Medication Without Harm

Erste Empfehlungen für Österreich

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Nationale Standards nötig


Medikationsfehler zählen zu den häufigsten vermeidbaren Ursachen für unerwünschte Ereignisse in der Patientenversorgung. Trotz seit Jahren vorliegender Zahlen fehlen in Österreich bislang gesetzlich verankerte Qualitätskriterien zur Erhöhung der Arzneimitteltherapiesicherheit in Spitälern. Diese Lücke schließt nun die interprofessionelle und trägerübergreifende Arbeitsgruppe Arzneimitteltherapiesicherheit der Österreichischen Fachgesellschaft für Qualität und Sicherheit im Gesundheitswesen (ASQS) mit Empfehlungen, die beim diesjährigen ASQS-Symposium am 15. und 16. September 2025 in Klagenfurt erstmals vorgestellt wurden.


WHO-Initiative als Grundlage 


Die Empfehlungen basieren auf dem WHO Patient Safety Action Plan 2021–2030 und der dritten globalen Kampagne „Medication Without Harm“. Diese setzt den Fokus auf Polypharmazie, Hochrisikomedikamente und Übergänge in der Versorgung mit dem Ziel, schwere Patientenschäden durch Medikationsfehler um 50 % zu reduzieren. Die WHO betont dabei die Bedeutung der „Prescribing Partnership“ – einer interdisziplinären Zusammenarbeit zwischen Ärzt:innen, Apotheker:innen, Pflegepersonal und Patient:innen. Nur im multiprofessionellen Team kann eine Arzneimitteltherapie umfassend betrachtet und arzneimittelbezogene Probleme identifiziert und gelöst werden.

das EAHP-Statement 4.1 

Krankenhausapotheker:innen sollten in allen Bereichen der Patientenversorgung verfügbar sein, um gemeinsame, multidisziplinäre, therapiebezogene Entscheidungsfindungsprozesse proaktiv zu unterstützen. Sie sollten im partnerschaftlichen Umgang mit Patient:in, Arzt/Ärztin, Pflege und anderen Gesundheitsberufen gleichberechtigt in die Entscheidungsfindung, einschließlich Empfehlung, Durchführung und Überwachung von Medikationsänderungen einbezogen sein.

Fünf Schlüsselelemente für sichere Medikation


Die ASQS-Empfehlungen orientieren sich an den fünf WHO-Schlüsselelementen zur Gewährleistung von Arzneimitteltherapiesicherheit:

1. Angemessene Verschreibung und Risikobewertung
Eine elektronische Fieberkurve mit integrierten klinischen Entscheidungsunterstützungssystemen (CDSS) bildet das Fundament sicherer Verordnung. Sicherheitsrelevante Informationen müssen am Point of Care verfügbar sein.  
Besonders wichtig ist die Verhinderung von Never Events wie Fehldosierungen bei Hochrisikomedikamenten. Zudem sollten Überlegungen zur Beendigung der Medikation Teil aller Medikamentenüberprüfungen sein, und der Prozess des „Deprescribing“ sollte ebenso robust sein wie der der Verschreibung.

KH Pharmazie © APOVERLAG
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2. Medikationsanalyse
Bei Polypharmazie- und Hochrisikopatient:innen erfolgt die Überprüfung der Arzneimittelverordnung mittels „Patientenzentrierter Medikationsanalyse – sieben Schritte zur angemessenen Polypharmazie“. Diese strukturierte Herangehensweise prüft systematisch Bedarf, Wirksamkeit, Sicherheit und Effizienz der medikamentösen Therapie unter Einbindung der Patient:innen. Entscheidend ist dabei die Verfügbarkeit klinisch-pharmazeutischer Expertise für alle Ärzt:innen. Als Richtwert gelten 0,75 Krankenhausapotheker:innen bzw. klinische Pharmazeut:innen pro 100 Betten, wobei die benötigten Personalressourcen vom jeweiligen Setting abhängen. In spezialisierten Settings ist eine Orientierung an den geltenden Qualitätsstandards sinnvoll (z.B. Qualitätsstandard Antiinfektiva Anwendung in Krankenanstalten, DIVI-Empfehlungen Intensivstation usw.).

