und Entspannungsmethoden zu nennen, die den epigenetischen Code gleichermaßen beeinflussen können.

Epigenetische Uhr
Horvath-Clock

Die epigenetische Uhr (auch Horvath-Clock) erfasst molekularbiologische Veränderungen an den Genen der Körperzellen und berechnet anhand dessen, wie stark der Alterungsprozess fortgeschritten ist. Sie errechnet also das biologische Alter. Der Test basiert auf dem DNA-Methylierungsgrad von Blut-, Speichel- oder anderen DNA-haltigen Proben und misst die Ansammlung von Methylgruppen in den DNA-Molekülen einer Person.

Diese Methodik hat sich als sehr präzise erwiesen und bietet wertvolle Einblicke in den Alterungsprozess auf zellulärer Ebene. Dabei zeigt sich, dass das epigenetisch ermittelte Alter umso stärker vom tatsächlichen („chronologischen“) Alter abweicht, je mehr Stress die Personen erlebt hatten. Laut Studien sind vor allem jene Gene betroffen, die unter dem Einfluss von Stresshormonen stehen, sowie Gene, die mit Alterskrankheiten in Zusammenhang gebracht werden.

Ein jüngeres biologisches Alter kann auf eine bessere Gesundheit und 
eine höhere Lebenserwartung hinweisen, während ein älteres biologisches Alter ein erhöhtes Risiko für altersbedingte Krankheiten und vorzeitige Sterblichkeit anzeigen kann.

B-Vitamine für die Genregulation   

B-Vitamine spielen im Zuge der Genregulation eine wesentliche Rolle. Sie werden u. a. als Co-Faktoren bei der Herstellung von Neurotransmittern benötigt und sind an der Reizweiterleitung und Bereitstellung von Energie mitbeteiligt. Biotin ist z. B. an der Expression von schätzungsweise 2.000 Genen beteiligt. Ein Mangel an B-Vitaminen kann sich z. B. in Form von Stimmungsschwankungen, Müdigkeit und Antriebslosigkeit zeigen. 

B-Vitamine sollten stets als Komplex ergänzt werden. Bei einer zu hohen Zufuhr an einzeln eingenommenen B-Vitaminen (v. a. Folsäure und Vitamin B12) über einen längeren Zeitraum kann es möglicherweise zu einer Hypermethylierung an bestimmten Genen kommen. Empfehlenswert sind daher gut aufeinander abgestimmte Kombinationen, die optimalerweise alle acht B-Vitamine beinhalten. 

Fettsäuren für den Aufbau gesunder Neuronen

Erwähnenswert sind außerdem die Omega-3-Fettsäuren Eicosapentaensäure und Docosahexaensäure sowie Gamma-Linolensäure (beispielsweise aus dem Borretschsamenöl). Diese sind Ausgangsstoffe für die körpereigene Produktion wichtiger Strukturlipide und Gewebshormone und wirken antiinflammatorisch. Letzteres ist von großer Bedeutung, da Stress und psychische Belastungen Gene aktivieren, die Entzündungen im Körper begünstigen. Subklinische Entzündungen stellen ihrerseits einen pathogenetischen Faktor dar, der bei einer Reihe von chronisch-degenerativen Erkrankungen (wie Demenzen, Krebs, Herz-Kreislauf-Erkrankungen) von Bedeutung ist.

Quellen

  • Jonsson H, et al.: Differences between germline genomes of monozygotic twins. Nat Genet 2021;53;27-34
  • Perez RF, et al.: Longitudinal genome-wide DNA methylation analysis uncovers persistent early-life DNA methylation changes. J Transl Med 2019; 17:15 
  • Zannas AS, et al.: Lifetime stress accelerates epigenetic aging in an urban, African American cohort: relevance of glucocorticoid signaling. Genome Biol 2015:16:266
  • Döll M.: Gute Gene sind kein Zufall. Mit Epigenetik das eigene Erbgut optimieren. Südwest Verlag;2017
  • Siegmund KD, et al.: DNA Methylierung in the Human Cerebral Cortex Is Dynamically Regulated throughout the 
    Life Span and Involves Differentiated Neurons. PLoS ONE 2007;2(9):e895

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