3. Dispensieren, Zubereitung und Verabreichung
Sichere personelle, räumliche und technische Rahmenbedingungen sind Voraussetzung für fehlerfreies Dispensieren, Zubereiten und Verabreichen. Never Events wie zu schnelle Verabreichung oder falscher Applikationsweg bei Hochrisikomedikamenten müssen verhindert werden. Ein geschlossener Medikationsprozess (Closed Loop Medication Management) mit patientenindividueller Logistik (Unit Dose) verbessert die Sicherheit nachweislich (siehe Abbildung 2, S. 78). Parenterale Hochrisikozubereitungen gehören ins sichere Apothekenumfeld, digitale Lösungen sollten Mehrfachüberprüfungen bei kritischen Arzneimitteln unterstützen.

4. Kommunikation und Einbindung der Patient:innen
Patient:innen werden über die „Fünf Momente für die Arzneimitteltherapiesicherheit“ aktiv in ihre Versorgung einbezogen. Diese WHO-Initiative befähigt Patient:innen, offen mit dem medizinischen Fachpersonal zu kommunizieren und am Entscheidungsfindungsprozess mitzuwirken. Dies steigert die Adhärenz und reduziert medikationsbezogene Risiken.

5. Medication Reconciliation
Der systematische Medikationsabgleich (Medication Reconciliation) bei Aufnahme und Entlassung gewährleistet die korrekte Übertragung von Medikamenteninformationen an Versorgungsübergängen. Grundlage ist die bestmögliche strukturierte Arzneimittelanamnese (Best Possible Medication History) bei der Aufnahme.
Standardisierte elektronische Medikationspläne (Patient Summary) sichern die Kommunikation zwischen Gesundheitsdienstanbieter:innen. Am Rezept und im Entlassbrief sollten zu verschriebenen Arzneimitteln jeweils die Diagnosen ergänzt werden, um unangemessene Polypharmazie zu identifizieren.

KH PHarmazie © APOVERLAG
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Closed Loop als Goldstandard


Der geschlossene Medikationsprozess verfolgt das Ziel einer wirksamen, sicheren und ökonomisch sinnvollen Arzneimitteltherapie. Er umfasst elektronische Arzneimittelverordnung durch Ärzt:innen, begleitendes Medikationsmanagement durch Krankenhausfachapotheker:innen, patientenindividuelle Logistik und elektronische Dokumentation durch die Pflege.


Paradigmenwechsel erforderlich


Arzneimitteltherapiesicherheit darf kein Zufallsprodukt sein – jede:r Patient:in hat das Recht auf eine sichere Arzneitherapie. Dies erfordert einen Paradigmenwechsel von der reaktiven Fehlerbehandlung hin zur proaktiven Risikominderung durch systematische Prozessoptimierung. Die ASQS-Empfehlungen bieten österreichischen Krankenhäusern erstmals einen strukturierten Rahmen zur Umsetzung der WHO-Ziele. Ihre erfolgreiche Implementierung kann dazu beitragen, das ambitionierte Ziel einer 50-%igen Reduktion schwerer medikationsbedingter Schäden bis 2030 zu erreichen.

Der direkte Kontakt zum Arbeitskreis Krankenhauspharmazie der ÖAZ per E-Mail:
arbeitskreis.oeaz@krankenhausapotheke.at. Wir freuen uns über Rückmeldungen und Themenvorschläge.

QUELLEN
•   WHO, 2024. Medication without harm: policy brief. Geneva: World Health Organization; 2023. Licence: CC BY-NC-SA 3.0 IGO. [Online] Available at: https://www.who.int/publications/i/item/9789240062764, [Zugriff am 3. Juli 2025].
•   WHO, 2024. Global burden of preventable medication-related harm in health care: a systematic review. Geneva: World Health Organization; 2023. Licence: CC BY-NC-SA 3.0 IGO. [Online], Available at: https://www.who.int/publications/i/item/9789240088887, [Zugriff am 3. Juli 2025]

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